Freihei

Nr. 259 2. Jahrgang

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Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Dienstag, den 20. Nov. 1934 Chefredakteur: M. Braun

Frauen in Folterkammern

Zur Vorbereitung eines großen Hochverratsprozesses

Sieben Frauen, die in dem Hochverratsprozeß" gegen 25 Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei  " mitverhaftet und mitgefoltert wurden, werden am 26. No­vember vor dem Volksgericht in Berlin   mit ihren Genossen stehen. Es handelt sich um

die Stenotypistin Charlotte Adel, 41 Jahre alt, die Kinderpflegerin Lilly Adel, 18 Jahre alt, die Stenotypistin Edith Baumann  , 25 Jahre alt, die berusslose Erifa Böger, 22 Jahre alt, das Lehrmädchen Räthe Kirchnit, 21 Jahre alt, die Stenotypistin Jlse Sch nieber, 19 Jahre alt, die Malerin Käthe Schuitau, 35 Jahre alt. Sämtliche Angeklagten sind ohne Vorstrafen. Troy Bec­suche, ihnen in der Folter Geständnisse" zu erpressen, fann man ihnen nichts anderes zur Last legen, als daß sie auch unter Hitler Sozialistinnen blieben und ihren Zusammen­halt nicht aufgaben! Die Angeklagten handelten aus Ueber­zeugung als Idealisten, die zu ihrer Weltanschauung stehen und die dabei alle persönlichen und materiellen Interessen zurückstellten.

In der Auflageschrift, die von dem berüchtigten rechts­Brecherischen Richter Jorns gezeichnet ist( Jorns begün­stigte die Mörder Karl Viebknechts und Roja Luxemburgs, stieg aber dessenungeachtet schon in der Republik   zum höchsten Richteramt auf), werden gegen die Angeklagten jämtliche 22 Hochverratsparagraphen des unter Hitler   verschärften Straf­gesetzes angezogen, um ihre Verbrechen" zu qualifizieren. Darunter befinden sich die Strafbestimmungen, die lange nachdem eist geschaffen wurden, als die Angeklagten schon in Saft waren. Sie befinden sich fast alle seit 15 Monaten in Hajt. Die während ihrer Einferferung erlassenen Gesetze sehen Todesstrafe für Erhalt von irgendwelchem hitler­feindlichem Material aus dem Ausland vor. Als einige von ihnen eine ausländische Zeitung sugeschickt erhielten, die sie auch weitergegeben haben mögen, war von solchen Strafen überhaupt nicht die Rede!

Sämtliche dieser Frauen und Mädchen sind schwer miß handelt worden! Aus dem authentischen Material, das von Mitgefangenen fiammt, wollen wir nur einiges hier vor: bringen:

große Wunde war, schwarz von Schlägen und geronnenem Blut! Es zeugt für den standhaften nicht zu brechenden Geist, daß dieses schmächtige Weien diese Torturen überhaupt über­stand und heute noch lebt. Es unterblieb nichts, um Käthe Schustan psychisch zu zwingen, ihre geflüchtete Schwester zu verraten, deren man besonders habhaft zu werden suchte. Die ausgeflügeltsten Gransamfeiten, die raffiniertesten psychi­schen Qualen sollten diese Frau zermürben. Es ist ihnen aber nicht gelungen!

Alles, was wir hier aus dem Munde von entlassenen Mitgefangenen erfahren, i den oberen Instanzen der Ge: stapo sehr wohl bekannt, es geschah mit Kenntnis und Bil ligung von ihnen!

Mittwoch, den 21. November, ist im Saargebiet gesetzlicher Feiertag( Buß- und Bettag). In­folgedessen fällt die Donnerstag­ausgabe der ,, Deutschen Frei­heit" aus.

82 Jahre Kerker! ,, Hochverrat"

Wuppertal  , 18, November. Nach vier Tagen ging hente ein Hochverratsprozeß zu Ende. 62 Kommunisten aus Remscheid  , darunter 12 Frauen, standen hier unter der Anflage, Hochverräterische Unter­nehmungen vorbereitet und sich zum Teil gegen das Schuß­waffengesetz vergangen zu haben. Heute vormittag wurde das Urteil verfündet. Drei der Angeklagten wurden frei­gesprochen. Bei vier Angeflagten wurde das Ver­fahren eingestellt. Die übrigen 35 Angeklagten wurden wegen Verbrechens der Vorbereitung eines hoch= verräterischen Unternehmens zu Freiheitsstrafert von insgesamt 82 Jahren verurteilt. Drei der Angeflagten erhielten insgesamt sechs Jahre Zuchthaus, 52 Gefängnisstrafen von insgesamt 76 Jahren. Die Unter= suchungshaft und die Schutzhaft wurde den Angeklagten zum großen Teil angerechnet. Ein großer Teil der Angeklagten hatte bereits über ein Jahr in Untersuchungs­haft oder Schutzhaft gesessen.

Man versuche also nicht, die Entschuldigung vorzubringen. Die Wirtschaftsverhandlungen

daß es sich um Entgleisungen untergeordneter Elemente handle! Nein, der von Plotho ließ sogar die mißhandelten Opfer noch von führenden" Elementen der SA. besichtigen, er lud den inzwischen erschossenen Gruppenführer Ernst und den noch in der Gunst des Führers" sich befindenden Prinzen A u wi ein, sich an den Qualen der Opfer zu wei­den! Auwi und Ernst fertigten eine fotografische Ausnahme von ihrer Schau an!

In wenigen Tagen, am 20 November, werden diese Frauen und Mädchen, zusammen mit 18 männlichen Angeklagten, darunter eine ganze Anzahl jehr bekannter Funktionäre der jozialistischen Arbeiterbewegun wie Mar Röhler. Klaus Zweiling  , Kurt Liebermann( im Frühjahr 1934 von Holland   nach Deutschland   unter Bruch des Aint­rechts ausgeliefert) und eine Anzahl iugendlicher Antifa schisten vor dem Bolksgericht in Berlin   erscheinen und sich unter Bedrohung der schwersten Strafen Todesstrafen, jahrelange Zuchthausstrafen vor einem der schlimmsten Senate, dem berüchtigten 2. Senat des Berliner   Volfsge= richts, zu verantworten haben.

Wir wissen, daß die einzige Instanz, die in Deutschland  heute noch respektiert wird, die Stimme der öffentlichen Mei­nung im Auslande ist Die Delegationen, die nach Deutsch­ land   reisen, sollen fich auch dieser Opfer annehmen. Das ges samte Ausland soll mit Leidenschaft gegen diese Barbarei protestieren! Die Proteste müssen zu dem Volksgericht drin gen, damit die bisherigen Verbrechen nicht durch diese neue Schandtat an wahren Märtyrern des Sozialismus noch übertroffen werden. Es gilt, das Schlimmste zu verhüten!

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Edith Baumann  , aus ihrer Tätigkeit in der sozia­ listischen   Jugendbewegung bekannt, wurde im August 1933 verhaftet. Sie wurde im Columbiahaus, einer der berüchtig ten Folterfammern der Gestapo  , gehalten, wurde in einer Belle ohne jegliche Hygiene untergebracht, war wochenlang Ein sdrweizerischer Verteidiger? stundenlangen Verhören unterworfen, bei diesen Verhören schreckte man vor Mißhandlungen nicht zurüd. An ihnen be­teiligte sich der onder dezernent zur Bekämp fung der Sozialistischen Arbeiterpartei, der Kommissar von Plotho persönlich! chläge mit allen möglichen Instrumenten. Reißen anden Haa ren, zu Boden werfen und erneut geschlagent werden, das war die Vernehmung Edith Ban­manns! Dabet liek man sie und ihre Mitgefangenen fa= gelang ohne Gjien! Auf diese Weise wollte man Adreifen und Belastungen anderer aus ihr herauspressen!

Ebenso erging es der 41jährigen Gharlotte Adel, die auch im August 1933, gemeinsam mit ihrer Tochter Lilly verhaftet wurde. Die Cualen von Charlotte Adel, einer schwächlichen, franten Frau, wurden so gesteigert, daß fie zu einem Selbstmordverfuch getrieben wurde. Von der 18jährigen Lilly Adel ist bekannt, daß sie eines Nachts aus dem Polizeipräsidium nach der Prinz Albrecht: itraße geholt und dort aufs schwerste mishandelt wurde! Zweifellos am meisten hatte die Malerin Käthe Schuf­tan zu erdulden. Diese begabte Künstlerin, die sich durch ihre Ausstellungen einen guten Namen gemacht hat, wurde im November 1933 festgenommen und von der A. gemeinsam mit den gleichzeitig verhafteten Männern in die SA- Kaserne Maikowsky- Haus" in Charlottenburg   eingeliefert. Was sie in den 10 Tagen, wo sie zusammengepfercht mit täglich und stündlich mißhandelten Leidensgefährten, im Keller dieses Folterhauses durchgemacht hat, ist unbeschreiblich. Dort wur­den besonders vertierte SA- Sadisten auf die gefangenen Opfer losgelassen Als Jüdin von kleiner schmächtiger Ge­stalt provozierte" sie diese verbrecherischen frankhaften Ele­mente der A. zu ganz besonderen Schandtaten. Faustschläge ins Gesicht, Anspeien, Schläge mit Gummifuüppeln und Ochsenziemern, ja, jogar Auspeitschungen gehörten dort zu den Vernehmungsmethoden. Die Proklamationen des Füh rers". nach denen der politische Gegner ausgerottet werden muk, sind der Freibrief und das Brevier dieser krankhaften Individuen, die man auf die antifaschistischen Gefangenen hetzt. Wir wissen, daß Stöthe Schuftan nach den Vernehmun gen" von den Kniekehlen bis zu den Hüften eine einzige

Nach einer Meldung aus der Schweiz   soll der Prozeß vor dem Volksgericht in Berlin   schon am 20. November beginnen. Die männlichen Hauptangeklagten find: Kurt Liebermann, der von der holländischen Polizei an die Gestapo   ausgeliefert worden war, ist hochverräterischer Handlungen im In- und Auslande" angeklagt. Auf dieses Delift sind schwere Stra= fen, Minimum 15 Jahre, eventuell lebenslänglich Zuchthaus, oder sogar Todesstrafe angejegt. Die Lage der Angeklagten wird als außerordentlich ernst betrachtet. ist zu hoffen, daß sich die schlimmsten Befürchtungen nicht verwirklichen. Tazu ist es notwendig, daß sich die breite Oeffentlichkeit mit der Angelegenheit befaßt.

Nationalratspräsident Dr. Johannes Huber( 1oz.), St. Gallen  , hat sich auf Wunsch bereit erklärt, die Verteidigung Kurt Liebermanns zu übernehmen. Er hat sich mit dem Volfegericht" in Verbindung gesetzt, um als Anwalt zuge­lassen zu werden.

Ein Gespön"

Renport, 18. Nov.( Jnpreß.) Bierzehn Professoren der Universität Michigan   haben die folgende Erklärung unter­zeichnet:

,, Wir, die unterzeichneten Akademiker aus dem Washenaw County, protestieren gegen die unmenschliche Behandlung von Richtfaschisten durch das faschistische Regime Hitlers  . Es ist ohne Verhöhnung der Volksrechte, wenn Zehntausende gehalten werden, Antifaschisten in Gefängnissen

Von

darunter weltberühmte Wissenschaftler und Schriftsteller,

wegen des einzigen Verbrechens, Gegner des Nazismus zu sein. Die Verhandlung gegen Ernst Thälmann  , der länger als eineinhalb Jahre im Gefängnis gefoltert wurde, verletzt jeden Grundsatz der Gerechtigkeit. Dieser Prozeß, bei dessen Vorbereitung Thälmann   ein Verteidiger ver­weigert wird und bei dessen Durchführung drei der fünf amtierenden Richter Nichtjuristen sein werden, die ihr Ami nur ausüben, weil sie die Nazigegner baisen, ist ein Ge spött. Wir protestieren gegen die Farce einer solchen Ver­handlung und verlangen die Freilassung Thälmanns und anderer antifaschistischer Kämpfer oder die Erlaubnis für sie, das Land verlassen zu dürfen."

in Paris  

Heute haben in Paris   die neuen deutsch  - französischen Wirtschaftsverhandlungen begonnen, deren Ausgang für die Gaerwirtschaft infolge der Zahlungseinstellung des bankrotten Dritten Reiches  " von ganz besonderer Bedeu­tung ist. Der neue französische   Handelsminister Marchande au hat vor einigen Tagen dem deutschen Botschafter Köster in einer Unterhaltung zu verstehen gegeben, daß der gegenivärtige Zustand im deutsch  - fran­zösischen Warenverkehr unerträglich geworden ist und daß deshalb das bevorstehende neue Abkommen auf einer ganz neuen Grundlage abgeschlossen werden muß.

Als am 1. August das deutsch  - französische Zahlungs- und Verrechnungsabkommen( Clearing- Verkehr) abgeschlossen murde, so gingen die Sachverständigen beider Parteien von der Tatsache aus, daß Deutschlands   Außenhandel gegenüber Frankreich   stets aktiv war und daß deshalb auch in Zukunft Deutschland   nach Frankreich   mehr ausführen als aus Frankreich   einführen wird. Von dieser als selbst­verständlich angenommenen Voraussetzung sollte der Clearing- Verkehr in Funktion treten. Die französischen  Jmporteure sollten ihre Schulden an die deutschen Er porteure in Franken   an die Office franco- allemand in Baris zahlen, während die deutschen Jmporteure ihre Schulden in Mark an ein besonderes Konto der Reichsbank einzahlen sollten. Da man mit der Aktivität der Handels­bilanz zugunsten Deutschlands   rechnen mußte, so mußten zwangsläufig in dem Office stets mehr Gelder liegen als in der Reichsbank zugunsten der französischen   Lieferanten. Damit schien die Zahlung in Frankenbeträgen dem Liefe­ranten aus dem französischen   Zollgebiet, also auch aus dem Saargebiet, nicht nur gesichert zu sein, sondern man hoffte darüber hinaus aus dem verbliebenen Ueber­schuß die Gläubiger der Dames und Younganleihen zu befriedigen, wobei die Sachverständigen trotzdem er­rechneten, daß für Deutschland   immer noch ein Ueberschuß von etwa 200 millionen jährlich verblieben wäre. Zur Förderung der deutschen Ausfuhr sind sogar eine Reihe von Kontingenten von französischer Seite aufgelockert worden. Und wie gestaltete sich in Wirklichkeit der deutsch­französische Handelsverkehr? Bon amtlicher französischer Seite ist in diesen Tagen bekanntgegeben worden, daß bis zum 10. November die Zahlungsavise an die Liefe ranten aus dem französischen   Zollgebiet 623 Millionen Franken betrugen, während die Deklarationen der fran­zöfifchen Importeure sich auf nur 492 Millionen Franken stellten. Mit anderen Worten: statt eines Ausfuhr­überschusses zugunsten Deutschlands   hat fich ein Ausfuhrüberschuß in Höhe von 131 Millionen Franken zugunsten Frank­ reichs   ergeben. Also praktisch ist genau das Gegen­teil von dem eingetreten, was man erwartet hatte. Da das dritte Reich" ein fauler Kunde ist, wurde der Clearingverkehr ausgedacht. In der Clearingkasse ist aber statt eines Plus ein Minus zu verzeichnen und auf diese Weise sind die Lieferanten aus dem französischen  Zollgebiet als auch die saarländischen Lieferanten um viele Millionen Franken geprellt worden.

Wir haben schon wiederholt an dieser Stelle nachge­wiesen, daß dieser unerträgliche Zustand durch die be­trügerischen Manipulationen des Bunderdoktors Schacht entstanden ist. Er nugte das Abkommen mit Frankreich  aus, um in erhöhtem Maße Rohstoffe für die Rüstungs­industrie des dritten Reiches" einzuführen. Er wußte genau, daß diese Käufe auf Grund des Clearingverkehrs von deutscher Seite nicht in Devisen bezahlt werden brauchten. Aber gerade deswegen erfolgten auch diese Käufe in bewußt betrügerischer Absicht,