Deutsche Freiheit", Nr. 174

Das bunte Blatt

Zeitungen in England

London  , im Juli.

In keinem Land der Welt spielen Zeitungen im täg­lichen Leben eine solche ausschlaggebende Rolle, die der­jenigen der englischen Zeitungen auch nur annähernd ver­gleichbar wäre. Schon ihre Verbreitung in sämtlichen Län­dern der Erde und die Höhe ihrer Auflage vermitteln ein deutliches Bild. Gerade in den letzten Tagen gaben alle großen Blätter die letzten und neuesten Zahlen bekannt und es ergab sich, daß die Daily Mail" und der Daily Herald" mit einer täglichen Auflage, die schon die Zwei- Millionen­Grenze beträchtlich überschreitet, den anderen großen Blättern vorausgeeilt sind, die in mehr oder minder großem Abstand folgen. Aber es ist immer die Eigenart von Zahlen und Statistiken, daß sie zwar Tatsachen klar und deutlich ausdrücken, daß sie aber nur wenig erkennen lassen von dem eigentlichen Hintergrund und in diesem besonderen Fall von der eigentümlichen und einzigartigen Stellung der Presse in England.

In den meisten Ländern ist das Zeitunglesen eine sehr ernste Angelegenheit. In England dagegen ist es meist heiter und lustig, aber immer unterhaltend. Man fann immer

Zeitungen zu einer dauernden Einrichtung geworden ist, ist die der letters to the editor", die aber nur sehr entfernt mit dem Briefkasten der andern europäischen Zeitungen zu vergleichen ist. Hier werden alle Themen des öffentlichen und privaten Lebens, der Politik und der Kunst oft von be­fannten Persönlichkeiten behandelt.

Eine besondere Stellung unter den englischen Zeitungen nehmen noch die Sonntagsausgaben ein, deren Höhe oft beträchtlich der Vier- Millionen- Grenze nahekommt, wie eiwa die der News of the World", die nichts anderes ent­hält als Sensations- Reportagen, Erinnerungen großer Sportsleute oder ehemaliger Kommissare von Scotland­Yard. Gelegentlich auch schreibt Lord Beaverbrock in seinem Sunday Expreß  " über das britische Empire oder andere alle Engländer begeisternde und interessierende Themata.

Im ganzen geben die englischen Zeitungen ein klares

Heißer Mittag

Dienstag, den 31. Juli.

Von Hermann Hesse  Im trodnen Grase lärmen Grillenchöre, Heuschrecken flügeln am verdorrten Rain, Der Himmel focht und spinnt in weiße Flöre Die fernen blassen Berge schweigend ein.

Es knistert überall und raschelt spröde, Auch schon im Wald erstarren Farn und Moos Hart lacht im dünnen Dunst der Himmelsöde Die Sommersonne weiß und strahlenlos. Einschläfernd laue Mittagslüfte schleichen, Das Auge schließt sich müd; es spielt das Ohr Jm Traum fich die ersehnten gnadenreichen Klangströme fommender Gewitter vor.

und eindeutiges Bild von dem Geiste des wahren Eng Streit um das Ceichentuch Jesu Christi  

länders und man kann hier mit Recht sagen: Beige mir Zeitungen und ich werde Dir sagen, wer Du bist". Ernst Schubert.

wieder feststellen, daß in seiner Presse sich die wirkliche Art Der Eitelkeitshöcker der Statistik

und auch die ganze Eigenart des englischen Volkes getreu spiegelt. Bergeblich wird man in den meisten und großen Blättern nach einem politischen oder wirtschaftlichen Leit­artifel suchen. Man wird ihn höchstens noch in der Times" finden, die immer noch Englands erste und in der ganzen Welt angesehendste Zeitung ist. Ihre tägliche Auflage jedoch steht in feinem Verhältnis zu ihrem Ruf, denn sie erreicht nicht einmal die Grenze der ersten Hunderttausend. Den An­forderungen der modernen Zeit hat sie nur wenig Kon­zessionen gemacht, aber sie bringt noch täglich die besten und ausgesuchtesten Bilder, pflegt den gewähltesten englischen Stil und vereinigt einen Stab von glänzend informierten Mitarbeitern. Während alle anderen Zeitungen sich im Laufe der Zeit in einer Gegend( Fleet Street) nach dem in Lon­ don   für alle Berufe und Geschäftsarten geltenden Prinzip zusammengedrängt haben, bewohnt die Times" auch heute noch ihr altes und schon historisch gewordenes Gebäude in der City, abseits von dem übrigen Zeitungsbetrieb, und doku­mentiert schon rein äußerlich ihre Trennung von dem übrigen.

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Der Engländer hat im allgemeinen nicht viel Interesse an Diskussionen über den Wert oder Unwert einer Idee. Er hat dagegen viel übrig für nüchterne Tatsachen, er liebt den Sport, hat Sinn für Humor und zwar Humor echt englischer Prägung- und einen unersättlichen Magen für alles, was man ihm an Sensationen vorseßt. Er will lesen, ob die Tochter des amerikanischen   Milliardärs sich verheiratet hat und welches Kleid sie bei der Hochzeit getragen hat- am besten wenn das Bild noch auf drahtlosem Wege am gleichen Tag erscheinen kann, oder ob sich diese oder jene bekannte Filmschauspielerin zum fünften oder sechsten Male scheiden läßt. Ihn interessieren die Sportberichte und natürlich die Renntips, Reportagen aus dem Gerichtssaal und von Kapi­

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talverbrechen. Er will wissen, was König und Königin machen, ob der Prinz von Wales eine Ausstellung oder einen

Ball besucht hat, und was die kleine siebenjährige Prin­zessin Elisabeth, Englands einstige Königin, gesagt hat. Alles was mit Politik und Wirtschaft zu tun hat, solgt erst in weiten Abständen dahinter. Eine größere Rolle im Raume der Zeitungen spielen aber noch gute Karikaturen von be= fannten politischen und sportlichen Persönlichkeiten und dann schließlich noch die tägliche Story, die immer in sich Sport, Sensation und Verbrechen vereinigt. Wer diese Bedürfnisse, die der Engländer an seine Zeitung stellt, nicht ausreichend befriedigt, wird den Erfolg sehr schnell an der Höhe der Auf­lage ablesen fönnen. Eine Rubrif, die fast bei allen großen

Bei der letzten französischen statistischen Volkszählung hat sich ein überraschendes Moment ergeben: Während der Be­völkerungsaufban natürlicherweise wie eine Pyramide ansteigen muß, ergab sich im Gegensatz zur Altersangabe der Männer bei der Kurve des Alters der weiblichen Be­völkerung Frankreichs   bei den Jahren 29 und 39 ein starfer Ausschlag, das heißt, in diesen Jahrgängen gab es ungefähr 18 Prozent mehr Frauen als in den vorhergehenden Alters­klassen. Der Statistifer nennt biese seltsame Erscheinung: Eitelkeitshöcker. Viele Frauen möchten nämlich nicht gern die Dezennien überschreiten; fie möchten ewig 29 Jahre alt bleiben, auch, wenn sie längst schon 33 sind. Und sie sind so eitel, daß sie selbst in den amtlichen Listen ihr wahres Alter verschweigen, nur um nicht in den dreißiger oder vierziger Jahrgang aufzurücken. Wenn man eine derartige Frau bei ihrer kleinen Schwindelei ertappt, dann lächelt sie ver­schämt: Was wollen Sie, man ist so alt, wie man sich fühlt." Und da der französische   Beamte auch in Ausübung seines Berufes ein Gentleman bleibt, muß er sich seufzend mit dieser Antwort zufrieden geben. Aber auch die Männer find eitel, und zwar im Entgegengesezten: Die Alterspyra­mide der männlichen Jahrgänge, die natürlicherweise nach oben hin spit zulaufen müßte, verbreitert sich plötzlich an ihrem Ende, und die Lösung des Geheimnisses ist: Ju junge Greise. Die Männer können es gar nicht erwarten, 80 und 90 und 100 Jahre alt zu werden, und da fängt so ein rüstiger Fünfundsiebziger gern an zu flunfern und gibt sich für achtzig aus, und da hundert das ersehnte Ziel ist, gibt es viele Männer Mitte der neunziger, die sich gern als Hundert­jährige feiern lassen wollen.

Helen Wills  

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kann nicht vom Tennis lassen

Vor kurzem wurde berichtet, daß Mr. Helen Moody- Wills, ehemalige Welttennismeisterin, sich ganz vom weißen Sport zurückziehen wolle. Dieser Tage ist sie aus Wimbledon   zu­rückgekehrt, wo sie für ein großes Londoner   Blatt als Be­richterstatterin gearbeitet hat. Bei ihrer Ankunft hat sie Journalisten erklärt, sie fühle sich viel besser und gedenke, alsbald ihr Training im Hinblick auf die großen und inter­essanten Winter- Turniere wieder aufzunehmen. Die Tenniss Königin scheint eben doch nicht so leicht zum Rücktritt geneigt zu sein, wie voreilige Meldungen behaupten wollten.

In italienischen Gelehrtenkreisen ist wieder einmal Streit darüber ausgebrochen, ob die in Turin   aufbewahrte, welt­berühmte Reliquie wirklich das Leichentuch Jesu Christi   ge­wesen ist. Es befindet sich in einem der wunderbarsten italienischen Gotteshäuser, der St.- Sidonie- Kapelle in Turin  , die von dem berühmten italienischen Renaissance- Maler Guarini ausgemalt worden ist. Das heilige Gewebe ist 4,36 Meter lang und 1,10 Meter breit. Man bemerkt auf ihm deutlich die Konturen eines Gesichtes und des Körpers eines Menschen, der 1,80 Meter groß gewesen sein muß. Die Ge­schichte dieser Reliquie ist lang und bewegt. Das heilige Tuch wurde zuerst in Byzanz verehrt, später kam es nach St. Helena  , und im Jahre 1204 wurde es im Verlauf des vierten Kreuzzugs von einem französischen   Ritter entwendet und nach Frankreich   gebracht. 1432 fam es durch eine Heirat in den Besitz des Hauses Savoyen  , dem es bis zum heutigen Tage gehört. Im Evangelium( Matthäus 27, 59; Marfus 15, 46; Lufas 23, 53) fann man nachlesen, daß am Abend der Passion, einige Stunden vor Sonnenuntergang, Joseph von mit Arimathien ein Stück Leinentuch faufte, um darin der Erlaubnis des Pilatus den Körper Jesu Christi   ein­zuhüllen. Im Evangelium Johannis findet man eine Stelle, der zufolge das Tuch stark mit Aloe und Myrrhe getränkt war. Da man den Körper nach dem Tode nicht gewaschen hatte, behielt er einige Wärme, deren chemische Reaktion- noch der Meinung der Wissenschaftler- derart auf die Pflanzenstoffe war, daß Abdrücke des Körpers auf dem Leichentuch sichtbar wurden. Die italienischen Chemiker Dezani und Tonelli haben nun bewiesen, daß die grünlichen Konturen, die das Leichentuch aufweist, tatsächlich vom Körper Jesu Christi   stammen. Diese Beweisführung wird von einer Reihe italienischer Wissenschaftler abgelehnt, und nun ist der Streit darüber in diesen Tagen erneut zum Aus­bruch gekommen.

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Das Auto verdrängt die Polarhunde

Zum erstenmal sind Spezialautomobile in den Polar gegenden in Dienst gestellt worden. Die Lena- Expedition, die nahe der Samuelinsel überwinterte, hat die Tour um den nördlichen Teil der Halbinsel Taymyr, eine Strecke von 460 Kilometern mit diesen Automobilen be­wältigt. Troßdem es feine Wege gab, tros Schneestürmen und Kälte bis zu 40 Grad ist der Versuch vollständig ges glückt. Es ist der Beweis geliefert worden, daß es durchaus möglich ist, sich in den Polargegenden auch ohne Hunde fort­zubewegen. Im Gegenteil, die Polarautomobile" besigen beachtenswerte Vorteile insofern, als sie zu jeder Witterung gebrauchsfähig sind und mehr Schuß als die Hundeschlitten bieten. Alle Fahrzeuge sind am Ausgangspunkt wohlbehalten wieder eingetroffen.

Unsere Töchter, die Nazinen

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Roman von Hermynia 8ur Mühlen. Unser erster Mai", sagte fie verbittert. Sie haben uns alles geraubt. Auch unseren ersten Mai."

Sie sprach lange mit mir und schließlich begriff auch ich, was das alles bedeute. Ein Tag, der seit Jahrzehnten der Tag der Freiheit und der Zukunftshoffnung gewesen war, ist geschändet und erniedrigt worden. Aus Katis Worten er­stand mir das Bild eines tapferen opferreichen Kampfes um das Recht, eines Kampfes, der jahrzehntelang geführt worden war, und der seinen Feiertag hatte: den ersten Mai. Da maren im Zug die Kinder mitgegangen, die Hoffnung der Zukunft. Die kleinen unschuldigen Geschöpfe, für die die Al­ten kämpften, und hinter den Kindern die Alten, die gelitten und ausgeharrt hatten, allen Feinden zum Troß im heiligen Glauben an eine friedliche gerechte Welt. Die roten Fahnen, rot wie das glühende Leben, waren im Zug getragen worden und in der Mailuft hatte die Internationale geklungen, das Lied, das keine Grenzen kennt, das alle umschließt, welcher Nation und Rasse sie angehören, alle, die guten Willens sind. Und heute... Heute weht die Fahne, die Barbarei, eng­herzigsten Nationalismus und roheste Tyrannei verkörpert, dem Zug voran: die Hakenkreuzfahne. Die Zukunft wird gemordet, die Kinder tragen braune Uniformen, und heben die kleinen Hände zum Hitlergruß. Was soll, was kann aus diesen Kindern werden? Was soll, was kann aus unserem Vaterland werden? Das ganze Volt", hieß es in den Auf­rufen der Regierung. Sie lügen. Das, was da mordete und folterte und unterdrückte, war nicht das ganze Volk, war nicht einmal die Hälfte der Deutschen  . Das waren Jrrsinnige, Betrüger, Postenjäger, das war, zumindest was die Führer anbelangte, wirklich etwas, was ich oft gelesen und nie be­griffen hatte: der Abschaum der Menschheit.

Es war totenstill im Zimmer. Wir saßen nebeneinander ouf dem Sofa, und ich lernte, mit siebzig Jahren, die Wahr­beit erfassen. Ich blickte auf Rati. Sie war wieder ruhig

geworden. Ich fühlte neben mir eine unzerbrechliche Kraft, die, vielleicht nicht heute, vielleicht auch nicht morgen, aber einmal bestimmt siegen würde. Die Kraft der Menschen, die alles schaffen, das wir andern nur genießen, die Kraft des Landes, das sich einmal an seine Vergangenheit erinnern wird, an die fernen Tage, da es noch keine Schande war, ein Deutscher zu sein, die Kraft des Geistes, der immer und immer über die rohe Gewalt den Sieg errungen hat.

Ich sah Katis abgearbeitete Hände still in ihrem Schoß ruhen und wußte plößlich, diese Hände werden troß allem die neue Welt aufbauen. Ich betrachtete meine weißen mageren Finger; sie haben nichts geleistet, aber es gibt auch weiße Hände, die Diener des Geistes sind, gibt sie auch hier, oder schon in der Verbannung, und sie werden mitkämpfen bis zum Endsieg. Alle guten Kräfte der Welt werden sich zusammentun gegen das, was jetzt hier geschieht. Wir dürfen nicht verzagen.

Unsere Kinder famen am Abend. Toni sehr ernst, sehr wortfarg. Claudia blaß, mit dem verzerrten Gesicht, das ich aus ihren ärgsten Zeiten kannte. Toni sagte nur, nachdem sie mich begrüßt hatte:

Komm nach Hause, Mutter. Es wird auf der Straße unruhig zugehen."

Claudia jedoch stand einen Augenblick wie erstarrt in der Mitte des Zimmers. Dann warf sie sich plötzlich neben meinem Seffel auf die Knie, vergrub ihr Gesicht in meinem Schoß und schluchzte:

" Mutter! Mutter!"

Sie sagte nichts anderes, immer nur Mutter". Es flang wie ein Hilferuf, wie das Stammeln eines Menschen, der nicht mehr kann.

Ich streichelte ihr Haar und bemerkte, daß es in der letzten Zeit fast grau geworden war.

Rati ging mit ihrer Tochter. Claudia tam nicht zum Abend brot. Ich glaube, fie schämte sich vor mir.

Als ich zu ihr ging, um Gute Nacht zu sagen, lag fie mit weit offenen Augen im Bett und starrte zur Decke empor Vor dem Waschtisch sah ich eine große Lache. Ich meinte lächelnd, um Claudia zu beruhigen und abzulenken:

" Hast du dich aber tüchtig gewaschen, Claudia." Sie blickte mich an und schauderte.

Nicht genug, Mutter," sagte sie. Nicht genug. Ich werde nie mehr rein werden, nie mehr."

Und sie betrachtete mit einem Ausdruck von unsagbarem Etel ihre Hände und ihren ganzen mageren Körper, der sich scharf umrissen unter der Decke abhob.

Sie schlief die ganze Nacht nicht. Ich sah bis sechs Uhr morgens das Licht in ihrem Zimmer brennen. Was dachte sie wohl in dieser langen dunklen Nacht, was fühlte sie? Ich wäre so gern zu ihr gegangen, aber es stand so vieles zwischen uns; ich wußte, daß ich nicht das Rechte sagen würde.

Ja, es stand vieles zwischen uns. Auch der Tod meines lieben Freundes, des Doktor Bär und seiner Frau. Vers geblich wurde die Erklärung abgegeben, daß er durch einen unglückseligen Zufall beim Reinigen seines Revolvers ums Leben gekommen war. Wir alle, die ihn gekannt hatten, wußten es besser. Und wir wußten auch, wer diese beiden Menschen in den Tod getrieben hatte; jene Leute, die heute in seinem Haus wohnen, jene Menschen, die nicht aus Ver blendung schon vor Jahren zu den Nazis übergelaufen sind, sondern mit kluger Berechnung erst nach den Wahlen. Wenn ich diese Leute, die Frau Doktor Feldhüter, auf der Straße sehe, so vergesse ich, wie alt ich bin. Ich muß meine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um ihr nicht ins Gesicht zu schlagen, um nicht vor ihr auszuspucken. Mir fehlt die sichere Ruhe meiner lieben Kati und des braven Frib. Ich glaube, wir, die Menschen aus meiner alten Raste, fönnen für eine Idee sterben, aber nicht für sie leben. Dazu fehlt es uns an Kraft. Das Sterben ist ja auch leichter.

( Fortsetzung folgt.

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