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Deutsche   Stimmen Beilage zur

Beilage zur Deutschen Freiheit Ereignisse und Geschichten

Samstag, den 27. Oktober 1934

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enerie2 zeb teie mi- prunannab lepelq2 mi Bestandaufnahme

Dissidentische Lehrer

Kein Zwang mehr zum Religionsunterricht

R. Die nationale Revolution" in Deutschland   wurde von der gesamten kirchlichen Reaktion mit Freude begrüßt, weil die neuen Machthaber sich zu einem, positiven Christentum" bekannten. So verfügten gewisse Bezirks­regierungen Entlassungen gegen dissidentische Lehrkräfte mit dieser Begründung: Da der neue Staat ein christlicher sei, könne er keine dissidentischen Lehrer dulden. Der erz­reaktionäre sächsische Bildungsminister Hartnacke verord­nete als erstes den gesetzlichen Zwang für alle Kinder und Jugendlichen, an dem christlichen konfessionellen Religions­unterricht teilzunehmen.

Nachdem diese und ähnliche Verordnungen bekannt ge­worden waren, brach eine Panik aus unter den dissiden­tischen Lehrern aller Richtungen. Sie meldeten, teilweise unter entwürdigenden Formen, ihre Mitgliedschaft zu einer Kirche wieder an. Reventlow stellte in seinem Reichswart" fest, daß kaum einer Manns genug geblieben sei, seine Ueberzeugung zu behaupten. Er verlangte aber für die Anhänger einer deutschvölkischen Weltanschauung Freiheit der Entscheidung.

Praktisch hat es fast ein ganzes Jahr keine dissidentischen Lehrer im Dienst, kein Fernbleiben vom Religionsunter­richt gegeben. Man hielt das für unvereinbar mit dem nationalsozialistischen Bekenntnis zum ,, Positiven Christen­

tum".

Mittlerweile hat sich vieles geändert. Nicht nur haben die ,, Deutschen Christen  " die protestantischen Kirchen bis zum Ruin geeinigt", neben ihnen sind auch die deutsch­heidnischen Gruppen mächtig geworden und haben An­erkennung errungen. Diese Anerkennung von Geistes­

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in braun

freiheit" hat nun auch rechtliche Konsequenzen zur Folge gehabt. Zuerst wurde in Württemberg   ausdrücklich ver­ordnet, daß deutschheidnische Dissidenden Lehrer sein, und

das war früher die Streitfrage, daß sie sogar als Dissidenden ins Beamtenverhältnis überführt werden dürfen. Aus anderen Ländern sind gleichlautende Bestimmungen bisher nicht bekannt geworden, doch darf geschlossen werden, daß die Verordnung im Sinne des Reichsunterrichtsministers liegt und damit im Bereich aller Unterrichtsverwaltungen praktische Bedeutung gewinnt.

Herr Reichsbildungsminister Rust ist den deutsch­heidnischen Gruppen durch eine besondere interessante Ver­ordnung entgegen gekommen. Für sämtliche Unterrichts­verwaltungen wurde bestimmt, daß ein Zwang zur Teil­nahme am Religionsunterricht nicht mehr ausgeübt werden dürfe. Entgegenstehende Erlasse sind zurückzuziehen.

Selbstverständlich bezieht sich diese Wiederherstellung. ja Erweiterung von Freiheiten der Weimarer Verfassung  nur auf den Bereich der unter dem kommandierenden Bischof Müller zu Hohn und Spott gewordenen protestan­tischen Einheitskirche. Ein katholischer Dissident kann nach wie an einer katholischen   Schule beschäftigt vor nicht werden.

Ebenso selbstverständlich ist es, daß die gewährte Freiheit nicht den sozialistischen   Freidenkern und Verehrern echter Wissenschaft zugedacht war. Wieweit aber diese Freiheit ausgenutzt werden kann und wird, muß genau beobachtet werden. Daß sie von unsern Freunden ausgenutzt werden sollte, dürfte keine Frage sein.

Die Pfeffermühle  " mahlt...

Aus Zürich   wird uns geschrieben:

R. Deutsche sind es, die deutsche Kultur in der Welt in Verruf bringen, entweihen, verachten, was die Welt mit Dank und Verehrung aus Deutschland   empfangen hat. Ver­jagte, ausgebürgerte, illegale Deutsche   sind es, die die Hoff­nung wachhalten, es könne einmal wieder das europäische Deutschland   zu Geltung and Ehre kommen. Ihnen ist viel anvertraut. Dessen sollten sie bewußt sein und in diesem Bewußtsein wachsam und kritisch. Haß und Liebe machen zwar blind aber auch sehend. Fremde macht fremd aber auch eigen. Man muß sich hindurchfinden. ,, Vernunft und Freiheit bleiben unsere Losung."( Hegel.)

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Mit Vorgedanken dieser Art gehen wir, das dritte Pro­gramm der emigrierten Pfeffermühle zu sehen und zu hören. Leitung und Ansage liegen nach wie vor bei Erika Mann  . Die Texte sind durchgehend von Klaus und Erika Mann  . In den Dichtungen Erikas geht dies und das daneben, ist nicht alles voll ergriffen wie auch in der Wiedergabe gewisse Stellen leer verhallen. Doch sind eben auch höchst einprägsame, zeit- und wortgerechte Dinge dabei, die auf­wiegen und überwiegen.

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Zum Andenken an den toten, den ermordeten Dichter Erich Mühsam   hören wir sein Spottgedicht auf die unent­schiedenen Revolutionäre ,,, Der Revoluzzer". Und es fällt einem ein dabei, wie einzigartig dieser Unvergeßliche gewagt und sich eingesetzt hat.

Alles in allem sei festgehalten, daß dies Programm, das zur Zeit in Basel  , demnächst in Bern   gespielt werden wird, gegenüber dem zweiten eine Steigerung bedeutet. Es ist ge­schlossener, insgesamt aktueller, auch hinsichtlich der Spieler­auswahl stärker.

Mit besonderem Vergnügen sehen wir Lotte Goslar und Therese Giehse   wieder. Das getanzte ,, Märchen vom Gassenkind im Himmel" zum Beispiel ist eine außer­ordentliche Leistung der Goslar  , ein Chaplinade voll an­regender Komik mit leichtem Trauerrand. Auch ihr ,, Alräun­chen", ihre Witwe", ihr., Tapferes Schneiderlein" sind erst­rangig, das Wagnis zur Groteske, das hier eine gutgewachsene Frau unternimmt, bejahend. Therese Giehse   hat Schwere und Kraft für die ernstesten Dinge. Ihr Höhepunkt im ,, Märchen von des Fischers Frau". ,, Er tat wie ihm geheißen"

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Hoch die Volkskunde!

Die Nationalsozialisten haben weder das Pulver noch die Volkskunde erfunden, so gern sie sich dessen zu rühmen pflegen. Es gab schon lange vor Hitlers   Zeiten wissenschaft­liche Vereine, die sich mit Volkskunde befaßten. Den Mit­gliedern dieser ernst gemeinten Vereine sträuben sich die Haare auf dem Kopf, wenn sie den faustdicken Blödsinn be­trachten, der heute unter der Marke ,, Volks- und Rassen­kunde" an die Menge zwangsverfüttert wird. Und weil ihnen ihre Sache am Herzen liegt, bringen sies nicht über sich, zu schweigen.

In Heidelberg   wurde kürzlich ein Volkskundetag be­gangen, dessen Verlauf die neudeutschen Rassisten bitter ent­täuschte. Wo sie Honig zu saugen hofften, wurden ihnen essigsaure Wahrheiten kredenzt.

Gleich in der Begrüßungsansprache ging Professor Dr. John Meier, Vorsitzender des Reichsverbandes der deutschen Volkskundevereine, kräftig ins Zeug. Er erklärte klar und frei, es sei rassenkundlich unmöglich, von einer geistigen Autarkie des vorchristlichen Germaniens   zu sprechen, vor allem aber sei die Verbindung der Begriffe deutsch  " und ,, nordisch" schon seit Jahren von der Wissenschaft als un­richtig anerkannt. Allerdings wisse er, so fügte der Professor mit bitterer Resigniertheit hinzu, daß die Wissenschaft heute nicht hoch im Kurs steht".

Die anderen Redner, durchwegs anerkannte Wissenschaft. ler, hielten gleichfalls nicht hinterm Berge. Professor Koch, Gießen  , wagte es sogar, die bäuerliche Volksfrömmigkeit",

und der Butt macht die Frau zu König und Kaiserin. Er spricht: Frau, laß wählen!" Da das schlecht ausgeht, ändert sie die Zahlen; sie wird Papst, doch als sie sich zum Aller­höchsten erhoben sehen will, antworten Schweigen, Feuer und Zerschmetterung. Wir kennen das bilderreiche Märchen, das hier zum Gleichnis wird. Therese Giehse   spricht ein Ge­dicht: ,, Weil ich will" es wird ihr daraus ein bitterer eindringlicher Alarmruf.

Unter den sieben Akteuren, neben denen nicht vergessen seien Magnus Henning   und Werner Kruse  , Kom­ponisten und, Flügelmänner", erscheint ein neuer Mann, Hans Sklenka. Der ist der Hans Unglück im Märchen vom Hans im Glück". Alles wird ganz leise; denn dieser gute Junge verliert nicht nur die leidige Arbeit, die leidige Heimat( weil er in der Liste steht), nicht nur Weste und Schuhe, auch Paß und Bürgerrecht und steht nahe neben uns. Er macht kein Pathos darum, es ist alles ganz einfach zu übersehen und macht den größten Eindruck.

Sybille Schloß   steckt nicht grade in einem glück­lichen Kostüm, und ihre Seejungfrau- Nutte mag einem nicht ganz glaubhaft scheinen. Das liegt allerdings nicht bei ihr. Doch als Katerlieschen"-Witwe fanden alle sie liebenswert. ,, Kam der große Krieg daher.. Bald war der Frieder Leutenant Er kommt nie mehr zurück..

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Wie konnt ich das vorher wissen?..." O, ja! Igor Pahlen ,,, Mann der Stunde"- ,, Riech ich nicht nach Erde und nach Blut?" da fehlt im letzten Grausen des Henkers etwas Glaubwürdigkeit. Die Zeilen Mühsams formt er ganz aktuell und lebendig, wirklich dankenswert. ,, Grenzenlos begrenzt sind wir..." Mit dem Reiselied" führt sich Heinrich Ortmaier packend ein, der sich auch weiterhin als vielseitig und geschickt erweist.

Das Ganze wird von Erika Mann   amüsant und witzig um­rahmt und betreut. Der Erfolg ist wieder außerordentlich, womöglich noch gesteigert, was uns ehrlich freut. Möge der in vorsichtigen Dosen verstreute Pfeffer beizen und anregen. Ein Trost ist die mahlende Pfeffermühle" für uns Ver­sprengte, wichtig ist sie für das ganze deutsche   Sprachgebiet, Anlaß zu immerwährender brennender Erinnerung.

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Bestände werden aufgenommen

Von Hülsenfrüchten, Kaffee, Tee. Man muß doch durch den Winter kommen! Hunger und Autarkie tun weh...

Zwar heißt's, es sei für die Statistik. ( Muß die Statistik hungrig sein!) Doch auf geölte Rabulistik Fällt mancher immer noch hinein.

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Nur dumm, es scheint nicht recht zu langen. Für braune Bouzen langt es wohl, Jedoch das Volk ist nicht zu fangen Mit Redeschmalz und Phrasenkohl!

Drum prüft man ängstlich die Bestände Ein Raunen geht derweil durch's Land: Wann geht es wohl mit euch zu Ende, Wie lang hat Hitler   noch Bestand?

Entactetes Publikum

Mucki.

In anderen Ländern beginnt die Theater saison wieder, in Hitlerdeutschland haben verschiedene Theater, die im Frühjahr noch bestanden, vorläufig nicht wieder eröffnet. Was wird von den anderen übrig bleiben? Die Nazipresse hat den Auftrag, stärkeren Theaterbesuch zu erpressen, denn wenn selbst die wenigen noch verbliebenen Theater leer sind, ist das ein zu drastisches Zeichen dafür, wie sehr das deutsche   Drama und das deutsche   Volk auf den Hund ge­kommen sind. Und so wird denn die Parole ausgegeben: ,, Wer dem deutschen   Theater lebt, der lebt Deutschland  ". So drückts ein gewisser Buchhorn, brauner Gauamtsleiter für Presse und Kunst, in der ,, Gubener Zeitung" aus. Nebenbei wirft er den Marxisten vor, daß sie das Publikum verdorben hätten, indem sie politische Predigt zum Klassen. und Rassenhaß auf die Bühne trugen" Das wird selbst dem Goebbels zu plump gelogen sein. Wo ist ein einziges Stück der Systemlinken", das den Rassenhaß predigt?! Nachdem man in Gangsterien jeden Menschen von Geschmack mit der Rassenhege der großen und kleinen Johste aus dem Theater geekelt hat in einem Falle mußte Johst das Gröbste streichen, weil ausländische Pressevertreter protestierten-, ist es wieder der Marxismus gewesen. So sehen jetzt deutsche   Zeitungen aus.

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Warum, wenn es nun mal im Hitlerdeutschland keine zug­kräftigen braunen Autoren gibt, macht man fürs Theater nicht das nach, was jüngst der Malerei geschah? Es gab in Dresden   eine Ausstellung Entartete Künste". Sie sollte zeigen, was undeutsch ist. Nicht nur die wildesten Expressionisten von ehedem, sondern auch Künstler, wie Feininger   und Nolde hingen dort am Pranger. Keine Kunst­ausstellung des letzten Jahres war so besucht wie diese! Die Leute atmeten hörbar auf. Endlich sah man wieder einmal echte, freie, unabhängige Malerei, endlich mal eine wirklich künstlerische Abwechslung im monotonen Einerlei des braunen Kitsches. Warum arrangiert man in den deutschen Städten nicht ein Woche ,, Entartetes Drama" und spielt Strindberg, Wedekind, Shaw, Sternheim  , Kaiser, Röß­ler usw. Rennen würden die Leute: Endlich mal wieder richtiges, freies, lebendiges Theater! Rennen würde das Publikum, weil es so entartet ist, daß sich selbst die Nazis in den Stücken der Demokratie wohler fühlen, als in denen der Buchhörner. Denn obiger Gauamtsleiter Buchhorn hat auch eins geschrieben, eines aus der Schillzeit, was demnächst auf. - daher sein obiger Artikel fürs knall­geführt werden soll deutsche Drama. Einer von den vielen braunen Dilettanten, die ihren amtlichen Posten mißbrauchen, um den eigenen Mist wehrlosen Direktoren aufzuzwingen!

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Neuerscheinungen

In diesem Herbst erscheinen in der deutschen Abteilung des Verlages Allert de Lange   folgende Werke:

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Georg Bernhard  : ,, Dilettanten am Kapitalismus" Bertold Brecht  : Dreigroschenroman  ". Max Brod  : Heinrich Heine  "( Biografie). Otto Brod: Die Berauschten".

Egon Erwin Kisch  : ,, Geschichten aus sieben Ghettos". Alfred Neumann: ,, Neuer Cäsar"( historisch. Roman). Josef Roth  : ,, Der Antichrist".

René Schickele  : Liebe und Aergernis des D. H. Lawrence".

in der die Blubo  - Leute einen ,, köstlichen Schats germanisch­nordischen Seelentums" zu erkennen meinen, als finsteren Karl Tschuppik  : Maria Theresia  "( Biografie). Aberglauben abzutun.

Der Völkische Beobachter" heult natürlich auf wie ein Das Verleger- Paradies

getretener Höllenhund:

,, Uns scheint, daß sich die Volkskundewissenschaft in einer falschen Sicherheit wiegt, wenn sie glaubt, sie habe es nicht nötig, sich gleichzuschalten, weil sie schon Volks­tumsarbeit zum Gegenstand hatte, lange bevor sie durch den Nationalsozialismus   ihre entscheidende Wertschägung erfuhr. Die innere Verbundenheit der deutschen Volks­kundewissenschaft mit dem Nationalsozialismus ist be­dauerlich locker."

Daß ausgerechnet die deutschen Volkskundler gegen das rassedurchschwängerte Blut- und Bodenreich eine deutliche Oppositionsstellung bezogen haben, entbehrt in der Tat nicht des Humors. Sie verstehen eben zu viel von der Sache man wird sie kaltstellen oder kaltmachen, wenn sie ihre Kenntnisse nicht an den Nagel hängen.

" Ruck- Zuck"

Aus dem Neuigkeitsverzeichnis des deutschen Musikalien­handels:

,, Deutscher Frontgeist", Marsch für Blasmusik; Jungvolk tritt an", Von allerlei Tieren", ein lustiz Musi­zieren... Ruck Zuck.

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Ein wirklich lustiges Stechschritt- Musizieren!

Der Terror des Nazismus hat zu einem grotesken Vor­fall geführt. Der Verlag Knaur, Berlin  , hat die von ihm herausgegebene Kunstgeschichte von Haman   in Höhe von 30 000 Exemplaren einstampfen lassen, nur weil sie eine ungünstige Kritik im Völkischen Beobachter" erfahren

hatte!

Ehrung für Miguel Unamuno  

Der spanische Dichter und Philisoph Miguel Unamuno, der in diesen Tagen seinen 70. Geburtstag feierte, hat seinen Rücktritt als Lehrer für klassische Philologie an der Uni­ versität Salamanca   und als langjähriger Rektor dieser altberühmten Hochschule erklärt und wird sich in den Ruhe­stand setzen. Aus diesem Anlaß veranstaltet die Universität Salamanca   eine feierliche Ehrung Unamunos, an der sich auch die Regierung beteiligt. Der Präsident der Republik, sämt­liche Minister und Abordnungen der Hochschulen, Profes­soren und Studenten wohnen dem Festakt bei. Die Regie­rung ernannte Unamuno   zum Ehrendoktor von Salamanca  and beschloß in einem besonderen Anlaß die Schaffung eines vigenen Lehrstuhles, der seinen Namen trägt und ihm zeit­lebens zur freien Lehrtätigkeit sur Verfügung stehen wird.