Deutsche   Stimmen Beilage zur Deutschen Freiheit". Ereignisse und Geschichten

Samstag, den 18. August 1934

Der Urahn ist geduldig

Die zweiflerischen, antiautoritären liberalen Germanen...

Will man wissen, wie ein Volk im Zeitalter des Radio, des Flugzeuges und des Fließbandes am besten regiert wird, so muß man seine Steinzeit studieren. Denn wenn es in den Jahrtausenden des Steinbeils und der Höhlenbewohnung noch kein parlamentarisches Regime und keine Pressefreiheit kannte, sondern von autoritären Höhlenältesten geführt so kann es selbstverständlich auch im Industriestaat nichts mit Demokratie und Rederecht anfangen. Es wird seine prä­historische Vergangenheit nie los. Das leuchtet doch ohne weiteres ein, nicht wahr, und darum muß im ,, dritten Reich" die Wissenschaft braun anlaufen, um zu beweisen, daß schon die Steinzeitgermanen von Voltaires und Rousseaus zer­setzenden Rationalismus nicht viel hielten, sondern autoritär, gläubig, vernunftwidrig und führersüchtig empfanden, daß also diese urgermanische Mentalität nach 4000 Jahren in das nationalsozialistische Bonzentum mit all seinen Pfründen und Posten münden mußte. Was alles schon längst erreicht sein konnte, wenn nicht wie die Leers, Wirth usw. heute zu­geben die teutonische Erbmasse infolge Unachtsamkeit und jüdischer Tücke durch peinliche Kreuzungen verseucht worden wäre, wogegen nur energische Rückkreuzung mit echten Norden helfen kann.

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Soweit ist es, wie gesagt, mit der braunen Wissenschaft ge­kommen, wobei es uns schwierig wird, zu vergessen, daß in der Volkshochschule   des wilhelminischen Kaiserreichs gelehrt wurde, die alten Germanen hätten immer konser vativ- monarchistisch empfunden und darum einen führenden Adel produziert, der seinerseits hinwiederum den König hervorbrachte, unabsetzbar und erblich, damit sich die prinzlichen Nachfolger schon in den Windeln auf ihr Fach vorbereiten konnten. Keine Rasse sei so dazu geschaffen, von Monarchen aus altem Geschlecht regiert zu werden, wie die germanische, weil sonst ,, immer Uneinigkeit unter ihren Stimmen" wüte.

Dies wurde, wie gesagt, unter Wilhelm dem Geflohenen gelehrt. Es widerspräche jedoch allen Erfahrungen der politi­schen Agitation und müßte mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht auch Perioden gegeben hätte, in denen der oder jener wissenschaftlich bewies, daß unsere Urfahren seit je liberal, demokratisch und rationalistisch dachten. Und richtig, auch dafür zeugt eine völkisch- wissenschaftliche Rich­tung. Im Jahre 1845 erschien eine, Allgemeine Kulturge­schichte der Menschheit" von Friedrich Klemm  . Da­mals kämpfte der deutsche   Liberalismus um seine Entwick­lungsrechte und Klemms historische Theorien haben dafür großes Verständnis. Kulturbildungen führte er auf anti­autoritäre ,, aktive Rassen" zurück, die bei ihm so aussehen:

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,, Die erste oder aktivste Hälfte der Menschheit ist bei weitem die weniger zahlreiche Art. Ihr Körperbau ist schlank, meist groß und kräftig, mit einem runden Schädel, mit vorwärtsdringendem, vorherrschendem Vorderhaupt, hervortretender Nase, großen runden Augen usw. In geistiger Hinsicht finden wir vorherrschend... den Fortschritt in jeder Weise, dann aber den Trieb zum Forschen und Prüfen, Trot und Zweifel. Dies spricht sich deutlich in der Geschichte der Nationen aus, welche die aktive Menschheit bilden, der Perser, Griechen, Römer, Germanen. Bei ihnen ist Freiheit der Verfassung, deren Element der stete Fortschritt ist; Theokratie und Tyrannei gedeihen nicht; Wissen, Forschen, Denken tritt an die Stelle des blinden Glaubens. Dagegen finden wir bei den passiven Rassen Scheu vor dem Forschen, Denken, geistigen Fortschritt..."

Klemm deckt sich also insofern mit Wirths Urlinda, als der vor seiner Hinrichtung im Berliner   Professorendisputat bekanntlich nicht wußte, daß seine famose Friesenbibel die demokratischen Anschauungen eines vormärzlichen Spaß­vogels widerspiegelt. Und auch Klemm macht ganze Arbeit: germanisch ist für ihn schlechthin alles Demokratische,

Liberale, Intellektuelle, Zweiflerische, Denkerische, also

alles Antihitlerische, Dumpfe, führer­fürchtige Gläubigkeit und Geist feindlich. keit, wie sie heute vom Hakenkreuz gepflegt werden, bleiben laut liberaler Rassenforschung peinliche Merkmale tiefstehender, schwarzhaariger, minderwertiger Völker. Der Germane bekreuzt sich davor.

Wir marxistischen Vernunftsstrolche sind nicht befugt, uns in diesen völkischen Bruderstreit um die Erb­masse einzumischen, denn wir denken ja nicht völkisch, nicht in Rassen; uns sind die jeweiligen kulturpolitischen Formen närrischerweise nicht das Ergebnis einer prähistorischen Blut­mischung, sondern Resultate der allgemeinen öko­nomisch- historischen Entwicklung. Wir sind darum gänzlich unfähig, vorzeitliches ,, Ahnenerbe" patri­otisch und ,, blutmäßig" zu würdigen, weshalb wir von den Bluboleuten mit Recht als Intelligenzbestien und Rassever­räter verfemt werden. Aber deshalb ist es gerade für uns interessant, immer einmal wieder zu sehen, wie alle diese völkischen Ideologen und Rassenfritzen die liberalen, die wie sie alle ihren monarchistischen wie die faschistischen armen wehrlosen Urahn je nach Bedarf so verschieden, so willkürlich, so denkbar ungeniert drehen und deuten, um Br. Br. politische und sonstige Geschäfte zu machen.

Das wird die Antwort sein

Es war im Jahre 1916.

Am Morgen des 1. Juni.

Wir hatten in Wilhelmshaven   gleich hinter der Einfahrt festgemacht. Die Schiffe der aus der Skagerrakschlacht heim­kehrenden Flotte fuhren an uns vorbei mit durchlöcherten Schornsteinen, mit eingedrückten Rümpfen, mit ausge­brannten und von schwarzem Ruß überzogenen Geschütz­türmen. Der Reihe nach machten die Schiffe des Panzer­kreuzergeschwaders hinter uns fest, als nächstes Schiff der Derfflinger". Die Kulis in ihren grauen Drillichanzügen waren schon an der Arbeit. Sie schleppten die Leichen aus den Kasematten und Kammern und Heizräumen an das Deck hoch. Es waren viele, und der Schnaps, der ausgegeben wurde, konnte nicht davon abhalten, die verglasten Augen und die verkrampften Gesichter der Jungens zu bemerken, mit denen man vorher zusammen in Reih und Glied ge­standen hatte und die nun plötzlich eine leblose, schwere Last geworden waren. Das Deck des Schiffes war nicht groß genug, um sie alle nebeneinander gelegt aufnehmen zu können; man schichtete sie übereinander und nach einigen Stunden Schleppen und Schnapstrinken türmten sich ganze Haufen auf dem Verdeck des Derfflinger" und aus den Leichen­haufen quoll das Blut hervor wie dicker, brauner Leim. Die Arbeit wurde unterbrochen.

Am Fellreep wurde Seite gepfiffen.

Ein hoher Offizier kam an Bord. Es war der Admiral, der das Geschwader in die Schlacht geführt hatte. Ich weiß nicht, ob ein Befehl dafür gegeben wurde oder ob die diensttuen­den Unteroffiziere aus eigenem Antrieb handelten. Jeden­falls kamen sie mit zwanzig oder dreißig Matrosen nach vorn und ließen große Segeltücher über die Toten werfen. Als der Admiral das Vorschiff betrat, war von den Leichen nichts mehr zu sehen. Ein kleiner Mann mit einem grauen Knebel­bart war es und er ging auf Segeltuch. Er kletterte über die weichen nachgebenden Haufen und stolperte auch einmal. Er blieb stehen und besichtigte das Schiff: die eingedrückten Panzerwände, die verkohlten Geschüttürme und trümmerten Zahnkränze. Jedes Einschußloch und alle Aus­wirkungen der englischen Geschosse ließ er sich zeigen, doch er befahl nicht ein einziges Mal, eines der Segeltücher hoch­zuheben, um einen Blick auf die Toten zu werfen, die unter seinem Befehl gekämpft hatten und zu seiner und seiner Weltanschauung Ehre gefallen waren.

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Der Admiral auf den Leichenhügeln! Das Bild ist in meinem Gedächtnis geblieben und es ist der stärkste Ein­druck, den ich vom Krieg behalten habe, und wenn ich an die verglasten Augen und die entstellten Gesichter unter dem Segeltuch denke, die man den Blicken des Komman­dierenden verbergen zu müssen glaubte, dann ist es für mich auch das eindeutigste Bild des imperialistischen Krieges. 9526 Tote hat diese eine Schlacht gefordert.

Und die meisten dieser Toten wußten nicht, wofür sie ge­Die über­fallen waren. Aber die Ueberlebenden wissen es. lebende Generation, die durch Arbeitslosigkeit, Hunger, In­flation und Faschismus gegangen ist, hat gelernt, nach dem

sein...

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Sinn des Krieges zu fragen. Und sollten die Imperialisten, wie im Jahre 1914, es wieder wagen, die Völker zu alar­mieren, in Schiffe pferchen oder in Eisenbahnwaggons ver­frachten, um sie an den Fronten auf die Brüder jenseits der Grenzen loszulassen, dann wird diese Frage nicht erst am letten, sondern gleich am ersten Tage des Krieges eine Massenfrage von allergrößtem Ausmaß sein und die prole­

tarischen Massen werden in diesem Falle keine vier Jahre brauchen, um die Antwort zu formulieren: Nieder der imperialistische Krieg! Nieder alle Ausbeuter und Unterdrücker! Kampf für die Befreiung der proletarischen Klasse und für die Errichtung einer Gesellschaft der Arbeit und des Sozialismus!

Und das wird zugleich die Antwort auf die 10 000 Toten vom Skagerrak  , auf die 10 000 000 Toten an den Fronten, auf die 10 000 000 Toten hinter den Fronten, auf die 30 000 000 Toten des Weltkrieges sein.

Theodor Plivier  .

Ehe er nach Walhall kam... Hindenburgs letzte Lektüre: Ein Ausspruch Nehemias  

Wie aus Neudeck gemeldet wird, hatte Hindenburg   vor seinem Tode noch einmal in einem Spruchbuche gelesen und den folgenden Spruch unterstrichen:

,, Mit der einen Hand führten sie das Schwert, mit der anderen arbeiteten sie."

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Dazu schreibt die ,, Jüdische Rundschau  ": Wo steht dieser Spruch? Der Spruch-oder doch ein inhaltlich gleichbe­deutender Spruch steht in der Bibel, im Alten Testament  ; aber nicht in den allbekannten, in jedem Gesangbuch und Gebetbuch verzeichneten Büchern, den Psalmen etwa oder den großen Propheten, des Sohnes Hachalja, des Mund­schenks beim König Artaxerxes   in Susa   der Stadt( Neh. cap. IV, II). Und er spricht von den geringen und ver­spotteten Juden, die mit Nehemia   zurückkamen aus der Ge­fangenschaft nach Jerusalem   und die Mauer, die zer­trümmerte, wieder aufbauten und die Tore wieder auf­richteten, die das Feuer zerstört hatte. Sie bauten die Mauern und trugen die Steine heran. und mußten sich gleich­zeitig wehren gegen die von allen Seiten anstürmenden Widersacher. Und also steht es dort geschrieben:

Sie alle, die an der Mauer bauten und die Lasten aufluden und herbeischafften: mit der einen Hand taten sie ihre Arbeit, und mit der anderen führten sie das Schwert...

Es ist gewiß für uns bewegend, schreibt die ,, Jüdische Rundschau  ", daß Hindenburg   auf seinem Totenbett von einem jüdischen Bibelwort so tief berührt wurde, daß die Hand des Todesnahen die Worte, die über Jahrtausende zu ihm drangen, unterstrich

Es kommt der Tag.

Nach Melodie des ,, Horst- Wessel- Liedes"*) Wir brauchen Brot, Ihr gabt uns Wachparaden und laẞt den braunen Rundfunk auf uns los, von unserem Geld spielt Ihr die Herrn von Gottes Gnaden, kein Fest, kein Feuerwerk ist Euch zu groß.

Der Winter naht, wir haben keine Kohlen, der Arbeitsdienst zieht uns den Rücken krumm, und unsere Kinder laufen mit zerrissenen Sohlen in Eurem Gottesgnadenreich herum.

Was hilfts, wenn Ihr dem Volk den Mund vernietet, glaubt Ihr, es wird vom Schweigen auch noch satt, es hilft Euch nichts, wenn Ihr das freie Wort verbietet, der Hunger spricht zu laut in Land und Stadt.

Es kommt der Tag, da wird sich uns verbünden, wer Freiheit liebt und Todesfurcht nicht kennt, da wollen wir ein freies Feuerwerk entzünden, an dem das ganze dritte Reich" verbrennt.

*) Der Einsender dieses Gedichts bemerkt dazu: ,, Sie er­halten zum Abdruck ein Lied nach der Melodie des Horst­Wessel- Liedes, das Berliner   Arbeiter bei einer der vielen ,, Feiern" gesungen haben."

Hermann Löns  

Des Dichters Vermächtnis

Der Dichter Hermann Löns   hat der Arbeiterschaft als Klasse niemals nahe gestanden und gegen ihre Kampf­organisationen nichts als Unverständnis übrig gehabt. Er war als Mensch immer in größten Schwierigkeiten wirtschaft­licher und gesellschaftlicher Art. Jahrzehnte hindurch lag er mit wirklichen oder eingebildeten Feinden und Gegnern in erbitterten Kämpfen. Dazu gesellte sich der Kummer über berufliche und künstlerische Nichtachtung, der er Zeit seines Lebens ausgesetzt war. Erst als der Tod auf dem Schlachtfelde einen Punkt hinter sein zerfahrenes Leben setzte, fand er die allgemeine Anerkennung, die ihm als einem der größten Liederdichter und Naturschilderer ge­bührte. Allerdings wurde sein Ruhm verdunkelt durch die wenig delikate Art, in der seine engsten Angehörigen aus seinem privaten Leben Kapital zu schlagen suchten.

Zu diesen Angehörigen gesellen sich jetzt die Machthaber des ,, dritten Reiches", die seine wieder aufgefundene Leiche einer groß angelegten nationalen Reklame benutzen wollen. Wir lesen darüber in der gleichgeschalteten Presse folgende Meldung:

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,, Die Frage der Ueberführung des im Weltkrieg gefallenen und in Frankreich   bestatteten Heidedichters Hermann Löns ist in der letzten Zeit viel erörtert worden, und das Für und Wider des Planes wurde von verschiedenen Seiten und unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Aus Fallingbostel  wurde dieser Tage dazu berichtet, daß dem Führer Adolf Hitler   die Entscheidung darüber obliege, ob Löns   ein Staats­begräbnis in der Heide erhalten solle. Diese Meldung ist, wie wir hören, unzutreffend. Wie wir demgegenüber von zuständiger Seite in Berlin   erfahren, ist dem Führer schon vor einigen Wochen Kenntnis von dem Plane der Ueberfüh­rung des Heidedichters Hermann Löns in die Heimat ge­

geben worden, und der Führer hat diesem Plane zugestimmt. Eine Entscheidung hat er aber nicht ge­troffen, weil das aussschließlich Angelegenheit der Ange­hörigen des Dichters ist."

Der Führer hat zugestimmt. Das ist verständlich. Ein Staatsbegräbnis ist doch immerhin vom propagandistischen Standpunkt aus gesehen nicht ohne Wirkung. Und der tote Dichter kann sich ja nicht wehren. Wir, die wir ihn wegen seiner hohen Kunst lieben und verehren, wollen uns um seiner selbst willen in den Streit mischen und jenen, die mit seiner Leiche politische Geschäfte machen wollen, sein Ver­mächtnis ins Gedächtnis rufen:

Auf meinem Grabe soll stehen kein Stein, Kein Hügel soll dorten geschüttet sein, Kein Kranz soll liegen da, wo ich starb, Keine Träne fallen, wo ich verdarb.

Will nichts mehr hören und nichts mehr sehn,

Wie ein totes Getier will ich vergehn,

Und darum kein Kranz und kein Stein, Spurlos will ich vergangen sein.

Wie würde der Tote die hochmütige Nase rümpfen, wenn er von seinem eigenen Staatsbegräbnis erführe!

Ein Mann wird gesucht

Lebt er ,, rechtens" noch?

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Die Deutsche Arbeitsfront   gibt bekannt:

,, Trots wiederholter Aufrufe in der gesamten deutschen Presse hat sich der Autor des von der Deutschen Arbeits­ front   preisgekrönten Massenschauspiels ,, Arbeiter- Bauern Soldaten" noch nicht gemeldet. Die NS.- Gemeinschaft ,, Kraft durch Freude  " bringt in der allernächsten Zeit Werke des Preisausschreibens zur Aufführung, darunter das oben. genannte. Der Verfasser wird hierdurch noch einmal auf. gefordert, sich mit Unterlagen, die seine Autorschaft be­weisen, und mit dem Original seines Werkes beim Reichs­amt Volkstum und Heimat der NS.- Gemeinschaft Kraft durch Freude" zu melden, um den ihm zugefallenen Preis in Empfang zu nehmen."

Diese Verlautbarung kam am 25. Juli. Der Verfasser hat sich immer noch nicht gemeldet. Er wird sich vermutlich auch nicht mehr melden. Die NS.- Gemeinschaft ,, Kraft durch Freude  " wird den ihm zugefallenen Preis und die Tantiemen einsparen, denn es ist anzunehmen, daß der Verfasser des prämiierten Schauspiels sich unter denen befindet, für die nach dem 30. Juni ein Gesetz geschaffen wurde, nach dem ihre Ermordnung rechtens" war,