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Deutsche   Stimmen. Betlage zur Deutschen Freiheit"

Samstag, den 13. Oktober 1934

Ein deutsches Heldenleben

Alfred Beierle   und seine Wandlungen

Erster Akt: Genosse Alfred Beierle   ist von 1919 bis 1931 Sozialist. Ganz radikaler Sozialist. Auch in der SPD.  organisiert. Laut und sehr pathetisch rezitiert er in allen möglichen Veranstaltungen sozialistischer Gruppen und Ver­bände. Wird dick und dicker. Für eine halbe Stunde Jack­London- Vorlesen verlangt und erhält er fünfzig Mark( nebst Spesen und natürlich!- Autofahrt). Beierle liebt es, mit möglichst vielen Prominenten aus dem sozialistischen   Lager zusammenzukommen. Es springt schon irgendwie was heraus. Beierle bespricht Schallplatten der Neuen Truppe"; unter anderm läßt er sich mit einem Revolutionsaufruf Ernst Tol­ lers   und einem der Gefängnisbriefe Rosa Luxemburgs ver­nehmen. Wie gesagt bis 1931. st

Zweiter Akt: Beierle hat eine gute Nase, und er will nicht mehr Genosse sein. Inzwischen hat er sich beim Film umgesehen. Er tritt aus der SPD. aus. Er legt nicht mehr so schrecklich viel Wert darauf, mit sozialistischen Prominenten zusammenzukommen. Besser ist besser. Und die Nazis wach­sen. Und im Jahre des Hitlerheils 1933 entdeckt er seine wahre Gesinnung. Seine Liebe gehört den wackeren Braun­hemden. Er geht in die NSBO. Stolz und hitlerisch wandelt Pg. Beierle durch Berlins   Straßen. Der Pg. schauspielert und rezitiert laut und sehr pathetisch vor den Nazis. Das heißt: die NSDAP  . wollte ihn nicht aufnehmen. Aber die NSBO. tat es um so rascher.

Dritter Akt: Beierle soll in einem bestimmten Bühnenstück in Berlin   auftreten. Einige Tage vor der fälligen Aufführung erscheint bei unserem Helden der Intendant und teilt ihm mit, er könne die Rolle im Bühnenstück doch nicht bekommen. Obwohl er in der NSBO. sei, gelte er noch als national unzuverlässig. Der ganze Zorn des Herrn Beierle sprudelt auf. Was, er sei kein guter Nazi? Wartet mal! Er droht dem Intendanten einen Prozeß an. Erstens fühlt er sich, da er für die nächste Zeit nicht auftreten darf, benach­teiligt. Und zweitens empfindet er jene Verdächtigung als gröbste Beschimpfung. Er holt sich fix einen Rechtsanwalt,

Horst Wessels Bude

Salander schreibt in der Basler ,, National- Zeitung": Reichsminister Dr. Goebbels   hat nach einer Meldung des Deutschen Nachrichtenbüros am letzten Donnerstag eine Reihe von öffentlichen Anstalten der Stadt Berlin   besichtigt, deren Gauleiter er neben seinem anstrengenden Hauptamt, für die Erscheinung des Nationalsozialismus Vertrauen und Ver­ständnis zu schaffen, immer noch geblieben ist.

Bei diesem Anlaß begab sich der Minister laut derselben amtlichen Quelle auch nach der ehemaligen Wohnung Horst Wessels in der Großen Frankfurter Straße. Er ordnete dort an, daß das Zimmer in den gleichen Zustand versetzt werden soll, in dem es sich zu Horst Wessels Leb­zeiten befand. ,, Es ist beabsichtigt, das Haus unter Denk. malschutz zu stellen."

Damit wäre wohl zum ersten Male in der Geschichte der erinnerungswürdige Fall eingetreten, daß eine Studenten­bude zum Nationaldenkmal erhoben worden ist. Für unsere gegenwärtigen Musensöhne muß das ein stär­kender Gedanken sein. Gleichzeitig mag auch ein wohltätiger Antrieb zu geordnetem Lebenswandel darin liegen, denn nicht jedem Inhaber einer solchen Behausung wäre es wohl restlos willkommen gewesen, diese in dem Zustand ihres frü­heren Gebrauchs, verbunden mit seinem Namen zu wissen, besonders wenn dieser Zustand, wie das in meiner Studenten­zeit in Berlin   nicht selten der Fall war, auch ein buntes Insektenleben umfaßte.

Was Horst Wessel   selbst, dessen Gestalt im Rahmen der auf Jahrtausende berechneten Geschichtsbetrachtung des ,, dritten Reiches" erst in allmählicher Fixierung begriffen ist, wohl in Walhall   zu der Verewigung seines früheren Buden­

der die Klage gegen den Intendanten Aßmann führen soll. Doch auch die Gegenpartei arbeitet. Sie schleppen einen Hau­

Ereignisse und Geschichten

An einen Vertriebenen

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Wie? du läßt die Nase hängen? Wie? du läßt dich flau und trist

in die Seufzerecke drängen? Weißt du nicht mehr, wer du bist?

fen Material hervor, stammend aus den Jahren 1919 bis 1931. Wegen deiner Ueberzeugung

Und die sollen nicht gerade für den Nationalsozialisten Beierle zeugen... Wenn der Gerichtshof nur die Platten mit Toller und Luxemburg   hört, ist der Prozeß für Beierle ver­loren. Anderes Beweismaterial, das die ehemalige radikal­sozialistische ,, Gesinnung" des Beierle deutlich zeigt, ist auch zur Stelle. Man rät dem Helden, schleunigst zu verduften. Sonst würde das Ende des von ihm angestrengten Prozesses seine Verhaftung sein.

Vierter Akt: Der Held verschwindet aus Deutschland  . Und taucht in Amsterdam   auf. Im Unterstützungskomitee für sozialistische Flüchtlinge... Ist wieder der alte Genosse Beierle, Rezitator rötester Gedichte. Wird selbstverständlich vom Komitee abgewiesen. Als mißlungener Gleichschaltler. Fünfter Akt: Unser Held tritt in Den Haag auf und erzählt seinem Publikum, bevor er mit der Vorlesung aus Strindberg beginnt: ,, Ich will aus dem Werk der Dichter lesen, die der Menschheit dienen wollten durch Bekämpfung aller Vorurteile, wie es die Feindschaft zwischen den Nationen und der Rassenhaß ist." Hoch die Humanität! Humanität ist in Holland   gern gesehener Artikel. Man muß nur den rich­tigen Tip haben...

Notwendiges Nachwort: ,, Het Volk" greift Beierle wegen seiner Charakterlosigkeit an, erzählt mancherlei von des Helden Karriere. Darauf entgegnet jener, daß er von 1918 bis 1931 schon ein großer Menschheitsfreund gewesen sei und daß er mit seiner Emigration keine Reklame gemacht habe, und daß er elf jüdische Freunde in Deutschland   hat, und daß das in..Het Volk" veröffentlichte Beierle  - Foto schlecht sei, da es ihn in dem Film ,, Zigeuner der Nacht" als Polizeikommissar zeige, und daß diesen Winter ein Roman von ihm erscheine...

Das nenne ich glänzende Erwiderung eines Helden. Eines Sozialisten. Eines Nazi. Eines Emigranten. Eines Vorkämpfers

der Humanität.

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,, Sinn für wahre Größe"

zustandes denken mag, sei der theologischen Betrachtung der Deutschen Glaubensbewegung" überlassen. Vor einer allzu dokumentarisch peinlichen Wiederherstellung seiner Behau­sungsverhältnisse darf er sich durch die propagandistische Gewandtheit seines Denkmalstifters gesichert fühlen.

Warum sollen nicht die verehrungsbereiten Deutschen  , die in der Zeit des schwächlichen Humanismus etwa zu den ein­drucksvollen Wohnräumen Goethes pilgerten, nicht heute zur Studentenbude Horst Wessels wallfahren? Jede Lebensan­schauung und jedes Zeitalter haben die Denkmäler und Ehr­furchtsgegenstände, die ihrem Niveau entsprechen. Das Horst Wessel  - Lied darf nur bei feierlichen Anlässen gespielt werden. Das unvergleichliche Gedicht Goethes ,, Ueber allen Gipfeln ist Ruh" wurde und wird seit alters ungestraft zu allen möglichen neckischen Zwecken mißbraucht.

Ergreifender, als ich mir auch im günstigsten Fall die neue Erinnerungsstätte vorstellen kann, bleibt jedenfalls der Ein­druck eines Bauwerks, das ich in meinen Ferien kennen lernen durfte, des Poseidontempels in Päst um. Das Hei­ligtum des alten griechischen Meergottes ist ein Denkmal, das wirklich erhebt, weil es Ehrfurcht vor dem Menschentum erweckt, das solches strenge innere Maß, solche unbeirrbare Sicherheit des Formgefühls und solche Kraft ordnenden schaf­fenden Wollens in sich besessen hat. Und doch waren es nicht etwa harte Spartaner, wie ich zufällig einen deutschen Besucher seinen Reisegenossen bezeichnenderweise belehren hörte, die dieses Denkmal geschaffen haben. sondern Bewoh­ner der um ihres schwelgerischen Wohllebens willen ver­rufenen Stadt Sybaris   Aber sie hatten das, was heute so selten ist: Sinn für wahre Größe

Das ist bei uns so Sitte

Das ,, dritte Reich", wie es denunziert

Während Hitler   vom tausendjährigen Reich redet, wäh­rend die Unterführer lange Finger machen und große Worte gebrauchen, sprechen im Lande der Diktatur die traurigen Tatsachen. Sie reden klarer und ungeschminkter als die bezahlten Reklamesänger des Regimes, ihrer Sachlichkeit

kann man vertrauen.

Vor dem Berliner   Schwurgericht stand der 42 Jahre alte Frit Zachowins, der sich einer ganz besonderen Methode bedient hatte, seine Mitmenschen auszuplündern. Er trieb sich in Gastwirtschaften herum und suchte Gäste, die ihn freihielten. Solange man für ihn bezahlte, war er fried­fertig, weigerte man sich jedoch, seine Alkoholsucht weiter zu befriedigen, so brach er regelmäßig Streit vom Zaune. Beim Eintreffen der Polizei beschuldigte er seine Gastgeber, die nationale Regierung beschimpft zu haben. Worauf die Polizeibeamten die Beschuldigten regelmäßig mit auf die Wache nahmen. Zachowins ging mit und gab seine Anschul­digungen zu Protokoll, worauf gegen die völlig Unschuldigen ein Verfahren eingeleitet wurde. th

Kam es dann zur Gerichtsverhandlung, so beschwor der edle Denunziant alles und jedes, in zahlreichen Fällen wurde auf Grund der Meineide des Zachowins auf hohe Gefängnis­strafen erkannt.

Das ging monatelang so, bis man dem wahrhaft vollkom­menen Repräsentanten des dritten Reiches" auf die Schliche kam. Er wurde jetzt zu vier Jahren Zuchthaus und zehn Jah­ren Ehrverlust verurteilt.

Die reichsdeutsche Presse bringt dies wahre Greuel­märchen" sehr versteckt. Und sollte es doch auf der ersten Seite in Fettdruck bringen. Denn es sagt mehr über die Zu­

trieb dich eine Meute aus. Eine kleine Rückenbeugung brächte dich expreß nach Haus.

Willst du mit den Hunden heulen? Dein Gehirn schlag vorher tot, denn es stößt sich doch nur Beulen Du bist Mensch und kein Helot.

Höre, wie die tobend keifen. Aller Kehlen ohne Hirn, die nichts anderes begreifen als den Balken vor der Stirn.

Damit kann man nicht paktieren, wenn noch das Gewissen wacht. Davor gar kapitulieren? Mensch, das wäre ja gelacht!

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Selbstverständlich drückt die Spannung ungenutter Schaffenskraft.

Manchmal zwangt auch die Verbannung enger ein als Einzelhaft.

Streife ab, was dich beengte. Komm, mein Freund, im gleichen Schritt Heute sind wir noch Versprengte, morgen tun wir wieder mit.

Hoch sollst du den Nacken heben, bis der Wahnsinn einst verraucht. Kraftvoll sollst du stehn und streben weil dich deine Heimat braucht.

Deines Lebens Ziel und Sendung ist, dein armes Vaterland zu befreien von der Schändung, dies es litt durch Mörderhand.

Rüste dich! der Tag wird steigen, wo dein Banner siegend tanzt. Rüste dich! dann sollst du zeigen, wer du bist und was du kannst!

Genie!

Robert über Wolf

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Der Rote Hans

Dem Gauinspektor Robert Thiel ist es gelungen, im Westdeutschen Beobachter" den tiefsten Grund dafür auf­zudecken. daß das Ausland über das neue Deutschland   so unfreundlich urteilt. Es ist nichts anderes als grüngelber Neid. Pg. Thiel schreibt:

,, Wir gestehen, daß wir kein Beispiel eines Staatsman­nes kennen, das größer wäre als das unseres Führers. Seine Souveränität ist denn auch im ganzen deutschen  Volke eine unumstrittene Wir glauben daher den Grund zu erkennen, warum uns die Mächte der Zerstörung draußen in der Welt derart hassen und bekämpfen. Die Erhabenheit des staat männischen Ge. nies ist derart augenscheinlich, daß alles andere beim Vergleich mit ihm verblaßt."

Wenn es Krieg gibt, weiß man wenigstens warum Sicher doch, weil die Welt Deutschland   das erhabene Glück, einen Hitler zu besitzen, nicht gönnt!

Salander. Endlich etwas Echtes! Froelich glüht wieder

Im ,, Filmkurier" heißt es von dem neuen..Froelich­Film", Ich für Dich und Du für mich. ,, Wenn ein Froelich diese Worte über seinen neuen Film plakatiert, dann meint er sie ernst und voll in ihrem tiefen Wort- Gelübde- Sinn. Ein Lebensfilm soll entstehen, mit 50 jungen Mädels geht Froelich auf die Reise" ,, Von 60 jungen Mädels Froe­

stände im stände im Hitlerreich als hundert Erntefestreden des habe ich 50 besondere Talente ausgesucht- Führers"!

In Süddeutschland   hat sich ein ähnlich gelagerter Fall er­eignet. Dort hat ein kaufmännischer Angestellter seine Kol­legen durch aufrührerische" Bemerkungen zu staatsfeind­lichen" Antworten verlockt, die er dann regelmäßig der poli­tischen Polizei übermittelte. Dieser Lockspitzel hat eine ganze Anzahl seiner Kollegen ins Gefängnis gebracht. Als ihm der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, verschwand er von einem Tag auf den anderen spurlos. Man nimmt an, daß

lich ist wieder einmal ganz der Junge, Glühende Menschenmaterial zu bearbeiten! Und diesmal für einen heiteren deutschen Lebensfilm, der die große Reihe... fortsetzt und vorsichtlich noch in die Höhe treibt. Denn man will bei Froelich etwas ganz Besonderes den Film, so wie er deutsch   ist und klar( also das Gegen­teil von dem Berichterstatter darüber) und endlich einmal ein echtes Lebensbild."

dieser Lump im offiziellen Auftrag der Gestapo   gehandelt Schmisse weiter erwünscht

hat.

Diese Dinge bedürfen keines Kommentars. Sie zeichnen die Sittengeschichte einer ganzen politischen Epoche!

Janz nach Militärmärschen Entweihung nationaler Symbole

Pierre.

Der Regierungspräsident in Magdeburg   veröffentlicht eine Erklärung, in der er sagt, es sei festgestellt worden,

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Auf eine Eingabe, die der Gründer des ,, Verbandes alter Wingolfer", Missionsdirektor Dr. Schreiber, an die zustän­digen staatlichen Stellen in der Duellfrage gerichtet hat, hat der Reichserziehungsminister den nachstehenden Bescheid erteilt: Es ist nicht beabsichtigt, in der Genugtuungsfrage einen Zwang auszuüben. Die Entscheidung soll weiterhin der freien Entschließung eines jeden Studenten überlassen bleiben." Schmisse sind also nicht obligatorisch bloß all­gemein erwünscht.

Aus dem Programm des Deutschlandsenders­,, Volkskonzert.

1. Adolf- Hitler- Fanfare

daß in einigen öffentlichen Lokalen noch immer zu histori- Echtes Bekenntnis schen Armeemärschen getanzt werde. Er habe bisher davon abgesehen, die Geschmacklosigkeit solchen Tanzens zu histo­rischen Armeemärschen durch Polizeiverordnung ausdrücklich zu verbieten, da er von dem gesunden Sinn der Bevölkerung erwarte. daß sie der Würde dieser Märsche Rechnung trage. Die Erklärung beruft sich zum Schluß auf das Gesetz zum Schutz der nationalen Symbole und spricht die Hoffnung aus, daß die Klagen in dieser Hinsicht endgültig verstummen würden,

2. Ouvertüre Banditenstreiche  "

3.

Polnischer Nationaltanz"

4.., Der lustige Krieg". her stepfat

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Es ist kurz gesagt, das ganze nationalsozialistische Aufbau­programm.