— 2
„So, so," feixt« der Polizist,„dal kennen vir, haben Sie keinen Wohn» oder Arbeitsplatz?" „Nein, Herr Polizist, ich bin erst zu Mittag in die Stadt gekommen und hab' mir gleich Arbeit gesucht, bin aber überall abgewiesen Vörden." Der Stadtsoldat glühte vor AmtSeifer und dem Willen der Gesetzerfüllung durch seine wichtige Person. Und er packte den armen Burschen roh am Arm und zerrte ihn über daS Pflaster vieler Gossen, durch die Spottlust und schmutzige Schadenfreude unzähliger Leute, zu dem Polizeigebäude, das alt und modrig wie «ine versteinerte Rieseukröte in einem abgelegenen Stadtteil war. Da die AmtSräume wegen der nahen Auferstshungsfeierlichkeiten schon geschlossen waren, wurde der Häftling keinem verhörenden Beamten vorgeführt, sondern so- H fort in den Arrest gesteckt. Stumm und teil nahmslos rückten die Insassen zusammen und gaben dem Neuangekommenen eine schmale Fläche der nackten, schmutzigen Diele zum hinlegen frei. Nach einer Weile rasselte es vor der Blechtüre und herein trat ein Gefängniswärter, besten Gesicht im fahlen Licht des Ganges wie das einer wütenden Eule hing. Er zählte brummig die Insassen des Loches und wollte wieder gehen, als vor ihm der neue Häftling aus der Dämmerung tauchte und mit anständiger Ditte sagt«:„Guter Herr, ich tat recht schön bitten
Andreas Reischek . Unsere Zeit ist reich an Geschichten von märchenhaften Erfolgen willenskräftiger Männer, die von den untersten Stufen der Armut zu den höchsten Höhen des Reichtums und der Macht emporstiegen. Namen wie Edison, Rocke- frller, Ford, mögen hier genügen. Jedoch schei- «en solche Laufbahnen eine spezifische Angelegenheit der geschäftstüchtigeren Amerikaner zu sein. Im alten Europa , und vornehmlich an Männern, deren Arbeit nicht äußerem Glück, sondern ideellen Zielen gilt, bewahrheitet sich immer noch das Wort:„Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterland«!" Das Leben Andreas Reischeks, des großen Reuseelandforschers, ist «in Schulbeispiel hierfür. Im Jahre 1845 wurde Andreas Reischek in Linz geboren, kam aber schon in zartester Jugend nach Käfermarkt im hügeligen Mühlviertel Oberösterreichs . Ungesellig gegen di« Menschen, verbrachte der Knabe seine Zeit im Walde. Als er alt genug war, um einen Beruf zu ergreifen, wurde er bei einem Bäcker in dir Lchre gegeben. ES war ein Glück für den Knaben, der sich nie mit seinem Handwerk befreun- ben konnte, daß sein Meister Verständnis für seine naturwissenschaftlichen Studien besaß. Dann brach 1866 der Krieg gegen Italien aus. Ein am Feldzug teilnehmender Baron nahm nach Kriegsende den klugen jungen Monn auf Reisen nach Italien mit. Fortuna folgte den Zurückgekehrtrn auch nach Wien . Kaum verheiratet, erhielt er durch Bennittlung«ines ein* flußreichen Gönners den Auftrag, ein Kolonialmuseum auf Neuseeland einzurichlen. Und Reischek, der seine Jugendlräume in Erfüllung gehen sah, griff bedenkenlos zu, obwohl er seine Frau„auf zwei Jahre" verlassen sollte. Aber sein Traum war starker als alle Bande, die ihn an die Heimat fesselten. Daß er in Wirklichkeit zwölf lange Jahre fernblciben sollte, hat er wahrscheinlich selbst nicht geahnt. In Neusee land angekommen, ging er sogleich an die Arbeit, die sein Lebenßwerk werden sollte. Mit seinen schwer erarbeiteten Gehältern rüstete er
um«in Stucker! Brot. Ich habe seit zwei Tagen nichts gegessen und mich hungert sehr." „Du arbeitsscheuer Lump, du! Was willst du, Brot willst? Nicht einmal au die heiligen Tag gibt einem daS Gesindel«ine Ruh. Da beiß nein, wenn du einen Hunger hast." Er hielt chm di« grollte Faust mit dem umkrallten Schlüsselbund vor daS hilflose Gesicht. Als er den Raum, vor Empörung fauchend, wieder verlassen und die Tür hinter-sich zuge- worfcn hatte, wachten die Gefährten deS Tisch lergesrllen aus ängstlichem Berkrochcnsein und Teilnahmslosigkeit auf. Sie scharten sich um ihn und schenkten ihm ihre.laute Empörung über den rohen Gefangenwärter als gutgemeinten Trost. Der Geselle hob den Kopf mit dem seinen blonden Kranzbart, schaute sie alle der Reihe nach mit blauen Lichtern an und sprach«in Seltsames:„Brüder, er weiß ja nicht, was er tut. AuS ihm sprechen die anderen, und ads. diesen wieder-andere, die vielleicht schon dieser Erde geswrben sind. Das Schlechte und Böse, Brüder, ist wie feiner Staub, es dringt in alle Seelen, in die heimlichsten Falten unseres Herzens. Laßt uns nicht richten, Brüder, denn es könnte sein, daß wir inwendig voll Staub. WaS wissen wir von unser» guten Werken? Wenig oder gar nichts. Aber mit bösen Dingen sind wir vollgepackt." Die Gebrochenen und Geringsten der Menschheit starrten den Sprecher an und wutz-
nacheinandcr acht Expeditionen aus, zog auch .ganz einsam, nur von seinem treuen Hunde Cäsar begleitet, unbÄannten Gefahren entgegen. Monatelang hörte er ost kein« menschliche Stimme. In zwölfter Stunde war er ihm vergönnt,«ine unter den Tritten der Zivilisation„Sterbende Welt" festzuhalten. Neuseeland hat ungefähr die Gestalt und die Größe der Halbinsel Italien . Der Nord insel geben große Vulkane, tätige und erlöschende, daS Gepräge. Hunderte von Geisern sprühen siedeheißes Wasser turmhoch zum Himmel. DaS Herz der Natur pocht hämmernd und dröhnend an die Erdrinde. Die S ü d i n s e l erhält durch«ine mächtige Bergkette ein festeres Gefüge. Fjorde, deren Schönheit die skaudi- navsschen übertrumpft, zerreißen die Küste. Diese paradiesische Insel beherbergt eine seltsame Tierwelt. In der geheimnisvollen Waldeinsamkeit tappt der Kiwi— rin Bogelzwerg, nächtlich seinen Weg. Flügellose Eulenpapageirn hausen in Läumhöhlen und gehen wie der Zwergstrauß nur nachts auf Nahrungssuche auS. Ein anderer Papagei hat sich aus einem Vegetarier zum Fleischfresser entwickelt. Er überfällt Schafe und hackt ihnen Fleischstücke aus dem Rücken. Der HniaÄogel lebt Paarwesse in ständiger Gemeinschaft. DaS Männchen hackt mit seinem kurzen, stämmigen Schnabel die Bäume au, des Weibchens langer, dünner Schnabel zieht die Würmer hervor. So sind sie untrennbar aneinandergebunden. Das größte Wunder dieser Welt ist aber der Mensch: der Maori . Er vereinigt in sich scheinbar unvereinbare Gegensätze. Die Maori sind schön, den Ariern ähnlich, sie besitzen eine hochentwickelte Kuliur, Sinn für Schönheit, Kunst und Rhetorik, aber sie sind Kauibalen. Dem getöten Feind sticht der Maori die Augen aus, di« er verschluckt; er schneidet die Halsschlagader auf und saugt daS Blut aus; er verzehrt schließlich auch das gekochte Herz. Reischek erzählt, daß einmal«in Häuptling, der einem vornehmen Gast besondere Ehre erweisen wollte, seine Frau zwang, für ihr Kind, und sich selbst Kochgruben zu graben, und daß er dann dir
ten das sonderbare Erlebnis nicht zu deuten. Sie vergaßen auf einmal alle Schimpfnamen, den ganzen Groll ihres zertretenen Lebens und wußten nicht worüber sie fluchen oder klagen sollten. Eine samtene Stille hüllte sie warm ein, in die unerwartet feierliches Glockengeläut« brauste und manchmal Töne eines Auf- erstehungSliedes hereinzitterten, das«ne ferne Menschenmenge sang: Christ sst erstanden, auS Todesbandcn Halleluja, halleluja! Da löste sich von der Landstrrichergruppe ein kleines buckliges Männlein los. Bon kantiger Stirn flössen ihm lange Haare ins Gesicht und di« andern nannten ihn den verrückten Professor. Jetzt warf er di« Hände in die Höhe und stammelte:„Die Wundmale, die Wundmale!" Dann trat er auf den Tischler zu und bat inbrünstig:„Segne mich, Herr, und die Brüder." Und der Geselle stand auf und küßte den Verklärten auf di« Stirn. Zugleich össnet« ein« strahlende Hand die versperrte Tür, schob sie wie ein Wölkchen zur Seite. Draußen bannte kein düsterer Korridor die Blicke, eine Frühlingslandschaft schenkte sich den Augen der Gefangenen. Und durch diese sahen sie den Bruder Tsschler wandern. Sie knieten nieder und falteten die Hände. Sie hörten noch immer Glockengeläute und die Glocken tönten jede Sorge und Qual von ihren Herzen weg.
eigenen Familienangehörigen mit größtem Vergnügen verspeiste. Gewöhnlich meint man, daß ein menschenfresscndes Volk unbedingt auf einer tiefen Kulturstufe stehen müsse. Die Sitten der Maori strafen diese Anschauung Lügen. Ihre Religion überrascht durch den Glauben an tiefen philosophischen Ideen. Sie erinnert in vielem an den christlichen Glauben. Wunderbare Schnitzereien, künstlerssche bunte Matten, die reiche Ornamentik an ihren Bauten zeugen für große Gestaltungskraft. Besonders hervorzuheben sind Tapferkeit und Redlichkeit der Gesinnung. Als z. B. ein Stamm der Maori zum erstenmal gegen Weiße kämpfte, schickten die .Wilden" ihren Feinden Lebensmittel mit der Aufforderung zn essen, damit sie im Kampf widerstandsfähig feien. Als die Europäer dann chre Schußwaffe» gebrauchten, forderten sie den Kampf Mann gegen Mann. Schußwaffen seien für Feiglinge, denn sie ermöglichte» es jedem, den Stärksten aus der Ferne ohne Gefahr zu täten. Diese wundervolle„Sterbende. Welt" hat Reischek der Menschheit überliefert. Das ist sein großer und unschätzbares verdienst. Leider heck man den Lebenden nicht zn würdigen verstanden. Auch hierin waren die„Wilden" den Europäern überlegen. Sie ehrten den liebevollen Menschen, der als Gleicher unter Gleichen zu ihnen kam, durch Verleihung ihrer Höch»< sten Würde. König Tawhiao verlieh Reischek den erblichen Häuptlingsrang. Sein Titel lautet zu deutsch :„Reischek , der Schnepfenstrqpß, Fürst von Oesterreich ". Sei» Vaterland hatte kaum genug Verständnis, ihm die Zukunft finanziell sichcrznstcllcu. Am 3. April 1927, W Jahre nach dem Tode dieses bescheidenen Mannes, fanden in ganz Oesterreich Erinnernngkfeiern statt, an denen die Spitzen der Behörden und der Presse teilnahmen. Aber Reischek verdient, daß man seiner auch in her übrigen Welt gedenkt. Denn der Vielverkannte auch tvährend seines arbeitsreiche» Lehens nicht Ruhm und Anerkennung gefunden hat, so soll wenigstens der Name deS Toten der Vergessenheit entrissen sein. Daß