" boal 1961.
Freiheit
Nr. 185 2. Jahrgang
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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Sonntag/ Montag, 12./13. August Chefredakteur: M. Braun
Seite 2
Wie Dr. Geclich
ecmocaet wucue
Radek
Seite 3
über Hitlerdeutschland
Seite 8
Der Oberste Gerichtsherr und seine Opfer
Die Schande einer Amnestic
Man mag darüber streiten, ob es in der Weltgeschichte Schon Revolutionen oder Gegenrevolutionen gegeben hat, die noch brutaler arbeiteten, die mehr und noch scheußlichere Verbrechen häuften als die Bewegung, die sich nationalfozialistische Revolution nennt. Soviel aber ist sicher, daß an Gemeinheiten der Gesinnung die deutschen Nationalsozialisten und ihre parteifanatische Führung nicht übertroffen werden können. Aus dieser Minderwertigkeit des Charakters entspringt immer wieder der Wille, den Gegner nicht nur zu quälen, sondern ihn auch moralisch zu forrumpieren, wenn man nicht vorzieht, ihn zu töten.
Sehen wir uns daraufhin die Amnestie an, die aus dem Anlaß der Vereinigung der Aemter des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers soeben verkündet worden ist. Sie täuscht politischen Charakter vor, einen Versöhnungsaft mit politischen Gegnern, die um ihrer Gesinnung willen verfolgt und bestraft worden sind. Es ist diese Amnestie aber leider nur eine Täuschung, denn sie schließt unerbittlich gerade diejenigen aus, die auch im Kerker und in Todes= gefahr die Festigkeit ihrer antifaschistischen Gesinnung bes wahrt haben. Vorbehaltlos werden nur kriminelle Vergehen und Verbrechen amnestiert, soweit die Strafe nicht mehr a sechs Monate oder 1000 Mart beträgt und es sich nicht um einen schwer vorbestraften Menschen handelt.
Bei politischen Straftaten werden zunächst alle diejenigen nicht berücksichtigt so unglaublich das flingt wirklich politischen Beweggründen entsprungen sind: unter anderem Hochverrat, Landesverrat und überhaupt alle Taten, die aus„ volks- oder staatsfeindlicher Gesinnung" fommen. Das bedeutet nach der im„ dritten Reich" üblichen Methode, daß keiner der Amnestie teilhaftig wird, der Gegner des nationalsozialistischen Diktatursystems ist. Nach dem Wortlaut der Amnestie fommen nur solche Beftrafte für den Straferlaß in Betracht, die aus Schwazhaftigfeit rder im Rausch oder aus irgendwelcher leichtfertiger Unüberlegtheit gehandelt haben. Mit einer wichtigen Ausnahme: Parteigenossen des Führers", die sich durch Uebereifer im Kampfe für den nationalsozialistischen Gedanken heben hinreißen lassen", also Rohlinge bis zum Totschläger, werden in Freiheit gefeßt, wenn sie zuverlässige Parteigenossen sind. Mit diesem Teil der Amnestie fann buchbstäblich jeder Verbrecher, auch schwerster krimineller Natur, begnadigt werden, wenn die nationalsozialistische Partei es will; denn was nicht alles kann man in die Rubrik einreihen„ Uebereifer im Rampfe für den nationalsozialistischen Gedanken". Die Ermordung von Margiften und anderer lästiger Elemente, Juden zum Beispiel, fällt ganz ohne Zweifel unter diesen Teil der Amnestie.
Ganz anders steht es mit den Gegnern des Diftaturstaates. Bu Tausenden sißen sie noch immer in Schußhaft. In vielen Fällen seit Jahr und Tag. Ohne Untersuchung und Gerichtsverfahren, ja ohne daß ihnen auch nur gesagt wird, wessen. man sie beschuldigt. Das einzige Verbrechen", das gegen
diese Schußhäftlinge vorliegt, ist, daß sie eine antifaschistische Gesinnung hatten und durch den Sadismus in den Gefängnissen und in den Konzentrationslagern nicht zu Anhängern des Hitlersystems geworden sind. Und was bietet diesen Opfern Hitlers seine Amnestie? Sämtliche Fälle von Schutzhaft sollen einer beschleunigten Nachprüfung unter80gen werden und die Entlassung aus der Schuzhaft soll erfolgen, wenn der Anlaß für die Verhaftung geringfügig war, oder wenn nach der Daner der Haft und der Wesensart des Häftlings erwartet werden kann, daß dieser sich dem nationalen Staat und seinen Organen gegenüber künftig nicht mehr feindselig verhalten wird.
Welch eine ungeheure Gemeinheit: erst muß der Häftling durch die lange Dauer der Schußhaft und seinen moralischen Zusammenbruch, durch seine„ Wesensart" so erledigt sein, daß der„ nationale Staat" feinerlei Gegnerschaft mehr von
ihm zu erwarten hat, ebe der Gefangene amnestiert wird. So verfündet der Oberste Gerichtsherr". Möge die Welt über das System und den Mann urteilen, der sich mit einer Wrechtfi lle ausgerüstet hat wie selten ein Mensch und so erbärmlich feine Rache an Mitmenschen nimmt, die seit vielen Vienaten eingeferfert und gequält sind. Fürchtet er diese wenigen macht und waffenloje gefangenen Boltsgenossen?
Nein, aber er zittert inmitten seiner Söldnerscharen, seiner gedungenen Mietlinge vor dem unsterblichen Geist der Freis heit und der innerlich ungebundenen Persönlichkeit, die in seinen gefesselten Gegnern lebt.
Was sind das für Gegner in den Gefängnissen und in den Lagern? Deutschlands Oberster Gerichtsherr spricht von dem„ nationalen Staat". Nun, ein sehr großer Teil der Gefangenen haben ihre Gesundheit im Felde für die Selbstbehauptung Deutschlands geopfert. Wir nennen keine Namen, um die unbekannten Häftlinge nicht geringer einzuschätzer als die Führer. Vor unserem Auge steht aber eine lange Reihe von Marxisten, von ehemaligen Feldsoldaten, die für immer die Folgen schwerer Verwundungen an sich tragen. Nichts davon steht in der Amnestie, daß wenigstens diese Häftlinge befreit werden sollen.
Wir stehen nicht an zu erklären, daß wir jedem Gefangenen raten würden, gegenüber einem solchen System von Gemeinheit jede gewünschte Erklärung zu unterzeichnen..
In der Republik von Weimar hatten es sich die Gegner des Staates zur Gewohnheit gemacht, erst mit allen Mitteln dieser Staat zu bekämpfen und dann um Amnestie zu betteln und zu winseln. Mehr als ein Dußend mal haben sie so Amnestien buchstäblich erbettelt. Die Sozialdemokratie ist
6 neue Namen auf der Mordliste Wann kommt die amtliche Aufstellung?
Die Aeropreß- Korrespondenz meldet aus Berlin : Wir erfahren soeben, daß sich unter den Toten des 30. Juni noch folgende Persönlichkeiten befinden: 1. Oberst von Ma r= I ow, ein Freund des Generals von Bredow, 2. Friedrich Weber , der Führer des Bund Oberland , 3. Obwurzer, der als Verbindungsmann zwischen Gregor Strasser und Schleicher genannt wurde und im Kolumbia- Haus das Büro einer wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP . leitete, 4. ein Hauptmann Fischer von der Berliner Gestapo , der zum Kreise des erschossenen von Kessel gehörte, ferner ge= rüchtweise 5. Klaus Heim, der befannte holsteinische Bauernführer, der seinerzeit die Reihen der NSDAP . vers ließ, wegen Sprengstoffvergehens eine größere Haftstrafe vers büßte, danach seine alte Tätigkeit wieder aufnahm und auch unter dem Hitler- Regime fortsetzte, unter den holsteinischen Bauern einen großen Anhang besaß und dem Regime fraglos unangenehm war( trotzdem nennen wir seinen Namen mit allem Vorbehalt), 6. Dr. Heimsoth, der Empfänger der Briefe Röhms aus Bolivia , die von Dr. Kloz veröffentlicht wurden und Röhms Veranlagung aufzeigten, ein alter Ober: länder, ehemals Adjutant des Hauptmann Beppo Römer , der in Oberschlesien den Annaberg erstürmte und Verfasser eines Buches Freikorps greift an".
im„ britten Reich" ihrer großen Tradition aus dem Kaiser Ministerpräsident a. D. v. Kahr
reich treu geblieben: sie fniet nicht vor dem Gegner. Weder die Partei noch einzelne Gefangene haben das„ dritte Reich, um eine Amnestie gebeten. Nun aber kommt diese Amnestie, und sie sieht genau so aus, wie wir sie erwartet haben. Die Amnestie zeigt getreu die niedrigen Charakterzüge des dritten Reichs", das in allen seinen Aeußerungen Deutsch lands Schande ist.
Der„ Führer" selbst nimmt mit dieser Amnestie das Ergebnis der scheinlegalen Volksabstimmung voraus. Wenn er die Entscheidung ernst nähme, die er zum 19. August aus. geschrieben hat, müßte er sich aller Afte enthalten, die mit dem Provisorischen seines neuen Amtes unvereinbar sind. Er will doch angeblich das Volk erst entscheiden lassen, ob er Reichskanzler und Reichspräsident sein soll. Seine Amnestie zeigt, daß er selbst die Volksabstimmung für eine Farce hält Er nimmt jetzt schon die Vereinigung der beiden höchsten Aemter als gegeben an. Nebenher verfolgt wohl die Bekanntgabe der Amnestie wenige Tage vor dem 19. August den Zweck, den Terror der Abstimmung durch die für unpolitische Gemüter bestimmte Vortäuschung einer politischen Amnestie zu ergänzen.
Alle Register werden gezogen, um das deutsche Volk und die Welt irrezuführen. Dennoch werden am 19. August Millionen aufrechte deutsche Männer und Frauen sich tapfer gegen das System erklären. Die Frage ist nur, wieviel Nein Stimmen durch die Reichsregierung zugegeben werden. Nach dem grob- unwahrhaftigen Charakter dieser„ Amnestie" wäre es Dummheit zu glauben, daß am 19. August anders gearbeitet wird, als mit Täuschung und Fälschung.
Freiheit, die sie meinen... Das Volk verhöhnt, die Welt belogen
Der Reichsminister des Innern hat angeordnet, daß bei der Abstimmung am 19. August für den Schuß der Stimmlofale und der Abstimmenden unbedingt zu sorgen ist. Die zuständigen Stellen sind ferner angewiesen worden, jede mögliche Vorsorge zu treffen, daß die Stimmberechtigten entsprechend der ausdrücklichen Anordnung des Führers und Reichskanzlers ihren Willen in freier und geheimer Abstimmung befunden können. Niemand darf in der Ausübung seines Stimmrechts gehindert werden, jed Sinderung von Stimmberechtigten, namentlich auch vor den Stimmlokalen, soll mit alle mitteln ver= hindert werden...
Mein Führer"
Ein Befehl an die Wehrmacht
Berlin , 10. Aug. In einem Heeresbefehl teilt Reichswehrminister v. Blomberg mit, daß der Führer und Reichskanzler befohlen habe, die Anrede aller Soldaten der Wehrmacht an ihn jolle lauten: Mein Führer
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Vom Tode plötzlich dahingerafft"
Aus Berlin wird der Wiener Reichspost" berichtet: ,, Aehnlich wie der Tod des Führers der Katholischen Aftion in Berlin , Ministerialdirektor Dr. Klausener, dem reichsdeutschen Publikum nur durch eine Parte in der„ Germania " bekanntgegeben wurde, er fährt Mün= chen erst heute durch eine in den dortigen Blättern veröffentlichte Todesanzeige offiziell vom Able= ben des ehemaligen bayrischen Ministers präsidenten v. Kahr , der, wie die Anzeige der Fa milie es formuliert, am 30. Juni„ vom Tode plöglich dahingerafft" wurde. Daß Kahr ein Opfer der Maßnahmen gegen die Röhm- Revolte war, darf natürlich nicht erwähnt werden."
Jetzt sind schon bald zwei Monate ins Land gegangen seit Hitlers großem Morden. Er hat uns die Liste der Ermordeten in der ersten Woche nach dem blutigen Schlachtfest versprochen. Bis heute hat er sein Versprechen ebensowenig eingelöst, wie alle anderen Versprechen, die er im Laufe der Zeit gegeben hat. Wir warten und werden nicht aufhören zu erinnern.
Wer hat alte Fahnentücher?"
Weimar , 10. Aug. Wie die Frankfurter Beitung" meldet, hat der thüringische Ministerpräsident folgende Ver ordnung erlassen:
" Bei der Vernichtung der schwarz- rot- gelben Fahnen find die abgetrennten gelben Streifen, soweit sie noch gut ers halten find und nicht für irgendwelchen Hausbedarf alsbald aufgebraucht werden können, infolge des herrschen: den Rohstoffmangels baldmöglichst auf schwarz oder rot umzufärben und so zur Herstellung oder Ausz besserung schwarz- weiß- roter oder weiß- roter Fahnen weis ter zu verwenden. Unbrauchbare gelbe Streifen sind das gegen bei den Stellen, die für das Einsammeln von Textil: abfällen örtlich zuständig find, abzuliefern, damit diese Stoffe geriffen und wieder zu Kunstwolle verarbeitet wer= den können. Die Vorstände der Behörden usw. haben über die Durchführung dieser Anordnung den vorgesezten Ministerien ebenfalls zu berichten oder Fehlanzeigen zu era statten."
Das haben wir schon einmal gehört. Es war gegen Schluß des Krieges, als Deutschland ihn bereits verloren hatte. Der Zusammenbruch stand vor der Tür. Er wurde mit alten Fahnentüchern und zerschundenem Kupfer noch aufa zuhalten versucht. Vergeblich! Heute ist Deutschland wieder soweit. Heil Hitler!