Belgrad  - Budapest  

Der schwelende Brand

Vor der Kündigung" des Versailler Vertrags?

Belgrad  , 5. Nov. Der Inhalt der an Ungarn   gerichteten London   nimmt die., Gerüchte" ernst

brei jugoslawischen Noten wegen der Hintergründe des Mar­sailler Attentats ist noch immer nicht veröffentlicht, jedoch be= schuldigen die Zeitungen mehr und mehr die ungarische Re gierung und schieben ihr die Verantwortung für die Ermor bung Alexanders zu In zweifellos inspierierten Aufsätzen werden Maßnahmen gegenüber Ungarn   verlangt. Einige ungarische Staatsbürger sind aus Südslawien ausgewiesen worden.

Die öffiziöse Vreme  " beschuldigt die ungarische Irredenta, baß sie mit ungarischen Generalstabs- und Truppenoffizieren, die mit Namen genannt werden zusammen gearbeitet habe. Dasselbe Blatt tündigt an, daß sich der Völkerbund mit dem politischen Hintergrund des Marjailler Doppelmords beschäf= tigen werde. Vorher aber würden noch eingehende Bera­tungen mit der Kleinen Entente   und Frankreich   wegen des Komplexes stattfinden.

In anderen Zeitungsaufsägen werden auch Beschuldigun­gen gegen die österreichischen Monarchisten erhoben.

A. Ph. Paris  , 5. November 1934. ( Von unserem Korrespondenten) Der Figaro" verzeichnet das Gerücht, daß Deutschland  die Absicht habe unmittelbar nach der Saarabstimmung den 5. Teil des Versailler Vertrages zu kündigen", der die mili­tärischen Bestimmungen enthält. Das Reich würde dann fest­stellen, daß es die von ihm dauernd geforderte Rüstungs­gleichheit besäße und würde infolgedessen seinen Platz im Völkerbund und in der Aufrüstungskonferenz wieder ein­nehmen. Hitler   wäre unter diesen Umständen geneigt, an einer Vereinbarung mitzuwirken, die eine Begrenzung der Land-, Luft- und Seestreitkräfte zum Ziele habe.

Diese Meldungen, jo meint das angesehene französische  Blatt, die aus sicherer Quelle stammen sollen, würden wohl ein lebhaftes Echo hervorrufen. Aber der Figaro", dem man enge Beziehungen zur französischen   Regierung nachsagt, setzt auch hinzu, es wäre eigenartig, wenn man mit Deutsch­ lands   neuerlicher Zulassung in Genf   einverstanden wäre, nachdem dieses fich offen aus eigener Machivollkommenheit vom Versailler Vertrag losgesagt habe.

Ein Serum gegen Krebs, das irgendein Europäer erfindet, ist wichtiger für die Menschheit als die Frage nach der Borherrschaft in Europa  . Vergleiche ich aber die Ver­götterung des Staates in den einzelnen Ländern, so scheint mir die russische in die Zukunft zu weisen, weil die Ent­machtung des Geldes und die Eröffnung aller Wege für die einst Enterbten bedeutende moralische Folgen haben wird, während es für die Zukunft der Menschheit gleich­gültig bleibt, ob eine Provinz oder ein Petroleumfeld aus Lamoureux's Reise nach Moskau  einer der Rassen- Mischungen, die sich Staaten nennen, in die Hand einer anderen übergeht.

Petit Parifien" bringt die gleiche Meldung aus Genf  , set aber hinzu, daß man derartigen Gerüchten gegen= über sich größte Zurückhaltung auferlegen müsse.

Ich habe zwanzig Jahre und länger Bilden und Forschen dem einzelnen gewidmet, vor allem das Genie dramatisch und biografisch dargestellt. Wem sich die Weltgeschichte so entschieden aus Persönlichkeiten aufbaut, dem muß eine Regierung von vierhundert Mittelmäßigkeiten fremder sein als die Regierung eines bedeutenden Diktators. Der Helden Verehrung, die heute wieder die Jugend Europas  ergreift, würde ich folgen, wenn ich mehr Helden sähe. Von Masaryk   wünschte ich mich längst lieber diktato­risch regieren zu lassen als demokratisch vom Palais Bourbon  .

Heut ist es zum Wünschen zu spät. Nachdem der Ge­danke des Vereinigten Europa   von roheren Gewalten ver­dunkelt worden ist, bereitet sich der altmodische Völker­kampf aufs neue vor. Während man sich auf Ronferenzen durch Definition von Angriffs- und Abwehrwaffen lächer­lich macht, schmieden sich alle Völker die gleichen Waffen; welche davon defensiv sind, welche offensiv, hängt nicht vom Kaliber ab, sondern vom Schul- und Hochschul- Jdeal, das der Staat lehrt. Der drohende Krieg wird nicht nur verheerend sein, sondern sogar leer.

Alle Pakte, mit denen Europa   zur Zeit das Verhängnis hinauszuschieben sucht, bleiben leere Formeln, wie die feierlichen Gelöbnisse in Genf   und im Uhrensaale des Quai d'Orsay, so lange sie nicht entschlossen von den sich verbündenden und sich verpflichtenden Staaten eine Kontrolle ihrer Schulbücher und ihrer Hochschulen fordern. Eine wahre Garantie des Friedens liegt weder in der Verminderung der Waffen noch in feierlichen Ver­sprechungen, die schon dadurch verdächtig sind, daß sie immerfort wiederholt werden, sondern im Verbot der kriegerischen Erziehung. Warum läßt es sich Europa   ge­fallen, daß in seiner Mitte Völker ihre Kinder den Krieg verherrlichen lehren und zum ersten Male seit 300 Jahren

mit den Grundsäßen des Rechts und des Völkerrechts

nicht bloß faktisch, sondern dogmatisch zu brechen wagen? Das Mittel, das wir, eine geistige Minorität in Deutsch  land seit dem Frieden, also seit 15 Jahren vorschlugen: Abrüstung, war falsch. Heute würde ich nicht mehr wagen, mie ich es getan habe, zur Verweigerung der Dienstpflicht und zur Ablehnung der Heereskredite zu raten. Wer Nachbarn hat, die eine Philosophie der Rüstung und eine Kriegswissenschaft öffentlich lehren und predigen, muß sich bis an die Zähne rüsten. Eine neue Form des Pazifis mus ist heute geboten: in allen Ländern und Kreisen, in allen Vereinigungen, Versammlungen und Zeitungen den Begriff des Angreifers den Gehirnen einzuhämmern und die Herzen der Jugend mit Leidenschaft gegen den zu ent­flammen, den man als Angreifer definiert hat. Da der nächste Krieg wahrscheinlich über Nacht durch Flieger­angriffe beginnen wird, so kann man noch leichter als bisher mit Händen greifen, wer der Angreifer ist. Gegen ihn muß sich die Welt verbünden, ihn muß sie vernichten. Bielleicht schreckt die Furcht vor einer Weltmeinung, die den Angreifer unterscheiden lernt, gerade die gefährlich­ften Nationalisten ab.

Aber das Schicksal bereitet dem Nationalismus ein grausames Ende vor. Nach dem kommenden Wettkampf um die Vorherrschaft von Rassen und Völkern wird niemand mehr nach der Fahne fragen, die auf dem Turm

Wesentlich bestimmter dagegen ist der Londoner Korrespon dent des Matin". Er bemerkt allerdings, Hitler   werde, nach­dem er gewissermaßen das Ende des Versailler Vertrages verkündigt habe, nur den Wunsch" ausdrücken, wieder zum Völkerbund wie zur Abrüstungskonferenz zugelassen zu werden Er werde erklären, nun da die Situation sich ge­ändert habe, sei Deutschland   in der Lage an dem Abschinß eines Abrüstungsabkommens mitzuarbeiten.

Der Berichterstatter des Matin" sagt, zunächst seien diese aus Genfer   Völkerbundskreisen stammenden Gerüchte in London   sehr skeptisch aufgenommen worden, dann aber habe eine große enalische Nachrichten- Agentur, auf die die Verbreitung dieser Genfer   Meldung zurückzuführen gewesen sei, folgende Notiz veröffentlicht:

Diese Mitteilungen, die in den berufensten Kreisen ge­macht werden, könnten ein amtliches Dementi von seiten Ber­ lins   zur Folge haben. Es ist jedoch festzustellen, daß sie auf einer Kenntnis der Lage beruhen, die aus einer ver trauenswürdigen Quelle stammt, aus der über die Gedankengänge der deutschen   Politik Informationen ge­schöpft werden können, die außerhalb jeder Diskussion stehen."

Vor einem französisch- russischen Handelsvertrag

A. Ph. Paris, 5. November 1934. ( Von unserem Korrespondenten) Junen- und Außenpolitik nehmen im Augenblick das In­teresse der französischen   Oeffentlichkeit dermaßen in Anspruch, daß dabei die Bedeutung der Reise, die Handelsminister Lamoureux. die dieser am Dienstag nach Moskau   antritt, etwas in den Hintergrund rückt. Und das ganz mit Unrecht. Denn diese Reise steht einmal im engen Zusammenhang mit Frankreichs   Außenpolitik, die heute sehr sowjetfreundlich ist, dann aber soll sie nicht zuletzt auch zum endgültigen Abschluß eines Handelsabkommens zwischen Frankreich   und der Sow­ jetunion   führen.

Wie ausgezeichnet die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind, das ist erst kürzlich von ihren berufenen Ver­tretern anläßlich des zehnten Jahrestages der Anerkennung der UdSSR. durch die damalige Regierung Herriot   in sehr herzlichen Worten ausgesprochen worden. Der Handelsver= fehr zwischen beiden Ländern beruht auf einem Abkommen, das am 11. Januar 1934 im Quai d'Orsay von Paul Bon­ cour  , Laurent- Eynach und Patenotre auf französischer Seite und von dem Führer der Handelsdelegation der USSR.  , Ditrovifi, als Vertreter der Somiets unterzeichnet wurde. Dieses Abkommen wurde vorläufig nur auf ein Jahr abge­schloffen. Es war dem italienisch- sowjetrussischen Handels­vertrag angeglichen. Dabei waren alle die schwierigen Fra­gen in der Schwebe gelassen worden, die in dem deutschen  Handelsvertrag mit Sowjetrußland vom 12. Oktober 1925 und in dem ergänzenden Protokoll vom 21. Dezember 1928 berücksichtigt und abgemacht worden waren.

Für Frankreich   handelt es sich jetzt darum, aus den Er­fahrungen, die Deutschland   damit gemacht hat, Nußen zu ziehen und weiter Deutschland   zum Teil auf dem russischen  Markt zu verdrängen, nachdem die wirtschaftlichen Bezie= hungen zwischen Berlin   und Moskau   als Folge der poli­

Besorgnisse in Belgien  Eine parlamentarische Interpellation

Brüssel  , 5. November 1934. Der katholische Senator de Dorlodot, ein ehemaliger Kriegsteilnehmer fündet an, daß er beim Wiederzusammen­tritt des Senats die Regierung wegen der Aufrüstungen interpellieren werde.

In einem Schreiben an den Senatspräsidenten verweist de Dorlodot auf die jüngsten Erklärungen, die Kriegsminister Marschall Petain vor der Finanzfommission der französischen  Rammer gemacht habe, und auf zahlreiche Artikel in der eng­lichen Presse, aus denen deutlich hervorgehe, daß das Reich dem Versailler Vertrag zuwiderhandle und, wie dies auch Winston Churchill   erklärt habe, widerrechtlich und in schnel= lem Tempo aufrüste. Das erste Opfer eines neuen deutschen  Angriffs, so heißt es in dem Schreiben, würde Belgien   sein. Dieses müsse deshalb die Großmächte, die für die Innehal­tung der Verträge durch Deutschland   in Garantie übernom­men hätten, auf die Gefahr aufmerksam machen. Der belgische Außenminister und die belgische Regierung sollten Auskunft geben, wie weit England, Frankreich   und Italien   sich ver­pflichtet fühlten, das Notwendige zu tun, um die deutschen  Rüstungen zum Stillstand zu bringen.

einer eroberten Stadt weht. Jenseits von allen Völker Italien   und Hitler- Deutschland

fragen werden die getäuschten Opfer ihren Führern und Verführern die Reste des Goldes entreißen, um deffent­ipillen man ihnen nationale Fragen vorgespiegelt hatte. Aus dieser Sintflut wird als letzter Fels der Weltstaat ragen, auf dem unsere verarmten Erben in gemeinsamer Not sich festklammern werden.

Fo'gen des Marseiler At'en'ats

Paris, 5. Nov. Die französische   Regierung hat folgende Sanktionen im Anschluß an die Untersuchung über das Marseiller   Attentat getroffen:

Der ehemalige Direktor der Sicherheitspolizei, Berthoin, welcher zum Präfekten   außer Dienst ernannt worden ist, ist zur Disposition gestellt worden; der Generaldirektor in der Sicherheitspolizei, Sisteron  , der die Reise des Königs Alerander auf französischem Gebiet zu organisieren hatte, ist vorläufig feiner Funktionen enthoben worden und wird vor das Disziplinargericht zweds endgültiger Ab­berufung gestellt werden. Andere Maßnahmen, wie Absetzung von Beamten, die den Ordnungsdienst in Marseille   geleitet hatten, werden nächstens getroffen werden. In sonderbarem Gegensatz zu diesen Maßnalmen steht ein Beschluß der Mar­feiffer Stadtrates, der dem im Anschluß an das Attentat ab­berufenen Präfetten Jouhannaud die Goldene Medaille der Stadt Marseille   verlieh und der gegen die Verleumdungs­kampagne, die erneut gegen die Stadt Marseille   als einen Drt der Räuberbanden usw. geführt werde, protestiert hat.

Rom  , 3. November.

Die italienische Presse hat sich seit der Marseiller   Tra­gödie einer vollkommen neutralen Haltung befleißigt. Das geht daraus hervor, wie eifrig sie bemüht ist, alle Ereignisse zu verzeichnen, aber nicht zu ihnen in Kommentaren Stel­lung zu nehmen. Diese Objektivität bewahrt sie gewissen­haft gegenüber den verschiedenen europäischen   Problemen, was auf ihre Besorgnis hindeutet, die Atmosphäre nicht in einem für die internationalen Beziehungen so schwierigen Augenblick zu trüben

Darum überging fie auch mit Stillschweigen die Ent­schließungen, die auf der Belgrader   Konferenz von den Ver­tretern der Kleinen und der Balkan- Entente gefaßt wurden. Ebenso hält sie sich von den französisch- deutschen Ausein= andersetzungen wegen der Saar   fern. Sie bringt nur die wichtigsten Auszüge aus den französischen, englischen und deutschen   Zeitungen.

Nicht ohne Interesse ist es, daß die italienischen Zeitungen in Sonderberichten deutlich machen, wie unvereinbar Deutsch­ lands   augenblickliche Berufungen auf den Vertrag von Ver­failles damit jeten, daß es sich fortgefeßt gegen feine Verpflichtungen aus diesem Vertrag anigelehnt habe. Man findet ebenso, daß Deutschland  jetzt das Eingreifen des Völkerbundes fordere, während es nicht gezögert habe, sich von ihm loszulagen in einem Augen= blick, wo diese Handlung geradezu der erste Stoß gegen den Viererpackt war, der gerade vorher in Rom   abgeschlossen worden war.

tischen Spannung, die zwischen dem dritten Reich" und Sowjetrußland besteht, einen starken Stoß erhalten.

Frankreich   will vor allem seine vorläufig nicht erhebliche Ausfuhr nach Sowjetrußland erhöhen, mit anderen Worten soll die Differenz die noch zwischen Aus- und Einfuhr vor handen ist, beseitigt werden. So könnte z. B. der verstärkte Absatz von französischen   Textilerzeugnissen ganz besonders den Ausgleich des französischen   Handels mit der Sowjet­ union   herbeiführen helfen, da die Sowjetregierung ihre den polnischen Fabriken in Lodz   erteilten Aufträge nicht erneuert hat. Selbstverständlich wird Handelsminister Lamoureur auch untersuchen, welche Möglichkeiten dafür bestehen, daß den französischen   Industriellen und Kaufleuten, die mit den UdSSR   zusammenarbeiten, ihre Bezahlung gesichert wird. Nur dank dieser Garantie des Staates konnte die deutsche  Ausfuhr nach Sowjetrußland bis zum Jahre 1933 ein be= trächtliches Ausmaß gewinnen

Nun ist allerdings die Sowjetunion   seit zwei Jahren ernst­lich bestrebt, ihre Einkäufe im Ausland zu verringern, nach­dem die Verwirklichung des ersten Fünfjahresplanes fie in erheblichem Maße in der Richtung zur wirtschaftlichen Un= abhängigkeit weitergebracht hat. Aber wie jüngst von fach­männischer Seite in einer Untersuchung über ausländische Handelsmonopole festgestellt wurde, besteht für Sowjetruß­land noch die Möglichkeit, seine Ankäufe in den Ländern erheblich zu erhöhen die geneigt sind, den Warenaustausch zu begünstigen und Rußland   auf lange Sicht Kredite zu ge­währen

Es unterliegt keinem Zweifel, daß den Verhandlungen des französischen   Handelsministers in Moskau   voller Erfolg be­schieden sein wird, sind doch die Versprechungen, die hier in Paris   stattfanden, schon recht weit gedichen. Der neue fran­zöfifch- lowjetrusfische Handelsvertrag wird die erforderliche Grundlage für das politische Bündnis zwischen den beiden Völkern abgeben das nicht mehr lange auf sich warten lassen wird.

London   sozialistisch! Der große Labour- Sieg

12:

London  , 3. November 1934. Der weitere Einlauf von Wahlergebnissen der Gemeinde­wahlen in England und Wales bestätigt die Größe des sozia­ listischen   Sieges, der besonders in den Großstädten zutage ge= treten ist. An der Spizze steht London  , von dessen 28 Bezirken 15 in sozialistischen Händen sind, so daß die Arbeiterpartei hiermit die Mehrheit im Londoner   Gemeinde­rat besißt. In den Großstädten der Provinz hat die La­ bour Party   sieben Sie in Birmingham  , neun in Manchester  , sechs in Preston und sechs in Sheffield   gewonnen. In 41 Gemeinderäten der Provinz besitzt sie die absolute Mehrheit. Nach dem angeblichen Stande der Stimmzählung hat die Labour Party   in London   und in der Provinz 764 Gewinne und 31 Verluste zu verzeichnen, während die Konservativen 42 gewannen und 572 verloren. Die Liberalen haben acht Sige gewonnen und 125 verloren. Sämtliche 62 fommunisti­schen Kandidaten sind durchgefallen. Die Faschisten haben sich an den Wahlen nicht beteiligt.

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Der Widerhall in Frankreich  

A. Ph. Paris  , den 5. November 1934. ( Von unserem Korrespondenten)

Der Widerhall, den der gewaltige Wahlerfolg der englischen Arbeiterpartei in der französischen   Presse findet, ist unge= heuer. Alle Zeitungen ohne Ausnahme, auch die der äußersten Rechten, geben unumwunden zu, daß der Sieg der Labour Party   auch die fühnsten Erwartungen übertrifft. Alle sind sich auch mehr oder weniger darüber klar, daß er in England selbst politische Folgen haben wird.

Gabriel Perreur spricht im Paris Soir" von den mög­lichen internationalen Folgen. Er sagt, die Entwicklung des Hitler- Regimes habe die englische Regierung, wenn auch noch etwas zögernd, doch zur Anpassung an die französische   Politik geführt. Sei man aber sicher, daß die französisch- englische Zusammenarbeit erreicht würde., wenn die Arbeiterpartei bei Parlamentswahlen siegen würde? Werde ihr jetziger Sieg nicht schon die Regierung außer Gefecht setzen, zumindest ver­anlassen, daß man wieder eine Politik der Isolierung treibe? Wladimir d'Ormesson   erklärt im Figaro", vor drei Jahren seien in England 470 Konservative gewählt worden, die Arbeiterkandidaten hatten insgesamt eine Million Stimmen verloren. Jetzt bereite sich die umgekehrte Situation vor. Grundsätzlich könne die jeßige Kammer noch zwei Jahre am Ruder bleiben. Aber in England sei es Tradition, daß die Rammer immer vor Ablauf ihrer Wahlzeit aufgelöst werde. Wahrscheinlich werde man also im Laufe des Jahres 1935 Neuwahlen in England erleben. Das jetzige Wahlergebnis werde den Entschluß dazu beschleunigen, denn es mache eine Aenderung in der Richtung der öffentlichen Meinung deut­lich, und die englische Politi sei so loyal, daß sie derartige Mahnungen immer berücksichtige.