Staatenbünde
Unsere Zeit wird von zwei entgegengesetzten Kräften bewegt. Wirkt auf der einen Seite immer stärker das rücksichtslose Betonen der Nation, ihre Abschnürung vom Weltmarkt und der Gemeinschaft der Völker bis zur schroffsten Gegensätzlichkeit, so setzt sich doch auf der anderen diese Gemeinschaft und die logische Notwendigkeit wachsenden Zusammenschlusses der Staaten in. immer neuen Gebilden durch. Zunächst in der Schaffung engerer Verbindungen benachbarter kleinerer Staaten.
Die Zeit vor dem Weltkrieg war beherrscht vom „ Konzert" der„ Großmächte", dem mehr oder minder holprigen Zusammenwirken der großen, vornehmlich europäischen Staaten. Der Zusammenbruch dieses Systems durch den Zusammenprall der in seinem Innern gebildeten Militärbündnisse brachte eine Reihe wichtiger Verände
rungen.
1. Der Zusammenbruch der reaktionären Monarchien in Mittel- und Osteuropa gab den Weg für die Bildung einer ganzen Reihe mittlerer und kleinerer Staaten frei: die ,, Balkanisierung " Europas .
2. Jm Völkerbund bildete sich eine Form geordneten Zusammenlebens der Staaten, die dem bisher nur gewohnheitsmäßig entwickelten Völkerrecht eine Rechtsgrundlage, gab und die Möglichkeit immer engeren und kraft volleren Zusamenschlusses bietet.
3. Dieses Zusammenarbeiten dehnte sich über Europa auf den größten Teil der Erde aus. Was der Weltpostverein und viele andere Einzelverbindungen und Abmachungen seit Jahrzehnten vorbereitet hatten, erfuhr hier einen gewissen Abschluß mit der Möglichkeit noch viel weiter reichender Ausgestaltung.
4. Besonders stark aber tritt seit einigen Jahren der freiwillige Bund benachbarter Staaten in den Bordergrund. Sind aus den alten, auf Eroberung und fürstlicher Familienverbindungen beruhenden Militärmonarchien wesentliche Teile ausgebrochen und mit Nach barstaaten nereinigt oder zu eigenen Staaten erhoben worden, so ist in diesen neuen, selbständigen und doch anlehnungs- und ausbaubedürftigen Gebilden der Grund gelegt für neue Bindungen aus eigenem Willen, die den Weg zu höheren Formen des Zusammenlebens der Völker weisen und aus dem lockeren völkerrechtlichen Verband einem engeren, staatsrechtlichen zustreben.
5. Daneben ist noch zu erwähnen, der fortschreitende Umbau des Britischen Weltreichs in einen Bund freier, durch eigenen Willen und Eigeninteresse, nicht mehr wie früher durch Militärgewalt zusammengehaltener Republiken.
Innerhalb des Völkerbundes sind die neutralen", d. h. nicht in die Weltpolitik der Großmächte verstrickten Mittel und Kleinstaaten, namentlich des nordwestlichen und nördlichen Europa mehrfach in Verbindung getreten, um eine stärkere Berücksichtigung ihrer Interessen, die zugleich die des Friedens und der durch die Machtgelüfte der Großen
gefährdeten Bölkergemeinschaft sind, herbeizuführen. Eine eigene Organisation wurde für diesen Zweck jedoch nicht geschaffen. Dazu bedurfte es starker und dauernder, mit der nachbarlichen Lage und, politischen Sonderinteressen zusammenhängender Antriebe.
Die erste Verbindung dieser Art nach dem Krieg ist die ,, Kleine Entente ", der Bund der hauptsächlich aus Erbstücken des alten Oesterreichr- Ungarn gebildeten Tschechoslowakei, Südslawien und Rumänien . Ursprünglich stand dabei der machtpolitische Charakter, der gemeinsame Schutz der gewonnenen Kriegsbeute, zu der in jedem Staat Millionen Angehöriger fremder Nationen gehörten, durchaus im Vordergrund. Sofort nach Hitlers Machtergreifung, die als besondere Gefahr dieser Staaten erschien. schlossen sie sich enger, namentlich militärpolitisch, aber auch durch Ausbau ihrer wirtschaftlichen Beziehungen. des gemeinsamen außenpolitischen Auftretens und sonsti ger Gemeinsamkeiten zusammen.
Stärker noch tritt diese Richtung über die rein militäri schen Interessen hinaus jetzt im Balkanbund zutage. Am 9. 2. 1924 wurde in Athen von den Außenministern der Türkei , Griechenlands , Rumäniens und Südslawiens das Abkommen abgeschlossen, dessen nächste Aufgabe die Erhaltung des Friedens auf der Balkanhalbinsel auf Grund des bestehenden Besitzstands ist. Durch die zwei letzt genannten Staaten ergibt sich der enge Zusammenhang mit der Kleinen Entente . Die Bemühungen um den Beitritt Bulgariens waren bisher noch vergeblich, dürften es aber, angesichts der neuen bulgarischen Politik kaum mehr lange bleiben. Schon jetzt sind die nachbar lichen Gegensätze wesentlich gemildert. Spricht doch die jüngste Thronrede des Königs von Rumänien von Be ziehungen enger Freundschaft mit Bulgarien und dem zwischen allen Balkanstaaten das würde auch den jetzt noch ausstehenden sechsten: Albanien , einbegreifen bestehenden Vertrauensverhältnis, durch das der Friede gerade in diesem Teil Europas , in dem er früher am meisten bedroht war, nun auf festen Grundlagen ruhe.
Aber über diese Ausschaltung der Kriegsgefahr hinaus hat der neue Bund Grundlagen zu positiver Arbeit gelegt. Eine Organisation für die Dauer ist durch Schaffung eines ständigen Ausschusses gelegt, der aus den Außenministern der vier Staaten besteht und unter wechselndem Borsig mindestens zweimal jährlich in den verschiedenen Hauptstädten tagt. Diese Neuerung wurde auf der kürzlich abgehaltenen Tagung in der türkischen Hauptstadt Ankara ( Kleinasien ) beschlossen. Ebenso, daß diese Tagungen künf tig durch einstimmigen Beschluß die Teilnehmer verpflich
ten können.
Daneben steht die Einsetzung eines ständigen, mit dem Vorsitzenden abwechselnd in den Hauptstädten arbeitenden Sekretariats, ferner eines Wirtschaftsrats, dem bereits eine Reihe wichtiger Arbeiten zugewiesen ist. Auch sollen kulturelle und Gesetzgebungsfragen gemeinsam behandelt und so die Angleichung gefördert werden.
Aehnlich haben in der letzten Zeit die baltischen Staaten: Litauen , Lettland und Estland wie die nordis schen: Dänemark , Norwegen , Schweden und zum Teil auch Finnland Abkommen zunächst zur Erleichterung und Berengerung ihrer wirtschaftlichen Beziehungen abgeschlossen, die aber mit der Zeit auch sonst zu engerer Gemeinschaftsarbeit führen müssen.
Wie solche Abmachungen in die Ferne wirken, zeigt die Tatsache, daß die Balkankonferenz den Abschluß eines Kriegsächtungspaktes nach Art dessen, wie er - freilich noch lange nicht vollwirksam zwischen den südamerikanischen Staaten besteht, ins Auge gefaßt hat, während zugleich ein Vertreter Brasiliens in Ankara war, um die Anwendung der vom Balkanbund beschlossenen Einrichtungen auch auf diesen Erdfeil zu studieren.
So zeigt sich in den verschiedensten Weltgegenden- das Streben nach Friedenssicherung und Zusammenschluß. möchte es gelingen, vor allem die wenigen böswilligen Friedensstörer, die heute noch ihr verhängnisvolles Wesen treiben, an die Kette zu legen, um dann überall über engere Nachbarbündnisse hinaus zum Endziel zu ge langen: dem machtvollen aktionsfähigen und tatwilligen Friedensland der gesamten Menschheit.
Briefkasten
Eckart.
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