JANUAR

Am 6. Januar:

FürDEUTSCHLAND gegen HITLER

das, Größere Sulzbach"!

Immer stürmischer erhebt sich in allen Schichten des Saar : voltes, in allen Orten und Betrieben der Ruf nach einer nenen Kundgebung aller Hitlergegner des Saargebiets nach einem Größeren Sulzbach"!

Die Einheitsfront des Saargebiets hat deshalb be schlossen, das ganze Saarvolk zu einem

Riesen- Massenaufmarsch in Saarbrücken aufzurufen. Als Tag dieses Aufmarsches ist bei der Abstim= mungsfommission und bei der Regierungskommission der

beantragt worden.

6. Januar 1935

Gleichzeitig richtet die Einheitsfront an alle Organisa­tionen und Verbände des Saargebietes, die gegen Hitler find, den Appell, unbeschadet ihrer besonderen weltanschau: lichen und sonstigen Ziele und Bestrebungen, die Beteiligung an diesem Aufmarsch zu beschließen.

Wenige Tage vor der Volksabstimmung wird in Saar­ brücken der hunderttausendfache Marschtritt der Volksfron die Niederlage Hitlers und den Sieg des Status quo an fündigen!

Die Einheitsfront des Saargebiets.

Sie können auch schweigen

Wir erleben mitten in diesem wilden Abstimmungskampfe ein seltsames Wunder. Aus dem Meere der wilden Agitation ist plötzlich eine Insel des Schweigens aufgetaucht, die von allen braunen Kapitänen respektiert wird. Ueber die Grün­dung des Deutschen Volksbundes für christlich- soziale Ge­meinschaft", das wichtigste Ereignis dieser Wochen, haben bisher weder der deutsche Rundfunk, noch die deutsche Presse mit einem einzigen

Wort berichtet.

Wie geschwäßig sind sonst die Mundstücke des Herrn Goebbels ! Jedes Körnchen wird aus dem Schmutz auf­gepickt, um es als Erempel der Infamien der Status- quo­Anhänger zu piferieren. Es gibt einen besonderen Saarjunk, Allwöchentlich Hörspiele, und die in Saarbrücken ansässigen Korrespondenten der Hitlerpresse im Reich irren ständig auf der Jagd nach Nachrichten umher. Nur die Erhebung des christlichen Saarvoltes haben sie noch nicht bemerken dürfen. Nicht einmal, als die ihnen gefinnungsverwandten Zeitungen

Ein Pfarrerbrief, der nach Genf ging

Ein Terror- Fall

Saarbrücken , 4. Dezember. Während dieses Abstimmungskampfes hat es viele Bei­spiele des Terrors gegeben, die ein Hohe auf die freie und unbeeinflußte Saar - Abstimmung gewesen sind. Nun aber wurde der Saar- Volksstimme" ein Brief übermittelt, der alles bisher Erlebte in den Schatten stellt. Der Schreiber ist ein protestantischer Pfarrer, die Empfänge rin die Mutter eines Jungen, die als Anti­faschistin bekannt ist. Dieser Brief mag für sich selbst sprechen: Abschrift

Evangelisches Pfarramt Güdingen / Saar Tgb. Nr. 365

1. Dezember 1934

Frau Wilhelmine Michel

Güdingen Bübinger Str. 146 Ich bestätige Ihnen den Eingang Ihrer beiden Briefe. Im ersten melden Sie Ihren Sohn wegen angeblicher Be­Läftigung infolge Ihrer Zugehörigkeit zu einer antifaschi­stischen Bewegung durch meine Pfarrschüler vom Pfarr­. unterricht ab. Im zweiten drohen Sic, die Sache weiter gehen zu lassen".

Daraus, daß Sie Ihren Sohn ohne vorherige Bespre chung mit mir einfach abgemeldet haben, muß ich wohl schließen, daß Sie bei mir nicht damit rechnen, daß ich Ihren Sohn schüßen würde. Aber Sie befinden sich im Irrtum! Einmal weiß ich, daß, wenn Ihr Sohn wirklich belästigt worden sein sollte die von Ihnen namhaft ge: machten bestreiten es lebhaft Ihr Sohn unter der Schuld der Eltern zu leiden gehabt hätte Andererseits ist es völlig gegen unsere deutschen Grundsätze, daß die An= hänger des Status quo hier auf dieser Erde weder jetzt noch nach dem 13. Jan. für ihre Schuld von Menschen bestraft werden. In diesem Sinne habe ich meine Pfarr­finder verwarnt.

Ich möchte aber nicht versäumen, Sie mit allem Ernst darüber aufzuklären, daß Sie mit Ihrer gegenwärtigen politischen Haltung eine furchtbare Schuld auf

sich laden, Gewiß fönnen Sie darauf hinweisen, daß Sie nach den Bestimmungen des Versailler Diftates ,, le= gal" handeln. Aber lassen Sie es sich von einem Mann, der in Ihrer Presse einmal als ehrlich" bezeichnet wor den ist wegen seiner Zugehörigkei zur Bekenntniskirche, ganz deutlich Sie handeln im höchsten Grade unmoralisch! Hände weg vom Lan= desverrat! Hände weg vom politischen Ehe= bruch! Wenn in unsere Bekenntnisgemeinde niemand aufgenommen wird, der auch nur im verborgensten Winkel seines Serzens Status- quo- Gedanken beherbergt, so müs sen Sie wissen, daß diese notwendige Bedingung aus unse­rem evangelischen Christentum acboren ist. Nach der Bibel hat Gott die Menschen zu verschiedenen Völkern und Ge= schlechtern werden lassen. Er hat ihnen auch die Grenzen geiezzi, wie weit und wie lange sie wohnen sollen. Si o'e: wollen diese Ordnung Gotdurcheinanderbringen, indem Sie in Stück den hes Land von Deutschland losreißen wollen, um es gemäß den antifaschistischen Grundsägen in einem internationalen Völkerbrei untergehen zu lassen. Das ist der Frevel dieser Ordnung, die Gott dieser Erde gegeben hat. Wenn Ihnen auch die politische Einsicht fehlt, daß Hitler nicht der Verführer, sondern der Retter unseres Vater­landes ist, so verschließen Sie sich doch wenigstens dieser evangelischen Erkenntnis nicht. Kehren Sie radikal um, damit Sie nicht zu denen gehören, deren wir uns schämen müssen! Ich grüße Sie in der Hoffnung, daß Sie sich die= ser ernsten Warnung nicht verschließen.

gez. Hechtenberg. Pir..

Ein Pfarrer, der derartigen Gewissensterror gegen seine Pfarrkinder ausübt, ist nicht würdig, das geistliche Kleid zu tragen. Selbstverständlich wird er dem Staatsanwalt über­antwortet werden müssen. Darüber hinaus aber fragen wir die Abstimungsfommission, was sie zu tun gedenkt, um diese erbärmliche, nichtswürdige und unerhörte Einflußnahme im Abstimmungskampfe unmöglich zu machen. Durch einen Zu­fall haben wir Kenntnis von dem Schreiben erhalten. Wie­viele Dokumente bleiben der Deffentlichkeit vorenthalten?

Wir fügen noch hinzu, daß dieser Brief dem Völker­bundsrat im notariell beglaubigten Original übermittelt wurde

Entlarvte Gestapo - Agenten

an der Saar in langen Aufsätzen zu diesem hochpolitischen 16 000 Franken fließen in den freiheitskampffonds

Ereignis Stellung nahmen.

Wir wollen das Geheimnis dieses jähen Verstummens enthüllen. Herr Bürckel gab den Befehl dazu ans Propa­gandaministerium weiter. Schon am Samstagfrüh lag auf allen hitlerdeutschen Zeitungsredaktionen einer der üblichen diftatorischen Zensurbefehle: leber die Gründung des Deutschen Volksbundes für christlich= soziale Gemeinschaft" an der Saar darf vor­Iäufig nichts veröffentlicht werden." So schwie­gen sie alle. So erfuhr auch der deutsche Zeitungsleser bis zur Stunde über den Kampf der Saar - Katholiken gegen Hitler und sein System nicht ein Sterbenswort.

Die Gründe? Man braucht nicht lange nach ihnen zu suchen. Die deutsche Propaganda hat bisher davon gelebt, die Anhänger des Status quo als Emigrantenpack", land­fremdes Gesindel"." Juden und Judengenossen" zu bezeich­nen. Dieses wirksame Klischee kann nicht mehr verwandt werden, wenn die deutsche Oeffentlichkeit erfährt, daß große Teile der Saarkatholiken heute gegen die Rückgliederung an Hitlerdeutschland sind; daß mehr als 70 amtierende katho­lische Priester und hervorragende katholische Laien an der Gründung des Volksbundes beteiligt waren.

Das ist der eine Grund. Der andere ist nicht schwieriger zu erkennen. Man will die Katholiken im Reiche nicht im Widerstande gegen den braunen Terror ermutigen. Man will sie weiter im Glauben lassen, daß die Katholiken an der Saar feinen anderen Gedanken haben, als so schnell wie möglich vom Dritten Reich " liebend umschlossen zu werden.

Darum schweigt der Rundfunk. Darum ist die deutsche Presse stumm. Das für diejenigen, die es noch nicht gemerkt haben sollten.

Zum Fall..Westland"

Eine Erklärung Thalheimers

Die Saarbrücker Zeitung " veröffentlicht folgenden Brief: Zu dem in Nr. 319 der Saarbrücker Zeitung " veröffent­lichten Artikel Westland als Symptom" bemerke ich folgen­des:

Es ist unwahr, daß mich die Einsicht, die Status- quo- Be­wegung entpuppe sich umso deutlicher als ein aussichtsloses Abenteuer, je näher der Abstimmungstag fomme, verfauis­reif" gemacht hätte, daß ich Sie mir gebotene Gelegenheit, den Laden zu verfitschen, meinen Geldbeutel zu salvieren und mich zu empfehlen" benutzt hätte.

Wahr ist, daß Westland" verkauft wurde, weil Eberhard Weißenberg in arglistiger Weise vortäuschte, er wolle die Zeitung fanieren und darüber hinaus noch mit größeren Be­trägen unterstützen. Beweis: der in Nr. 47 des Westland" veröffentlichte Brief an Weißenberg vom 8. November 1934. Wahr ist, daß ich von der Kaufsumme feinen Gentime er­halten habe, sondern daß sie ausschließlich zur Befriedigung von Westland" Gläubigern benußt wurde.

Wahr ist schließlich, daß ich nach wie vor in Saarbrücken wohne und mich nicht zu empfehlen" gedenke. Hochachtungsvoll!

Dr. S. Thalheimer."

Während am Sonnabend die Saar- Volksstimme" durch Veröffentlichung der Teilliste der Clemenceau- Saarfran­zosen buchstäblich aus den Händen gerissen wurde, erlebte das Saargebiet am darauffolgenden Tag eine neue Sensation. Das kommunistische Organ, die Arbeiter- Zeitung ", veröffentlichte Enthüllungen über den Versuch der Gestapo­Agenten, die KP. zu bespizzeln und eine Liste der im dritten Reich" illegal tätigen Parteifunktionäre zu erhalten. Die Gestapo - Agenten sind jedoch durch das mutige Handeln eines fommunistischen Arbeiters entlarvt und hinter Schloß und Riegel gesetzt worden, wobei die Hitleragenten auch noch 16 000 Fr. für den Status- quo- Kampf bezahlt haben. Darüber berichtet das kommunistische Blatt u. a. wie folgt: Der Arbeiter X. lebte mit seiner Frau als Emigrantin in Saarbrücken . X. befam Arbeit als Pflichtarbeiter auf der Arbeitsstelle in Burbach . Eines Tages wurde er von dem städtischen Ausseher Steinebach angesprochen, der unserem Genossen X. den Vorschlag unterbreitete, sich doch politisch umaustellen, dann könnte er ihm dazu verhelfen, wieder in seine Heimat zurückzukehren. Der Arbeiter X. gab von dieser Unterredung der Kommunistischen Partei Mitteilung. Dabei erfuhr er, daß Steinebach der Mann ist, der bereits mehrere Emigranten ins dritte Reich" befördert hat, um sie dort verhaften zu lassen. Steinebach, der einer der führen­den Leiter der Gestapo an der Saar ist, gestand später selbst, daß durch ihn ein älterer Emigrant, Vater von 7 Kindern, von denen das jüngste 8 Monate alt ist, ins dritte Reich" befördert und persönlich von ihm erschossen wurde.

Natürlich verlangte Steinebach für seine Liebenswürdig= feit" von dem Arbeiter X. Material über die Kommunisten an der Saar . Im Einverständnis mit der KP. brachte der Arbeiter X. einige Male vollkommen unbedeutendes, lächer­liches und irreführendes Material Steinebach fiel stets darauf herein und schenkte dem Arbeiter X. immer größeres Vertrauen. Eines Tages sagte er zu ihm, ob er nicht in der Lage sei, illegales Adressen- Material aus dem Reiche zu besorgen. Er könne schweres Geld dafür bezahlen, denn, so betonte Steinebach, die Kommunisten geben im Reich immer mehr Material heraus und Göring würde feine Ausgabe scheuen, um das zu erreichen.

Einige Tage später teilte der Arbeiter X. dem Gestapo­Führer Steinebach mit, daß er Verbindung zu einem Kom­munisten habe, der an diese Adressen herankommen könne. Auch das glaubte Steinebach und bat um einen Treff.

Steinebach lud zu Freitag nachmittag 2 Uhr den Arbeiter X in seine Wohnung. Hier fand eine Sigung statt, bei der anwesend waren: Der Gestapoleiter an der Saar , Steine­bach, Gestapoleiter Stoll aus Frankfurt , Gestapoleiter Log­gert aus Zweibrücken und ein Gestapomann Jakobs aus Saarbrücken und der Arbeiter X. Man beschloß, sofort nach Zweibrücken zu fahren.

Um 4 Uhr ging die Reise los. Mit einem eleganten Wagen ( Saar 16 636) fuhr man im Blitztempo direkt in das Zwei­brücker Hauptquartier der SS. und Gestapo , Uhlandstraße 52. Der Wortführer war hier ein gewisser Kennet aus Ludwigs­ hafen am Rhein , der zugleich mitteilte, daß alles, was ge­plant ſei,

mit der ausdrücklichen Billigung des Saarbevollmächtigten der Reichsregierung, Bürdel, geschehe!

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Dem Arbeiter X. wurde versichert, daß er nach geglückter Aktion sofort ins dritte Reich" kommen solle und dort eine neue Wohnung und eine entsprechende Belohnung erhalte. In derselben Sigung wurde auch der genaue Plan über den Ueberfall auf das kommunistische Parteihaus am Freitag­abend festgelegt. Der Arbeiter X. wurde beauftragt, zusam= men mit Steinebach und noch einem anderen an dem Ueber­fall teilzunehmen, um zu versuchen, wichtige Dokumente in die Hände zu bekommen.

Nach der Sitzung fuhren die Teilnehmer zurück nach Saar­ brücken , gingen zur Deutschen Bant, wo Steinebach 8000 Reichsmarf bei Direktor Frohbein in Franken umwechselte. Er erhielt dafür 18 000 Franken.

Abends um 8 Uhr trafen sich dann, wie verabredet, der Arbeiter X., Y. und Steinebach vor der Bergwerksdirektion. Vorher hatte Steinebach zu dem Arbeiter X. gesagt: Du fennit ia das Material, wenn es echt ist, dann trete mir auf den Fuß, und ich gebe dem anderen das Geld."

Der Arbeiter 2). teilte mit, daß er die Adressen mitgebracht babe( selbstverständlich waren diese Adresen alle Fantasie­produkte; weder Namen noch Straßen sind an den ent­sprechenden Orten vorhanden).

Aber

Freudestrahlend sagte Steinebach: Geben Sie die Adressen." . sagte: Geben Sie mir erst s Geld." Plötzlich holte 9. die Adressen" aus der Tasch und hielt sie in der rechten Hand.

Daraufhin trat der Arbeiter dem Steinebach auf den linten Fuß, worauf dieser laue" Gestapoleiter sofort 16 000 Fr. auslieferte. Die restlichen 2000 Fr. hatte er inzwischen schon unterschlasen.

9. gab ihm dann die fingiecten Adressen. Diese Szene endete so, daß Steinebach zu 2), jagte: Sie sind jetzt ein gemachter Mann. Fahren Sie mit dem nächsten Zug nach Paris , ich gebe Ihnen die Adreße der Anlaufstelle der Gestapo in Paris ." Und tatsächlich gab Steinebach die Adresse. Arbeiter 2. lieferte fofort die 16 000 Fr. an die Kommu nistische Partei ab. Diese nette Summe ist ein schöner Beitrag der Gestapo für den Sieg des Status quo an der Saar und wird fernerhin zu einem Teil verwandt werden, zur Unterstügung der Frauen und Kinder von im Reich durch die Gestapo ermordeter Arbeiter.

Kurz vor 9 Uhr machte X. der Partei von den geplanten Ueberfall Mitteilung, so daß die Schutzwach des Partei­hauses entsprechend verstärkt werden konnte

Banft 9.30 Uhr fuhren zwei schwere, elegante Personen­wagen, voll beseit mit Gestovo und SS., an die beiden Ecken der Herbertstraße. Drei Mann, unter ihnen Steinebach, gingen mit entsicherten, amerikanischen Revolvern zum Parteihaus, schlichen die Treppe zu den Büros hoch. Als sie sich im Vorraum zu den Büroräumen befanden, ging plöglich das Licht an und die drei wurden umzingelt von der Schuhwache, die aus den Zimmern tam. Natürlich war der Empfang gebührend, alle drei flohen wie die Hasen. Der Leiter der Schuhwache rief sofort das Ueber­fallfommando an, das erst dann eintraf, als die beiden S.­Autos mit Rollaas abfuhren und dabei Steinebach zurück­ließen. Die beiden Wagen trugen die Nummern 16 636 und 19 488. Steinebach und die Insassen eines Wagens konnten in später Nacht festgenommen werden.