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13.

JANUAR

Für DEUTSCHLAND   gegen HITLER  

Am 14. Januar morgens 8 Uhr Ermittlung des Abstimmungsergebnisses

Zur Ausführung des Artikels 55 der Abstimmungsverord­nung vom 7. Juli 1934 wird folgendes verordnet:

Artikel 1

Nach dem gemäß Artikel 58 der Abstimmungsordnung vom 7. Juli 1934 ausgesprochenen Abschluß des Wahlgeschäftes werden die Urnen versiegelt und mit den Wahl­protokollen unter Aufsicht der von der Abstimmungskom­mission zu diesem Zweck zugeteilten neutralen Beamten nach Saarbrücken   überführt und dem Abstim­mungsfommissar übergeben. Die Abstimmungskommission wird Mitglieder des Wahlbüros, den verschiedenen Parteien angehörend, anweisen, die Transporte zu begleiten. Nähere Anweisungen hierüber sowie über die für den Transport zu treffenden Sicherheitsmaßnahmen werden von der Kommis­ston erteilt.

Artikel 2

Die Ermittlung des Wahlergebnisses wird in Saarbrücken  stattfinden und am 14. Januar, um 8 Uhr, anfangen. Die Ermittlung, die ununterbrochen verlaufen soll, findet unter der unmittelbaren und ausschließlichen Aufsicht der Kom­mission statt; dazu werden nur neutrale Beamte verwendet, die, in Gruppen von drei, die Zählung vornehmen werden. Zur Ausführung der Ermittlung wird die Kommission nähere Anweisungen geben. Vertretern für die Saarbevölke= rung, Deutschland  , Frankreich   und die Presse werden Plätze in dem Saale  , wo die Ermittlung stattfindet, nach später zu ergehenden Anordnungen der Kommission angewiesen.

Artikel 3

Die Kommission entscheidet über die Gültigkeit der Stimm­settel. Artikel 4

Das Ergebnis wird erst bekannt gemacht, nachdem sämt liche Zählungen stattgefunden haben. Von der Kommission werden Maßnahmen getroffen, damit das Ergebnis nicht im voraus von den beiwohnenden obénerwähnten Vertretern bekanntgegeben wird.

Vorstehende Verordnung wird auf Ersuchen der Abstim­mungskommission biermit verfündet. Saarbrüden, den 21. Dezember 1934.

Im Namen der Regierungsfommission: Der Präsident:

gez. G. G. Knox.

Ehemaliger Sozialdemokrat a's Hitlerknecht

In der Saarbrüder Zeitung" sucht ein angeblicher frü­herer Sozialdemokrat, der den in weitesten sozialdemokra= tischen Kreisen unbekannten Namen Tewes führt, den Nach­weis zu erbringen, wie gut er sich den Jargon der schmierig sten Gegner der Arbeiterbewegung zu eigen gemacht hat. Wir fennen ihn nicht, wissen nicht, ob er der Partei wirklich ange= hört hat; schließlich fann sich eine Millionenpartei nicht vor dem Eindringen einzelner Gesinnungslumpen schüßen, die nun unter geänderter Konjunktur im Schlamme des Natio­nalsadismus unter zahllosen Artverwandten fröhlich ein herwaten. Er wird wohl ein Sozialdemokrat" gewesen sein, wie die Herren Hofer immer zur gegebenen Zeit Räte­sozialisten, Clemenceau Franzosen oder deutsche Demokraten gewesen sind und heute auf Hitler   schwören nächsten Konjunktur.

bis zur

Was der Herr zu erzählen weiß, ist so neu wie die Gedanken­gänge des Reichslügenverbandes und seiner Vorläufer vor 30 Jahren. Daß er dabei ehrliche Sozialdemokraten, die sich dieser Erwähnung sicher schämen werden, als Schwurzeugen für seine Sorte, Nationalismus in Anspruch zu nehmen wagt, ist eine Frechheit, die mir namens der Verstorbenen oder im Mörderreich zum Schweigen Verdammten mit Ab­schen zurückweisen.

Wie wenig der Mann, der zwischen der ehrlichen Vater­landsliebe, die für Recht und Freiheit eines Volkes nach außen wie im Innern fämpft, und dem von schlauen Ge­schäftemachern gelenkten Nationalsozialismus der fanatisch Unwissenden nicht zu unterscheiden vermag, logisch zu denken meiß oder gewillt ist, zeigt am besten die Nuzanwendung, die er auf die aarfrage macht.

Danach ist es vaterlandsfeinlich, wenn wir ein Stück deut­ schen   Landes und Volkes vor dem furchtbaren Unglück, dem das übrige verfallen ist, so lange zu bewahren suchen, bis das unsaubere Feuer doch ausgebrannt und Deutschland   wieder eine Stätte des Menschentums geworden ist. Vaterlandsfeind­lich, wenn wir dieses Stück durch vorbildliche Einrichtungen zu einem Bollwert des deutschen   Freiheitskampfes zu machen suchen. Vaterlandsfeindlich, wenn wir durch die Niederlage

des 18. Januar dem blutschmusigen Syſtem einen vernich

tenden Schlag versehen, der seinen baldigen Zusammenbruch im Gefolge hat. Man muß von sozialistischer Erkenntnis nie einen Hauch verspürt haben, wenn man das nicht versteht. Darum wundert es uns auch nicht, wenn Herr Tewes" unsere Haltung aus dem dreckigen Gedankengang zu er= flären sucht, der Konjunkturhelden von seiner Art und der Sorte Hofer freres nebst Geschäftsgehilfen im Redaktions­stuhl offenbar der geläufigste ist. Den Gang der Dinge, Hit­ lers   Niederlage an der Saar   und seinen baldigen völligen Zusammenbruch werden sie damit nicht aufhalten. Die Her ren würden, im Vertrauen gesagt, doch schon gut tun, fich unter der Hand nach neuen Konditionen umzusehen. Die jebige Firma steht schon zu wackelig. Bei der Arbeiterbewe­gung wird freilich für sie nichts mehr zu machen sein. Aber irgendwo wird man schon Unterschlupf suchen können. Für den Saarkampf aber für die Saltung des arbeitenden Vol­fes an der Saar  , das über die Ehre" und die soziale Lage feiner leidenden Brüder im Reiche und das Schicksal, das es selbit dort erwartet, schon hinreichend aufgeklärt ist, ist solches Geschwafel völlig bedeutungslos

Bürckels Weihnachts  - ,, Gruß" an Präsidenten Knox

Die Ausländer, die den deutschen   Nationalsozialismus und die moralische Qualität seiner Führer nur von ferne fennen, bleiben über das Wesen der Bewegung und ihrer führenden Menschen ununterrichtet. Sonst würden sie nicht immer wieder den Versuch machen, mit diesen Leuten Gentlemen- Agreement zu treffen, die einseitig bleiben

müssen.

Da haben wir zum Beispiel an der Saar   das schöne Gentlemen- Agreement des Weihnachtsfriedens vom 23. bis zum 27. Dezember. Mit einem Flaggenprotest wurde dieser wundersame Frieden eingeleitet Weil die Behörde ihr Flaggenverbot nicht sofort, sondern erst mit eintägiger Be­fristung wirksam werden ließ, wurde sie durch einen letzten allgemeinen Flaggenterror provoziert und verhöhnt. Das war am Vorabend des Weihnachtsfriedens.

Am ersten holden Friedenstage, am 23. Dezember, famen einige hundert überseeische Abstimmungsberechtigte in Saar­ brücken   an. Lärmend mit theatralischen nationalistischen Kundgebungen wurden sie empfangen. Gesungen wurde nicht etwa das Stille Nacht, heilige Nacht" oder O du fröh­liche..." sondern gegrölt wurde auf Straßen und Pläßen das Horst- Wessel- Lied, das nationalsozialistische Haß-, Rache­und Lügen- Lied. Kameraden, die Rotfront und Reaftion erschossen...". Zur Jllustration des schönen Gentlemen­Agreement vom Weihnachtsfrieden.

Hitlerjugend   trat in voller Uniform an, denn Weihnachts­frieden ist natürlich so zu verstehen, daß die Polizei nicht

einschreiten darf, wenn die Nationalsozialisten Verordnungen der Regierungsfommission umgehen.

Wenn es um die Innehaltung eines Gentlemen- Agree­ments geht, darf natürlich der Gentleman Bürckel  , Saar­fommissar und Gauleiter, nicht fehlen. So hat er denn zum Heiligen Abend einen Brief an den Präsidenten Knog ge= richtet, ein Schreiben, dessen Unverschämtheit auch in den dreisten Zumutungen die seither von drüben an die Regie­rungskommission gestellt worden sind, bisher nicht erreicht war. Der Saarbeauftragte des Reichskanzlers fordert näm­lich von dem Präsidenten Knox die sofortige Entlassung der in die saarländische Polizei eingestellten Emigranten und Separatisten". Man erfährt zugleich durch Herrn Bürckel  , warum eigentlich der Völkerbund   die internationale Knor­Armee in das Saargebiet entiandt hat: sie ist nur gegen den Emigranten fommissar" Machts aufgeboten..... Nun, da die Ruhe und Ordnung durch internationale Truppen ge­sichert sei, müßten Machts und die übrigen nicht boden­ständigen Polizeifräfte sofort entlassen werden. So fordert Bürckel, denn es ist tiefer Weihnachtsfrieden.

Wir hätten gerne den frechen Weihnachtsbrief Bürckels im Wortlaut mitgeteilt. Leider fonnten wir ihn bis zum Redaktionsschluß nicht erlangen. Er wurde zwar im Rund­funt durchgegeben, aber nicht an die Presse, denn ein echter deutscher   Nazi hält den versprochenen Weihnachtsfrieden und das Gentlemen- Agreement, wie ich es auffasse"

Wann fällt die Entscheidung in Gent  ?

Genf  , 24. Dezember.

Nachdem nunmehr feststeht, daß die nächste Sigung des Völkerbundsrates am 11. Januar unter dem Vorsitz der türkischen Außenministers Te wfik Ruchdy Aras stat finden wird, diskutiert man in hiesigen Völkerbunds.reisen eifrig die Frage, ob in dieser Sizung bereits die E 1. t- scheidung über das Schicksal der Saar falien werde.

Der Völkerbundsrat wird von der Abstimmungsfom­mission bekanntlich sofort von dem Ergebnis der Abstimmung unterrichtet werden, aber man neigt hier der Auffassung zu. daß der Rat erst in einer späteren Sonder­tagung die Entscheidung herbeiführen werde. Denn, wie auch immer diese Entscheidung ausfallen werde, es seien noch mancherlei Fragen zu klären, die noch feine Lösung gefunden hätten. Seit der letzten Sitzung seien

auch mehrere Eingaben zur Saarfrage dem Völkerbundsrat zugegangen, zu denen man noch Stellung nehmen müsse. Dar­unter ist die der   französischen Saareinwohner, die im Falle der Rückgliederung an   Deutschland wünschen, daß die in jedem Falle große Anhängerschaft des Status quo dadurch zu ihrem Rechte fomme, daß man von der im Versailler Vertrag vorgesehenen Möglichkeit einer Teilung des   Saar= gebietes Gebrauch mache, um den aber Tausenden von. im Saargebiet lebenden Hitleraegnern eine Zufluchtsstätte zu geben und die   europäischen Länder, vor allem   Frankreich, die   Tschechoslowakei,   Italien,   Belgien.   Holland, die   Schweiz und Engiand vor einer neuen Gmigration zu bewahren. Schließlich könnten diese Pänder Männern und Frauen, die sich, weil sie von dem ihnen vom Bölferbund, garantierten Hecht der Meinunasfreiheit Gebrauch nemacht hätten. deshalb in die Fremde flüchten müßten, nicht das Niederlassungsrecht und das Recht auf Arbeit versagen.

England und die Saarirage

O. G.   London, 22. Dezember.

Die Saarfrage steht zur Zeit in England im Vorder­grund des Interesses. Seit dem Beschluß, englische Truppen dorthin zu senden, fühlt man sich offenbar hier besonders verantwortlich für den weiteren Verlauf der Dinge. Nach wie vor begrüßt die öffentliche Meinung, soweit sie in der Presse zum Ausdruck kommt, den Beschluß, die Abstimmung durch eine internationale Truppe unter englischer Führung zu sichern. Wie ein Albdruck lastete die Unsicherheit, die Putsch- und Kriegsgefahr. Das ist jetzt verscheucht. Gegen eine internationale Truppe werden die Nazis feinen Putsch wagen gegen ganz   Europa wird   Deutschland feinen Krieg führen. Die gute Wirkung der aktiven englischen Politik in der Saarfrage. die Billigung dieser Politik durch die öffentliche Meinung, hat England auch dazu ge­bracht, im jugoslawisch- ungarischen Streit aktiver die Ver­mittlungsrolle zu ergreifen. auch hier mit voller Zustim­mung der gesamten Oeffentlichkeit Englands Außen= politik hat neuen chwung bekommen. Selbit die Beaverbrookpresse hat ihren offnen Widerstand aufgeben müssen. Noch einmal suchte sie den unseligen Zwischenfall in  Saarbrücken auszunuzzen, um durch hysterische, sensationelle und gewaltig übertriebene Berichte England von der aktiven Politik in   Europa abzudrängen. Aber auch dieser Versuch verfing nicht. Der Zwischenfall bleibt eine tief bedauerliche Angelegenheit, die den Engländern gewiß nicht angenehm ift, aber die englische Politik wird dadurch nicht im mindesten beeinflußt.

Aufklärung

der Abstimmungsberechtigten  

Paris, 24. Dezember.

Paris Soir" gibt in seiner Nummer vom 20. Dezember

einen Bericht über ein   Saar- Frühstück, das die Zeitung Journal de la Sarre" veranstaltet hatte. Darin

heißt es:

Im Verlaufe des Frühstücks, das unter dem Vorik von Herrn Gabriel Perreur stattfand, sprachen verschiedene Personen. Friboura. der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Kammer, Franklin= Boullon,   Landau, Ruffo, Jean Revire, Vik­tor Schiff, de Traversan, Scott, Pierre Samp und andere.

Alle Anwesenden waren einstimmig der Ansicht, daß die  Saarländer durch die Abstimmungskommission ent= sprechend aufgeflärt werden müßten über die wahre Bedeutung ihrer Stimmabaabe. Jer Saarbevölkerung müßten Folgen und Tragweite der Ab if immung flar­gemacht werden, denn sie wären noch nicht hinreichend damit

befannt!

Die Truppenentsendung

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freilich nicht nur sie hat in englischen Augen auch ihre Wirkung auf die Aussichten der Abstimmung. Vor der letzten Völkerbundstagung rechnete die englische Presse mit einer Mehrheit für den An­schluß an   Deutschland, freilich war man im Prophezeien vor­sichtig. Nur die Rother merepresie machte sich zum Sprachrohr der Goebbelspropaganda und außerdem wagte noch Vernon   Bartlett, der Außenpolitifer" des libe= ralen New Chronicle", eine Prophezeiung, er gab der deutschen Front" genau 85 Prozent, nicht mehr und nicht weniger. Nun hat der Prophet Vernon   Bartlett stets mit seinen Prophezeiungen besonderes Pech gehabt, es trat näm­lich immer das Gegenteil ein worauf er treuherzig und pathetisch zugab, er habe sich diesmal eben geirrt, das könne jedem passieren. Und am nächsten Tag prophezeite er wieder falsch. Wichtiger ist, was die ernsten Zeitungen sagen. Da ist es bemerkenswert daß zwei so seriöse Blätter wie die Times" und die Morning Post", von wachsenden Aussichten der Status quo- Bewegung schrei ben. Sie führen das hauptsächlich auf dret Dinge zurück: 1. auf verringerte Wirkung des Naziterrors auf die Bevölkerung durch die Anwesenheit neutraler Trup­pen und durch den Beschluß der Abstimmungskommission, alle Stimmzettel in   Saarbrücken zählen zu lassen; 2. auf den Beschluß des Völkerbunds rates, der eine zweite Ab­stimmung ermöglicht; und 3. auf die Gründung der neuen christlichen Front. die auf zahlreiche Katholiken Ein­druck mache, die sich gescheut hätten, unter marristischer" Führung zu marschieren.

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Das Journal des   Debats" ist ebenfalls dieser Ansicht und erflärt mit Recht: Das ist feine Propagnda, das ist bürgerliche Aufklärung!'

D'esenmeeting in Neuyork für den Status quo

Unter Führung des amerikanischen Hilfskomitees für die  Saar haben alle antifaschistischen Organisationen in Neu:  york beschlossen, am 9. Januar ein Riesen- Solidaritäts meeting für die Status- quo- Kämpfer zu veranstalten.   Zus Borbereitung dieses Meetings fand am 19. Dezember eine Konferenz von 200 Neuyorfer Organisationen statt, auf der der deutsche Schriftsteller Walter   Schönstedt berichtete. Die Organisationen beschlossen, sich mit allen Kräften dafür ein: zusetzen, daß das Meeting am 9. Januar zum größten ameris tanischen Anti- Hitler- Meeting werde.