th
" Deutsche Freiheit" Nr. 190 190lav
Das bunte Blatt
seria
Der Schwur des Toni Mancini
Rund um das Koffergeheimnis Ar. 2
Brighton, im August.
„ Ich habe Violet Kaye nicht getötet, so wahr mir Gott helfe. Ich bin völlig unschuldig an diesem Verbrechen. Ich habe nur ein Unrecht begangen: die Leiche in dem Koffer aufzubewahren."
Toni Mancini hat zum ersten Mal den Mund geöffnet. Er steht vor dem Untersuchungsrichter, klein, mager, mit schmalen Schultern Seine Haut ist olivenfarben, sein Blick irrt ständig hinter schweren dunkeln Wimpern hin und her. Er hat abstehende Ohren und dünnes, bläulichgewelltes Haar. Lediglich die Mundpartie ist interessant. Zwei schmale, grausame zuckende Lippen, deren obere durch eine Narbe entstellt wird.
Dieser Mann galt bei den kleinen Mädchen von Brighten als ein großer Don Juan . Sie liefen ihm nach, wo er auftauchte. Noch am Tage seiner ersten Bernehmung hat ihn ein Postkartenhändler an der Strandpromenade in Begleitung von vier jungen Tamen gesehen. Er war stets mit einer gewissen Talmi- Eleganz gekleidet. Vor allem tanzte er vorzüglich, steckte voller lustiger Einfälle und verstand, kleine Beträge mit großer Geste auszugeben.
Die Mädchen, die näher mit ihm in Berührung tamen, lernten freilich bald seine Schattenseiten fennen. Er war streitsüchtig und jähzornig. Nichts brachte ihn mehr in Wut, als wenn eine Frau wagte, ihm zu widersprechen. Auch war er jedesmal dabei, wenn irgendwo in Brighton zwischen Spielern und Zuhältern aller Sorten nächtliche Kämpfe ausgetragen wurden. Häufig fuhr er nach London , wo er im Scho als Kellner arbeitete. Er trat unter fieben verschie denen Namen auf: Jack Notyre, Tony England, Tony Eng= lish, Antoni Pirilli, Antoni Luiggi Mancini, Cecil Lois England und Toni Mancini.
Seit seiner Verhaftung ist dieser dunkle Ravalier täglich dem Untersuchungsrichter vorgeführt worden. Immer wie= der versuchte man, ihm irgendwelche Angaben zu entlocken. Er blieb standhaft und kaltblütig. Man merkte ihm an, welche Energie er aufwandte, um feines seiner Geheimnisse preiszugeben. Der Richter aber war ein geduldiger Mann. Für ihn war das Geständnis nur eine Frage der Zeit. Seine Zermürbungstaktik hatte sich stets als unfehlbar bewiesen. Sie wirkte auch diesmal. Toni Mancini hat jetzt schließlich sein Schweigen aufgegeben. Das Ueberraschende war nur, daß er kein Geständnis ablegte, sondern in aller Form seine Unschuld betenerte. Schon hatten die Behörden geglaubt, es geschafft zu haben. Und wieder stehen sie heute am Anfang.
Wie war der Anfang?
Im November 1933 hat Mancini in einem Cafe am Leicester Square zu London die Tänzerin Violet Kane fennen gelernt. Violet Kaye! Ihr Schicksal ist ebenso banal wie bedauernswert. Sie liebte das Abenteuer, das Rampenlicht, das Nachtleben der niederen Boheme, den Beifall des vorstädtischen Publikums, Sie liebte das Reisen und vor allem liebte sie den Tanz. Sie hatte ihn von Jugend an in den Gliedern. Nach einem aussehenerregenden Debut im Alter von 14 Jahren versant sie schnell in Vergessenheit wie alle frühreifen Wunderkinder. Niemals gelang es ihr, an einer Londoner Bühne anzukommen. Wäre sie fleißiger gewesen, so hätte sie sich vielleicht eine feite Stellung an einem hauptstädtischen Theater schaffen können. Aber sie war zu flatterhaft. So zog sie 35 Jahre lang von Stadt zu Stadt, von Kasino zu Kasino, immer tanzend und singend und älter werdend.
3weimal war sie verheiratet, beidemal hat sie sich scheiden lassen. Aus der einen Ehe ging ein Sohn hervor, der seit 3 Jahren in der englischen Armee dient. Ihrer Familie hat sie stets große Anhänglichkeit bewahrt. Ihre Eltern sind brave Londoner Arbeiter, die sechzehn Kinder in die Welt gesetzt haben. Violets größte Sorge war immer, die Untie
pib
fen ihres qualvollen Daseins vor ihnen zu verbergen. Noch am Tage vor ihrem Tode schrieb sie der Mutter einen Brief: „ Liebe Mutter, ich wollte Tir schon seit Monaten schreiben. Ich würde Dich gern einmal wiedersehen und hoffe, daß es Dir gut geht. Wie geht es den anderen? Ist Olive noch immer bei Euch? Und Hilda? Ich hoffe, Mama, Du denkst nicht zu schlecht von mir. Was macht Lady?..."
Toni zog mit Violet im März nach Brighton , 44 Park Crescent. Er ließ sich von ihr aushalten. Sie verdiente das Geld nicht mehr durch tanzen. Besonders häufig empfing sie
Samstag, 18. August 1934
Der amerikanische Präsident ist auf seiner Urlaubsfahrt auf Honolulu angekommen. Es war ein buntes Bild, als der Kreuzer Houston " mit dem Präsidenten Roosevelt att Bord in Dianomond- Bay einlief, als 150 Flugzeuge und etwa hunderttausend Menschen aller Rassen zum Empfang des Präsidenten auf den Beinen waren. Roosevelt wurde von dem Gouverneur begrüßt, der ihn gemeinsam mit den militärischen Autoritäten bei einer Besichtigung der Insel bes gleitete. Am Nachmittag nahm der Präsident eine Parade von etwa 15 000 Mann amerikanischer Truppen ab, worauf er sich dann in die Residenz des Gouverneurs begab, das frühere Palais der Königin Liliuokalini und des Königs Kamehamena.
den Besuch eines gewiſſen Frederic Moore, eines Mannes in Der größte photo- apparat der
besseren Jahren, mit dem sie früher fünf Jahre zusammengelebt haben soll. Angeblich wollte er sie bewegen, zu ihm zurückzukehren. Am 10. Mai wurde sie zum letzten Male mit Toni zusammen gesehen. Am 14. Mai erklärte dieser seinem Wirt, Violet sei mit dem älteren Herrn nach Paris gefahren. Er könne die Wohnung allein nicht behalten und werde ein Zimmer in Kemp- Street beziehen.
Welt
Vor kurzem wurde erst über die kleinste Kamera berichtet, die es auf Erden gibt. Sie war nur einige Millimeter dick. Jetzt hat das kartografische Amt zu Washington beschlossen. einen fotografischen Apparat herstellen zu lassen, der zweifel los der größte der Welt sein wird. Dieses Gegenstück wird zehn Meter lang sein, 14 Tonnen wiegen und die Kleinigkeit von 15 000 Dollar kosten. Sein Bau wird 2 Jahre dauern. Er soll zur Vergrößerung geografischer Flugzeugaufnahmen verwandt werden.
Am 14. Juli, genau zwei Monate später, wurde er von der Polizei vorgeladen, um sein Alibi für den 7. Juli zu erbringen, dem Tage, an dem auf dem Bahnhof Brighton der erste Koffer voll weiblicher Zeichenteile gefunden worden wieder weggeschickt. Vor allem konnte er darauf hinweisen, daß die entdeckten Leichenteile nach ärztlichem Gutachten einer Frau in den zwanziger Jahren zugehörten, während die vermißte Violet Kaye über 40 Jahre alt gewesen war. Einen Tag später wollten ihn die Detektive doch noch einmal verhören. Sie gingen in seine Wohnung, denn es war Sonntag. Er war nicht anwesend. Bei einer Durchsuchung fanden sie den Koffer mit der Leiche Violet Kayes. Er mußte seit ein bis zwei Monaten dort gestanden haben.
war. Er konnte ausreichende Antworten geben und wurde Lachendes Holland
Es läßt sich nicht behaupten, daß aus alledem einwandfrei hervorgeht, daß Toni die Tänzerin ermordet hat. Die Hintergründe dieses Falles lassen sich nur ahnen in Brighton , einst nichts, weiter als ein riesiges Familienbad für die niedere Londoner Bevölkerung, hat sich in den letzten Jahren zu einem eigenartigen Einfuhrhafen entwickelt. Auf den Bürgersteigen von Paris gab es zuviel Frauen. In London gab es nicht genug. Da mußte ein Ausgleich geschaffen wer= den. Die Zuhälter von Montmartre erkannten das Geschäft. An der englischen Küste begann plötzlich eine regelrechte Einwanderung forsischer und italienischer Cafe- Kellner. Ein Haufen kleiner Hotels wurde gegründet, die allen Leuten vom Kontinent gehörten. Hübschere Frauen tauchten an der Küste auf. Nach einigen Tagen wurden sie nach Scho verfrachtet. Hier bildete sich langsam eine Londoner Filiale des Montmartre . Als die Polizei Wind bekam und die Mädchen ausweisen wollte, wurden sie schnell an irgendeinen Arbeitslosen verheiratet, der sich für ein paar Pfund gern dazu hergab. Dadurch wurden sie Engländerinnen, und niemand fonnte ihnen mehr etwas anhaben.
In diese Kreise gehörte auch zweifellos Toni Mancini. Er ist ein Typ, wie er sich in allen internationalen Verbrecheralben findet. Die Nervis der Cote d'Azur , die Zuhälter von Montmartre , die Barhalter Südamerikas , die italie nischen Gangster von Chikago, alle gehören sie derselben Rasse an und stammen aus der gleichen Schule. Wie Mancini gibt es Tausende, die durch eine gemeinsame Disziplin miteinander verbunden sind durch die geheimen Bande der großen Verbrecher- Organisationen der Welt. Sie haben alle dieselbe Seele, dieselbe Moral, dieselbe Grausamkeit denselben Todesinstinkt.
In diese Kreise ist die alternde Tänzerin Violet Kaye ge= raten. Das Rätsel ihres Todes kann nur von hier aus gelöst werden. Vermutlich hat die gleiche Gejeffchaft auch den Koffer gepackt, den man am 7. Juni auf der Gepäckstelle des Bahnhofs Brighton gefunden hat.
Georg Herald
Warum," sagte Mynheer A.,„ hat eigentlich Dr. B. seine Praris aufgegeben."
" Ja, das ist eine höchst merkwürdige Geschichte," sagte Mynheer E.„ Er hat einen Patienten sechs Monate lang auf Gelbsucht behandelt, und dann hat sich herausgestellt, daß es ein Chinese war."
Der fleine Sohn des Arztes zeigte einem Freunde das Sprechzimmer seines Vaters. Der Besucher setzte sich r Schreck glatt hin, als er sich plötzlich einem Skelett gegenüber jah.
„ Ach," sagte der kleine Sohn des Arztes,„ davor brauchst dit keine Angst zu haben. Auf das Ding ist mein Vater sogar sehr stolz."
,, Stolz?! Warum denn?"
Weiß nicht. Aber ich denke mir, es ist sein erster Patient gewesen."
„ Ich habe aber auch immer Unglück!" sagte Mejuffroum den Haan verzweifelt.„ Vor einem Vierteljahr hat mir eine Kartenlegerin geweissagt, ein großer blonder Mann würde mich ins Verderben stürzen und noch immer ist er nicht gekommen!"
„ Unser Flüßchen," sagte der Wirt,„ fieht so unschuldig aus aber das ist Täuschung. In jedem Frühjahr steigt es so hoch, daß alle Keller unter Wasser stehen."
inglas gea
„ Ja, ja," sagte der Gast und hielt sein Weinglas geger das Licht.„ Ja, ja. Ich habe mir schon so etwas gedacht."
„ Nein, Mevrouw," sagte der alte Kapitän, ich kann nun mal kein Waffer trinken. Ich vertrags nicht."
„ Sie vertragen es nicht?" sagte die freundlich besorgte Dame.„ Aber Sie haben doch eine eiserne Gesundheit!" „ Eben drum," sagte der alte Kapitän. Ich habe immer Angst, daß sie mir rostet."
Der Bildhauer hatte im Auftrage ein Standbild des bes rühmten Generals geschaffen, und ein Freund fam ins Atelier, um das Werk zu besichtigen.
„ Hör mal," sagte er, in was für einer überaus merf würdigen Stellung hast du den Mann denn da nur dar gestellt?!"
„ Das blödsinnige Romitee soll sehen, wie es sich damit abfindet," sagte der Bildhauer.„ Erst bestellen sie ein Reiter standbild, und nachher teilen sie mir mit, daß das Geld nicht mehr für das Pferd reicht!"
K. 2.
Sedano y Leguizano
Jene furze und blutige Episode der Habsburger in Merifo gehört jener Vergangenheit an, derer man sich überhaupt nicht oder nur ungern erinnert. An wechselvollen Episoden ist ja gerade die Geschichte der Habsburger überreich. Wer erinnert sich da noch der Einzelheiten des filmartigen Abenteuers Maximilians auf dem Kaiserthrone von Mexiko ? Rasch folgten aufeinander der Verzicht auf die Thronfolge in Desterreich, die Abreise von Triest mit der Gemahlin Charlotte, die Ankunst und Krönung in Merifo. Die Herrschaft stand aber nur auf schwachen Füßen und die Truppen Napoleons III. waren die einzige Stüße und Rettung. Jmmer mehr wuchs unter Juarez die Bewegung der Gegner Maximilians und als gar die Truppen Napoleons zurückberufen wurden, da schwand damit die letzte Hoffnung auf eine Rettung des Thrones. Maximilian resignierte nicht. Seine Gemahlin Charlotte entschloß sich zu einem verzweifelten Schritt. Sie reiste nach Frankreich und erbat von Na poleon Hilfe. Im Schlosse von Saint- Cloud fand die denkwürdige Unterredung statt, die mit der kalten Absage Napo leons endete. In jener Stunde fiel Charlotte in geistige Umnachtung, von der sie erst durch den Tod erlöst wurde. Nicht einmal vom Tode ihres Gemahls, den sie vorausahnte, nahm sie Kenntnis. Wenige Monate später fiel Maximilian unter den Gewehrschüssen der Aufrührer Juarez' an einer Mauer in Queratoro. Der furze Traum war zu Ende, der Eindringling auf dem Throne erledigt. Nur die Kaiserin lebte noch mehr als sechs Jahrzehnte, ohne die geringste Notiz von der Welt um sie herum zu nehmen. Vor wenigen Jahren starb sie in einem Schloß in Belgien
Die Ehe war kinderlos geblieben und kinderlos starb Marimilian. So wenigstens glaubte man. In Wirklichkeit hatte er einen Sohn, einen illegitimen Sohn. Cuernavaca war die Sommerresidenz Maximilians und dort hatte er auch jene schöne Spanierin kennen gelernt, die ihm im Jahre 1866 einen Sohn gebar. Wenige Monate nach der Erschießung Maximilians starb die Mutter des Knaben, der unter dem Namen der Mutter als Sedano y Leguizano im Taufregister eingetragen wurde. Nach dem Tode seiner Mutter wurde der Knabe nach Paris gebracht. Hier wuchs er auf und wurde erzogen.
Der Hof in Wien und auch Kaiser Franz Joseph wußte von der Existenz seines illegitimen Neffen. Auf mehrfache Bitten um eine materielle Unterstützung kam zwar keine Antwort, aber eine strenge Ueberwachung hielt man für erforderlich. Es fand sich auch ein Gönner, der die Erziehung des kaiserlichen Sohnes sicherte. Ein in Paris lebender reicher Mexikaner, Juan Bringas, nahm sich des jungen Sedano in jeder Weise an. Sedano wußte um seine hohe Abstammung und vielleicht gerade daraus läßt sich seine spätere Zukunft erklären. Er war auch rein äußerlich seinem Vater in jeder Weise durchaus ähnlich. Trotz der großen Summen, die er von seinem Gönner erhielt, spielte er gern die Rolle eines Lebemanns und hatte immer mit riesigen Schulden zu kämpfen. Die Unterstüßungen hörten eines Tages schließlich auf und Sedano versuchte sein Glück in den nächsten Jahren zuerst ohne Erfolg in zweifelhaften Geschäften. Im Jahre 1887 verheiratete er sich mit einer Französin, aber auch seine Ehe war nur unglücklich.
wurde angeworben, und da er mehrere Sprachen beherrschte, nach Paris beordert. Die Pariser Polizei hatte alle in Paris lebenden Ausländer unter strengster Kontrolle und man war zwar darauf aufmerksam geworden, daß der Merikaner an eine Schweizer Adresse mehrere Briefe gesandt hatte, die nur weißes Papier enthielten. Eine genaue chemische Untersuchung ergab, daß die Briefe, geschrieben mit einer unsicht baren Tinte, Angaben über militärische Vorgänge enthielten. Eines Tages, im Jahre 1915, wurde er in dem Augenblick verhaftet, als er gerade wieder einen Brief in den Briefkasten einwerfen wollte. Ueber zwei Jahre blieb er in Haft, bis man ihn vor das Kriegsgericht stellte. Sedano hatte fich eine sehr geschickte Verteidigung zurechtgelegt. Er gab sich als Opfer fremder Mächte aus, die er nicht zu kennen vorgab, und in deren Auftrag er die Briefe, deren Inhalt er ebenfalls nicht gefannt zu haben glaubte, weiterleitete. Doch die tatsächlichen Beweise genügten zur Verurteilung und am 29. Juli 1917 wurde Sedano y Leguizano vom Kriegsgericht wegen Spionage zum Tode verurteilt. Am 10. Oktober wurde das Urteil in Vincennes vollstreckt. In dem Urteil stand, daß der Verurteilte der Sohn des Kaisers Maximilian von Mexiko ist.
Für die Wahrheit dieser Geschichte bürgt der Name des französischen Kapitäns Emile Chassard, der der Verhandlung als Beobachter im Auftrage des Militärgouverneurs von Paris beigewohnt hat. In seinem Buche, das er unter dem Titel„ Les espions a Paris " geschrieben hat, hat er eine ge nauc Beschreibung der Verhandlung gegeben.
Erust Schubert