Pentjake

Nr. 279 2. Jahrgang

Fretkell

Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands

Saarbrücken, Freitag, 14. Dezember 1934 Chefredakteur: M. Braun

Teuerung und Hamstern

Illegale Berichte aus dem Reiche

Die Preise klettern

Berlin , 12. Dezember. Zahlreiche Berichte unserer illegal arbeitenden Freunde aus dem ganzen Reiche zeigen die Wirkungslosigkeit des Versuches, die Teuerungswelle aufzuhalten. So geht uns aus Sachsen folgende Gegenüberstellung von Preisen zwischen dem 1. De­zember 1933 und dem gleichen Tage 1934 zu:

1933

1934

1 Pfund Kasseler Rippensp. 0,76

0,95

1 Pfund Schmalz

0,54

0,98

1 Pfund Erbsen

0,22

0,46-0,54

1 Pfund Butter

1,40

1,70

1 Pfund Fischfilet

0,40

0,70

10 Piund Kartoffeln

0,25

0,43( Schlange

1 Pjund Leberwurst

1,12

0,90

1,40 stehen) 1,30

1 Pfund Leber

Aus dem Ruhrgebiet. werden ähnliche Steigerungen der Lebensmittelpreise be­richtet. Ueber die Textilpreise und Verfnappung der Ware wird geschrieben: Strümpfe, soweit sie nicht aus Kunstseide hergestellt sind, um 15 bis 20 Prozent. Beklagt wird eine Verknappung von Hemdentuch, Nessel, Makkotuch. Diese Waren sind um 25 bis 30 Prozent im Preise gestiegen. Bett­wäsche ist innerhalb weniger Monate um 30 bis 35 Prozent teurer geworden."

wird berichtet:

Aus Bayern

Nicht nur die Tertifwaren, deren schlechtere Qualität und Teuerung ja allgemein ist, steigen im Preise, sondern vor allem die Lebensmittelpreise flettern zur Beunruhigung der Bevölkerung unaufhaltsam empor. Das Rindsschmalz stieg im Laufe der letzten Monate von 1,30 auf 1,70 Wt. pro Pfund. In Straubing foftet es bereits 1,80 F. Schweineschmalz stieg von 70 auf 90 Pfg. pro Pfund. Ein Ei kostet bereits 10 Pig. Im vergangenen Jahr zahlten wir zur selben Zeit 7 Pfg. Die Kartoffel fostet heuer 2,50 Mt., das ist mindere Qualität. Im vergangenen Jahr zahlten wir auf dem Lande noch 2 Mt. pro Zentner. Im Kleinverkauf fosten 10 Pfund Kartoffeln 50 Pig. Für Mehl wurde jetzt eine 75prozentige Ausmahlung angeordnet. Dabei hat das Pfund Mehl um 2 Pig. auf 22 Pig. aufgeschlagen. Der Fettgehalt der Seife wurde um 50 Prozent herabgesetzt. Der Strang Wolle ist durchschnittlich um 20 Pig. teurer. Der Preis für Mt.

Kleidergeschäfte nur jeneils einen Damenrock, nur ein Hemd, eine Unterhose usw. verfausen dürfen. Die Erregung wird dadurch immer größer und die Befürchtungen, die die Be­völkerung hegt, scheinen sich dadurch zu bestätigen, so daß noch immer mehr Drang zum Kaufen besteht. Bekannte Seifen­geschäfte sind von Kunden umlagert, besonders in den Abend= stunden. Die Aeußerungen der Käufer, die im Laden warten müssen. zeigen, daß die Erregung in der Bevölkerung sehr groß ist. Dabei schließen sich die Nationalsozialisten beim Hamstern nicht aus. Die neue Seife wird in der Qualität schlechter, aber der Preis bleibt derselbe. Von der noch vor­handenen alten Seife erhält der Käufer nur ein Stück. Die Ortsleitung der Nationalsozialisten ließ das Gerücht ver­

Wieder

Clemenceaus Saacfcanzosen

Seite 3

Auswandern, abec wohin?

Seite 4

Hitler

hat, Mein Kampf " vergessen

13 400 Jahre Kerker

Seite 7

Ueber 1100 Jahre Kerker im Monat Oktober Im Monat Oktober 1984 verhängten die faschistischen Gez richte gegen antifaschistische Werftätige nach den bisher vor­liegenden Berichten 662 Jahre Zuchthaus und 469 Jahre Ge­fängnis. Der Anteil des Volksgerichts" an diesen insgesamt 1131 Jahren Kerfer beläuft sich auf 254 Jahre Zuchthaus und 97 Jahre Gefängnis. Ueber 70 Prozent aller Berurteilungen erfolgten, wie die Rote Hilfe auf Grund der Urteilsbegrün= dungen feststellte, wegen angeblichem Hochverrat und der ,, illegalen Fortsegung verbotener Parteien", ein Beweis für die ständig wachsende Kraft der antifaschistischen Freiheits­fämpfer, die sich durch keine Terrorurteile in der Weiterfüh= rung ihres heute noch unterirdischen Kampfes beirren lassen. Mit den obigen 1131 Jahren Kerker erhöht sich die Gesamt: summe der registrierten Urteile gegen antifaschistische Frei­heitskämpfer auf insgesamt 13 400 Jahre Zuchthaus und Ge= fängnis. Diese Gesamtziffer darf aber nicht als vollständig angesehen werden, weil infolge der verschiedensten Schwie rigfeiten eine genaue Berichterstattung über alle Urteile nicht erfolgen fann.

breiten, daß demnächst Haussuchungen nach gebamiterten Warum sucht Frankreich

Waren durchgeführt würden. Der Rundfunk und die Presse bemühen sich vergeblich, beruhigend auf die Bevölkerung zu wirken. Wie wenig das wirft, fönnen wir täglich beobachten. Aus diesen Erscheinungen zeigt sich, daß das Volk kein Ver= trauen zur Regierung hat.

Da in unserem Ort nur jüdische Textil­geschäfte sind, fahren die Nazis, da sie sich hier beobachtet glauben, zur Befriedigung ihrer Kauslust nach München . Aber auch das spricht sich herum und trägt nicht zur Hebung der Stimmung bei."

3wirn, Seife, Leder, Gummi usw. werden von allen ge= hamstert, die dazu in der Lage sind. Die Schimpierei der Nazi gegen das Hamstern regt nur noch mehr zum Hamstern an. Ein ähnlicher Bericht liegt aus Baden vor.

Aus dem Ruhrgebiet , aus Westfalen , Hannover und aus dem Bremer Gebiet wird übereinstimmend über weiter anhaltenden und sich verschärfenden Waren mangel vor allem in Textilien berichtet. In der Produktion macht sich dieser Mangel jetzt fühlbar bei der Herstellung der Frühjahrsartikel. Die Nazis beruhigen sich mit der Redens­art. daß ja immer noch genug Frühjahrssachen in den Lagern liegen und auf neue Moden keine Rücksicht ge­nommen zu werden brauche. Damit aber würde gerade der Kaufreiz, vor allem in der Damenkonfektion, ersterben. Einem Bericht

aus Sachsen

ist zu entnehmen: Die Konfektionshäuser usw. in Dresden dürfen Trifotagen nur bis drei Stück abgeben pro Käufer. Ueberall herricht großer Andrang. Alles macht Angst- bzw. Vorsorgeeinfäufe. Käse und Kakav können von den Grossisten fünftig nur noch zu zwei Dritteln des Sommer­bedarfs geliefert werden.

einen Festmeter Holz( la) ist von 12 wit. auf 32 t ge Sunlicht als Beispiel

stiegen.

Aehnliche Berichte liegen aus Schlesien , Wüttemberg und der Pfalz vor. Von Berlin

ist zu sagen: Die Preise steigen von Tag zu Tag. Grüne Erbsen, die im vergangenen Jahre mit 24 Pig. verkauft wurden, kosten jetzt 40 Pfg. Der Schlächter, der vor einigen Wochen für Hammelfleisch 65 Pig. zahlte, muß heute das Pfund für 98 Pig. einkaufen. In den Schultheiß - Kantinen sind die Preise wesentlich erhöht worden, was durch Anschlag am schwarzen Brett den Gefolgschaften befanntgegeben. wurde. Es fostete ein Teller Suppe bisher 5 Pig., jetzt 7 Pig., ein Mittagessen im Abonnement bisher 25, jetzt 30 Pig., außer Abonnement bisher 36, jetzt 40 pfg.

Die Warenver knappung

Die Warenfnappheit und das Hamstern halten an. Einem Bericht aus Bayern entnehmen wir:

Die Knappheit in bestimmten Warensorten zeigt sich immer mehr. Er herrscht Mangel an verbilligtem Speisefett( Mar­garine). Knappheit besteht neuerdings besonders an Zwirn und anderen Tertilerzeugnissen. An Seife mangelt es spür­

In den Geschäften beginnen gute Seifen knapp zu werden. Ersatz für bestimmte Qualitäten kann in vielen Fällen nicht mehr beschafft werden. Bei Wertheim in Berlin z. B. waren Sunlicht- Kernseifen zeitweise ausverkauft. Ein größerer Vorrat französi cher Kernseife war in wenigen Stunden ver­griffen. Die Qualität wird schlechter. Die Sunlicht- Gesell­schaft verwendete bisher Packungen, auf denen stand:

,, 20 000 RM Bürgschaft übernimmt die Sunlicht- Gesell­schaft A.G., Mannheim , dafür, daß diese von ihr herge­stellte Seife feine schädlichen Bestandteile enthält." Jetzt ist der Tert folgendermaßen geändert:

Die Sunlicht- Gesellschaft A. G., Mannheim , übernimmt die Gewähr dafür, daß diese Seife unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen hergestellt ist." Gänzlich weggefallen sind auf den neuen Packungen die frü­heren Versicherungen:

Größte Waschfrast, mühelose Arbeit. Schonung der Gewebe.

Sunlicht- Seife ist wegen ihrer Reinheit auch für Hände und Körper vorzfiglich geeignet."

Verständigung mit Mussolin!?

Genf , 13. Dezember.

Die französisch - italienischen Verhandlungen scheinen in ein entscheidendes Stadium getreten zu sein. Der Vor­sitzende des sitzende des auswärtigen Ausschusses des Senats, Berenger, ist vom italienisch- französischen Komitee in Rom eingeladen worden, eine Büste des französischen Dichters Chateaubriand in Rom zu enthüllen. Beranger ist nicht nur Vorsitzender des Auswärtigen Aus­schusses des Senats, sondern auch Vorsitzender des ita­lienisch- französischen Komitees in Paris . Dadurch verfügt Berenger über ganz ausgezeichnete Verbindungen in Rom , und es hat sich sehr rasch gezeigt, daß diese Ent­hüllung der Büste von Chateaubriand den Anlaß dazu gegeben hat, daß Senator Berenger gemeinsam mit dem französischen Botschafter Chambrun in Rom Verhand­lungen von größter politischer Bedeutung geführt hat. Ueber die mehrstündige Unterredung, die die beiden fran­ zösischen Politiker mit Mussolini hatten, haben wir bereits berichtet. Dieser Unterredung ging übrigens eine ebenfalls sehr lange Unterhaltung voraus, die unmittelbar vor seiner Abreise Außenminister Laval mit dem italieni schen Delegierten, Baron Alpisi, hatte.

Mussolini hat mit Berenger noch einmal eingehend alle Punkte erörtert, die die Voraussetzung einer fran zösisch- italienischen Entente bilden müßten. Frankreich selbst ist bereit, größere Ronzessionen Italien gegenüber in Tunis und am Tschad- See in Mittelafrika zu machen, aber die Schwierigkeiten liegen nach wie vor in den Gegensägen zwischen Italien und den Bundesgenossen Frankreichs . Italien hat grundsäßlich das Recht Ungarns auf Revisionseiner Grenzen anerkannt, während die Vertreter der Kleinen Entente noch gerade in diesen Tagen in Genf deutlich zum Ausdruck gebracht haben, daß diese Revisionsansprüche auf fried­lichem Wege nicht erfüllt werden können. Außerdem bleiben nach wie vor die Gegensäge zwischen Jialien und Jugoslawien in bezug auf die Vorherrschaft in der Adria und in bezug auf Albanien bestehen.

Es läßt sich naturgemäß noch nichts Genaues darüber sagen, ob es in allernächster Zeit zu der von Frankreich ge= wünschten Verständigung mit Italien kommen wird, eben­so wie es immer noch nicht mit absoluter Sicherheit fest­steht, daß Laval nach Rom fährt. Dennoch ist es notwendig, sich völlige Klarheit darüber zu verschaffen, warum Frank­ reich gerade seit einiger Zeit so hartnäckig um die Gunst Mussolinis wirbt. Die tiefere Ursache dieser Neuorientierung der französischen Außen­politik am Mittelmeer ist am Rhein zu juchen. Die technische und moralische Aufrüstung des ,, dritten Reiches" bedeutet für Frankreich eine unmittel bare Gefahr. Die französische Diplomatie hat daraus die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Sie hat bereits enge außenpolitische und auch militärische Zusammenarbeit mit Sowjetrußland herbeigeführt und damit ein Gegengewicht gegen etwaige nationalsozialistische Aspirationen am Rhein

bar, aber nicht io, daß man seinen täglichen Bedarf nicht mehr Der Kampf gegen die Weiß gardisten geschaffen. Sie hat es auch trotz aller Bemühungen Hitlers

decken könnte. Die Qualität ist schlechter geworden. Mancherorts nimmt die Hamsterwut der Bevölkerung einen geradezu panifartigen Charakter an. In südbayerischen Pro­vinzstädten ist der Andrang in den Textilgeschäften be­ängstigend. Die Juden machen glänzende Geschäfte. Der Faden ist fast vollständig ausgegangen. Jeder Käufer be­kommt nur mehr eine Rolle. Die Leute rennen nun in jedes Geschäft und holen sich überall eine Rolle Faden. Das hat soweit geführt, daß am vergangenen Samstag die einzelnen Geschäfte für furze Zeit geschlossen hatten. Kleidungsstücke werden in Massen gehamstert. Das führte dazu, daß die

Moskau , 13. Dezember.

Im Zusammenhang mit der jüngsten Ermordung Kirows hat das Oberste Militärgericht auf Grund der letzten Verordnung des Zentralerefutivfomitees gegen zwölf Personen verhandelt, die beim illegalen Uebergang der pol= nisch- russischen Grenze von der Grenzwache verhaftet wurden. Man hat bei ihnen Revolver und Handgranaten gefunden, die sie zu terroristischen Zwecken verwenden wollten.

Das Oberste Militärgericht hat von den zwölf Angeklagten neun zum Tode verurteilt. Das Urteil ist gemäß dem neuen Gesez sofort nach der Urteilsverkündung vollstreckt worden.

abgelehnt, vorläufig eine Verständigung mit dem dritten Reich" herbeizuführen, und sie hat gerade in diesen Tagen der Wilhelmstraße zu verstehen gegeben, daß sie die Reise von Rudolf Heß und Ribbentrop nach Paris für über­flüssig hält. Für die französische Diplomatie gilt heute Hitlerdeutschland als Hauptfeind und deshalb bemüht sie sich, zunächst einmal durch eine vorherige Verständigung mit Italien die Position Frankreichs zu stärken.

Denn im Falle eines unter den gegenwärtigen Verhält nissen in Deutschland nicht unwahrscheinlichen offenen Konflikts am Rhein will sich Frankreich unter allen Um­