Freitag, den 14. Dezember 1934
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Was bedeutet uns Shakespeares ,, Heinrich IV." die Historie, die bald dreiundeinhalbes Jahrhundert alt ist und vor einem halben Jahrtausend spielt? Sie spielt im Mitteltalter, das heute eine ganz unerwünschte Aktualität erlangt hat. Man braucht da gar nicht auf die Gegenwart zu übertragen, nicht Beziehungen zu konstruieren. Man muß nur richtig auffassen, was um 1400 das ist um die Mitte des hundertjährigen Krieges( 1337-1453) in England geschah.
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,, Gott weiß, mein Sohn, durch welche Nebenschliche und krumme Wege ich diese Kron' erlangt." bekennt Heinrich IV. Sein Vorgänger, der auch allerhand auf dem Kerbholz hatte, durchschaute ihn. Wir selbst, so sagt er( in Shakespeares ,, Richard II.")
Sah'n sein Bewerben beim geringen Volk, Wie er sich wollt' in ihre Herzen tauchen Mit traulicher, demüt'ger Höflichkeit;
Was für Verehrung er an Knechte wegwarf,
Handwerker mit des Lächelns Kunst gewinnend.... Richard II hatte Heinrich Bolingbroke vom Hofe verbannt und des Landes verwiesen. Aber Bolingbroke kam wieder. Die Großen gingen zu ihm über. Richard mußte ihm die Macht abtreten und wurde im Turm zu London eingesperrt. Dort ließ ihn Bolingbroke , nun König Heinrich IV., umbringen. Richards Günstlinge wurden ermordet. Darauf wollte Heinrich IV. durch gute Werke dem lieben Gott gefällig sein.
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Solches pflegte jene Zeit verstand das nicht besser durch die Abschlachtung von Heiden im heiligen Land zu geschehen. Doch aus dem Kreuzzug wurde nichts. Owen Glendower trotzte in Wales , und die Schotten erhoben sich gegen den König. Sie wurden freilich von dem Grafen von Northuberland und seinem Sohn Percy, dem Heißsporn, geschlagen. Die Hälfte des Adels von Schottland gériet in Gefangenschaft. Aber gerade darüber kommt es zum Bruch zwischen den Siegern und dem König. Kriegsgefangene müssen Lösegeld zahlen. Der König braucht Geld und verlangt darum die Auslieferung der Gefangenen. Northumber land und Percy wollen ebenfalls Geld und verweigern die Auslieferung an den König. Die Sache ist eben die, daß die nobeln Herren, die dem Heinrich Bolingbroke zum Thron verhalfen und dafür reich belohnt wurden, ihre Taschen noch mehr füllen und ihre Macht so vergrößern wollen, daß sie nicht von der Gunst des Königs, sondern der König von ihrer Gunst abhängt. Denn sie trauen diesem Heinrich ebensowenig, wie er ihnen. So verbünden sie sich mit ihren gefangenen Feinden, den Schotten, und mit Owen Glendower von Wales . Im entscheidenden Augenblick tun jedoch Nort humberland und Glendower nicht mit. In der Schlacht bei Shrewsbury fällt Percy der Heißsporn. Der lose Prinz Heinz, der Thronfolger, bricht in langem Feldzug die Macht Glendowers. Northumberland läßt seine übrigen Verbündeten, den Erzbischof von York , Lord Mowbray und Lord Hastings , im Stich. Diese werden zu Friedensverhandlungen in einen Hinterhalt gelockt und als Hochverräter verhaftet. Der König stirbt, Prinz Heinz wird gekrönt.
Das ist die Staatsaktion, die politische Aktion. Sie zeigt den Kampf um die Macht, der damals nichts anderes war, als heute: Kampf ums Geld. Kampf um die Beute. Er wurde durch Bürgerkrieg und Raub, durch Mord und Verrat geführt. Während wir früher jene Zeit zu wild, jene Mittel zu plump fanden, so sehen wir heute, daß jene Zeit wiedergekehrt ist, jene Mittel wieder verwendet werden. Bildung. Wissenschaft und Technik sind nebensächlich geworden. Die Zivilisation versinkt in wesenlosem Scheine. Blut und Boden werden kraẞ sichtbar. Somit tritt an die Stelle des zwanzigsten das vierzehnte Jahrhundert. Wir brauchen uns nicht zurückzuversetzen, nicht ins Mittelalter einzufühlen": Shakespeares Königsdramen sprechen so unmittelbar, als ob sie für uns geschrieben wären.
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,, Heinrich IV." gilt als das schönste der Königsdramen, wegen der leuchtenden Figur des Prinzen Heinz und besonders wegen Falstaff . Sind diese beiden Gestalten den andern Geschöpfen des großartigsten Gestalters der Weltliteratur wirklich so überlegen? Die dichterische Fülle so kann man hören sprenge den künstlerischen Rahmen. Eigentlich gingen in dem zweiteiligen Heinrich IV.", in diesem doppelten Fünfakter, zwei Stücke neben- und durcheinander: das( Staats-) Schauspiel und die Falstaff- Komödie. Shake speare habe ja überhaupt Ernst und Scherz gerne gemischt. Die tiefere Bedeutung stecke in dem unerschöpflichen Reichtum der menschlichen Natur, der da einmalig, ewig gültig gefaßt sei. Ein unsterbliches Drama, ohne geistiges Band, ohne innere Einheit? Darin läge also das Geheimnis des Genies, daß es ein belangvolles, doch beziehungsloses Werk schafft? Nein, ganz und gar nicht.
Die Falstaff- Komödie übt die künstlerische Funktion des Spiegels aus. Der niedere Adel und das Volk spiegeln den hohen Adel und die regierende Schicht wieder. Gewissenlos, zuchtlos, eigennützig, verräterisch wie die Herrschenden ist Sir John Falstaff . Er betätigt die gleichen Instinkte, betreibt auf seine Weise das gleiche Handwerk wie die Oberen. Diese Uebertragung der großen Verhältnisse auf die kleinen Verhältnisse macht die komische, die groteske Wirkung aus. Die Fürsten leben, indem sie die Untertanen auspressen. Falstaff und seine Kumpane leben, indem sie auf Straßenraub gehen. Die Fürsten wollen sich durch Krieg bereichern. Fallstaff bereichert sich. indem er taugliche Rekruten gegen Bestechungsgeld für untauglich erklärt. Northumberland wählt den besseren Teil der Tapferkeit, indem er die Mitverschworenen im Stich läßt. Falstaff wählt den besseren Teil der Tapferkeit, indem er sich dem Kampf entzieht. Das wird in dem berühmten Monolog über die Ehre philosophisch begründet:
- von Josef Halperin
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Ereignisse und Geschichten
Beaune Mimikey
Reichsbefeh!! Wir sind die dicken Freunde aller Bolschewiken,
Weil's der Führer will!
Zeitungsschreiber, nicht bedrückt sein; Auf Befehl müßt ihr entzückt sein! Das ist deutscher Drill!
Was ihr gestern noch verflucht habt Und als Teufelsspuk gebucht habt, 1st heut' Religion.
Alle Bücher, die's verdammt, Sind beschlagnahmt insgesamt. Heil dem Sowjetsohn!
Ja, bei uns sind Haß und Liebe, Alle Lust- und Unlusttriebe Straff organisiert!
Sagt dem, der noch gestern Feind war, Daß es nicht so bös gemeint war, Und der Bund marschiert!
,, Ehre beseelt mich vorzudringen. Wenn aber Ehre. mich beim Vordringen entseelt? wie dann? Kann Ehre ein Bein ansetzen? Nein. Oder einen Arm? Nein. Oder den Schmerz einer Wunde stillen? Nein. Ehre versteht sich also nicht auf die Chirurgie? Nein. Was ist Ehre? Ein Wort. Was steckt in dem Wort Ehre? Was ist diese Ehre? Luft. Eine feine Rechnung. Wer hat sie? Er. der vergangenen Mittwoch starb: fühlt er sie? Nein. Hört er sie? Nein. Ist sie also nicht fühlbar? Für die Toten nicht. Aber lebt sie nicht etwa mit den Lebenden? Nein. Warum nicht? Die Verleumdung gibt es nicht zu. Ich mag sie also nicht. Ehre ist nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge, und so endigt mein Katechismus." Die Spiegelung ergibt also die einmalige Perspektive, die ,, Heinrich IV." als etwas Besonderes in der Reihe der Königsdramen erscheinen läßt. Dank der Spiegelung tritt die Plastik des Bildes stärker hervor und wird die Bedeutung des Bildes klarer Durch die Spiegelung wird die Gesellschaft kritisiert. Die Historie wird zur Gesellschaftskritik. Was in dem geschichtlichen Schauspiel vorgeht, das war für Shakespeares Generation keineswegs veraltet. Dem Der weiße Fleck zeitgenössischen Publikum des Dichters mußte sich die Beziehung zur Vergangenheit aufdrängen. In der Person der Königin lebte ja jene blutige Tradition fort. Elisabeth war eine Tochter der Anna Boleyn , die ihr Gemahl, Hein rich VIII. , hatte hinrichten lassen. Sein Nachfolger, Eduard VI. , kam als Knabe auf den Thron und starb sechzehnjährig. Für ihn regierte der Onkel Hertford , Herzog von Somerset, als Reichsprotektor. Ein anderer Onkel, der Bruder Somersets, Großadmiral Thomas Seymour , suchte den kleinen König mit Taschengeld zu bestechen, machte mit Piraten gemeinsame Sache, intrigierte gegen den Reichsprotektor. wurde abgesetzt und hingerichtet. Auch Somerset wurde abgesetzt. in den Turm( Tower) gesteckt und von Warwick, dem neuen Protektor, der Verschwörung bezichtgit. Die Verschwörung war fingiert, aber Somerset wurde hingerichtet. Warwick ernannte sich zum Herzog von Nort humberland , wollte mittels des von ihm diktierten und dann erst noch gefälschten Testaments Eduards den Thron für seinen Sohn erschleichen, machte einen Putsch, der miẞlang, und endete auf dem Schafott. Shakespeare konnte diese Dinge von seinem Vater erfahren, der sie miterlebt hatte. In Shakespeares Kindheit fiel der Schauerroman der liebestollen Mary, Königin von Schottland. Shakespeare zählte dreiundzwanzig Jahre, las Mary Stuart hingerichtet wurde. Verschwörungen gegen die Königin Elisabeth waren häufig.
Shakespeare schrieb die Königsdramen zu der Zeit, da die alternde Königin sich junge Liebhaber hielt, die sie mit Ehren und Reichtümern überhäufte. Er spielte am Hofe Elisabeths und ihres Nachfolgers Jakob I. Dieser, der Sohn Mary Stuarts, begünstigte ebenfalls hübsche junge Männer. Mit den Königsdramen griff also Shakespeare in eine Vergangenheit, die höchst aktuell anmutete. Indem er eine frühere Gesellschaft abbildete, kritisierte er die zeitgenössische. Das darf man sich heute vor Augen halten, da die Stützen der bürgerlichen Gesellschaft kritische Zeitstücke ablehnen, und Monopolpatrioten mit Tränengasbomben dagegen kämpfen.( Der Monolog über die Ehre würde einem modernen Dramatiker den Ruf des ,, Kulturbolschewisten " eintragen.) Shakespeare war sich bewußt, daß er mit ,, Heinrich IV. viel gewagt hatte. Nicht umsonst bat er im Epilog um Verzeihung.
Shakespeares Königsdramen sind eine Folge von Freskeu. Das strahlendste in der Reihe ist ,, Heinrich IV.". In diesem Stück konzentriert sich die Freskenfolge: Heldisches und Niederträchtiges, Mut und Feigheit, Ungestüm und Vorsicht, Verschlagenheit, Prahlsucht, Liebe und Haß, Würde und Schamlosigkeit Betrachtet man vom Hauptstück aus die ganze Reihe, so umspannt der Blick zugleich eine dunkle Vergangenheit und die dunkle Gegenwart.
Heinrich IV. ist der Usurpator mit dem schlechten Gewissen und der steten Sehnsucht nach der Legalität. Die Kumpane, die ihm zur Macht verhalfen, miẞtrauen einander. Keiner traut dem andern, der Vater nicht einmal dem Sohne. Neid, Machtgier, Tücke, Verrat, Konspirationen kennzeichnen diese angefaulte Gesellschaft. Dunkle Vergangenheit, dunkle Gegenwart.
Die interessante Inszenierung Gustav Hartungs im Zürcher Schauspielhaus regte zu diesen Notizen an. Den Dank für die glanzvolle Leistung( mit dem herrlichen Bühnenbild von Teo Otto ) würde eine Debatte über den Aufführungsstil nicht beeinträchtigen. Es genüge hier die Feststellung, daß von den Spielern am reinsten, am stärksten Heinrich Gretler war. Er gestaltete den Falstaff ebenso differenziert wie gezügelt und erreichte so die große Linie des Werks, die hier nachzuzeichnen versucht wurde.
Rassereinet Skat
Der Ausbau der Volksgemeinschaft macht riesige Fort
Horatio
TUA
Wer etwa meint, daß in Deutschland nun bald..gereinigt", geschnüffelt, regiert und katalogisiert worden sei, wer da meint, daß es bald keine einzige Großmutter mehr aus der Grabesruhe zu scheuchen gebe, der irrt sich. Den Rassisten erscheinen die Ahnenreihen noch lange nicht stramm genug ausgerichtet, die Stammbäume noch lange nicht genug gedüngt, jetzt soll der Spaß erst richtig losgehen. Jetzt sollen die Standesämter zu Sippenämtern erweitert werden, und wehe dem Unglücklichen, der nicht alle Altvorderen vollzählig beisammen hat, sein künftiges Ehegespons wird in milder, aber bestimmter Form vor ihm gewarnt werden. Denn so schrieb der Oberzuchtmeister der eben im Werden begriffenen Sippenämter, Dr. Achim Gercke , den deutschen Zeitungen:
..Das Sippenamt soll sehr deutlich zum Ausdruck bringen. daß es nicht auf einen einzelnen ankommt, sondern, daß es immer ankommt auf das Verhältnis zu seiner Sippe, auf sein Verhältnis zu seiner Rasse, seinem Volke." Und er fügt für die Begriffsstutigen hinzu, die den Großmutterkomplex schon halbwegs bereinigt glaubten,
,, Man kann schon erkennen, welche Aufgaben das ganze Sippenamt hat, wenn die Erbbiologen dazu kommen werden, das Volk durchzusichten, um die Minderwertigen von den Erbtüchtigen zu scheiden."
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Das klingt vielversprechend! Achim meint aber, die ganze Einrichtung komme reichlich spät. Wenn etwa die antidiluvianischen Urzeitmenschen sich schon eine wohlgeordnete Sippenkartothek aus Mammutknochen zugelegt hätten, ..wie vielen könnten wir heute wieder ihren Erzeuger nennen, ihnen den Namen ihre Großvaters angeben, damit sie eine Ahnentafel haben und sich nicht zu schämen brauchen, daß in der Ahnentafel ein weißer Fleck ist."
Ein weißer Fleck"! Da haben wirs! Endlich kommt zum ,, gelben Fleck", unter dem die Juden leiden, auch noch der ,, weiße Fleck", der selbst den von sich überzeugtesten Nationalsozialisten und Ariern zustoßen kann.
Wer vor die Schranken des Sippenamtes tritt, muß vorher alle Ahnenknochen sorgfältig numerieren, sonst schwimmt ihm die Braut mitsamt der Erbtüchtigkeit davon...Wat. Mensch heiraten wolln se? Sie ham ja zwei weiße Flecke bei Ihnen piepts woll? Schaffen Se erst mal Ihre Ahnentafel in die Reinigung!"
mütterlicherseits
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Gewinnen wird bei der ganzen Neugründung in erster Linie Achim Gercke , der künftige Leiter, denn ein fetterer, sozusagen zukunftsträchtigerer Posten ist lange nicht geschaffen worden.
Wacum mußte ,, Lore" sterben?
Der Inspekteur des Erziehungs- und Bildungswesens in. Deutschen Arbeitsdienst, Dr. Decker, bezeichnet in der Führerzeitung des Deutschen Arbeitsdienstes das Singen als eine der größten Realitäten der staatspolitischen Erziehung. Auch hier gehe der Arbeitsdienst neue, eigene Wege. Sein Ideal sei nicht der Kunstgesang, sondern das Gemeinschaftslied, das Volkslied im besten Sinne. Es sei erstaunlich, wie gut die Arbeitsmänner singen könnten, aber es sei erschütternd, wie wenig Lieder sie kennten. Die„, Lore" sei Gott sei Dank tot. Man müsse allerdings feststellen, daß die Jugend die ,, Lore" gern gesungen habe, während sie Lieder, die statt ihrer empfohlen worden seien, nicht gern gesungen habe. Hier sei eine Lücke auszufüllen. Man brauchte Lieder, die nicht kitschig seien und doch in den Herzen aller lebten.
Eine schwierige Aufgabe. Für den braunen Liederbedarf kommt nur zweierlei in Betracht: Blut und Herz. Ihre Synthese hat im ,, dritten Reich" die Neigung, Kitsch zu werden. Das kann kein Inspekteur ausrotten.
schritte, wie die letzten Verhandlungen des Skatverbandes, Sonniges Gemüt
Sitz Altenburg , die vor einigen Tagen in Altenburg abgehalten wurden, zeigen. Nachdem beschlossen worden war, den nächsten Skatkongreẞ wegen Mangel an Mitteln auf 1936 zu verschieben, wurde ein Beschluß gefaßt nach dem Schritte unternehmen sind, um Z11 das volksfeindliche ,, contra" und., re" aus dem Skatspiel auszumerzen, um das Spiel von allem unreinem Beiwerk zu reinigen."
Warum so zaghaft? Warum beschließt der Skatverband nicht überhaupt, da jeder Gewinner und Verlierer die doppelte Summe des abendlichen Umsatzes der NS. - Volkswohlfahrt zur Verfügung zu stellen hat? Man ist doch sonst nicht so?
Der früher einmal geachtete Publizist Hermann Claudius , der sich so gerne Dichter nennen hört, hat sich bekanntlich seinerzeit eiligst gleichgeschaltet. Er veröffentlichte in diesen Tagen im Feuilleton deutscher Zeitungen eine Sonnenstrahlenerzählung, die folgendermaßen beginnt:
..Ich habe mit gefangenen Vögeln immer viel Mitleid gehabt!"
Dafür hat es dem Gesinnungsakrobaten Claudius immer. an Mitleid mit gefangenen Kollegen gefehlt. Sonst hätte er sich nämlich nicht gleichgeschaltet.