Nr. 277 2. Jahrgang

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Fretheil

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Mittwoch, 12. Dezember 1934 Chefredakteur: M. Braun

Richard Strauß   und Goebbels  

Seite 2

Bischof Bocnewasser gegen

Rosenberg

Wo ist Hans Litten  ?

Seite 3

Seite 7

Reichswehr   und SS.

Konflikte

Eine Rede des Reichsführers Himmler Berlin  

, 11. Dezember.

In der Auslandspresse ist über die Erschießung von SS.  Leuten in München   berichtet worden. Das Geheimnis dieser Erschießungen scheint sich nun zu lichten. Es handelt sich nicht um Füsilierungen, sondern um einen Zusammenstoß, der in

Dienstanzug der A. usw. tragen. Wer keinen gültigen Ausweis besitzt, ist zur Feststellung seiner Per­sonalien der nächsten Feldjäger- Bereitschaft vorzuführen."

der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch voriger Woche in Ursachen der Spannung

München   zwischen Reichswehr   und SS.   Leuten statt­gefunden hat. Bei einer schweren Schießerei, die sich aus bis: her ungeflärten Ursachen entwidelte, wurden 7 Leute, darunter ein unbeteiligter Passant, getötet und 24 Leute ver­wundet. Diese Darstellung wird von Leuten gegeben, denen jebe Sensationsmacherei oder Gerüchteträgerei jern liegt.

Kennzeichnend für den Ernst der Spannungen ist auch ein Appell, den der Reichführer der SS., Himmler, am 8. Dezember über seine SS.  - Truppen in München   gehalten hat. In einer Ansprache forderte er von seinen SS.  ­Kameraden bedingungslose Treue und blinden Gehorsam, Treue zum Führer, Treue ohne Bedenken, ohne Zögern und ohne Einwen= dungen. Jeder SS- Mann, der glaube, diese Treue dem Führer nicht halten zu können, solle so ehrlich sein und aus der SS austreten.

So deutlich is von Simmler noch niemals auf den Geist der Widersetzlichkeit in der SS., die doch die Gardeformation des Nationalsozialismus ist, hingewiesen worden,

Anzeichen

Das Feldjägerkorps in Aktion

Der Westdeutsche Beobachter" meldet:

Der Oberste SA. Führer hat im Einvernehmen mit dem Preußischen Minister des Innern am 7. Oftober 1934 über die Aufgaben und die Verordnung des Feld­jägerforps folgenden Befehl erlassen:

Das Feldjägerkorps übernimmt für die der Partei unterstellten Gliederungen polizeiliche Aufgaben, die nicht in das Gebiet der politischen Polizei fallen. Der Einsatz erfolgt vor allem dort, wo die Angehörigen der SA., SS  ., St., HI. den Augen ihrer unmittelbaren Vor­gesetzten außerhalb des Dienstes entzogen sind, also be­sonders in den großen Städten.

Zu den besondern Aufgaben gehören: a) Polizei­liche Feststellung aller Personen( einschließlich Führer), die durch das Tragen des Dienstanzuges oder eines Abzei­chens als Angehörige der SA. usw. kenntlich sind, wenn sie durch ihr Verholten in der Oeffentlichkeit disziplin oder parteischädigend wirken oder sich eines Ver­gehens oder Verbrechens schuldig gemacht haben. Wenn not­wendig, ist zur vorläufigen Festnahme zu schreiten, b) Kon­trolle aller Zivilpersonen, die das Partei-, SA.- Abzeichen usw. tragen( sonst wie vorstehend), c) Kontrolle aller Personen einschließlich Führer, die den

Berlin  , 11. Dezember.

Die Beratungen zwischen der Obersten Heeresleitung und dem Reichskanzler über die Zukunft der SA  . und der SS. dauern an.

Diese Besprechungen erfordern ein um so höheres Inter­esse, als Reichsbanfpräsident Schacht Maßnahmen veran­laßt hat, die mit den von der Reichswehr   verfolgten Zielen übereinstimmen. So werden bis auf weiteres aus finan­ziellen Gründen keine Neueinstellungen für den Arbeits­dienst mehr stattfinden. Diese Entscheidung ist wohl auf das Eingreifen des Reichsbanfpräsidenten zurückzuführen, der geltend macht, daß die schwierige Lage der Reichsfasse feine noch höheren Summen für die Besoldung und den Unter­halt der Arbeitsdienstler zulasse.

Viel bedeutungsvoller aber ist die Kürzung der Gehälter aller Offiziere und Unteroffiziere der SA  . und SS  . um die Hälfte. So erhielt z. B. der Führer einer A.- oder SS  . Standarte, der den Grad eines Obersten bekleidet, bisher monatlich mehr als 1000 RM.; jetzt erhält er nur noch 500 RM. Die so erzielten Ersparnisse sollen monatlich mehr als 1 Millionen betragen. Ein Teil der ersparten Summen soll zur Erhöhung von Offiziersgehältern bei der Reichswehr   verwandt werden. Es läßt sich denken, daß dieser Umstand nicht dazu beiträgt, das Verhältnis zwischen Reichs­ wehr   und SA  . und SS. zu bessern.

Man weiß längst, wie eng Schacht mit der Obersten Heeres­leitung zusammenarbeitet und deren politische Stärkung be= treibt. Es sollen 30-35 000 ehemalige Offiziere in die Reichs­ wehr   wieder, eingestellt werden. Die Führung der Reichs­ wehr   will sich aber eine genaue Sichtung der Offiziere vor­behalten, die aus der SA  . und der SS. kommen. Ebenso fordert das Reichswehrministerium, daß auch alles, was seit dem Machtantritt Adolf Hitlers   im Flugwesen geschaffen worden ist, dem Reichswehrminister unterstellt werde. Darauf erhebt die Reichswehr   aus wichtigen militärischen und politischen Gründen schon lange Anspruch.

Auf der anderen Seite bestehen zwischen den braunen Machthabern, Dr. Schacht und der Großindustrie, ernstliche Schwierigkeiten, die man noch nicht beheben konnte. Der Vorsitzende des Industriellen- Verbandes, Krupp von Bohlen und Halbach, will von seinem Amt zurück­treten, weil er sich nicht in der Lage sehe, die Verantwor­tung für die sozialistische" Politik der Deutschen Arbeits­ front  " zu übernehmen. Die Unruhe in den führenden Wirt­schaftskreisen wird noch dadurch gesteigert, daß man be= fürchtet, die baldige Auflage einer Zwangsanleihe stehe bevor.

..Man schweige, beiße die Zähne zusammen"

Wird die Zeitschrift Wir Kriegsfreiwilligen von 1914-1915" verboten?

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In der vor furzem unter vorstehendem Titel erschienenen Beitschrift glaubte man, ein Ventil sehen zu können, das das Regime wenigstens für einen Teil der Opposition öffnen wolle, und zwar für militärisch denkende Kreise, bei denen feine Gefahr einer Verbindung mit Marristen besteht. Unter den Mitarbeitern der Zeitschrift befinden sich Leute wie Major Foertsch, der frühere Presseoffizier im Reichswehr­ministerium. Er femisierte gegen gewisse Naziführer und Nazimethoden, die daraus drängen, militärische Formen und Gebräuche in das Zivilleben einzuführen. Er sagt wörtlich: " Läßt das Soldatentum den Soldaten."

Es scheint nicht, daß das Propagandaministerium sich die neue Zeitschrift gefallen lassen will. Man beabsichtigt das Verbot, und es ist mindestens zweifelhaft, ob noch eine Aus­gabe der Zeitschrift erscheinen kann. Wir drücken hier einen der interessantesten Auffäße aus der Dezembernummer ab, dessen Verfa er ein Oberlehrer Henner am Gymnasium in Pahut ift:

Renner fragt in seinem Artikel, dessen Titel Zivil­fourage" ist, wo denn eigentlich der Mut der Kriegs­freiwilligen geblieben sei. Wie benehme man sich denn,

wenn jetzt erzählt werde, daß die Marneschlacht verloren ging, weil He. ich ein Freimaurer hohen Grades gewesen sei, oder wenn jemand zum Abschluß eines bevölkerungs­politischen Kurjes die jungen Töchter darauf aufmerksam. mache, daß man zum Kinderkriegen nicht verheiratet sein müsse, und daß man sich einmal die Reihen fräftiger SA.: Männer ansehen solle. Was tue man da. Man schweige, beiße die Zähne zusammen. Warum das? Weil man dem nun solonge esa t habe, daß jeder uniformierte Redner in jedem Augenblick der Staat selber sei. Zwischenruf, Wort­meldung und Diskussion seien von der Demokratie miß­braucht worden. Aber könne man sich aus Bismarcks Reden die herrlichen Hiebe wegdenken, die er den Zwischenrufern versetzte? Renner fragt, sind wir nicht soweit, daß wir die Versammlung wieder als eine Schule des Mutes nehmen können, für den Redner ebenso wie für den Hörer. Neulich, als ein Berufener von 20 Lebensjahren bei einer Kund­gebung, zu der jung und alt befohlen war, mit alt und jung so umgesprungen sei, daß es sämtlichen Anwesenden über

( Fortsetzung siehe nächste Seite!)

Zunahme der Arbeitslosigkeit

Berlin  , 11. Dezember.

Die allgemeine wirtschaftliche Lage hat sich so sehr ver schlechtert, daß selbst die Reichsanstalt für Arbeitsvermitt lung und Arbeitslosenversicherung nicht mehr in der Lage ist, die Wahrheit zu verheimlichen. In ihrer heutigen Mit­teilung gibt sie zum erstenmal seit langer Zeit zu, daß die Zahl der Arbeitslosen gestiegen ist, und zwar um die beträcht liche Zahl von 86 000 auf 2854 000. Jm vorigen Jahr war um diese Zeit die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Bormonat um rund 30 000 niedriger. Dieser Bergleich zeigt, wie sehr sich inzwischen die Lage verschlechtert hat und wie sich allmählich die dilettantischen Wirtschaftsmaßnahmen der Regierung auch auf dem Arbeitsmarkt ungünstig auszuwir fen beginnen.

In einer langen Erklärung versucht die Reichsanstalt die Zunahme der Arbeitslosigkeit mit faijonmäßig und konjunka furell bedingten Ursachen zu begründen. Die absolut stärf= sten Zugänge von Arbeitslosen", heißt es in dem Bericht, ,, haben unter der Einwirkung der vorgeschrittenen Jahres zeit das Baugewerbe sowie die Berufsgruppen der ungelern ten Arbeiter zu verzeichnen." Bon einer Einwirkung der vorge chrittenen Jahreszeit fann unmöglich die Rede sein, da bis jetzt im ganzen Reich nicht ein einziger scharfer Frositag zu verzeichnen war. Es fann sich also nur um eine absolute Verschlechterung im Baugewerbe handeln, die auf das Nach­lassen von Subventionen aus öffentlichen Mitteln zurück= zuführen ist. Die ganze Baukonjunktur war ja, wie die künst liche Konjunktur überhaupt, im wesentlichen auf das Hins einpumpen öffentlicher Mittel zurückzuführen, die jetzt ange= fichts der Gefahr der Inflation gestoppt werden.

Die Einigung in Geni

Genf, 11. Dezember.

In der Racht von Montag auf Dienstag ist nach lang­wierigen vorherigen Verhandlungen in der Frage des un­garisch- jugoslawischen Konflikts eine Verständigung er­zielt worden, wenn nicht im letzten Augenblick ueber­raschungen eintreten, so ist zu hoffen, daß wenigstens vor­läufig dieser Konflikt, der, wie so manche anderen schwebenden Fragen, schwer auf dem europäischen   Frieden lastet, aus der Welt geschafft ist.

Während der Verhandlungen am Montag hatte man, insbesondere nach der Rede des rumänischen Außen­ministers Titulescu  , den Eindruck, daß die Vermitt­lungsaktion der Großmächte zu keinem Ergebnis führen werde. Die Rede, die Titulescu   gehalten hat. war voll von leidenschaftlicher Anklage gegen Ungarn  . Er sagte, daß durch die Klage Jugoslawiens   Ungarns   Ehre in keiner Weise angetastet sei und der ganze Konflikt sehr leicht hätte geschlichtet werden können, wenn Ungarn   freiwillig seine Mitarbeit bei der Aufklärung des Marseiller   Ver­brechens angeboten hätte. Titulescu   versuchte dann den Nachweis zu erbringen, daß Ungarn   auf die konkreten Beschuldigungen Jugoslawiens   nicht eingegangen und bestimmten Fragen ausgewichen sei. In seinen weiteren Ausführungen wandte sich Titulescu mit großer Schärfe gegen Ungarns   Verhalten und drohend rief der rumänische Außenminister aus: Vergessen Sie nicht, daß morgen schwierig sein kann, was heute noch leicht zu erledigen ist." Die Revisionsforde­rungen Ungarns   seien e in Werkzeugdes Krieges, denn die Kleine Entente   werde diesen Forderungen nie­mals ihre Zustimmung geben.

Gerade diese Rede Titulescus zeigt, daß, trotz aller Verkleisterungsversuche des Genfer   Aeropags, die Gegen­säge im Südosten Europas   nach wie vor nicht beseitigt sind, und daß es sich beim ungarisch- jugoslawischen Kon­flikt nicht so sehr um die Aufklärung der Hintergründe des Versailler   Attentats, als vielmehr um die Auf­rechterhaltung oder Nichtaufrechterhal tung der durch den Trianon Vertrag fest­gefeßten Grenzen handelt. Während das faschistische Italien   die ungarischen Revisionsbestrebungen unterstützt, steht Frankreich   hinter der Kleinen Entente  . Noch in der Samstagsizung hat Laval erklärt, daß der Versuch, eine Aenderung der Grenzen herbeizuführen, eine Störung des Friedens in Europa   bedeute. Die Revisions­bestrebungen der ungarischen Nationalisten werden aber bestehen und damit auch die tiefen Gegensätze zwischen Ungarn   und den Staaten der Kleinen Entente  . Trotz der geglückten Vermittlungsaktion in Genf   bleibt un­garn nach wie vor der Brandherd in Südost­ europa  . Und wie wir gestern in unserem Blatt betont haben, werden die Gegensätze durch die Massenaus­weisungen ungarischer Staatsangehöriger aus Jugo­ slawien   nur verschärft und die nationalistischen Leiden­schaften geschürt.

Nachdem zuerst die Kleine Entente   mit dem Austritt aus dem Völkerbund gedroht hatte, menn man ihr nicht entgegenkomme, war es endlich gelungen, die Zustimmung der drei Außenminister der Kleinen Entente   zu dem Ver­mittlungsvorschlag Lavals und Edens zu erhalten. Aber im letzten Augenblick versteifte sich Ungarn   und erst unter