Panjaže
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Nr. 240 2. Jahrgang
Fretheil
Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands
Saarbrücken, Samstag, den 27. Oktober 1934 Chefredakteur: M. Braun
Seite 2
Die 532000 Abstimmungsberechtigte
Seite 3
Das Volkseinkommen
gesunken
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Die zwei Wochen Verbot der Deutschen Freiheit" durch Die Regierungskommission des Saargebietes sind vorüber. Wir sind wieder da.
Das Verbot hat einen sehr sachlichen, im Hinblick auf unseren bedenkenlosen Gegner wahrscheinlich zu sachlichen Auffat, der sonst vielleicht nicht genug beachtet worden wäre, dick unterstrichen. So hat denn dieser Leitaufsatz nach dem Verbot zweifellos stärker gewirkt als vorher. Im übrigen ist die von uns vor zwei Wochen aufgestellte These über die politischen Ruznießer des Attentats von Marseille inzwischen von der gesamten politischen Presse außerhalb der Zuchthaus- Journalistik des britten Reiches" bestätigt worden. Daß zahlreiche Spuren der terroristischen kroatischen Organisation nach Berlin weisen, wurde inzwischen allgemein bekannt. Wir haben von unserer seinerzeitigen politischen Untersuchung nichts zurückzunehmen. Was vor zwei Wochen für viele nur Vermutung war und infolgedessen in dem inkriminierten Artikel nicht einmal angedeutet wurde, ist inzwischen durch Tatsachen hinreichend belegt: die Verbindung zwischen den kroatischen Terroristen und führenden deut schen Nationalsozialisten.
Die Regierungskommission des Saargebietes bringt uns nicht gerade Wohlwollen entgegen. Als wir im vorigen Jahre zum ersten Male sündig wurden, hat sie uns sofort für eine Woche unterdrückt, während bei der gleichgeschalteten Presse des Saargebietes gemeinhin nur Verbote von einigen Tagen ausgesprochen werden, obwohl es sich da meist nicht um das erste Verbot handelt. Das damalige Verbot der Deutschen Freiheit" erfolgte wegen einer aus dem„ Neuen Vorwärts" übernommenen Karikatur Hindenburgs, die nirgendwo in der Welt außerhalb des Gaargebietes zum Anlaß eines Verbotes oder auch nur einer behördlichen Rüge oder Verwarnung genommen worden ist. Die Karikatur war hart, aber treffend. Sie zeigte den damaligen Reichspräsidenten als willenloses Werkzeug des nationalsozialistischen Partei führers und seiner Gehilfen. Daß sie die Wahrheit enthielt, wird wohl heute niemand mehr bestreiten wollen. Obwohl wir in der langen und doch gewiß recht bemegten Zeit seit dem vorjährigen Verbot keine Ursache mehr zu einer Maßregelung gegeben haben, ist nun eine doppelt lange Verbotsdauer über uns verhängt worden. Beinlich ist es, allerdings nicht für uns, daß das Verbot erst zugestellt wurde, als es die nationalsozialistische und die gleichgeschaltete Presse des Saargebietes unter Verdrehung und Verfälschung des Aufsatzes„ Nuznießer des Attentats", ja unter der Drohung von Handgreiflich keiten gegen uns gefordert hatte. So ist bei vielen unserer Freunde, wie aus zahlreichen Briefen an uns hervorgeht, der unberechtigte Eindruck erweckt worden, als hätte die Regierungskommission unter dem Druck der sogenannten„ deutschen Front" oder gar auf diplomatische Vorstellungen aus Berlin gehandelt
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Das Verbot der Deutschen Freiheit" ist erfolgt, weil nach der Ansicht der Regierungskommission des Saargebietes in dem Artikel„ Nutznießer des Attentats"„ eine
ausgesetzt werden muß, in seinem Zusammenhange liest, konnte die Presse der„ deutschen Front" ihre Verbotsforderung begründen. Das für Geschäftemacher und Heuchler in der gleichgeschalteten Bresse gescheinheiligte Wort„ Hitler " gab ihr den Anlaß zu der Verbotshezze.
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Die Verordnung der Regierungskommission schützt Staatsoberhäupter, auch den einstweiligen deutschen Reichsführer. Sie berücksichtigt aber nicht, daß es praktisch zu einem Schußze nationalsozialistischer Parteidemagogie führen muß, wenn man Herrn Adolf Hitler ohne Einschränkung denselben Schutz gegen Bresseangriffe gewähren will, wie etwa dem König von England oder dem Präsidenten der französischen Republik.
Staatsoberhäupter in politisch zivilisierten Ländern steigen nicht in die Arena der Parteikämpfe hinab. Sogar für das Italien Mussolinis trifft das zu. Man wird nicht erleben, daß eine der europäischen Majestäten oder einer der gewählten Staatschefs außerhalb des„ dritten Reichs" durchs Mikrofon in die Welt brüllt und seine politischen Gegner als den Abschaum und den Auswurf der Nation verleumdet. Das derzeitige deutsche Staatsoberhaupt tut es. Es gibt an der Saar keine Berordnung, die dem deutschen „ Führer" und Reichskanzler untersagt, durch zehntausende Lautsprecher im Saargebiet die Republi kaner , die Pazifisten, die oppositionellen Katholiken, die Marristen mit den ehrenrührigsten und schwersten Invek tiven und mit der nationalen Aechtung zu belegen. Aber es gibt eine Verordnung, die den moralisch Mißhandelten verbietet, in einer Weise zu antworten, die dem Angriff entspricht.
Wen schützt denn eigentlich die Verordnung der Regie rungskommission? Es wäre dringend erforderlich, darüber eine zuverlässige Auskunft zu erhalten. Adolf Hitler ist Staatsoberhaupt. Er ist aber auch zugleich als Reichskanzler verantwortlicher Träger der Gesamtpolitik des dritten Reichs". Er ist als absoluter Chef der NSDAP. der Verantwortliche für die Taten und Untaten dieser bar barischen politischen Bewegung. Die Staatsjugend trägt seinen Namen und wird in einem Geiste erzogen, den wir mit der gesamten Kulturwelt für Roheit halten. Er ist Oberster Gerichtsherr und verhängt Todesurteile ohne die in zivilisierten Ländern üblichen Rechtsgrundlagen und Rechtsverfahren und rühmt sich zugleich an der Voll streckung der Urteile, die anderswo Scharfrichtern und Henkern überlassen bleibt, unmittelbar mitgewirkt zu haben. Er ist oberster Rommandant der SA. und SS. , über deren sadistische Folterarbeit in Konzentrations lagern und Gefängnissen das Material bergehoch auf geschichtet ist. Er ist schließlich auch Oberbefehlshaber der Reichswehr , und diese Aufzählung seiner Aemter und seiner Betätigung neben der Reichsführerwürde ist noch sehr unvollständig.
Täglich versichert uns die Presse der deutschen Front", Herr Hitler und das deutsche Volk seien eins. Alles, was
Beschimpfung des Oberhauptes des Deutschen Reiches ent- Aus dem Land des Grauens
halten ist":
Welche Gefühle uns gegen den Parteiagitator beseelen, der auf sehr eindeutige Weise Reichsführer wurde und sich fein Amt durch eine Volksabstimmung, die ein Spott auf Freiheit und Recht war, bestätigen ließ, ist hinreichend bekannt. Wir haben unsere Meinung über den deutschen Diktator nie verhehlt und haben die Genugtuung, daß uns heute Millionen und aber Millionen innerhalb und außer halb des Reiches zustimmen, die einst von Uebertreibungen der„ Emigrantenpresse" gesprochen haben. Stets haben wir es aber für überflüssig gehalten, Herrn Adolf Hitler zu„ beschimpfen". Es hat uns immer genügt, seine Worte
München , 25. Oft. Im Konzentrationslager Dachau wurde vor furzem der jüdische Profurist Erich Gans aus Nürnberg erschlagen. Eine Urne mit Asche ist seinen Ange: hörigen in diesen Tagen durch die Post zugestellt worden. Gans befand sich in Dachau seit eineinhalb Jahren, er wurde seit April 1984 aus unbekannten Gründen in Einzelhaft gehalten. Mit ihm ist der neunte jüdische Gefangene aus der Stadt Streichers in Dachau getötet worden, vier weitere befinden sich noch im Lager ohne Hoffnung auf Freilassung.
und seine Taten und die seiner Kreaturen sprechen zu Das große Pressesterben
laffen.
In dem von dem Verbot betroffenen Aufsatz war nichts anderes dargelegt, als daß die Außenpolitik des der zeitigen Regimes im Reiche durch die Tatsache der Ermordung Alexanders und Barthous gewisse Chancen, mindestens aber eine Verzögerung in dem Spiel um Mussolini erlangt hat. Nur durch Wißdeutung eines einzigen Sazes, die unmöglich wird, wenn man den Aufsatz, was doch vor
Augsburg, 25. Oft. Der Verlag der Augsburger Postzeitung hat mit Wirfung vom 1. November das Verlagsrecht des„ Bayerischen Kuriers" erworben. Der Bayerische Kurier" stellt am gleichen Tage sein Erscheinen ein. Nach einer Vereinbarung der Verlage wird den Lesern des„ Bayerischen Auriers" ab 1. November die Augsburger Postzeitung zu gestellt, die mit Genehmigung der Reichspressefammer fortan den Titel„ Postzeitung( Augsburger Postzeitung)" führt.
in Deutschland geschehe, komme aus der Allmacht, All
gegenwart und Allwissenheit Adolf Hitlers . Das mag man je nachdem für Gotteslästerung oder für Verrücktheit halten, aber es steht in deutsch geschriebenen Zei tungen.
Das Wort„ Hitler " ist längst etwas anderes als der Name des derzeitigen deutschen Staatsoberhauptes. Es ist die Kennzeichnung des jetzigen deutschen Staats systems, einer brutalen Parteidiktatur mit allen ihren die ganze Welt mit Entsetzen erfüllenden Auswirkungen. Es ist allerdings auch die messianische Hoffnung einer von Wahnvorstellungen besessenen Volksmasse, die bereit ist, mit Feuer und Schwert für die Ausbreitung des Hitleris mus zu wirken, wie je fanatisierte Eiferer in der Menschheitsgeschichte.
Darum ist es verfehlt, die Person und den Begriff „ Hitler " in eine Verordnung zum Schuße von Staatsoberhäuptern aufzunehmen, die lediglich repräsentative und traditionelle Aufgaben erfüllen und sich politisch nur mit der größten Reserve äußern. Wird, wie im Saargebiet, das„ Hitler " ohne Einschränkung als Staatsober. haupt geschützt, so wirkt eine solche Verordnung objektiv als ein Schutz der alle offiziellen deutschen Lebensäuße rungen total erfassenden Nationalsozialistischen Partei und als eine Behinderung ihrer Gegner.
Die Verordnung der Regierungskommission macht in fhrer jetzigen Auslegung eine offene und freimütige Beurteilung der Persönlichkeit Hitlers und seiner Bewegung geradezu unmöglich. Es ist aber undenkbar, diesen Hitler, seine Eigenschaften und seine Taten im Abstimmungskampfe unberührt zu lassen, denn es geht ja in diesem geschichtlichen Ringen an der Saar gerade um die Losungen„ Für Hitler “ und„ Gegen Hitler ". Als deutsche Sitlergegner, die in der Diktatur Hitler ein Unglück und eine Schande für unser Vaterland erblicken, wehren wir uns mit Ernst und Nachdruck gegen die jetzige Anwendung einer Verordnung, die im Abstimmungskampte statt eines Schutzes des deutschen Staatsoberhauptes zu einem Schutzwall für die hitleristische sogenannte„ deutsche Front" werden muß.
Jedes Staatsoberhaupt, das in seinem Auftreten die hohe Würde seines Amtes zeigt, hat Anspruch darauf, in den politischen Kämpfen die Rücksicht zu genießen, die ihm als der Spize seiner Nation zusteht.
Ein Staatsoberhaupt jedoch, das nicht nur im Ge tümmel des Parteikampfes bleibt, sondern ihn mit haßerfülltem Fanatismus führt, ja dieses wilden Fanatismus sich immer wieder rühmt, sollte eine Schutzverordnung unmöglich machen.
Das ist der einfache und unbestreitbare Tatbestand. Keine Schutzverordnung wird ihn verwischen können. Die erzwungene Unterbrechung unseres Kampfes ist vorüber. Wir setzen unseren Kampf gegen„ Hitler " und für Deutschland fort.
Wir greifen an.
Berlin , 26. Oft. Der Korrespondent des Blattes der deutschen Arbeitsfront "," Der Deutsche", veröffentlicht einen Bericht über seine Reise durch Thüringen . Tiefe Not herrsche. Ein Mann, der Puppen und Spielzeug in Glas herstelle, habe nicht einmal so viel Geld, um seine Wohnung zu heizen. Ein Glasmacher in Tausche, dem Frau und sechs Kinder in zehnstündiger Arbeitszeit helfen, verdiene wöchentlich 18 bis 20 Mart. Oft habe er keine Arbeit, weil Be stellungen fehlten. Tausende leben wie er. Kartoffeln und Salz seien oft die einzige Nahrung. In Steinheide seien von 250 Einwohnern 225 auf Unterstübungen angewiesen. Im Bezirk von Sonneberg zähle man bei 80 000 Einwohnern 33 000 Arbeitslose, die unterstützt würden. Und der nationalsozialistische Journalist gesteht weiter, daß 80 000 Menschen nicht in der Lage sind, sich zu ernähren und zu kleiden.
Deutschland und Polen find übereingekommen, ihre Gesandtschaften in Berlin und Warschau mit Wirkung vom 1. November d. J. zu Botschaften zu erheben. Zu Bots schaftern sind die beiden bisherigen Gesandten ernannt
worden,