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Ziel der Frauen.

Nicht mit Eiferu, Grollen, Geifern

Wider Macht und Wuchs im Mann Mitzuwirken

On Bezirken

Weiten Lebens, löst den Bann.

Ziel der Frauen:

Mitzubauen

Bollbefugt und selbstbefreit,

Bu entfalten,

Zu gestalten

Großen Zug der Menschlichkeit.

Karl Hendell

Großmutters Sorge.

Bon Minna Tobenhagen.

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Ende April diefes Jahres erschien eines Tages in unserem Ee­fretariat ein altes Mütterchen. Atemringend ließ fie fich auf den Bächsten Stuhl nieder. Wir boten ihr etwas Milch an, damit sie fich leichter erhole Da entrangen fich ihrer Brust zitternd die Werte: Ach Gott, Milch, man weiß ja gar nicht mehr, wie bie fdmedt. Dann begann fle zögernd, immer noch schwer atmend, thr Anliegen vorzutragen.

Ich wollte mich man bloß bedanten." Mein Gehirn strengte fich in der folgenden Atempaule vergeblich an, sich der Ursache dieses Dantes zu erinnern, als fie fortfahrend felbst damit fam: Ich foll nun am 1. Mai in dos Stift einziehen." Nun war Ich im Bilde, glaubte auch die Ursache ihrer Beklommenheit zu wiffen und redete tröstend auf fie ein:

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" Sie brauchen fich doch nicht zu ängstigen, Großmutter, im Stift merden fie es gut haben. Sie find doch endlich die Sorge um Nahrung und Wohnung los. Ich wollte nur, wir hätten soviele Wtersheime, daß dort alle Leute, die im Leben ihre Pflicht getan haben, ausruhen könnten."

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En freundliches Lächeln ging über das runglige Geficht, faft ein menig fpöttisch: Nee, Fräulein" laate, fie, ich hab auch gar leine Ungft aber das fommt boch nun fo ungelenen wegen bem 4. Mat. Ich weiß noch nicht, ob man auch im Stift wählen fann. Bch fann doch nicht von der Reinickendorfer Straße bis nach dem Schleftfchen Tor laufen, ba steh ich doch jetzt in der Wählerliste. Es ift mir schon heute so schwer geworden, bis nach der Lindenstraße Bu tommen."

Das alte Mütterchen hat gewiß nicht geahnt, welche Wohltat The mir mit ihrem Pflichtbewußtsein antat. Wie ermunternd wirkte bas gegenüber dem so oft gehörten: Es nüht jo doch nichts." Ich habe wohl nie so gern eine Auskunft erteilt, mie in diesem kalle. Das Altchen taute ordentlich auf. als ich ihr flar machte, daß fie fich vom Polizeibureau, von dem fie fich vor ihrem Umzug nach dem Stift abmelden müsse, gleich einen Wahlschein ausstellen laffen fönne, der thr das Recht aäbe, in dem für das Stift zuständigen Wahllotal hr Wahlrecht auszuüben Ea fei felbstverständlich, daß die Be. wohner des Stiftes alle ftaatsbürgerlichen Rechte behielten.

Wir sprachen bann noch einiges miteinander. Dabel   drückte ich mein Erstaunen darüber aus, daß sie, die 78 jährige, den Weg vom Schlesischen bis zum Halleschen Tor zu Fuß zurückgeleat babe.

Ja, Fräulein." erklärte fte mir nun wenn man fchon hart ge boren ist, und immer hart gelebt hat, dann ist man fchließlich auch hort gegen fich und zwingt sich dann geht's eben doch, wenn's auch schmer wird.

Sehen Sie, ich bin bei 10 Grad Kälte am 14. Januar 1846 im Chauffeegraben geboren. Meine Mutter hatte auf ihrer Dienststelle bis auf den lekten Tag arbeiten müffen. Als die Herrschaft ihr end­Hch die Erlaubnis gegeben hatte, nach ihrem Heimatdorf zu gehen, war es zu fpät. Sie fam nicht ganz hin und so wurde ich auf der Bandstraße geboren.

Meine Mutter hat mir erzählt, daß fie aar nicht gewußt hat, wie fe mich vor der Kälte Schüken follte. Zuerst hat fie verfucht, noch weiter zu geben, ist dann aber doch vor Mattigkeit zufammen. gebrochen und fo hat uns der Müller aus dem Dorf meiner Mutter gefunden, als er mit feinem Fuhrwert vorbei fam. und hat uns mitgenommen.

Auf dem Gut, auf dem meine Großeltern als alte Inftleute neftorben waren, erlaubte man meiner Mutter, in einer kleinen Rammer beim Ruhstall drei Tage lang Wochenbett zu halten, dann mußte sie auf dem Gute mitarbeiten.

Später heiratete meine Mutter einen Schuhmacher, mit dem fle noch 11 Rirder hatte. D. ich faa hnen, Fräulein, ich habe früh und hart arbeiten gelernt. Meine Mutter hatte im Winter, wenn feine Landarbeit war. eine Aufwartura im Bahnhofsrestaurant, eine Stunde vom Dorf entfernt. Fünf Pfennige verdiente sie dort die Stunde. Als zehnjähriges Mädchen habe ich fie bart schon ver treten. Unter meinen Händen ist oft das Scheuertuch auf dem Fuß­boden angefroren. Nach meiner Schulentlaffuna tam ich gleich in ben Dienst und habe von da on immer für mich felber gesorgt. Mit 20 Jahren habe ich geheiratet. Habe meinen Mann, einen Weber, früh an der Schwindlucht verloren. Aber ich habe mich immer burchgefchlagen mit meiner Tochter. Es ist zwar nicht meine eigene, fondern eine angenommene, aber ich hab fle doch immer so gehalten.

Wenn man all das durchgemacht hat, dann hält man auf fein Recht. Ich hab doch alles vor der Revolution und seit der Revolution verfolgt. Es ist doch schon vieles anders. Meine arme Murter hotte von meiner Geburt an einen Fehler, mit dem sie sich, bei ihrer harten Arbeit quälen mußte. Heute gibt es doch Wochenfür. forge und so vieles andere für die armen Menschen. Unfereins ha te doch so gar keinen Schuh, noch nicht einmal als Kind. Das Kinder Schutzgesetz haben doch die Sozialdemokraten erst viel später durch gefeßt.

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Ich weiß wohl, das alles noch viel besser werden muß, und darum muß man auf sein Wahlrecht halten. Lieber hätte ich auf das Stift verzichtet als auf mein Wahlrecht Ina, Sie haben mir ja nun die Sorge genommen und ich dank Ihnen auch vie! m..s. Damit erhob sich das Mütterchen und verabschedete sich. Im Hinausgehen mußte ich ihr noch versprechen, sie im Stift mit Zei­tungen zu versehen.

All die bittere Not der Inflation, für das Alter doppelt bitter, hatte diesem alten Mütterchen nicht den Blick getrübt.

Nehmt Euch ein Beispiel, ihr Frauen und Mäd. chen des arbeitenden Boltes!

Wohnungsnot und Reichstagswahl.

Weite Kreise der Bevölkerung beiden unter der drückendsten Wohnungsnot. Schon vor dem Kriege drängte sich das Proletariat in den engen, fonnenlosen Stuben der Mietstafernen zusammen, die das lediglich auf Profitwirtschaft eingestellte Bauunternehmertim errichtete. Seit der glorreichen Kriegszeit jedoch, die auf Jahre hinaus jede Bautätigkeit unterband, hat das Wohnungselend ganz erschreckend überhand genommen. Allein auf den Wohnungsämtern der Stadt Berlin   warteten am 1. Januar 1924 rund 223 000 Fa­milien und Ehepaare auf Zuweisung einer Wohnung!

Die Wohnungsnot muß als eins der schlimmsten sozialen Uebel angesehen werden, weil sie der Ausgangspunkt vieler anderer Miß ftände und Elendserscheinungen ist. Die Vertreter der Sozial. be motratie im Reichstag und im Breußischen Landtag haben daher auch bei jeder Gelegenheit ihre warnende Stimme erhoben und immer wieder die Durchführung einer planmäßigen Wohnungs und Siedlungsreform unter ausreichender Bereitstellung öffentlicher Mittel gefordert. Leider war der Erfola nur ein verhältnismäßig geringer, denn diese Bestrebungen scheiter'en immer wieder an der Intereffe- und Einsichtslosigkeit der bürgerlichen Parteien.

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Daß in jeder Wohnung mehrere Familien aufammenwohnen die Eltern, die verheirateten Kinder mit ihren Kindern ift heute beinahe etwas ganz Selbstverständliches. Erschütternd aber find die Schilderungen der Wohnungsuchenden auf den Wohnungs ämtern und die Berichte der in der Fürsorge Tätioen. Da hauſen in engen Räumen Gefunde und Schwindfüchtige zusammen, müssen fogar häufig wegen. Plakmangel die Lagerstätte miteinander teilen. Geschlechtsfranke übertragen aus aleichen Gründen ihre Krankheit auf andere Familienmitalieder. Selbst einfachere Krankheiten lassen fich in diesen unzulänglichen Räumen schwer ausheilen. Und was wird heute nicht alles Wohnung" genannt?! Da wohnen Familien von 6, 8, 10, 12 Perfonen in tiefen, modriaen, stodfinsteren Keller. räumen, in denen Wände, Matraßen, die Kleider im Schrank vor Näffe stoden und die vor dem Kriege niemals zu Wohnzweden frei gegeben worden wären. Nach fürzlich veröffentlichten Erhebungen des Roten Kreuzes wird allein in Berlin   die Zahl der Woh nungen, in die es hineinregnet, auf 7000 bis 10 000 aefchäßt.

Wie sollen in folchen Wohnungen Kinder gedeihen? Ist es da ein Wunder, wenn Säuglingssterblichkeit, schwere Rachitis und Strofulose fich wieder unheimlich ausbreiten?

Das ständige nahe Rusammenleben non Erwachsenen und Kindern in einem einzigen Raum ist aber auch eine große moralische Gefahr für die Jugend und fördert eine Frühreife, die auf leden Fall bedauernswert ist. Andererseits werden die Jugendlichen infotne der überfüllten, umgemütlichen Wohnung auf die Strake, in bie Kinos und die Tanzfäle getrieben, wo fie um so leichter Opfer der Verführung werden, je trauriger ihre häuslichen Wohnverhält. nisse sind.

Wohnungsnot und felbft zwifchen Wohnungsnot und Verbrechen Auch die Truntfucht ist eine gar häufige Begleiterin der besteht ein deutlicher Zusammenhang. Die Lokalspalten unserer Beitungen liefern immer wieder den Beweis dafür.

Die Wohnungsnot ift eine große foziale Gefahr. Wir müssen dafür sorgen, daß Männer und Frauen in den Reichstag   und den Landtag kommen, die die Größe diefer Gefahr erkannt haben und mit aller Enerale für schleunigste Behebung der Wohnungsnot bemüht find. Das können nur die Vertreter der Sozialdemo fratifchen Bartei, deren Forderuna schon immer eine gefunde Wohnungspolitik war.

Sorgt darum dafür, daß die Sozialdemokratie in entsprechender Stärke in den Reichstag   und Landtag   eini ht. Eili Radtts3armuth.

Frauen wacht auf!

Wählen heißt: Rampf ums Recht! Wählen heißt: Kampf ums Brot! Wählen heißt: Herr oder Knecht! Wählen heißt: Sein oder Tod:

Minna Lubig.