Freihei

Nr. 2572. Jahrgang

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Samstag, 17. November 1934 Chefredakteur: M. Braun

Englands Vorsichts=

maßnahmen gegen den

Krieg

Seite 2

Die Saat Regierung

schlägt zu

Seite 3

,, Es ist Krieg"

Seite 7

Katholikenführer in Gefahr

Dringende Warnung einer ausländischen hohen kirchlichen Stelle an die reichsdeutschen Katholikenführer

Köln , 16. Nov.( Eigner Bericht.)

Eine hohe ausländische Stelle der katholischen Kirche hat an etwa 500 führende fatholische Männer Deutschlands , darunter viele Geistliche, eine Warnung ergehen lassen, sich in den Tagen nach der Saar - Abstimmung gegen nationalsozialistische Terrorakte vorzusehen. Diese Mitteilung ist durchaus authen­fisch, und es ist übrigens nicht die erste derartige Warnung, die von ausländischen Kirchenfürsten bedrohten Glaubens­brüdern in Deutschland zugestellt wird. Der frühere Reichs­fanzler Dr. Brüning verdankt allein einer solchen War­nung das Leben, weil sie ihn veranlaßte, mehrere Wochen vor dem 30. Juni das Reich zu veranlassen. Er und einige andere führende deutsche Katholiken befinden sich noch immer im Auslande, während einige weitere Katholikenführer in­zwischen zurückgekehrt sind, sich jedoch jeder Betätigung ent­halten.

Die erwähnte hohe ausländische Stelle der katholischen Kirche rechnet mit verstärften Ausbrüchen des national: sozialistischen Ratholifenhaises nach dem 13. Januar auf jeden Fall, ob nun der Status quo ficgt oder der unwahr: scheinliche Fall einer schwachen Mehrheit für das dritte Reich" eintritt.

Auf jeden Fall werde die Saarabstimmung eine Niederlage des Hitlersystems insofern bringen, als der Hundertanteil der Opponenten das Mehrfache dessen betragen werde, was bei den schwindelhaften Plebisziten im Reich zugestanden wor­den sei. Der Nationalsozialismus werde dafür neben den Marristen die Katholiken verantwortlich machen, und daran werde nach der Meinung dieser hohen firchlichen Stelle, der alle Informationsquellen zur Verfügung stehen, die Gleich­schaltung der fatholischen Organisationen im Saargebiet und die betonte Treue der offiziellen Statholifenführer an der Saar zu Hitler gar nichts ändern. Die nationalsozialistischen Parteifunktionäre verweisen auf die im Verhältnis zum übrigen Reiche ungewöhnlich hohe Anzahl von Neinstimmen in den katholischen Gebieten des Rheinlandes und ziehen daraus ihre Schlußfolgerungen.

Die unausbleibliche Verschärfung des Kulturfampfes ist lediglich aus Rücksichten auf die Saarabstimmung zurüd gestellt.

Inzwischen sammeln Gestapo und die Organisationen der NSDAP . cifrig Material über die staatsfeindliche" Be­tätigung vieler Ratholiten, auch fatholischer Priester. Ev

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wird von führenden Nationalsozialisten behauptet, daß zahl­reiche illegale Schriften, auch marristische, sowohl in Truck wie in primitiven Vervielfältigungen, manchmal nur in Schreibmaschinenschrift in fatholischen Kreisen, sogar in Pfarrhäusern zirkulieren. Ein nationalsozialistischer Ge­währsmann zeigte sogar eine Abschrift der im Verlag der Saar- Volksstimme" erschienenen Broschüre vou Klaus Bre= dow Hitler rast", die nach seiner Behauptung bei füh­renden Katholiken von Hand zu Hand gehen soll. Auch Einzelexemplare der Deutschen Freiheit" seien sehr gesucht und einzelne Aufsätze darin würden vervielfältigt, und zwar umsomehr, als diese Zeitung die Fragen des deutschen Katho­lizismus mit Verständnis und großer Toleranz behandele. Nach der Meinung des nationalsozialistischen Gewährsman­nes müssen sich unter den Mitarbeitern der Deutschen Frei­heit" fatholische Priester aus dem Reiche befinden. Ob das

Goebbels wird verhöhnt Die rebellierenden ,, alten Kämpfer"

Berlin , 16. Nov. Im großen Saale am Friedrichshain fand am 9. November eine in der Presse groß angekündigte Sundgebung sogenannter alter Rämpfer" statt. Es handelte sich dabei keineswegs um ältere Lente, sondern um solche Nationalsozialisten, die sich schon seit einer Reihe von Jahren im schlagfräftigen Gefolge Hitlers befinden und ihre Berdienste" haben. Die Kundgebung verlief höchst senja: tionell. Es kam zu bewegten Szenen mit allen Anzeichen offener Rebellion, die selbst Goebbels , der Festredner, nicht dämpfen konnte. Er erntete 3nrufe von solchem Sohn und solcher Feindseligkeit, daß man jeden Augenblid mit gewalttätigen Auseinandersetzungen rechnete. Die Nachricht bestätigt, daß überzeugte, geschulte Nationaliozias listen aus der Aera vor dem Umbruch sich in einem Zustande hoher Erregung und Unzufriedenheit befinden. Sie fühlen fich zum Teil durch die Märzhajen" in ihrem Aufstieg be= nachteiligt. Andererseits glauben sie, daß ihre bisher ver: götterten Anführer an ihrer Spitze Goebbels , der jatu: rierie Eroberer von Berlin " die sozialistischen Forbes rurgen preisgegeben und ihren Frieden mit den einst so wild bekämpften feinen Lenten" gemacht hätte.. Das Vora tommnis in der Berliner Kundgebung ist gewiß nur ein Stimmungssymptom, aber doch eines, das zu denken gibt.

richtig ist, möge dahin gefiellt bleiben, aber diese Auffassung Sieg der Linken

wird systematisch in den nationalsozialistischen Funktionär­freisen verbreitet.

An einen baldigen Abschluß der zur Ergänzung und Aus­legung des Kontordats schwebenden Verhandlungen glaubt die erwähnte hohe ausländische katholische Stelle, von der die Warnung an die deutschen Katholikenführer ausgeht, nicht.

Der Batifan werde den rein machtpolitischen Wunsch des ,, dritten Reiches", noch vor der Abstimmung im Saargebiet zu einer Einigung mit dem Heiligen Stuhl zu fommen, schwerlich erfüllen, zumal noch gar nicht abzusehen sei, wie in den am meisten umstrittenen Ausführungsbestimmungen zum Konkordat über die Jugendverbände zu einer Verständigung zu' ommen sei. Es jehe so aus, als jei die Löfung dieser Frage ganz auf ein totes Gleis geraten. Etwa ent= gegenstehenden Erklärungen deutscher Bischöfe ist fein ent­scheidender Wert beizumessen, denn erstens sind die Mei­nungen im Episkopat über die Stellungnahme zum dritten Reich" geteilt, und zweitens ist der politische Druck auf die Kirche viel zu starf, als daß selbst katholische Bischöfe mit vollem Freimut sich äußern dürften.

Wichtiger und entscheidend ist, daß der Heilige Vater per: fönlich starkes Mißtrauen gegen die menschlichen und poli tischen Qualitäten der führenden Männer des dritten Reiches" empfindet, und darum wird er zweifellos die er: wähnte Warnung an die bedrohten Rathelifenbrer im sitlerreiche billigen.

Erklärungen Lavals zur Außenpolitik

Die Saarirage als eines der wichtigsten Probleme

Paris , 16. Nov. Gestern nachmittag sprach Außenminister Laval in dem auswärtigen Ausschuß der Kammer über die französische Außenpolitik, wobei er insbesondere die Saar­frage und die französisch englischen Beziehungen eingehend behandelte. Ten Erklärungen Lavals ging ein Ministerrat voraus, in welchem Laval ebenfalls über die Saarfrage berichtet hat. Ueber den Inhalt der Beratungen im Ministerrat wird offiziell nichts bekanntgegeben, doch hören wir, daß Laval auf die bekannte Denkschrift des Prä­sidenten der Regierungsfommission, Knox, die er dem Dreier- Ausschuß überreicht hat, und deren Schluß wir heute in der Deutschen Freiheit" veröffentlichen. eingegangen ist. Laval soll zum Ausdruck gebracht haben, daß der Inhalt der Denkschrift starke Besorgnis in Bezug auf eine normale Abwicklung der Abstimmung errege. Ob der Ministerrat irgendwelche Beschlüsse über die weitere Haltung in der Saarfrage gefaßt hat, ist nicht bekannt.

Hingegen waren die Erklärungen Lavals im auswärtigen Ausschuß der Kammer nicht deutlich. Im allen Mißverständ= niffen aus dem Wege zu gehen, erklärte Laval, daß die Tenkschrift Barthous über die Saarfrage nach wie vor die Grundlage der Saarpolitif Frankreichs bleibe. Laval werde somit die Politit Barthons in der Saarfrage fortjeßen. Er stelle auch feit, daß Frankreich von sich aus ins Saargebiet nicht einmarschieren werde, daß aber andererseits Frant

tandsrats

reich auf Grund der bekannten Beschlüsse des aus dem Jahre 1926 die Pflicht habe, auf eine Anforderung des Präsidenten der Regierungsfommiffion diesem seine Truppen zur Verfügung zu stellen. Auf verschiedene Anfra gen einiger Abgeordneten erflärte Raval noch einmal mit aller Deutlichkeit, daß Frankreich im Saargebiet fein an­deres Ziel verfolge, als die Freiheit und die Auf­richtigkeit der Abstimmung zu sichern. Aus diesem letzten Sages wird die Erklärung unseres Gewährs­mannes, daß die Denfschrift von Knox bei der französischen Regierung Besorgnis über die Durchführung einer auf­richtigen Abstimmung errege, indirekt bestätigt.

Besondere Beachtung muß auch eine Anfrage finden, die ein Abgeordneter an Laval gestellt hat. Es handelt sich im die Frage der Gewissensfreiheit der katholi­schen Bevölkerung an der Saar . Es wurde im aus= wärtigen Ausschuß erklärt, daß die Bischöfe in Trier und in Speyer feineswegs eine neutrale Haltung in der Abstim mungsfrage eingenommen haben, daß insbesondere die Ab­hängigkeit des Bischofs von Speyer von dem Saarfommissar Bürdei bekannt sei und daß deshalb zur Durchführung einer aufrichtigen Abstimmung die faarländischen Katholiken nech rechtzeitig von der Bevormundung dieser beiden Bischöfe befreit sein müßten. Raval ist jedoch auf diese Bemerkung in seiner Rede nicht eingegangen

Nach Doumergues Sturz

Paris , 16. November. M. W. Die letzten Tage des Kabinetts Doumergue ge­hören zu den spannungsreichsten in derGeschichte der drit­ten Republik. Der gestürzte Ministerpräsident hat mit dem väterlich konservativen Kurs begonnen, beendet hat er mit reaktionärem Draufgängertum. Zum ersten Male seit der Präsidentschaft MacMahons ist der politische Kampf bis zum Verfassungskampf mit der Perspektive eines Verfassungskonfliktes verdichtet worden. Das Schwerge­wicht der aktiven Gefolgschaft Doumergues ist immer mehr nach rechts verschoben worden: von dem Zentrum über die gemäßigte Rechte zur äußersten Rechte. In den letzten Tagen ist Doumergue schließlich zum ausge sprochenen Führer der anti- demokratischen Rechte ge­worden und hier kam der Sturm, eben als die faschisti­schen Verbände Doumergue für ihren Mann erklärten. Am Tage nach seiner Demission schrieb der Führer der Kampfformationen, der monarchistischen Action fran­çaise". Pujo, daß in den letzten Tagen nur noch seine monarchistischen Camelots de roi" Doumergue die Treue hielten.

Diese Frontstellung der faschistischen Verbände für Doumergue ist übrigens nicht allein für die Evolution dieses einst republikanischen Politikers kennzeichnend, sondern auch für die Eigenart des französischen Faschis­mus selbst. Dieser Faschismus ist führerlos und pro­grammlos. Er ist nicht selbständig, sondern marschiert in der Gefolgschaft der reaktionären Rechten. Er unterstützt begeistert den bürgerlich- autoritären Kurs, den Doumer­gue einzuschlagen versuchte, ohne sich Rechenschaft abzu­legen, daß dadurch seine eigene politische Selbständigkeit aufgegeben wird. Doumergue ist in den letzten Wochen zum aktiven Reaktionäre geworden, aber bei weitem nicht zum Führer". Am 11. November, am Tage des Waffen­stillstandes, haben die faschistischen Verbände vor der Wohnung Doumergues begeistert manifestiert. Könnte man sich eine SA- Parade vor dem plötzlich rabiat ge wordenen Altreichskanzler Wilhelm Marg vorstellen, dem alten Herrn huldigend?

Es gehört zu den wichtigsten Zügen der Doumergue­Krise, daß bei ihrem Verlauf nicht allein die große bürger­liche Koalition, sondern auch die bürgerliche Rechte ge­spalten wurde. Der gemäßigte republikanische Opportu nismus, der in Frankreich teilweise bis nach der äußersten Rechten vordringt, hat es abgelehnt, die gefährlichen Experimente mitzumachen, und ist Sieger geblieben. Jm Hintergrunde spielt sich der Kampf zwischen dem Bank­kapital, das in Frankreich besonders reaktionär ist und die faschistischen Verbände finanziert, und dem Industrie­kapital, das keine Erschwerung der Wirtschaftsdepression durch die politische Krise wünscht und durch den Sturz auf der Börse eingeschüchtert war. Auf der politischen Bühne war es unter den bürgerlichen Fraktionen der Kampf zwischen den gemäßigten Republikanern und den Autoritären". Die Autoritären" können ihre Nieder­lage nicht verschmerzen, und der journalistische Kampf­hahn der Rechten, Henri de Rerillis, wirft dem Minister­präsidenten Flandin das grimmige Wort ins Gesicht: Ver­räter von Arras ! Jn Arras hat eben Flandin zwei Tage vor dem Fall Doumergues auf dem Kongreß seiner Partei, der Demokratischen Alliance", eine aufsehen.