Paris   über Ribbentrops Bittgang

Paris, den 4. Dezember 1934.

Nachdem es Herrn von Ribbentrop ausgezeichnet gelungen war, die Deffentlichkeit glauben zu machen, daß er nur nach Baris gekommen sei, um sich mit den franzöfifchen Front­fämpfern zu unterhalten, hat er in aller Stille seinen Be­such beim Außenminister Raval vorbereiten können. Als er am Sonntagnachmittag diesem im Quai d'Orsay feine Auf­wartung machte, glaubte man ihn schon längst in Berlin  . Die Ueberraschung ist denn auch allgemein, und ein großes Rätselraten hat über den Inhalt der Unterreduna Laval­Ribbentrop begonnen. Wenn auch die französische   Preise im allgemeinen nichts dagegen einzuwenden hat, daß Paris  und Berlin   direfte Gespräche führen, so findet man doch in den Zeitungen aller Rich'ungen immer wieder Mahnungen zur Vorsicht. Man hat eben zur Außenpolitik des dritten Reiches" fein Vertrauen.

Im Figaro"

heißt es: Berlin   wäre nicht empört darüber eine inter­nationale, Ablenfuna bei den inneren Schwierigkeiten des Hitlerregimes zu finden, wenn das Spiel gelänge, würde dies für Adolf Hitlers   Prestige nur von Vorteil sein. Miß­glücke es, dann habe er die Aussicht. die gemeinsame fran­

Pertinax

mißt Ribbentrops Besuch bei Laval   an und für sich nur geringe Bedeutung bei. Er sagt im Echo de Paris", der gleiche Abgesandte des Führers, beauftragt insbesondere mit der Wahrnehmuna der Abrüstungsfragen, sei im letzten Sommer von Doumergue   und Barthou   empfangen wor­den, ohne daß man sagen könne, er habe sie durch sein diplo­matisches Geschick und sein Sachverständnis frappiert. Er hat mir findliche Reden gehalten," sagte Barthou  . Aber Ribbentrops Bedeutung ist andersartia.

Diefer ehemalige Seftreisende werde als Propagandist verwendet, obwohl er daran denke, die Führung der Bot­schaft in der Rue de Lille zu erhalten. Die Mission, deren er fich gegenwärtia unter den ehemaligen Kriegsteilnehmern zu entledigen suche, bestehe darin, Frankreich   an der Organisa= tion seiner Bündnisse zu hindern, weiter daran zu hindern, daß es mit Sowjetrußland und der Türkei   eng zusammen= arbeite und seine Armee verſtärke, um der deutschen   Auf­rüstung die Stirn bieten zu können. Damit stimmen die An­gebote einer direkten Verständigung" überein, die von Adolf Hitler freigebia   gemacht würden und mit denen sein Rei­sender" hausiere.

Um den Ostpakt

Stimmen aus Polen  

Warschau  , 4. Dezember. Hier vertritt man allgemein die Auffassung, daß Polen   in der Frage des Ostpaktes feine Entscheidung treffen werde bevor die Ergebnisse der französisch- deutschen Verhandlungen bekannt sein werden und vor allem nicht vor der Saarab: stimmung. Dieie Auffassung sindet man auch in den zwei Zeitungen des Regierungsblocks, dem auf seinem rechten Flügel stehenden Czas  " und dem Pants wo Pracy", dem Organ der Jungen Legion". die radikal ge= richtet ist

Erst nach der Saarabstimmung, schreibt Czas  " werde man die Aussichten einer französisch- deutschen Annäherung be­urteilen können. Infolgedessen müßten bis dahin alle diplo matischen Verhandlungen, die sich mit Rüstungsfragen oder mit dem Ostpaft beschäftigten, natürlicherweise vertagt werden.

Das Blatt meint weiter, der Ditpaft würde, wenn man bleiben, während er eine Basis für den Ausbau werden ihn hastig und unüberlegt unterzeichne, nur eine Fiktion fönne, wenn man ihn langsam reisen lasse und sein Inhalt mehr begrenzt werde.

zöfifch- enalische Front in der Frane der Aufrüituna Französisch- englische Unterhaung? immer die franzöfifche oder deutiche Preise vertrete, man

trennen, die man widerfinnigerweise mit der Frage des Oitpattes ena verknüpft habe.

Niemals ici Wachsamkeit für die Peiter der englischen   und französischen   Politik mehr notwendig gewesen, wenn sie nicht die besten Aussichten für die Sicherheit und den europäischen  Frieden einer Politik von Illufioren und übertriebenen demagogischen Angeboten opfern wollten."

An anderer Stelle meint Wladimir d'Ormesson  

im gleichen Blatt, man werde noch über die Frage der deut­ schen   Aufrüstung an dem Tage reden, wo die Bomben von felbft vom Himmel fallen würden. Eins sei vor allem sicher. Wenn Frankreich   von neuem, wie das sehr wahrscheinlich sei, zu Verhandlungen schreite, die sich auf die Frage der Rüstungen bezögen, dann wäre es reiner Wahnsinn, fich auf Rußland   und auf die Sicherheiten zu verlassen, die der Ost­paft bieten jolle, und die doch mehr oder minder illusorisch seien. Auf England müsse man sich stüßen. In enger Fühlung mit England und Italien   müsse man das Problem betrachten. Vereint mit England und Italien   müsse man, wenn es not tue, handeln.

Léon Bailby erinnert im Jour"

an die lange Unterhaltung, die Herr

4.8

lich mit den Vertretern der französischen   Grontiämpiein ge­habt hatte. In deren Verlauf hätten diese ihm gesagt: Gut, wir geben zu, daß Sie von Frankreich   nichts fordern. Aber wozu dann diese Rüstungen? Gegen wen find fie gerichtet? Sagen Sie es. Halten Sie uns für fähig, Ihnen unsere Ber­bündeten auszuliefern, die mit uns Schulter an Schulter fämpften? Und gegen wen Sie auch immer Ihre Waffen richten werden, sehen Sie nicht, daß Ste damit Europa   in Flammen seßen?" Bailby schließt auf diese racen müsse man zuerst eine Antwort haben; d w man die Ge­spräch weiterführen können.

Ter

Motin"

weiß zu berichten; daß an den Bunn des Berin von Ribbentrop mit den Fronttämpfern auch der Führet aller deutschen   Frontsoldatenverbände, Oberlindober teilgenommen habe; diefer sei aber am Sonntag noch vor Ribbentrops Besuch bei Laval   wieder nach Berlin   abgereist. Ribbentrop   habe Lanal Deutschlands Wunsch ausgesprochen, nicht nur mit Frankreich  , sondern mit allen europäischen  Ländern sich zu verständigen. Er habe dem Außenminister feine Ueberzeuguna ausgedrückt, daß die Saarabstimmung fich in größter Ruhe abwickeln würde und Frankreich   so über Deutschlands   aute Absichten urteilen könnte. Laval habe seine vor der Kammer abgegebenen Erklärungen und die in der Diskussion gehaltenen Reden seinem Besucher er­läutert.

August Forel  

Rückblick auf mein Leben

( Verlag der Büchergilde Gutenberg Zi

Die Morphirmtorte

Eines schönen Tages hatte ich eine sonderbare Ueber: raichung. Man brochte mir eine schöne Torte, deren Absender ich nicht fannte. Als meine Frau fie anschnitt, fanden wir darin Morphiumsprisen und viele Morphiumpulver ver­itect! Ta ging mir ein Licht auf. Wir hatten einen Morphi­nisten in der Anstalt. Weitere Untersuchungen über den Ab­sender ergaben, daß eine Dame diese Gegenstände in der Konditorei hineingesteckt hatte; doch war die Adresse statt an den Patienten, aus Veriehen an mich geschrieben worden! Ein schöner Beles zu den Mitteln. welche die Morphinisten benüßen, um ihrer Sucht gegen ihren eigenen Vorteil nach­zugehen. ( Cutnommen dem Kapitel: Arbeitshetze.)

Der Schuster und der Psychiater Run fam für mich ein entscheidendes Ereignis. Der treue Abstinent Herr Jakob Bokhardt hatte immerfort meine Trinker zu sich genommen und verschiedene derselben geheilt. Immer mehr schämte ich mich. in dieser Weise als rrenarzt von einem einfachen Schuhmacher in der Trinkerhellung überflügelt zu werden. Es wurde mir immer flarer, daß etwas bei mir fehle, und dieses Epas war mir sozusagen 3x vier Fünfteln bewußt. Eines Tages es war der 1 Juli 1886- fam Serr Boßhardt zu mir d inrach wieder über einen Trinfer. Nun sagte ich ihm: Der Boßhardt ich weiß icht, wie ich Ihnen für alle Ihre aufopierungsvolle und er­freiche Mühe bei unseren Kranken dansen soll, ich bin gans beichämt, aber erflären Sie mir eins: 3h bin Pinchia­ter, Heilung der Kranken als Direftor der Grrenanstalt angestel und Sie sind Schuhmacher, wie fommt es denn. bas ich nog niemals einen Trinfer bleibend geheilt habe, während Sie dagegen solche Erfolge aufweisen?" lächelte Herr Bokhardt verständnisvoll und antwortete: Es ist sehr einfach.* err Direktor, ich bin Abstinent und Sie find es nicht." Ja, marhaitta. ich fühle es schon lange und schäme mich im stillen, daß ch bis dahin immer noch nicht den Mut hatte, es anan'anaen Ich hatte io die dee ich fünne schwach werden, es könnte meine Gefundheit oder meinem Magen schaben für ich weiß es nicht. Aber jetzt hört die Sache auf. Hier haben Sie meine Sond, von heute an bin ich Abstinent." Herr Bokhardt freute sich seht darüber und versicherte mir, dan meire Gefundheit sicher nicht darunter leiden würde Am gleichen Tag unterschrieben wir beide, meine Frau und ich ein eripren fir amei Tohre Meine Frau tranf sowieso seit längerer nichts. Ste trat ins Blaue Kreuz ein. ma mir meine nichonungen nicht acitatteten Diefes Ereignis bezeichnete für mich eine vollständig neue Lebens­periode, in baß ich hiermit das vorliegende Kapitel schließe. ( Entnommen aus dem Kapitel: Junger Ebestand.)

Darauf

London  , 4. Dezember.

Die Pariser   Unterhaltungen des Herrn von Ribbentrop und sein Besuch bei Laval haben in den hiesigen politischen Kreisen lebhafte Aufmerksamkeit hervorgerufen.

Im Pants wo Pracy" heißt es, welche Meinung auch fönne schon jetzt sagen. daß die polnische Regierung feine zu schnelle Entscheidung treffen werde, in keinem Fall, bevor nicht die französisch- deutschen Angelegenheiten geregelt seien.

In gewiffen toniervativen Zirkeln, wo man glaubt, daß Bal ikum- S aaten für den Os paki

das beite Mittel Deutschland   nach Genf   zurückzubringen, darin bestände, ihm aus freiem Antriebe die militärische Gleichberechtigung zuzubilligen sieht man die baldige Er­öffnung von neuen französisch- englischen Unterhaltungen voraus Sie sollen die Schaffung einer gemein amen Haltung der beiden Länder zum Ziel haben. Man meint also, daß Ribbentrops Pariser   Besuche das Vorspiel zu wichtigen diplomatischen Ereignissen bedeuten.

Talliu, 3. Dezember.

Hier fand die Taaung der baltischen Entente statt, der Lettland  , Estland   und Litauen   angehören. In einem offi­ziellen Kommuniqué erklärten die Außenminister der drei Länder u, a. noch einmal feierlichst das sie bereit seien, den von Sowietrußland vorgeschlagenen und von Frankreich   ge= billigten Ostpakt zu unterzeichnen.

BEOBACHTER

B

de!

,, Gestern sagten Sie doch noch Ihrer Frau, Sie wollten mich ermorden...?"

,, Ach was, die Alte sieht und hört ja nichts."

Die Atta columbica( Kolumbische Pilzzüchterameise) Bei unserer Forschungsreise in Columbien gelangten wir im Schatten einer Bananenpflanzung, der Peon mit einer Schoufel ausgerüstet, zu einem der mächtigen Nester der Atta columbica. Es waren deren mehrere in der Umgebung. Ich fonnte experimentell feststellen, daß sie zu einer einzigen großen Kolonie gehörten, zwischen deren Einwohnern feine Feind chait herrichte. Das Ameisennest hatte 5 bis 6 Meter Durchmesser und einen Meter Höhe: es öffnete fich an der Oberfläche in aroßen Trichtern. Ein Teil der Arbeiteramei­sen lief mit frisch geschnittenen Blättern hinein, andere mit den braunen unbrauchbar acwordenen fugelförmigen Resten ihrer Pilzgärten heraus. Diefe Reste warfen fie um die Neft­öffnungen herum, so daß hohe Kegel davon entstanden. Die Tiere schienen zuerit ganz friedlich. Ich wollte aber das In nere des Nestes sehen und befahl dem Peon mit feiner Schau­fel einen großen Cuerschnitt durch dasselbe zu machen. Kaum war das geschehen, so stürzten sich die großköpfigen Arbeiter wütend auf uns. Der barfüßige Veon warf er schrocken seine Schaufel weg und lief davon. Ich wollte blei­ben und beobachten, wurde aber in dem Augenblick an den Händen und bis ins Gesicht von den schneidenden Kiefern der atta derartig blutig geschnitten, daß ich ebenfalls weg­laufen mußte und Mühe hatte, mich von den Tieren zu be freien. Diese veriolaten mich rafend viele Meter weit und verbissen sich in meine Kleider und in meine Haut. Meine Hoien mußte ich unten mit Taschentüchern zubinden und meine Hände mit Handschuhen bedecken. Dann lief ich mehr mals im Panfichritt zum Neit zurück und fonnte etwa 20 Pilzgartenhöhlungen entdecken. Dieselben waren etwa 15 bis 20 cm. fang und 8 bis 12 cm. hoch und enthielten den schwammartigen Vilzgarten mit Tanienden von Maden und Ameisen. Es gelang mir trotz allen Beißens der Tiere, einen solchen Pilzgarten in eine Schachtel zu legen und mitzu­nehmen. Am andern Tag war die Schachtel, in die ich den Pilzgarten der Ameisen ohne die letzteren gestellt hatte, ganz und gar mit weißen Schimmelfäden ausgefüllt, während die Ameisen jene Fäden immerwährend abschneiden.

Der Mörder der Kaiserin Elifabeth Im September wurde die Kaiserin Elisabeth von Oester­ reich   von dem Anarchisten Zuccheni ermordet. Der Vertei diger des letteren bat mich um ein Gutachten über seinen Geisteszustand. Ich hatte fo Gelegenheit, diesen bereits von Pombrosa als larvierten Epileptifer bezeichneten Mann im Gefängnis näher zu beobachten. Es war ein durchaus ab­normer. impulfiver und rabiater Pinchopath. Ich begutachtete ihn auch als solchen; er wurde troßdem verurteilt. Quccheni forgte später selbit dafür, daß ich recht behielt. indem er ans einem nichtigen Beweggrund( weil man ihm nur ein Buch, statt zwei aus der Gefängnisbibliothef zu gleicher Zeit gab), einen Mordanschlag auf den Direktor versuchte.

( Entnommen dem Kapitel: Chigny  .)

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Sonderbarer Fall doppelten Bewußtseins Einen sonderbaren Fall möchte ich noch furz erwähnen. Ein junger Herr fam zu mir, zeigte mir eine Nummer der Frankfurter Zeitung  ", worin das rätselhafte Verschwinden eines Herrn aus Australien   berichtet war, und sagte verzwei­felt zu mir: Das muß ich sein. aber ich weiß nichts mehr davon." Nähere Fragen brachten mich zu der Ueberzeugung, daß der Mann ein höchst seltener Fall doppelten Bewußt­seins sein müsse Er war dem Selbstmord nahe, und ich riet ihm, freiwillig für eine furze Zeit in die Anstalt einzutreten, ich wollte ihm dann helfen. Er tat dies sehr gern. Nun stellte sich heraus, daß er in der Tat volle acht Monate seines Le­bens, mit Einschluß der Hin und Rückreise nach Australien  , vollständig veraessen hatte. Es gelana mir, nicht nur sein Verhältnis zu seinen Eltern und Behörden wieder in Ord­nung zu bringen, sondern ihn auch im Lauf von mehreren Wochen durch Hnpnotismus vollständig von seiner Amnesie zu heilen, so daß langsam alle Erinnerungen wieder zum Vorschein kamen.( Entnommen dem Kapitel:

Drang nach Ruhe und freier Arbeit.)

Tod des Sohnes Eduard Blötielt ich von meiner Frau ein Telegramm: Eduard Embolie, sofort zurückreisen." Ich war wie zer­schmettert, der deutsche Großsefretär des neutralen Ordens, Herr Paul Reiner, ein Freund Eduards, stand mir bei. Der nächste Zug gina erst nachmittags 5 Uhr ab. Mit meiner ganzen Krait raffte ich mich auf und wohnte noch bis halb 5 1hr der Sigung bei. In furchtbarer Aufreanno eilte ich dann vor Ende der Versammlung zur Bahn und hatte eine ichreckliche Nacht. Werde ich Eduard noch am Leben finden? Und dann? Es war wie ein Feuer in meinem Kopf, wo die schlimmsten Gedanken schwirrten und mit Hoffnungsstrahlen abwechselten. Endlich fam ich morgens in Zürich   an. Mein zweiter Sohn Oskar erwartete mich:" Schon gestern gestor­ben", lautete der Bericht. Ich war wie zu Boden geschlagen, taumelte und schrie förmlich vor Schmerz, ohne mich fassen zu können. Im Zug hatte ich noch Hoffnung gehabt. Jetzt aber war alles aus. Wäre ich nur an seiner Stelle geftor­ben!", das war mein einziner Gedanke. Und seine arme Mutter! Und seine Brout! Meine ganze Hoffnung- olles zunichte: Düfter fuhr ich zum Theodosianum und fand dort meine Frau mahrhaft heldenmütia ruhia, alles aufrichtend, die Braut am Boden niedergefauert und sprachlos in ihrem Leid; die bereits sezierte Reiche Eduards im Sarg.

Es war zuviel, und ich wäre ganz in meinen alten Jugend­pessimismus zurückgefallen. wenn meine standbaite, edle Frau mich nicht aufgerichtet und mich an meine Pebenspilich­ten comahnt hätte. Durch ihren Mut wurde ich, murden wir alle förmlich beschämt Also weiter arbeiten und auch die arme Braut mit ihren nernichteten Hoffnungen trösten. Dies tat ich auch mit allen Kräften...

( Entnommen dem Kapitel: Tragische Ereignisse.)