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Nummer 3
Die Wählerin
Blätter zum Reichstags- Wahlkampf
Berantwortlich: Minna Todenhagen , Berlin , Drud: Vorwärts- Buchdruckerei, Berlin SW, 68, Bindenfte, 8.
Was bedeutet ein Sieg der Sozialdemokratie?
Gerechte Verteilung der Steuerlasten.
Es muß Schluß gemacht werden mit der Steuerfrei heit der Befihenden. Der reiche Mann soll ebenso feine Steuern seinem Einkommen entsprechend zahlen wie der Arbeiter und Angestellte, dem die Steuer an jedem Zahltag erbarmungslos abgezogen wird. Vernünftige Preisgestaltung auf dem Lebensmittelund warenmarkt.
Agrarier, Fabrikanten und Großhändler find sich in der Ausplünderung und Bewucherung des Verbrauchers einig. Wir zahlen froh des„ Abbaues" zum Teil noch das Doppelte, ja Dreifache der Borkriegspreise. Denkt an die Preise für Zuder, Eier, Butter, Kleiderstoffe usw. Nur eine farte fozialdemokratische Reichs. tagsfraktion kann sich der Intereffenpolitit, den Preisdiffaten von Großindustrie und Landwirtschaft entgegenstellen und die Wucherer faffen.
Ausreichende Fürsorge für Sozialrentner und Erwerbslose.
Keiner unter uns fann wiffen, ob auch er nicht infolge Arbeitslosigkeit, andauernder Krankheit oder Altersschwäche die öffentliche Hilfe in Anspruch nehmen muß. können die
Saffen und Zufriedenen Berständnis für die Verzweiflung des erwerbslofen Familienvaters, der darbenden Witwe haben? Ausbau des Wohnungswesens.
Sollen wir uns für alle Zeiten in den kleinen enge Löchern zusammendrängen? Hat nicht jede Familie An spruch auf eine eigene, wenn auch bescheidene Wohnung heute fchon fönnten Taufende von Familien in freundlichen Siedlungshäusern wohnen, wenn bürgerliche Profitpolitif im bisherigen Reichstag nicht alle Forderungen und Vorschläge der Sozialdemokratie auf Neuregelung des Wohnungswesens, auf Bereitstellung von Mitteln zum Wohnungsneubau abgelehnt hätte. Von jeher haben sich die Sozialdemokraten für praktische Wohnungs- und Siedlungspolitik eingefeht. Durchführung der Schulreform, Pflege des Unterrichtsund Bildungswesens.
Die Sozialdemokratie will den Aufstieg der Begabten. Gute Schulbildung, Berufsausbildung und Studium sollen nicht nur Privileg der Wohlhabenden sein. Das Grundschulgeset verdankt sein Entstehen der Sozialdemokratie: dem begabten und fleißigen Kinde soll, audi wenn es arme Elfern hat, Möglichkeit zu weiterem Cernen, zu geistigem Aufstieg gegeben werden. Auch die Einrichtung der Elternbeiräte ist ein Wert der Sozialdemokratie.
Ein Sieg der Sozialdemokratie im Reichstag bedeutet demnach Fortschritt und Befferung der jetzigen Verhältnisse. Darum gibt am 4. Mai
jede Frau ihre Stimme der Sozialdemokratie!
Ich wähle nicht!
Was hat das wählen für einen Zweck. Es nüht ja doch nichts. Es ist dadurch nichts gebessert worden. Bis jetzt habe ich jedesmal gewählt. Diesmal wähle ich nicht und von jetzt ab überhaupt nicht mehr!
So oder doch so ähnlich klingt es nur allzu oft jetzt aus dem Munde von Frauen, die der Arbeiterschaft angehören. Die Frauen sind erbittert und enttäuscht. Sie sind er bittert infolge der beispiellosen Not, die besonders während des letzten Jahres über uns gekommen war.
Die Frauen litten ja auch am meisten unter diefer Not. Sie mußten laufen und anstehen nach Lebensmitteln. Sie hatten täglich aufs neue einen Kampf zu führen, um die Millionen- und Milliardenscheine überhaupt mur loszuwerden, und zwar fo rechtzeitig, daß sie für ihr Geld noch etwas Nennenswertes erhielten.
Sie hatten auch in der Familie einen ständigen Kampf zu führen um Verständnis dafür, daß das Geld schon wieder ausgegeben war und doch in der Ernährung der Familie und im Haushalt in vieler Beziehung Mangel herrschte.
Welche Mühe mußten die Frauen aufwenden, um die Familie fattzumachen, und wieviel Arbeit und Ueberlegung fostete es, die Kleider und die Wäsche in Ordnung zu halten. Wieviel Tränen find barum geflossen und wie oft ist den
Frauen der Schlaf geflohen, weil ihre Gedanken auch des Nachts nicht zur Ruhe tommen fonnten.
Wahlzeit, so deutlich bemerkbar macht. Dies alles hat Erbitterung ausgelöst, die sich jetzt, in der
wir eine Gesundung erhofft hatten. Wer hätte auch wohl er Die Not ist über uns gekommen in einer Zeit, von der wartet, daß noch fünf Jahre nach dem Kriege unser Bolt in einer Weise zu leiden haben würde, daß demgegenüber die Leiden der Kriegszeit flein erscheinen mußten. Daß die traurigen Erlebnisse der Nachkriegszeit ganz besonders die Frauen enttäuscht haben, ist nur allzu verständlich. Sie find ja noch weniger als die Männer in der Lage, die Ursachen hierfür zu erkennen. Es fehlt ihnen dazu an Gelegenheit unb auch an Zeit. Sie erlebten die traurige Gegenwart, gegen die die früheren Zeiten, die Jahre vor dem Kriege, als das Para dies erschienen.
In einer solchen Zeit fallen Hinweise auf die Zwed losigkeit erweiterter Rechte für ein Volt auf allzu fruchtbaren Boden. Wie oft hören wir sagen: jekt haben wir wohl das Wahlrecht, aber was tönnen wir nur damit erreichen? Was hat es uns genügt, daß wir unsere Stimme für die sozial demokratischen Vertreter abgegeben haben? Wir haben fett einen sozialdemokratischen Reichspräsidenten, und doch ist es heute um uns schlechter bestellt als früher!
Mir ist es gleich, wie der kommende Reichstag aussieht. Ich wähle nicht!