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Der zweite Tag verging. Auch da sah ich Alfred Toubon noch nicht, obwohl ich die Portlerloge nicht verlassen hatte. Jetzt fürchtete ich, daß er sich etwas angetan habe. Und so war es auch. Am dritten Tage stieg mein Mann, dem ich meine Befürchtungen mitteilte, hinauf und läutete. Als ihm nach zehn Minuten niemand antwortete, schloß er mit seinem Schlüssel auf. Drin fand er alles in Ordnung, aber Toubon
war nicht da. Auf dem Tisch lag ein Brief." ,, Ein Brief?" entfuhr mir.
Ja, selbst als er den Brief gefunden hatte .. Aber, Sie arbeiten ja auch bei Delhebre; da können Sie vielleicht den Brief dem geben, für den er bestimmt ist. Kennen Sie Herrn Bonmont?"
Ich zeigte ihr meinen Ausweis.
„ Sie entschuldigen schon, nicht wahr, Herr Boumont! Ich hätte Ihnen gleich den Brief zeigen sollen. Mein Mann kam bis jetzt noch nicht dazu, nach Paris zu gehen.
Er wollte den Brief zuerst dem Kommissar
geben, der kam, um den Tod festzustellen und die Untersuchung einzuleiten.- Doch ich habe Ihnen ja noch gar nicht weiter erzählt. Als mein Mann diesen Brief gesehen hatte, unte: suchte er die drei Zimmer. Nichts, gar nichts. Toubon mußte bei Nacht weggegangen sein, dach: e er und stieg wieder hinunter; dabei kam ihm der Gedanke, in der Kammer nachzusehen. Er stich den Vorhang beiseite: da hing der arme Toubon inmitten alter Kleider von sich und seiner Fra. Entsetzt wich mein Mann zurück, denn der arme Mensch sah ekelhaft aus. Ich selbst mochte ihn mir gar nicht anschen"
„ Ich danke Ihnen", sagte ich, ich habe Sie viel Zeit gekostet. Entschuldigen Sie bitte die Störung." Ich verabschiedete mich und ging
weg.
Als ich ein Stück gegangen war und sie mich nicht mehr sehen konnte, riß ich den Umschlag auf und las:
„ Mein lieber Boumont, meine Frau ist tot. Ich habe keinen Sou mehr. Das Leben hat mich um alles gebracht und mit 65 Jahren fann man fich feine neue Existenz schaffen. Warum soll ich es auch versuchen, wo ich ganz allein dastehe? Du wirst mich nicht mehr sehen Du bast Deinen Aerger und haft genug daran. Sprich von alledem nicht zu Deinen Kollegen. Es hat jeder sein Pädchen zu tragen und schließlich weiß ich man graut sich vor dem Elend der anderen. Wenn Du aber mit Darmit, unserem Meister, sprechen willst: ihm gebühr: der Dank, daß ich zugrundeging. Denn eine Entlassung erst jetzt fühle ich es- ist ein Mord in aller Liebenswürdigkeit.
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Werde Du nich:„ gebrechlich", denn die Herren lieben nur frische Speise.
Ich wollte dem Leben eine Nase drehen, eine
Grimasse zum Gruß. Wenn das Leben hart war, stirbt man leicht. Traure nicht, es lohnt sich nicht. Ich drücke Dir die Hand! Reb' woh!' Tonbon"
Ein paar Tage später hatte jemand das Wort des Unglüdlichen ,, wie schnell ist mon tot" ausgesprochen; da fiel es Darmit ein, mich nach Toubon zu fragen. Ich wollte ihm schon von dem Brief erzählen; glüdlicherweise hatte ich ihn nicht bei mir. Auch Kollegen kamen hinzu und fragten mich nach dem Grund des Selbstmordes.
Hunger und Elend", antwortete ich ausweichend Wäre es der Mühe wert gewesen, ihnen lang und breit die letzten Tage Toubons zu schildern? Im Grunde graut einem vor dem Unglück des anderen, schrieb Tonbon.
Wenn ein Mensch im Elend stirbt, will er nus aufrütteln; doch wir achten nicht darauf. Wir denken eigentlich nur immer an uns selbst.
Theater.
Von Luise Breiding.
Im Zuschauerraum eines Theaters. Die der Zeitung und g'rad für morgen von drei bis Freundinnen Mi und Elo figen im Balbdunfel vier hab ich die Borstellung angegeben-" nebeneinander, hingegeben an die Geschehnisse Du hast Paula gekündigt? Du warst doch auf der Bühne. so zufrieden mit ihr."
Mi und Clo sind zwei junge Frauen des
Bürgerſtandes. Beide sind hübsch, elegant, reich. Alles an ihnen ist gepflegt, gebadet, sie duften füß. Beide haben Sinn für das„ Höhere". In jeder Woche verbringen sie einen Abend in einem literarischen Kränzchen und geh'n oft ins Thea ter, auch dann, wenn ernste Stücke gegeben werden. Ja, dann erst recht. In diesem Punkte aber berfagen leider die Männer, sowohi Mis Otto wie Clos Friz. Für die Kunst der Bühne sind sie nur zu haben, wenn es sich um Operette, Barieté, Revnen und dergleichen Dinge handelt. Darüber hinaus geht es bei ihnen nicht. Und darum jind Mi und Clo eben doch nicht ganz glücklich, was sie einander auch längst anver
traut haben.
Auf der Bühne wird das Schicksal eines Mädchens aus dem Volke dargestellt; eines Mädchens, das die uneheliche Mutterschaft auf sich zukommen sieht wie einen Bera, der es zermalmen wird.
Mi und Clo sind erschüttert; ihre Augen sind von Mitleid erfüllt. Mit ihren weißen, weichen, ringgeschmidten Händen öffnet Mi ihr entzückendes Täschchen und entnimmt ihm das Spitzentüchlein. Verstohlen tupft sie ihre Augenwinkel, gerade noch rechtzeitig, ehe zwei holde Frauentränen die schönölühenden Wangen hinunterrollen und Streifen in den Puder ziehen tönnen. Und Elo geht es nicht anders Als die Pause beginnt und die Lichter aufftrahlen, schimmern die Augen der Freundinnen noch immer in jenem verräterischen feuchten Glanz, von dem man auf edle Frauenseelen schließen fann. Der junge Herr aus dem literarischen Kränzchen, der die beiden Damen erspäht hat, legt denn auch seine Verchrung, sein Mitemp finden auf eine zarie Weise an den Tag. Das tut wohl.
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Ja, aber" Frau Mi jenkt ein wenig die Stimme sie ist nämlich ganz bestimmt in andern Umständen. Schon deutlich zu merken. Und da will ich doch nicht lange warten, ich will sie so schnell wie möglich aus dem Hause haben. Sonst hat man womöglich noch unangenehme Geschichten mit der Person"
„ Ja, und überhaupt will man doch so ein Frauenzimmer nicht im Hause haben", sagt Clo voll sittlicher Entrüstung.
,, Ganz recht. man will doch sein Haus sauber halten", stimmt Mi zu.
,, Weißt du, Mi, da rufe ich einfach bei der Bergmann, daß ich erst um Fünf zur Anprobe komme. Da fannst du dann doch mit!"
,, Welche Farbe?"
,, Kupferrot mit Silber", erwidert Clo. Und in angeregter Unterhaltung über die neue Toilette betreten die beiden Damen das Café, in dem sie der Verabredung gemäß von ihren Minnern erwartet werden.
Während die Damen eine kleine Stärkung zu sich nehmen, ein bißchen Torte mit Schlagsahne, erfundigte sich Friß, wie es war im Theater.
„ Einfach erschütternd!" erklärte Clo. Den Löffel mit Schlagsahne vor dem Mund blickt fie zur Dede empor.
Mi aber beugt ihren hübschen Kopf so tief, daß ihre Nasenspitze fast die Schlagsahne berührte. „ Das tragische Geschick dieses Mädchens hat mich wieder bis ins Tiefste aufgewühlt", sagt sie.
Otto schaut stolz auf seine Frau. Wie sie sich auszudrüden versteht! Könnte es nicht gleich in einem Buche steh'n?
,, Du hast auch ein zu weiches Herz, Michen", fagt er.„ Wenn es dir nur nicht schadet."
"
,, Da geh'n wir doch noch ein bißchen in die Eden- Bar. Zur Aufheiterung!" schlägt Frih vor. „ Erschütternd, nicht wahr", beginnt Frau So'n Charleston macht wieder munter!" Mi die Unterhaltung.
,, Tief packend!" erklärt der junge Herr. ,, Wundervoll tragisch!" sagt Frau Clo. Die A... spielt wundervoll, finden Sie
nicht?"
Man spürt den Erdgeruch."
Haben Sie gehört, sie soll wieder mit ihrem Mann zusammen sein?"
,, Ach wie interessant!"
Wie war denn das mit den beiden da
mals?"
„ Das wissen Sie nicht?...“
Frau Clo erhebt sich wie elektrisiert. Sie blict strahlend in die Runde und sagi nur ein einziges Wort:„ Los!"
Und mit reizendem Lächeln erklärt sich auch Frau Mi einverstanden.
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Die dumme Gaus.
Ich ging im Zoologischen Garten spazieren. Das Spiel auf der Bühne geht weiter. Fm Am Weiher standen zwei Bochsische und plapmer finsterer und drohender ballt ſich das Schick- perten unaufhörlich. fal über dem jungen Weibe zusammen.
. ,, Ma' is halt zu sehr in der Welt verlassu! Ma is cemal zu sehr alleene dahier!- Wenn ma' bloß nich ajo alleene wäre!"-
Diese Worte rühren jedes Herz. Immer wieder tupfen Mi und Clo mit ihren Tüchlein die Tränen von den Augen. Und dann schreit die Gehette ihr fürchterliches Geheimnis heraus: „ Ich ha mein Kind mit' n Händen derwergt!"
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Das Spiel ist aus, vorbei das Gedränge an der Garderobe. Mi und Clo, Arm in Arm, atmen tief die kühle Nachtlust der Straße.
„ Komurst du morgen mit zur Bergmann? Ich hab Anprobe. Um drei Uhr", fragt Clo.
„ Umt drei?“, erwidert Mi.„ Ach nein, da geht es leider nicht. Ich hab nämlich der Pania fündigen müssen. Hent hatt ich ein Injerat in
Eine Gans stand daneben und schüttelte den Kopf.
Die Badfische gingen endlich weiter. Die Gans schaute ihnen tiefsinnend nach.
Ich ging zu der Gans hin. zog höflich den Hur und sprach:
„ Verzeihung, wenn ich mir erlaube, Sie anzureden, Madame, aber ich habe noch nie eine Gans den Kopf schütteln sehen. Darf ich fragen, warum Sie das taten?"
Die Gans:
,, Mein Herr, ich habe das Gespräch der beiden jungen Mädchen angehört und denke nun darüber nach, weshalb man mich eine dumme Gans nennt. Können Sie mir vielleicht die Frage beantworten?"
Ich wurde etwas rot, sehr verlegen und sprach: