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Freiheit

Nr. 200 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag, 30. August 1934 Chefredakteur: M. Bra un

Die Koblenzer   Hitlercede hat die

Welt zu noch schärferer Sprache, zu noch größeren Befürchtungen vecanlaßt Seite 2 u. 3

Deutsche   Handelsredakteure

widerlegen Schacht

Seite 4

Neuer stürmischer Kirchenkampf

Evangelischer Pfarrernotbund und bayrische Landessynode rufen zum offenen Kampic gegen Nationalsynode und Reichskirchenregierung

Berlin  , 29. August. Autarke

Der Widerstand wächst

Plöglich ist die Bewegung des Pfarrernotbundes, dessen Bertreter längere Zeit schweigiam waren, wieder aufge flammt. Der Kampf der oppositionellen Pfarrer richtet fichtler- und Müller- Kirche in diesem Augenblick gegen die von der Berliner   National= fynode unter Diktat der Müllerschen Reichskirchenregierung verfügte Bereidigung der Geistlichen. Die oppositionellen Pfarrer sind zwar bereit, den Treueid auf Hitler   als Reichs­fanzler und Staatsführer zu leisten. Sie wenden sich jedoch gegen die Verbindung dieses Treueides mit dem Gelöbnis des Treuegehorsams gegenüber der Kirche. Da viele Tau­sende evangelischer Pfarrer dadurch vor einen schweren Ge: wissenstouflift gestellt werden und der Kirchenstreit auf der ganzen Linie erneut aufzuflammen droht, so versucht gegen wärtig das Reichsinnenministerium eine Vermittlungs= aftion. Man glaubt jedoch nicht, daß sie zum Erfolg führen wird. Müller und Dr. Jäger halten die Stunde für eine ents scheidende Niederzwingung der opponierenden Geistlichen für gekommen.

Auf der anderen Seite entfalten die Führer des Pfarrers notbundes wieder eine sehr rege Tätigkeit. Am vergangenen Sonntag predigte vor seiner Dahlemer Gemeinde erneut Dr. Niemöller. Die Beteiligung war größer als jemals zuvor. Niemöller   verlas von der Kanzel die Protesterflärung des Bruderrates der Bekenntnissynode, die mit den schärfsten Ausdrücken der gegenwärtigen Reichstirchenregierung das Recht abspricht, im Ramen des deutschen Protestantismns Verfügungen zu treffen. Wer ihr gehorche, nehme Ungehorsam gegen Gott auf sich. Die Erläuterung Niemöllers in feiner Predigt, in der er sich erneut bis zum Martyrium" zu Christus befannte, versezte die Gemeinde in eine ungeheure Erregung. Zum Schluß ftauten sich die Kirchenbesucher in einer langen Schlange vor der Türe der Satristei, um ihre Spenden zur Unterstützung des Kamples des Pfarrernotbundes abzuliefern. Wie groß die Opfer: bereitschaft auch in den Arbeitergegenden Berlins   zur Unter­ftügung des Kirchenfampfes ist, beweist die Tatsache, daß ein Pfarrer, der in einer privaten Turnhalle predigen mußte, cine Summe zusammenbrachte, die etwa eine Mark auf den Kopf der Zuhörer ausmachte. Am gleichen Sonntag predigte in einer anderen Kirche Dahlems auch der ehemalige Generalinperintendent Dr. Dibelins, der noch vor Nie­möller seines Amtes enthoben wurde.

Die scharfe Erklärung der Kirchlichen Opposition ist am Sonntag in ganz Deutschland   von etwa 700-800 Kanzeln verlesen worden. Schon vor vierzehn Tagen hatten zahlreiche Pfarrer des Pfarrernotbundes die in Form und in Inhalt gleich scharfe Erklärung von den Kirchentanzeln vorgetragen.

Der Kampf des Pfarrernotbundes zeigt, wie wenig es der Müllerschen Reichskirchenregierung gelungen ist, die angekündigte und offiziell auf der Berliner   Nationalsynode beschlossene Einheit und Einigkeit der Deutschen Evan­ gelischen Kirche  " zu schaffen. Der Pfarrernotbund   ist nur ein Flügel der Opposition, und nicht einmal der stärkste. Denn die Landeskirchen von Bayern  , Würt­ temberg   und Hannover   weigern sich trotz allen Drucks und aller Drohungen, sich der Reichskirchenregie­rung zu unterstellen.

Die Landessynode der evangelisch- lutherischen Landeskirche in Bayern   hat in ihrer jüngsten Sitzung den einstimmigen Beschluß gefaßt, die Frage einer einigen deutschen evangelischen Kirche   zwar im Grundsatz zu bejahen. Sie bedauert aber zugleich, daß es ihr die Haltung der gegenwärtigen Reichskirchenregierung un­möglich mache, sie ihr unter den heutigen Bedingungen einzugliedern. Dem scharf in Opposition zum Reichsbischof stehenden Landesbischof Meiser wurde das vollste Ver= trauen ausgesprochen.

Neben den süddeutschen Landeskirchen hält die Barmer Synode an ihrem Widerstande fest. Sie bildet mit den oppositionellen Landeskirchen einen ge­schlossenen und starken Körper, der in den innerkirch­lichen Konflikten auch aus anderen Landesteilen bedeut­samen Zuzug erhält. Solange Reichsbischof Müller und der von Hitler   berufene Rechtswalter Dr. Jäger die Kirche führen, ist es ausgeschlossen, daß sich ein inneres Ver­trauensverhältnis und eine echte Einigung des deutschen Protestantismus verwirklichen kann.

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Man darf sich jedoch von der Kirujenopposition kein falsches Bild machen. Politisch darf sie keineswegs allge­mein zu den Gegnern des dritten Reiches" gerechnet werden. Auf derselben bayrischen Landessynode, die der Reichskirchenleitung Widerstand anſagte, wurde Hitler  als dem Nachfolger Hindenburgs der freudige Gruß der Synode übermittelt.

Eidesverweigerung?

Schon die ersten Tage des Kongresses erwiesen, wie er= bittert die Stimmung der ausländischen Delegierten gegen die Reichsleitung der deutschen evangelischen Kirche  ist. Die Berichte sprechen von einer geradezu feindseligen Haltung in einer gewitter­schwangeren Atmosphäre". Die Auseinander­setzungen gelten vor allem dem Arierparagrafen und der Unterdrückung der Geistesfreiheit durch das deutsche Kirchenregiment, und es fehlt nicht an den heftigsten An­klagen gegen diese Verletzungen religiöser Grundwahr­heiten.

Der bekannte Briefwechsel zwischen dem Reichsbischof Müller und Bischof Bell von Chichester fand die ausdrück­liche Billigung des Kongresses. Dieser Briefwechsel be­ruhte auf den Beschlüssen der evangelischen eng­lischen Kirchensynode, die Anfang Juni in London   tagte. Hier brachte der Bischof von Chichester   eine Entschließung ein, in der es heißt,

daß die Kirche von England   den gegenwärtigen Rampf innerhalb der evangelischen Kirche Deutschlands   nicht als bloßen Kampf um die kirchliche Organisation betrachte, sondern als einen Kampf von grundlegender Be deutung, derdie gesamte Christenheitinter­essieren müsse. Zur Bedründung führte der Bischof von Chichester   aus, der gegenwärtige Kampf in der deutschen evangelischen Kirche   sei ein Kampf zwischen der Kraft des Christentums und der Kraft des Heide it= tum 3 Wenn die Opposition innerhalb der deutschen evan­ gelischen Kirche   in diesem Kampfe unterliegen sollte, wäre das eine Niederlage der gesamten Christenheit. Der Bischof von Orford sekundierte diesen Ausführungen, und der Erzbischof von Canterbury   stellte ebenfalls die Notwendigkeit der Annahme der Resolution feft."

Danach kann man sich vorstellen, warum die deutsche  Delegation jetzt auf dem Kopenhagener Kongreß nahezu isoliert ist. Die Opposition wollte das Ansehen des protestantischen Deutschlands   wieder herstellen. Was ge­schah? Das deutsche   Auswärtige Amt verweigerte den Delegierten der Bekenntniskirche die Genehmigung zur Beteiligung. Es forderte zu­die jedoch von der Bekenntnissynode verweigert wurde. vor eine Erklärung zugunsten des Reichsbischofs Müller,

Damit ist eines ganz offenbar geworden: Die Kluft zwischen den deutschen und den ausländischen Gläubigen ist unüberbrückbar. Das herzhafte Bekenntnis der zum Führer", ihr autoritäres

München  , 29. Aug. In einem Brief des evangelisch lutherischen Landeskirchenrates in München   an Reichsinnen: Auch aus den Reihen der Barmer Synode kommen immer Regiment, das sich wiederum der Autorität des dritten minister Frick wird auf die unzureichende Rechtsgrundlage der Nationalsynode hingewiesen und im Anschluß daran der Verlauf der Sigung als un würdig" bezeichnet. Es wird alsdann der Schein- Synode" die echte Synode von Barmen gegenübergestellt und erklärt, daß man fich jetzt bewußt geworden sei, wo die evangelische Kirche stehe. In Nachahmung des Führergedankens versuche die Reichs= firchenregierung, ftaatspolitische Maßnahmen auf Kirchen: verhältnisse zu übertragen. Das Schreiben schließt mit der Feststellung, daß die Nationalsynode den Kirchenfrieden wieder in weite Ferne gerückt habe.

..Religiöse Erneuerung"? Ziffern, die das Gegenteil beweisen

Berlin  , 29. Aug. Man legt viel Wert auf eine Statistik, die für das Jahr 1933 ein starkes Anwachsen der Uebertritte zur evangelischen Kirche, der Trauungen und der Taufen ergibt. Die Zahl der Uebertritte stieg von 8272 im Jahre 1931 und 4272 im Jahre 1932 auf 63 815 im Jahre 1933. Die Zahl der kirchlichen Trauungen stieg von 9854 im Jahre 1932 auf 21 692 im Jahre 1933. Der Aufschwung des firchlichen Lebens in Berlin   und anderswo ist jedoch trügerisch. Graf Reventlow   vom Reichs­wart", der offene Gegner des alten und des neuen Testa­ments im Zeichen der Kirche, hat jüngst überzeugend nachge­wiesen, daß der allergrößte Teil dieser Uebertritte reinen 3wed mäßigkeitsgründen entspringt. Es handelt sich um keine neue Gläubigkeit, sondern um einen sehr realen Glauben, daß man als Mitglied einer Kirchengemeinde Ieichter zu Stellungen kommt oder sie behält. Viel­fach das haben die bekannten Fragebogen verursacht- wurde auf die Beamten ein starfer Druck zum Wiederein­tritt in die Kirche ausübte.

wieder Beteuerungen der Hingabe an Adolf Hitler   und an den neuen Staat. Ganz sicher: es befinden sich unter den protestierenden Protestanten sehr viele, die innerlich zu protestierenden Protestanten sehr viele, die innerlich zu den Gegnern Hitlers   gehören. Es mag auch sein, daß sie auf dieser einzigen Ebene, wo überhaupt noch eine Oppo­sition" möglich ist, ihren leidenschaftlichen Widerstand gegen das Hitlerregime abreagieren vielfach aus ethisch­religiösen Motiven, in Auflehnung gegen das System", gegen Terror und Mord. Aber im Rahmen der Kirche ist

Reiches" unterwirft, ihr Lobgefang auf die befreienden Taten" des 30. Juni: hier gibt es keine Ver ständigung. Zwischen den Kirchen ist genau der gleiche Riß wie zwischen Deutschland   und den Kulturländern. So haben die deutschen   Machthaber die irrationalen Glaubenskräfte, die sie erneuern wollten, verwirrt, und Millionen dem echten religiösen Bekenntnis entfremdet.

doch der Widerstand der Mehrheit nur kirchenpolitisch und Verbot der Zeitschrift ,, Nordland"

als Einspruch gegen die Vergewaltigung der evangelischen Freiheit zu werten.

Täuschen wir uns nicht: Wenn die evangelische Oppo­sition auf rein innerkirchlichem Gebiete die geforderten Freiheiten erhält, so wäre sie zufriedengestellt. Sie würde sich zum größten Teil mit dem driften Reich", mit allen seinen Lebensäußerungen abfinden, wenn es den Kampf gegen den Pfarrernotbund abblasen und den Landes­kirchen die Selbstverwaltung belassen würde. Haben wir von Pfarrer Niemöller  , vom General= superintendent Dibelius je ein Wortgegen bas braune Blutregimentbernommen? Sie blieben sogar stumm, als Herr Müller und einige Landes­bischöfe dem Führer" tiefbewegt für die Säuberungs­aktion" vom 30. Juni in offiziellen Kundgebungen feier­lichen evangelischen Dank bezeugten.

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Wie sieht die Welt die Lage des deutschen   Protestantis­mus? Diese Frage bewegt augenblicklich im tiefsten das in Kopenhagen   zusammengetretene ökonomie Konzil

Berlin  , 29. Auguft. Die Pressestelle der NSDAP  . teilt mit: In einer Zeitschrift Nordland" hat vor einiger Zeit in der Folge 13 ein gewisser August Hoppe, der sich als Presserefe­rent der Hitlerjugend   bezeichnete, einen Artikel veröffent­licht, der nach Form und Inhalt einen schweren Angriff auf das Christentum darstellt und von den zuständigen Stellen schärfstens mißbilligt wird. Die Zeitschrift Nordland" ist daraufhin auf einen Monat verboten worden. Der verant­wortliche Schriftleiter wurde gemaßregelt: Eine Unter­suchung hat ergeben, daß der Verfasser des betreffenden Ar­tifels, Hoppe, bereits im Mai wegen eines ähnlichen Vor­tommnisses seiner Dienststellung als Pressereferent eines Unterbannes der Hitlerjugend   in einer kleinen Stadt West­ falens   enthoben worden ist. Er hat sich also fälschlich als Pressereferent der Hitlerjugend bezeichnet. Hoppe ist wegen des genannten Artikels von dem Reichsjugendführer aus der Hitlerjugend entfernt worden.

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Das Verbot ist das Resultat Heftiger Proteste von katho­lischer Seite. Aber es wird wenig Eindruck machen lange Rosenbergs Mythus  " Glauben und kirchliche Einrich­tungen unter Hitleramtlicher Empfehlung verhöhnen und beschimpfen kann