Deutsche   Stimmen. Beilage zur Deutschen Freifieit". Ereignisse und Geschichten

Dienstag, den 28. August 1934

Die Stimme des Gemordeten

Von Erich Mühsam  

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Gruß aus dem Grab euch, meinen Mördern!

Ich zürne euch nicht ob eurer Tat.

Ein jeder sucht das Recht zu fördern,

das er für recht befunden hat.

Ihr glaubt an eurer Ahnen Lehre:

Ich bin der Herr und du der Knecht!

Herr sein erachtet ihr als Ehre

und Ehre als ein Sonderrecht.

Ich aber hielt es mit den Niedern.

Ich sprach dem Volke mahnend zu,

dem Ahnenenkel zu erwidern:

Ich bin kein Knecht, kein Herr bist du!

So kränkt ich euch an eurem Stolze

Und nahm dem Volk den Kinderwahn,

als wärt ihr von besonderm Holze,

als wär die Welt euch untertan.

Ich kränkte euch. Ihr nahmt die Rache,

und alle sind wir überzeugt,

zu dienen der gerechten Sache,

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der sich der Mensch in Demut beugt.

Mag denn mein Opferblut entscheiden,

ob euer Recht, ob meines siegt,

und ob des Volks, ob euer Leiden

im Weltenratschluß schwerer wiegt.

März 1919

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Fiel mit dem Ballast meines Lebens des Volks Befreiung über Bord, dann war mein Werk von je vergebens, und sehr gerecht war euer Mord. Entquillt jedoch aus meinem Blute die nicht von euch gewollte Saat, dann preis ich jubelnd die Minute die euch die Kraft verlieh zur Tat. Dann ward der Freiheit zum Erwecker der Arm der tötenden Gewalt, dann machtet ihr mich zum Vollstrecke des Willens, dem mein Leben galt. Dann wird mein Sterben euer Ende und euer Tod mein Anfang sein, dann springt zum Fest der Weltenwende mein Geist für meinen Körper ein. Dann wird es endlich sich erweisen, wer sich und wer die Welt befreit: Gemeinschaft oder Macht und Eisen! Hie Zukunft, hie Vergangenheit!- Der Tod, den ich erlitten habe, stählt meine Mannen zum Gefecht. Gruß euch, ihr Mörder, aus dem Grabe! Zum Kampf! und wer gewinnt, hat recht!

Die braune Elbe   bei Dresden

Mäczveilchen" am Theater

Aus Dresden   wird dem ,, Neuen Vorwärts" geschrieben: Daß Richard Strauß   die Uraufführung seiner neuen Oper zurückzog, weil sein Textdichter Stefan Zweig   ein Jude ist, hat sogar in Deutschland   beträchtliches Aufsehen erregt. Das Elend der Kunst im Hitlerreich wurde wieder einmal schlagartig bloẞgelegt. Wie wird sich Strauß nun mit seiner Schwiegertochter abfinden? Sie ist Jüdin- und Schwieger­vater Strauß ist Vorsitzender der Reichsmusikkammer  . Vor nicht alzu langer Zeit statteten ihm anschließend an eine Straußfeier im Dresdner   Opernhaus die großen Pg's Mutsch­ mann  , Ministerpräsident Killinger( von dem man heute nicht genau weiß, wo er steckt) und der Oberbürgermeister Zör­

ner vor versammeltem Auditorium den Dank der Stadt ab. Im Foyer der Oper wurde eine Büste von ihm aufgestellt. Und nun muß der nationalsozialistische Freiheitskampf" die politisch- rassische Unzuverlässigkeit des pp. Strauß fest­stellen, dem jener feine Zug abgeht, der den nationalsozia­listischen Menschen auszeichnet..."

Sehr bitter für alle Beteiligten. Schlamperei überall. Also muß ein Opfer her, das ist Intendant Geheimrat Adolph, ein ,, Märzveilchen  " und alter Bürokrat, der mit der Kunst kokettierte. Aber immerhin, selbst er war dem Obertheater wart Goebbels   noch zu selbstständig, drum muß er gehen zumal er eine jüdische Frau hat.

Richard Strauß   ist der Gerhart Hauptmann   der Musik ge­worden. In jüngeren Jahren vertonte er Gedichte von Mackay, dem Anarchisten, schuf die Musik zu Dehmels ,, Ar­beitsmann" und zu Karl Henkells klassenkämpferischem Steinklopferlied. Noch vor reichlich zehn Jahren richtete er den ,, Arbeitsmann" zu einer revolutionären Feier für großes Orchester ein. Es lohnt sich nicht, sich bei diesem Jugend­verrat aufzuhalten. Das alles ist für gewisse bürgerliche Künstler symptomatisch. Die Gerhart Hauptmann  , Strauß usw. sind an recht bourgeoises Dasein gewöhnt, sind außer­dem alt geworden und fühlen Jüngere im Rücken, die mit neuen Tönen und revolutionärem Wollen kamen. Da konn­ten sie nicht mehr mit und neigten schon deshalb zur Kon­servierung, ihrer altgewordenen Muse. Die hakenkreuz­lerische Bilderstürmerei gegen die Asphaltkunst" das war für diese Altgewordenen der Kampf gegen das Neue. Schon darum wurde ihnen der politische Umfall leicht. Ver­wundbar sind sie nur an ihren Tantiemen. Denn alle diese Kunstspigen wissen auch im dritten Reiche" recht gut Geld zu machen.

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Um bei der Musik zu bleiben: als die Nazis noch nicht an der Macht, sondern noch in der schönen Aera der großen Versprechungen waren, da konnten sie gegen die musika­lischen Großverdiener nicht genug wettern. Was haben sie gegen Frit Busch, den Dirigenten der Dredner Oper getobt, weil er außer seiner hohen Gage noch die gewaltigen Hono­rare zahlreicher Gastspiele einsteckte! Solche Zustände müssen aufhören," zürnte die Nazipresse, andere Künstler leiden Not und diese Festbesoldeten nehmen den Hungern­den mit Gastspielen das Brot weg!" Und jetzt? Nichts hat sich geändert, da und dort einiges höchstens insofern, als

die Doppel- und Dreifachverdiener heute geeichte Nazis

sind. Als Beispiel für viele diene Herr Fritz Schneider, ehemals Musikmeister an der Dresdner   Oper, heute Fach­amtsleiter der Dresdner   Musikerschaft und Obernazi. An­statt sich auf sein Amt zurückzuziehen, benützt er es, um für sein Quartett gute Engagements herauszuschinden; er geht damit auch gern in die geschmähten Ausländer bis zum Erbfeind. Den Leipziger Rundfunk belegt er mit seiner Truppe unter getarnten Namen: ,, Solistenensemble", Klei­nes Rundfunkorchester" usw. Indessen hungert ein Teil der von diesem braunen Korruptionisten gegängelten Musiker­schaft.

Und so ist es in Leipzig  , Berlin  , Hamburg   und anderen Städten. Wie sagte Hitler   vor der Machtübernahme? ,, Wenn die Künstler wüßten, was ich für ein warmes Herz für sie habe, würden sie mir alle ihre Stimme geben..." Jetzt geht die Kunst betteln wie noch nie, aber die Nullen und Dilet­tanten siten wie Maden im Speck. Um wiederum nur bei der Musik zu bleiben, sehe man sich einigen Spitzenbesetzun­gen an. Die Indentantenposten von München   und Dresden  sind momentan verwaist; Goebbels   duldet nur Kreaturen, die seine Spielpläne und seiner Freunde Mist unbesehen schlucken. In Kassel   wurde ein abgetakelter Operettentenor

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und natürlich SA.- Offizier zum Indentanten gemacht. Als sich herausstellte, daß er sich das E. K. I. unrechtmäßig an die Heldenbrust gelogen hatte, wurde er nicht etwa geschaßt, sondern Regisseur an der Oper in Frankfurt   a. M. In Stutt­ gart   durfte ein unbegabter Herr Karl Kraus   Generalinten­dant werden. An der Berliner   Stadtoper war dieser Regisseur vor Ausbruch des ,, dritten Reiches" wegen Unfähigkeit ge­kündigt worden. Jetzt sitzt er ganz oben. Selbstverständlich langjähriger SA.- Mann! Und bekannt ist, daß in Wiesbaden  der Vater Baldur v. Schirachs ein alter pensionierter Rentengreis zum Theaterherrn gemacht wurde.

Werner, der Deubel

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Neudeutsche Theaterwissenschaft

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In der Zeitschrift Völkische Kultur", welches Blatt für die Intellektuellen unter den Nazis herausgegeben wird, be­schreibt ein Werner Deubel  , von dem betont wird,

daß er auf dem Boden der biozentrischen Weltauffassung von Ludwig Klages  , steht, die alte Iphigenie- Inszenierung von Reinhardt so: ,, Da inszenierte Reinhardt die Goethesche Iphigenie", und alle reaktionären Spaten jubilierten ge­dankenlos von den Dächern der Feuilletons... Die Sug­gestion des Namens der Helene Thimig   als Titelheldin tat ein Uebriges, die Begeisterung vollkommen zu machen. Ich habe keine Stimme gehört, die gegen diese Aufführung Protest erhoben hätte. Man triumphierte ahnungslos. Die ,, modernen" Literaten aber lobten ebenfalls stürmisch

und wußten warum. Links wachte die Schlauheit des bösen Willens, aber rechts hatte die Dummheit des guten Willens die unmittelbare Erlebnisfähigkeit eingeschläfert und ausgelöscht... Ein schmales Madönnchen stand sie da, von allen modernen Leiden zerfressen, ein zuckendes Ner­venbündel, dem stromweis ,, richtige" Tränen aus den Augen

rannen... Das Parzenlied wurde dann der Gipfel der Ka­

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tastrophe. Kein Schauer mehr von Sage und Vorwelt eine bolschewistische Agitationsrede, ein deklamierter Haßgang. Ein unköniglicher Thoas. Der Arkas ein verkleideter Leutnant, Ein zappeliger Pylades, halb aus dem Salon, halb aus der Indianergeschichte. Ein Orest, schwammig, östlich, marklos..."

Der Deubel mag wissen, was an diesem Geschwät dieses Deubels biozentrisch ist; immerhin, es steht in der nobelsten Zeitschrift des Nazisumpfs, die sozusagen die Intellektual­ausgabe des Streicherschen Stürmer" ist, an der mitzu­arbeiten sich nicht schämen: Rudolf Benz, natürlich der Literatur- Nadler, der Danziger Kindermann aus Wien  , die früher auch anders konnten. Interessant ist, daß die Recken dieser Kultur im März noch einen Bericht über Wehrwissen­schaft hatten, der seit Mai eingestellt ist. Ueberflüssig zu sagen, daß Banse persönlich die Berichte machte. Nun scheint er nur noch pseudonym zu schreiben, da sein Name so odiös geworden ist.

Juden im Film

Vaterländische Front  

schließt antisemitischen Filmverband aus

Der ,, Oesterreichische Film- und Bühnenkurier", offizielles Organ des Reichsverbandes des technischen Personals der Bühnen-, Film- und Kino- Industrie Oesterreichs  , veröffent­lichte in seiner legten Ausgabe die folgende Auslassung:

,, In Deutschland   wird jedem Film die Spielerlaubnis ver­sagt, an dem Juden, sei es in welcher Form immer, mit wirken. Mit dieser Tatsache muß man nicht nur rechnen, sie ist ja auch ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit gegenüber jüdischer Ueberheblichkeit und Diktaturstreben gerade in der Filmbranche. Die Filmindustrie ist fast vollständig ver­judet und von dem alles zersetzenden jüdischen Geist der Unmoral erfüllt."

Nunmehr veröffentlicht die Pressestelle der Vaterlän dischen Front die folgende Mitteilung: Die Berufsorgani sation der Vaterländischen Front hat sich veranlaßt gesehen, den Reichsverband des technischen Personals der Bühnen-, Film und Kino- Industrie Oesterreichs   aus ihrer Organisation auszuschließen und Johann Leopold Pock aller Funktionen zu entheben,"

Sie hat begonnen

Neue Zeitrechnung

Die Schleswig- Holsteinische Tageszeitung" gibt eine Bei lage ,, Deutscher Geist- Deutsche Kultur" heraus. In dieser Beilage vom 4. Juli wird dem geplagten deutschen   Leser von Rainer Schlösser  ,( Man denke: Rainer! Fast wie Rainer Maria Rilke  !) der lyrische Wert Baldur von Schirachs aus­einander verposamentiert. Es heißt da:

,, Es ist die einmalige und einzigartige Tat Baldur von Schirachs, daß er in dem lebensnotwendigen Augenblick die dichterische Verklärung des Nationalsozialismus geschaffen hat. Darüber muß sich seine gesamte heutige Gefolgschaft in Dankbarkeit klar sein, um so mehr, als es noch viele gibt, die zwar von dem Reichsjugendführer Schirach wissen, aber den Dichter Schirach nicht kennen. Manche sind sogar ge­neigt zu glauben, es handele sich bei Schirachs Versen mehr oder weniger um ein paar nationale Strophen. Demgegen­über wollen wir alle, die um die schöpferische Kraft des Nationalsozialismus den wissen, bekennerisch Glaubenssatz verteidigen, daß mit den Schirachschen Gedichtbänden das Jahr Eins der nationalsozialistischen Dichtung begonnen hat."

So etwas gibt es

,, Zusätzliche Allgemeinbildung"

Was man heute deutsche   Volksbildungsarbeit heißt und welchen Jargon man aus der deutschen Sprache macht, zeigt der folgende Anordnung: Der Reichsschulungsleiter NSDAP  . und DAF. sowie Amtsleiter des Amtes für Aus­bildung der NS.- Gemeinschaft ,, Kraft durch Freude  ", Otto Gohdes  , gibt jetzt neue Durchführungsbestimmungen des Amtes für Ausbildung der NS.- Gemeinschaft Kraft durch Freude" bekannt. Das Amt für Ausbildung will dem deut­schen Menschen außerhalb seines Berufes, am Feierabend, die Möglichkeit schaffen, sich eine gediegene zusätz liche Allgemeinbildung zu erarbeiten. Hierbei erscheint es notwendig, dem Bildungsbegriff einen neuen Inhalt und neue Richtung zu geben. Drei Bildungsgebiete sollen erfaßt werden: die weltanschauliche, charakterliche und künstlerische Bildung und Erziehung. Wie Otto Gohdes  ausdrücklich ankündigt, wird der Gesamtunterricht in eng. ster Zusammenarbeit u. a. mit der NS.  - Kulturgemeinde und dem Amt für Heimat und Volkstum durchgeführt werden."

Kurz gesagt

Die Philosophie der Totalität

Ein Naziphilosoph Franz Täschner   schrieb unter dem Titel Der Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus und die katholische Kirche  "( Minden   i. W. 1934) ein politisch philosophisches Werk gegen den Katholizismus, in dem der tragende Grundsats so lautet: Unter dem Nationalsozia­listischen Totalitätsanspruch ist kurz gesagt zu verste­hen: einmal die totale Unterordnung aller natürlichen Le­bensbetätigungen der Nation unter einen einzigen Gesichts­punkt, und zwar den des Wohles der Nation; zum anderen die für diesen einen Gesichtspunkt beanspruchte totale Geltung in der Gesamtnation. Auf eine derart kurze und einfache Formel gebracht. sollte man meinen, leuchtet der nationalsozialistische Totalitätsanspruch einem jeden, der ein Empfinden für das nationale Gemeinwohl hat, ohne wei­teres ein, so daß sich jede weitere Erörterung erübrigen würde. Indessen..."- So viele Worte braucht ein Nazi um das Wort Rechtlosigkeit" und" Sklaverei" auszudrük­ken.

Zeit- Notizen

Festschrift für Ernst Cassirer  

Zu Ernst Cassirers 60. Geburtstag wird von Raymond Klibansky  , London  , und H. J. Paton, Glasgow  , im Verlag der Oxford University Preß  , Oxford  , unter Mitwirkung hervor­ragender Gelehrten Deutschlands  , Englands, Frankreichs  , Hollands  , Italiens   und anderer Länder--u. a. O. Alexander, Manchester  ; L. Brunschvieg, Paris  ; G. Calogero, Florenz  ; G. Gentile, Rom  ; E. Gilson, Paris; B. Groethuysen, Berlin  - Paris  ; Friedrich Gundolf   t; E. Hoffmann, Heidelberg  ; J. Huizinga, Leiden: L. Lévy- Bruhl  , Paris  ; Th. Litt, Leipzig  ; F. Medicus, Zürich  ; J. Ortega y Gasset  , Madrid  ; E. Panofsky  , Princeton; F. Saxl  , London  ; S. Stebbing, London  ; C. C. J. Webb, Oxford  ; E. Wind, London  - eine Festschrift verbreitet, die im Ver­lag der Oxford University Preß  , Oxford   in englischer Sprache erscheinen wird. Unter dem Titel Philosophy and History" vereinigt sie eine größere Anzahl von Beiträgen, in denen Wesen und Wechselbeziehung von Philosophie und Geschichte erörtert werden. Subkriptionen werden von jedem Buchhändler entgegengenommen.

Rainer Simons  

In Tegernsee   ist der Direktor der Wiener Volksoper, Ge­heimrat Professor Dr. Rainer Simons, im Alter von 63 Jahren gestorben. Er war eine der bekanntesten und füh­renden Persönlichkeiten des Wiener   Musiklebens. Rainer Simons   stammte aus Köln  ; sein Vater war ein berühmt Bariton und Sänger in Wagner- Uraufführungen. Der junge Rainer studierte u. a. in Frankfurt   bei Stockhausen un Humperdinck, wurde Sänger und Schauspieler, übernah bald die Regie und wirkte an manchen deutschen   Bühner u. a. in Mainz  . In Wien   gründete er im Jahre 1902 die Volk oper und leitete sie viele Jahre hindurch.

Das Kunstschiff

Das Ausstellungsschiff, das jedes Jahr englische Kunst. nach Uebersee bringt, wird demnächst wieder Southampton  verlassen. Diese schwimmende Ausstellung, die jest zrn dritte Male startet, enthält Gemälde, Zeichungen, Skulpturen und andere Kunstwerke, diesmal geht die Reise nach Süd­ amerika  , um dort Interesse für die englische Kunst z wecken. Die bisherigen Reisen dieses Kunst- Schiffes hatten einen ausgezeichneten Erfolg zu verzeichnen.