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Fretheil

Nr. 206 2. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Donnerstag, 6. September 1934 Chefredakteur: M. Braun

Schacht

vom Ausland gesehen

Seite 2

Der Weltprotestantismus

gegen die Hitlerkirche

Seite 7

Rüstungs- Industrie hat Kriegskonjunktur

Gewaltige Aufträge aus Japan

Große Truppentransporte

Sowjetrussische Enthüllungen über brutale Folterungen der Verhafteten

Ueberblickt man die Nachrichten über die Konflikte im

Fernen Osten, so wird man immer wieder dazu verführt, von einem faum noch vermeidbaren Kriege zwischen Sowjet­rußland und Japan zu sprechen. Truppenbewegun= gen, Munitionstransporte, Grenzbefesti gungen und dazu das wilde Konzert der Presse: man wartet auf die Kriegserklärung.

Sie fommt jedoch nicht. Immer wieder stellt sich heraus, daß von der Kriegsdrohung bis zum förmlichen Ausbruch ein Raum liegt, den gegenwärtig keiner der Partner zu durchschreiten wagt. Aber das schließt die gefahr= drohende Lage nicht aus. Japan hat seit Jahren neben den militärischen auch alle moralischen Kräfte des Landes für den Krieg mit Sowjetrußland mobilisiert. Es will Sowjetrußland den Weg nach Wladiwostok absperren und sich von Mandschukuo aus zugleich in Ostasien die Basis für das größere Japan " auf dem Festlande schaffen. Es ist landhungrig wegen seiner rasch anwachsenden Bevölkerung, es braucht sichere Absatzgebiete für seine fieberhaft betriebene Industrialisierung.

Japan ist der Angreifer, Sowjetrußland der Heraus­geforderte, der viel einstecken muß. Alle Nachrichten sind be­reits Kriegspropaganda, ohne daß der Krieg bereits vor der Tür steht. Wir verzeichnen sie hier unter Quellenangabe:

Japan bekommt Waffen

Die Rüstungsindustrie freut sich

Amsterdam , 5. Sept.( Fsu. Nachrichtenbüro der Freunde der Sowjetunion .) Nach erhaltenen Berichten fah­ren die Japaner darin fort, große Munitionsanf träge in verschiedenen Ländern zu vergeben. In Basel find, nach einem Bericht des Bafler Vorwärts", dreis Big Tonnen Pyroxyline( Schießbaumwolle) aus den Vers einigten Staaten von Amerika eingetroffen, adreffiert an Be triebe, welche Bestellungen aus Japan ausführen. Betriebe in Steiermark und anderen österreichischen Provinzen haben riefige Aufträge für Kugellager, Präzisionsinftrumente usw. erhalten. Eine japanische Wirtschaftsdelegation, bestehend ans 14 Personen, hat kürzlich eine Reise zu den größten Be­trieben Desterreichs unternommen( der größte Betrieb in Defterreich ist die Montangesellschaft, die zu dem großen deutschen Ruhrstahl- Trust gehört). Der Delegationsführer er= flärte Pressevertretern gegenüber, daß Japan als Gegen­leistung für japanische Exporte nach Desterreich bereit ist,

Protestnote an Japan

Folterungen der Angestellten

Moskau , 5. Sept.( FSU.) Der stellvertretende Außen­fommissar Stomonjakom erhob im Auftrage der Sowjet­regierung beim japanischen Botschafter in Moskau , Ota, entschiedenen Protest gegen das Vorgehen der japanischen Behörden in der Mandschurei , welche die verhafteten An­gestellten der Ostchinabahn unmenschlichen Folte rungen unterziehen, um ihnen Geständ nisse" zu erpressen, daß sie selber die Ueberfälle auf die Linie der Ostchinabahn organisiert hätten. Stomonjakom er­klärte, die Sowjetregierung erwarte von der japanischen Regierung die Ergreifung entschiedener Maßnahmen zur Einstellung aller erwähnten unzulässigen Handlungen. Als

Beispiel führte Stomonjakow die Folterungen an, denen die

am 22. August von der Charbiner japanischen Gendarmerie verhaftete Kontoristin Golowina, Angestellte der Ost­chinabahn, ausgefeßt wurde. Sie wurde beim Verhör in den Räumen der japanischen Gendarmerie folgenden un­menschlichen Folterungen seitens der japanischen Gendar­men unterzogen: zwischen die Finger wurden ihr Metallstücke gelegt, wobei die Finger mit Stricken zusammengebunden und der Strick fest zugeschnürt wurde, so daß die Golowina das Bewußtsein verlor. Ferner wurde sie beim Verhör mit Fäusten ins Gesicht und auf den Kopf geschlagen, Haare wurden ihr ausgerissen und Wasser in Mund und Nase gegossen. Die Protokolle der ärzt­lichen Untersuchungen an den von der japanischen Gen­darmerie verhafteten und gefolterten Angestellten der Ost­chinabahn Grigorjew und Golowina wurden veröffentlicht. Bei beiden wurden schwere Verlegungen festgestellt, die eine sorgfältige Behandlung im Krankenhause von mindestens vier Monaten erfordern.

Russische Rüstungen

Charbin , 5. Sept. Die zur Zeit stattfindenden großen japanischen Flottenmanöver werden von den sowjetrussischen Militärbehörden mit fieberhafter Nervosität verfolgt. Nach Meldungen aus Wladiwostok wird die Garnison der Stadt dauernd verstärft. Gleichzeitig mit den endlosen Truppen­zügen treffen im Hafen auch zahlreiche Munitions. transporte aus Leningrad und den Schwarzmeerhäfen ein. Im Amur- Bogen arbeiten die Sowjettruppen fieberhaft an der Fertigstellung der durch ausgedehnte Drahtverhaue geschützten Grenzbefestigungen.

Aufträge für Waggonz zu vergeben, welche, wie er fagte, Russische Schiffe in Gdingen

bon größter Notwendigkeit für die japanische Armee bei ihren Operationen auf wegelosen Terrains sind",

..Sprengstoff- Waffenlager" Antisowjet- Hetze

Charbin, 5. Sept.( FSU ) Die Charbin- Presse bringt fan­tastische Beschuldigungen gegen die verhafteten Sowjet­angestellten der Ostchinabahn und der Sowjetkonsulate der Mandschurei . Es fehlt jedes, wenn auch nur für Leser der japanisch- mandschurischen Presse glaubhafte Tatsachen­material und die Blätter erfinden die fantastischsten Einzel­beiten über die Sowjetverschwörung". So versteigt sich z. B. " Charbinjtoje Bremja" zu der Behauptung, eine gewisse " geheime Sowjetorganisation" habe aus Chabarowsk durch Bermittlung des Sowjetgeneralfonsulats in Gharbin den Befehl erhalten, in der Mandschurei Geheimpfade, söhlen, Schlupfwinkel usw. ausfindig zu machen, um geheime Sprengstoff- Waffenlager einzurichten und Zugentgleisungen

durch Chunchuſenbanden zu veranstalten. Diesem Unsinn der Charbin- Presse wäre überhaupt keine Bedeutung beizu­messen, wenn nicht durch alle diese Informationen" die hartnäckige provokatorische Absicht durchscheinen würde, den Sowjetkonsulaten in der Mandschurei und besonders dem Generalfoniulat in Charbin , sowie den Konsulaten an den Grenzpunkten die Leitung" von Verschwörungen anzu­

dichten,

Polnische Kreuzer begrüßen sie

Warschau , 5. Sept. Gestern ist das aus einem inien schiff und zwei Torpedo bootzerstörern be stehende Sowjetgeschwader in Gdingen ( dem pol­nischen Korridor- Kriegshafen) eingelaufen. Den russischen Schiffen waren zwei polnische Kreuzer entgegengefahren. Der Befehlshaber der Sowjetflotte, Admiral Galler, wurde beim Betreten des Landes von zahlreichen offiziellen pol­nischen Persönlichkeiten begrüßt. Unter den Klängen der Sowjethymne schritt er dann die Front der Ehrenkompanie ab. Am Abend reiste Admiral Galler mit 15 Sowjetoffizieren ab. Am Abend reiste Admiral Galler mit 15 Sowjetoffizieren nach Warschau weiter.

Sowjetoffiziere werden einberufen

Nach einer Meldung aus Riga sollen zahlreiche höhere Offiziere der Sowjetarmee, die längeren Urlaub hatten, Befehl erhalten haben, sich zu ihren Regimentern zurückzubegeben,

Das Nein der Schweiz

Der Schweizerische Bundesrat hat heute ein: stimmig auf Antrag feines Politischen Departements und auf Antrag der Delegation für auswärtige Angelegenheiten befchroffen, daß die schweizerische Völkerbundsdelegation

Abstimmung über die Aufnahme der Sowjetunion in den Völkerbund ein Nein" abzugeben habe

Englischer Brici

O. G. London , 1. September 1934. Noch herrscht Ferienruhe in England. Nichts Auf­regendes ereignet sich in der englischen Politik. Die Mehr­zahl der Regierungsmitglieder genießen ihre Ferien. Die Zeitungen sind oft recht langweilig. Und selbst die aus­wärtigen Ereignisse werden augenblicklich hier mehr oder weniger durch die Brille des Urlaubers betrachtet. Eng­land ist zwar materiell eng an die übrige kapitalistische Welt gekettet und teilt ihre vielen Leiden und wenigen Freuden, aber psychologisch ist es nach wie vor eine Insel im Weltmeer. Trotz der Grenzen am Rhein " bleibt der Kanal eine Trennungslinie.

englischen Presse stehen USA . und Deutschland Bei der Betrachtung der auswärtigen Ereignisse in der nach wie vor im Mittelpunkt. Erörterungen über Roosevelts Wirtschaftspolitik, über den Dollar, über die großen Streiks, über den Streit in der NRA. - Ver­waltung, über den überraschenden Wahlsieg Upton Sinclairs füllen die Spalten. Aber Hitler- Deutschland nimmt hier doch den ersten Platz ein nicht in der Gunst freilich. Und hier stehen augenblicklich Schacht und die Saar im Vordergrund.

England und das Saargebiet

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Die englische Stellungnahme zur Saarfrage hat sich in den letzten Wochen in mehrfacher Hinsicht ge. ändert. Vor kurzem wurde dieses Problem, das ja nicht ein spezifisch englisches Problem ist, eigentlich nur in der großen Londoner Presse und natürlich im ,, Manchester Guardian", der ja mehr ist als ein Provinz­blatt behandelt. Heute ist kein Provinzblatt zu klein, es bringt seinen Saar - Leitartikel. Man hat erkannt, daß an der Saar unter Umständen das Schick­sal des Hitlerregimes entschieden wird. liegt darin, daß bis vor kurzem am Ausgang der Ab­Die zweite entscheidende Wandlung der englischen Presse ſtimmung zugunsten der Vereinigung mit Deutschland , auch mit Hitler- Deutschland nicht gezweifelt wurde als vor dem Hitlerregime, hielt aber einen Sieg der man gab zwar an, daß die Opposition stärker sein würde Opposition für ausgeschlossen. Heute erklären mit Aus­nahme der Daily Mail", dem englischen Hitlerblatt, faft alle Zeitungen, daß eine Mehrheit für den Status quo eine ernsthafte Möglichkeit geworden ist, weil zu der sozialistisch kommunis stischen Einheitsfront erhebliche katholische Wählerscharen stoßen würden. Ehrenbreitstein und Sulzbach haben diese Auffassungen bestärkt. Ehren­ breitstein wird zwar als eine große Leistung der Aufmarsch- und Schaustellungstechnik bezeichnet eine Kunst, in der die Nazis anerkannte Meister sind politisch aber sieht man darin eine Fehlleistung. Man hatte erwartet und offen ausgesprochen, daß Hitler die Gelegenheit benutzen würde, um die Versöhnung mit dem Katholizismus einzuleiten. Er hat es nicht getan.

bach- die Teilnehmerzahl wird in den verschiedenen Auf der anderen Seite hat die Rundgebung in Sulz­Zeitungen zwischen 60 000 und 90 000 angegeben einen tiefen Eindruck gemacht. Man hatte es nicht für möglich gehalten, daß troß des Terrors folche Menschen­massen aufgeboten werden konnten, noch dazu ohne die Lockmittel von Ehrenbreitstein Freifahrt und Freibier. Allgemein wird betont, daß eine Nieder­lage an der Saar den Todesstoß für Hitler bedeuten könne, ja daß selbst eine starke Minder. heit für den Status quo das Prestige des Naziregimes tief erschüttern würde.

Schacht der Kreditzerstörer

verloren. Herr Schacht scheint jetzt auch ben kümmer­Nazi- Deutschland hatte bereits fast allen Kredit lichen Rest zerstört zu haben. Es ist zwar kaum glaublich, aber es ist Tatsache: Herr Schacht genoß bis jetzt eine