Deutsche Stimmen Beilage zur Deutschen Freifieit" Ereignisse und Geschichtec

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Dienstag, den 21. August 1934

Wie würde der große Wolfgang

Von Walter Rode

sich gestellt haben?

In Lugano starb, wie wir kurz berichteten, Walter Rode. Als Probe seiner schriftstellerischen Kunst, is die mit geistiger Unerbittlichkeit im Bunde war, geben wir hier einen Aufsatz aus seiner Feder wieder, der zuerst im ,, Neuen Tagebuch" erschien: Gerhart Hauptmann hat sich die Frage sicher nicht, Egon Friedell zu seiner Darnachachtung aber gewiß vorgelegt: wie würde sich der große Wolfgang äußerlich und innerlich zum ,, dritten Reich" verhalten haben? Auch dieser nämlich wäre um eine Haltung nicht herumgekommen, in Zwang gesetzt wie jener Archimedes aus Syrakus , der die römischen Kriegs­knechte von seiner für die Ewigkeit bestimmten Tagesarbeit vergeblich mit den Worten wegdrängt: noli tangere circulos tips

meos.

Denn dies ist die Eigenheit der gerade zur Herrschaft ge­kommenen Klasse der Kleinbürger, daß sie sich wie der Sieger in einer eroberten Stadt benimmt, jeden aufstöbert, nur jenen seine Kreise ziehen läßt, der ihre Politik mit­macht oder sich wenigstens zu dieser bekennt.

Die Frage also ist: was tut der der Pflege des Schönen oder der Wesensschau Hingegebene, den bösen Kriegsknecht wegzubekommen, der störend in seine Kreise eintritt? Be­fiehlt ein ethisches Gesetz, ihm feindlich entgegenzutreten: Ist es schändlich, ihm zu schmeicheln; sein gerettetes Leben im Herrschaftsgebiet der Kriegsknechte weiterzuführen, vor ihrem Toben die Augen zu verschließen, ja um des nackten Lebens willen dieses Toben geschichtlich und philosophisch zu rechtfertigen?

Daß der versonnene Archimedes, der die Verteidigung von Syrakus geleitet hatte, erschlagen wurde, ist der Spezialfall des Kombattanten für die Freiheit. Aber wie soll sich ein Nichtkombattant benehmen, der Gnade zu erwarten hat? Ist es auch für ihn Ehrenpflicht, sich unter die Besiegten zu mischen, wenn er sich ebensogut unter die Sieger mischen könnte? Ja wäre in der Brust des Olympiers überhaupt ein Konflikt entstanden?

Der große Wolfgang, seines Zeichens Dichter und Biolog, aber zugleich Geschichtsphilosoph, der von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben", würde sich bei der ersten großen Defilierung der Braunhemden zunächst nicht anders benommen haben als Charles Darwin sich bei jenem Erdbeben benahm, in das er beim Betreten der Küste von Südamerika geriet. Darwin schaute, und sann, und notierte.

Schauspiel und Idee des Ganzen, Deutschland mit einem­mal aus der griechisch- römischen Ammenzeit loszureißen, das Land der Sueben, Hermunduren, Harier und Quaden, nach­dem sich dieses wider seine Natur im jüdisch- christlichen Kulturkreis verfangen hatte, durch die Geschichte hinein­manövriert worden war, dem Genius seiner ursprünglichen Götter, sich selbst wiederzugeben, würde Goethe als Ausflug in das Reich der Mütter angesprochen haben. Die vorge­kommenen Atrocities würden nur die Sphinx seiner partei­

losen Natur erweckt, ihn nicht erschüttert, sondern angeregt haben:

Sitzen vor den Pyramiden, Zu der Völker Hochgericht.

Ueberschwemmung, Krieg und Frieden Und verziehen kein Gesicht."

Goethe würde sich über die Ablösung der Volkssouveräni­tät durch die Autorität leicht beruhigt haben. Ihm ist die Wahrheit das Ganze; er erkennt auch in der politischen Reaktion das Analogon für die widerstreitenden Kräfte in der Natur, die den Kosmos in unablässiger Bewegung und zugleich in harmonischem Gleichgewicht halten. Er würde mit Hegel sich daran getröstet haben, daß das Auf­gehobene zugleich ein Aufbewahrtes ist, das nur seine Unmittelbarkeit verloren hat, aber darum nicht verschwunden ist. Goethe ist ein Dialektiker, bei dem es, wie er sich aus­drückt. ,, ein angenehmes Gefühl erweckt, sich zwischen zwei entgegengesetzten Meinungen hin- und herzuwiegen und viel­leicht bei keiner zu verharren. Dadurch verdoppeln wir unsere Persönlichkeit."

National- Sozialismus

Sind wird nicht perfekte Sozialisten? Im Enteignen haben wir was los; Allerdings nur gegen die Marxisten Und zur Freude unsrer reichen Christen, Aber das ist Nebensache bloẞ.

Unser Sozialismus liegt im Blute;

Auf Kommando steht die Wirtschaft stramm Den Proleten zeigen wir die Knute, Doch dem Kapital ist wohl zumute, Denn es schlummert das Parteiprogramm.

Sozialismus ist Rekrutendrillen, Uebertragen auf das ganze Land, Geist von Potsdam bis in alle Rillen, Vorbereitung auf das große Killen: Auf das Schlachtfeld oder an die Wand!

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Denn das Volk ist nur dazu vorhanden, Blind zu schuften für die Herrenschicht Und zu bluten für das Volk der Granden. Das ist Sozialismus! Stillgestanden!

Wer noch daran zweifelt- Standgericht!

Horatio.

Keineswegs wie der durch politische Gesinnung Bornierte An die Herren Kritiker! Vectraulich!

aus dem seelischen Gleichgewicht geworfen, weit besser daran als ein Nurmarxist, der sich über das Hereinbrechen des Faschismus mit wenigen Formeln am unausbleiblichen Sozia­lismus tröstet, würde die äußere Haltung Goethes der Siche. rung und dem Schutz seines weiteren Betriebes gegolten haben. Er nimmt keinen Anstand, sich der Uebermacht zu unterwerfen, nach dem Raisonnement Nestroys im Holo­fernes:

,, Weil er uns sonst niederhaut, preisen wir ihn alle laut."

Eine doppelte Persönlichkeit", die sich vor der Macht beugt, ist darum nicht charakterlos. Die Macht hat gegen den Unbeschränkten keine persönlichen Spitzen. Wer den Gegenwind in sein Weltbild aufgenommen hat, ist kein Klavierspieler gegen den Wind.

Der große Wolfgang hätte sich gebeugt, aber er wäre nicht zu Hakenkreuz gekrochen. Er ,,, ein Element, das die Maje­stät als unbedingt erkennt", würde in Hitler sofort die Nicht­majestät und Bedingtheit, ,, den Stock, der er gewesen", er­kannt haben. Für ihn wäre Hitler ein Heuwagen, ein Be­soffener, dem man ausweicht, ein, verruchter Besen" ge­wesen, kein Herr, vor dem man niederfällt.

Und das ist der Tadel, der gegen die Gerhart Hauptmann gerichtet werden kann, daß sie sich über Wirklichkeit und Dauerarbeit des Regimes täuschen lassen, daß sie das Provi­sorische für ein Definitivum halten, daß sie glauben, das ,, dritte Reich" könne ein langes Leben haben. Nicht der Charakter, der Verstandsschwäche sind sie anzuklagen, des mangelnden historischen Sinns, der Ueberwertung einer marktschreierischen Gegenwart. Sie sehen nicht, daß, ehe das ganze Haus ersauft, der Ruf kommen muß: ,, In die Ecke, Besen! Besen!"

Galgengesichter sehen dich an

,, Das ,, dritte Reich" in der Karikatur"

Es war einmal eine Zeit, da wurde die Nation zwischen Maas und Memel in der internationalen Karikatur durch den deutschen Michel symbolisiert und seine Herren durch den Monokelleutnant, den Junker und einen säbelrasselnden Monarchen mit gesträubtem Bart. Damals protestierte der Alldeutsche gegen solche Konterfeis und fühlte sich beleidigt. Waren das harmlose Zeiten! Wer heute die außerdeutsche Presse aufschlägt, dem starrt in den Zeichnungen ein böseres Gesicht Deutschlands entgegen.

Einiges davon ist dieser Tage im Prager Simplicusverlag gesammelt erschienen. Das 52 Seiten starke Heft heißt ,, Das Dritte Reich in der Karikatur"( Preis 7 Kr.) und bringt über hundert Zeichnungen von Bert, Bidlo, Godal, Hoffmeister, Pele, Sekora und anderen Meistern. Vom satirischen Humor bis zum Grausen formen diese Zeichner das vom braunen Gangstertum verunstaltete Antlitz Deutschlands . Witze sind darin, die mit ihrer grausamen Komik erschlagen. So, wenn Sekoras skurrile Urwaldneger auf einen ihrer Rasseverräter losstürmen: Sterilisiert ihn, sein Großvater hat ja einen Juden gefressen!" Oder Bidlos zwei Oranienburger, die als Krüppel einherhumpeln: der eine, weil er einen SA. - Führer gelobt, der andere. weil er einen SA. - Führer getadelt hat.

Die treffsichere Schlagkraft der Karikaturen dieser Groß­typen des dritten Reiches", in denen sich brutale Feigheit mit krampfiger Energie paart, erkennt man daran, daß sie auch ohne Begleittext auskommen würden. Dabei erhebt das reichhaltige Heft nicht einmal Anspruch darauf, komplett zu sein, denn zum Gesicht des ,, dritten Reiches" gehören ja nicht nur die braune Landsknechtsfresse, der Rassenwahn, der militärische Irrsinn,- der Brudermord, Godals Satiren auf die geschändete Erotik, sondern auch der Justizmord, die großkapitalistischen Schmiergelder von ehedem und der Monopolkapitalismus, der seine verrückt gewordenen Prä­torianer loskoppelte. Aber viele Typen sind ne u geschaffen, aus dem Blutdunst eines Landes erstanden, das seriöse bürgerliche Blätter in diesen Wochen einen Gangsterstaat nannten, und ungeheuerlich echt wirken die Köpfe, die der Zeichner Bert in verschiedene Varianten geprägt hat. Man sinnt und sinnt, wo man diese Gesichter gesehen hat. Schreck­bilder aus Kindheitstagen tauchen auf, Gaunervisagen aus Gruselmärchen von ehedem. Das sind sie!

Der sadistische. verbrecherische Hamur", mit dem das bessere Deutschland geschunden wird, der Mordbetrieb, der pathologische Despotismus das hat in diesen Schädeln seinen grausigsten Ausdruck gefunden, und es ist eine er­schreckende Wahrheit, daß Karikaturisten in allen

Ländern die gegenwärtigen Repräsentanten Deutschlands in ähnlichen Visionen sehen. Für andere Völker gelten noch Marianne, John Bull , Onkel Sam , mit großkapitalistischen Zutaten nur der Faschismus hat die entseelte, kriminelle Henkerfresse, und der deutsche dazu die Zeichen des Kame­radenmordes und des sinnlosesten Sadismus auf der Stirn.

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Von Oskar Maria Graf

Der Verlag der Uebersetzung meines Buches, Wir sind Gefangene" in Amerika schickte mir neulich einen um­fänglichen Fragebogen.

Ob ich Telefon habe und ob von meiner Frau gesprochen werden sollte, wie groß ich sei und dergleichen wünschte man zu wissen. Unter anderem wurde auch Auskunft verlangt, was meine Lieblingsbeschäftigung sei.( Oder heißt es ,, wäre?

Wahrheitsgemäß antwortete ich: Tägliches Essen von Schweinsbraten mit Gurkensalat und Knödel."

Verehrliche Verkäuferschaft meiner Bücher! Sie werden lachen, aber es ist wirklich die reine Wahrheit, was ich da sagte. Ich habe überhaupt herausgefunden, daß man mit der Wahrheit viel bequemer lebt. Man kann alles schreiben, selbst das Anstößigste und Verletzendste. Die Leute nehmen das als humorvoll auf und glaubens womöglich nicht.

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Um nun aber meine eben erwähnte Lieblingsbeschäftigung täglich ausführen zu können, brauchte ich auch dement­sprechende Einnahmen. Darum bitte ich Sie, verehrte Herr­schaften, inständigst man will doch schließlich auf dem laufenden sein, will dicke Gelder einnehmen und seine Kund­schaft in jeder Weise befriedigen!-bitte ich Sie also: Teilen Sie meinen Verlagen Ihre speziellen Wünsche in bezug auf Sujet, Ausführung und Tendenz meiner ferneren Werke mit. Postkarte genügt.

Ich bin nun 40 Jahre alt, also in der Blüte meines soge­nannten Schöpfertriebes, habe bereits eine bekömmliche Fettschicht angesetzt, verfüge über einen geübten, vielge­rühmten und immer wirksamen Humor und glaube infolge­dessen, Sie vollauf zufriedenstellen zu können.

An die besonders geehrten Herren Rezensenten und Kritiker meiner Bücher noch ein vertrauliches Wort:

Bitte, loben Sie meine Erzeugnisse nicht immer so! Ich habe mit der Zeit gemerkt, daß sowas geschäftlich nicht er­tragreich ist. Ein Buch, über das möglichst laut und heftig geschimpft wird, kauft das p. p. Publikum viel mehr.

Also bitte, schimpfen Sie! Zerreißen Sie meine Bücher! Denn wenn das so fort geht mit Ihrem ewigen Lob, dann bin ich ein ruinierter Mann!

Und bedenken Sie doch: ,, Schweinsbraten mit Gurkensalat und Knödel!" Der Ihrige...

Ich verbleibe devotest ganz

Neben diese Grimassen gehalten, waren es beinahe ehrbare Geschichten ohne Anfang

Zeiten für die Nation Goethes, als der Michel noch galt und der gesträubte Habybart.

Es wird harter Kämpfe und langer Kulturarbeit bedürfen, ehe ein neues besseres Deutschland die schändenden braunen Schreckenszüge wieder aus dem Weltbewußtsein getilgt und Deutschland wieder in die Reihe der zivilisierten Nationen erhoben hat. Gregor.

Gruppe A, Gruppe B

Die reglementierte Literatur

strom.

Im Reichsverband deutscher Schriftsteller wurde unter anderen Fachschaften auch eine ,, Fachschaft Filmschrift­steller" eingerichtet. Diese Fachschaft hatte ungeheuren Zu­Während die wirklichen Schriftsteller im Reich Nummer drei nicht schreiben und leben können, strömen die Dilettanten nur so in Massen in die ,, Fachschaften". Jeder, der einmal irgend etwas irgendwohin eingesandt hat, findet Aufnahme in irgendeine der Fachschaften. Schon dieses Wort scheint ja die Dilettanten zu mobilisieren. In die Fach­schaft Filmschriftsteller strömten nun so viel ,, Schriftsteller", daß der Reichsverband daran gehen mußte, die Fachschaft unterzuteilen. Und zwar in die Gruppe A und die Gruppe B. Gruppe A ist die ,, Vereinigung der Schriftsteller, die mindestens als Mitautor an einem Film gezeichnet haben, und die Gruppe B, die nur diejenigen Schriftsteller umfaßt, die ihre Berufsbefähigung durch Vorlegung von schriftstelle­rischen Arbeiten nachweisen können". Der Reichsverband beabsichtigt, da diese Teilung der Filmschriftsteller sich be­währt, auch die übrigen Fachschaften nach dem gleichen Prinzip unterzuteilen. In die Gruppe A kommen die Dilet­tanten, in die Gruppe B alle diejenigen, die von dem Reichs­verband für wirkliche Schriftsteller gehalten werden. Daß die meisten von diesen auch keine wirklichen Schriftsteller sind, tut nichts zur Sache.

Bekanntlich ist das regierende Nazigangsterwesen durchaus antimaterialistisch, weshalb es mit den geistigen Dingen so barbarisch- grotesk umspringt

Das die Hitler- Eiche nach dem 20. Juni abgesägt wurde, wußte der Gemeindevorstand nicht, wen er verhaften sollte. Drum verhaftete er: zwei Nazis, zwei Sozis, zwei Kommu­nisten, zwei Jungdoleute, zwei Stahlhelmer, zwei Homo­sexuelle, zwei Deutschnationale und zwei Frauen vom Luisen­bund.

An diesem Tage wurde aus Deutschland kein Toter ge­meldet, weshalb sich des Auslandes eine nie dagewesene Auf­regung bemächtigte.

Ein paar Dutzend alter Freunde blieben auf der Strecke, weshalb er zum Reichsjägermeister ernannt wurde.

Worauf die, die mit Kanonen nach Kindern geschossen hatten, empört behaupteten, der große Bruder im Norden habe die Ehre seines Volkes besudelt.

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kaum Notiz davon, aber als ein paar namhafte Bürgerliche mit gekillt wurden, schrie die Weltpresse in Ent­setzen auf.

Und als sich der Pulverdampf verzogen hatte, sagte Magda: Da biste im letzten Mommang wieder mal auf die richtige Seite gefallen."

konnte der Altkleiderhändler kaum Platz für die gebrauchten SA.- Uniformen schaffen, während die Zivil­kleiderhändler bald vor leeren Läden standen.

Und da der SA.- Mann nicht wußte, ob er das Bild Röhms oder das Bild Hitlers von der Wand nehmen sollte, hakte er sie alle beide ab und hing wieder den Vorsitzenden des Ka­ninchenzüchterverbandes, Herrn Reißnagel( Doppelformat), an die alte Stelle, so daß der helle Fleck an der Wand so­gleich verdeckt wurde,

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