والهلال

Feieraberd

Feierab

tr. 21.

Unterhaltungsbeilage.

Dichter im Kerker.

Aufzeichnungen einer Gefängnisfürjorgerin.

Ein Mädchen von der Niederelbe, einem Stück Land bester Volksgesundheit, ging zit­ternden Schrittes vorzeitig neben mir aus dem Gefängnistor. Vorzeitig, weil man ihm durch Begnadigung den Rest der Strafe er­Tassen hatte. Wir suchten gemeinsam eine Arbeitsstelle für sie, hatten aber auch Zeit, in einer stillen Abendstunde ihr Leben ein Stück zurückzugehen. Sie war eben zwanzig Jahre alt und heimatlos. Die Angehörigen wollten sie nicht mehr sehen.

Bon Marie Harder  .

1926.

sten Dampfer fuhr ich die liebe alte Elbe  | gestürzt, ein Bild vor sich hinhaltend: Eben wieder hinab. Nach Hause! Eng und weit hat mir meine Mutter diese Photographie ge war mir ums Herz. Ich war fest entschlossen, bracht! Meine Brüder sind es!" Bewundernd um Verzeihung zu bitten und mich dem zu betrachtet die Aufseherin die schönen Knaben: hause wieder fester anzuschließen. Niemand Haben Sie so hübsche Brüder?" fonnte mein Stommen ahnen. Im Hause Ja, das ist der Trost meiner Mutter. schien alles still. In der Küche fand ich Wenn sie die Jungs um sich hat, einer schöner meine jüngere Schwester weinend. Sie und lebendiger als der andere, dann vergift fonnte mir feine Antwort geben, so tief saß sie manchmal den Kummer mit mir." ihr das Weinen. Ich rannte durchs Haus Von dem Tage an schmückte das Bild und fand meine Mutter leblos im Bette lie- die Zelle der Gefangenen. gend. Aber doch lebend. Ein Schlaganfall Die Aufseherin grübelte noch ein wenig Sie erzählte mit ein wenig vornüber- batte sie niedergestredt. Bald fam auch der ungläubig, nahm sich am selbigen Abend aber geneigtem Stopf und schweren Augen: Arzt. Er gab wenig Hoffnung, meinte aber, ihre illustrierten Hefte vor und suchte fünf Mein Vater war meist auf See und die Mutter könne noch wieder zu sich kom- Minuten. Da hatte sie, was ihr verdächtig ließ uns, wenn er zu Hause war, freien Wil  - men. Und plößlich konnte ich wieder beten, erschienen war: dasselbe Bild, die Nivea Jen. Die Mutter dagegen nahm leicht ein- inbrünstig und wahr! Was hatte mich nach Jungens." Sie schnitt es aus und legte es mal den Besenstiel für unseren Rücken. Sie Hause getrieben?! Nur eine Gottesmacht in Abwesenheit der Gefangenen auf deren meinte es gut. Aber sie schlug meine Schwe- fonnte es gewesen sein. Ich sollte die Mutter Arbeitsplatz, sie nach zivei Tegen fragend, ster und mich nie mehr, nachdem mein Bru- nicht unter dem Hügel finden. Sie mußte ob sie das Bild gefunden habe. Tief rötete Der ertranf. Ich vergesse nicht, wie ängstlich mir ja auch noch verzeihen, sollte ich dem sich das Gesicht des Mädchens, aber dennoch meine Mutter meinen Vater anblidte, als geben trotzen. Und sie schlug nach schweren stieß sie hervor: Und es sind doch meine er von der Fahrt heimkam und nach dem Stunden die Augen auf. Weit! Sie erkannte Brüder!" Jungen fragte, der nun schon eine ganze mich und lächelte ganz fein. O! Sie um­Woche unter der Erde lag. Nachricht hatten frempfte meine Hand, ihre Tränen netten nicht, daß die Nivea- Jungens" ein bekann Durch ihre lange Strafbaft wußte sie wir dem Vater nicht zukommen lassen kön- Gesicht und Kleid. Auch mir wurde weh- tes Reklamebild find. nen. Er ist dann am nächsten Tag ohne Ab- mütig, so daß ich mit Tränen zu kämpfen schied wieder weggefahren und erst nach vier hatte. Schmerzlich zudte ihr Gesicht und doch Wochen zurückgekommen. Weinend nahm er wie in Erlösung, da si weitererzählte: So die Züge weich, aber leblos die Augen, war Eine Dreißigjährige, schlank gewachsen, uns in den Arm und fand langsam wieder schwach Mutter war, sie nahm mich in den Frieden. Der Junge war feine Soffnung ge- Arm und vergab mir mit dieser stillen Ge- schon drei Monate in Unterſuchungsbaft, als weſen. Einen hatte er nur. Und so richtig bärde. So ist sie gestorben. Das hat meinem Sie mir ein wenig aus ihrem Leben zu er froh iſt er nie wieder geworden. Meine Leben einen Rud gegeben und den Wunsch zählen begann. Nach einem weiteren Viertel­Mutter meinte auch immer, daß Vater, da reifen lassen, nie, nie mehr auf schiefe Bahn jahr wußte ich nachstehende Geschichte:

zu kommen."

Sie weinte noch stärker. Nur leise wagte ich zu sagen: Und die Tat, mein Kind? Mußte es

Aber sie weinte so trampshaft, daß

sie

wir die Nachricht von seinem Tode auf See bekamen, ein Ende gesucht habe. Wohl hatten wir schweren Sturm gehabt und mit Bangen an die fleinen Gwer auf See gedacht. Unfre Mutter blieb dabei, daß der Vater ohne seinen bei dem Wunsch bleiben?" Jungen nicht mehr hatte leben können. Bei uns aber faß nun bald die Not im Hause. mir nicht antworten konnte. Die kleine Rente reichte nicht aus. Ich mußte auch früh aus dem Hause und für meinen Inzwischen war je schon wieder im Unterhalt sorgen. Als ich dann zum ersten Gefängnis. Und ich fonnte erfahren, daß sie ne einen Bruder hatte, der Vater noch lebt mal bestraft war und meine Mutter mich und ein Trunkenbold ist. Die Mutter lebt nicht sehen wollte, mich ihren besten Sarg­nagel nannte, überfiel mich ein Eigenſinn, getrennt von ihm und ernährt sich bis auf der mich lange von zu Hause fernhielt. Eines den heutigen Tag durch schwere Landarbeit. Tages aber wußte ich, daß ich nach Hause

|

,, Daß ich noch immer nicht auf freien Fuß gesetzt werde, anderseits auch keinen Ter­min angejetzt bekomme, ist erklärlich für den jenigen, der meine Geschichte kennt. Das Un­glück, wenn man es so nennen soll, wollte, daß mein Staatsanwalt mein Tennispartner war. Anfangs. Nachdem standen wir uns näher. Und ich kann begreifen." dabei lachte te flanglos. daß er intereffe daran hat, mich hier lange festzuhalten. Er weiß doch um meine ganze Sache Bescheid. Einmal fchentte ich ihm einen Brillaniring. Daß ch hn nicht gekauft hatte, wußte er. Jest trägt er ihn wohlweislich nicht." Und weder lacht fie. Ich könnte ja gründlich ausfehren, aber mußte. Ich fonnte mich nicht dagegen weh- Mit glückstrablendem Lachen kam eine mir liegt vor allem daran freizukommen. ren, Unnennbares zwang mich, um einen Gefangene, die eine mehrjährige Gefängnis- Und das gelingt mir sicher am besten, wenn Tag Urlaub zu bitten. Und mit dem nächstrafe verbüßte, in den Raum der Aufseherin ich den Mund halte."