M UnterDaltttnsiMtagr. 1929.
Der kleine Dodo. ttinc ttintrrnobrlc<S r n ft»ctrrliag.
Dodo ist ein Spätling und hätte eigentlich nicht mehr kommen sollen. Sein Vater erlag vor seiner Geburt einer Lungenentzündung, und Mutter ist so mit Gram, Sorge und Arbeit überhäuft, daß sie sich dem Knaben wenig widmen kann. Die drei andern Kinder sind fast erwachsen, selbständig und fallen der Mutter nicht zur Last. Ihre Zärtlichkeiten find stet- zur rechten Stunde angebracht, gut abgewogen und nicht ermüdend. Die drei haben es gelernt, ihre Wünsche, soweit sie erfüllbar sind, auf da» mindeste hcrabzuschrauben. Dodo unterscheidet sich ganz auffallend von seinen Geschwistern. Er sieht wie ein Mädchen au», hat lange», gelockte» Blondhaar und große dunkle Augen mit tief verträumtem Blick. Wenn er traurig ist, und er ist oft traurig, kann er stundenlang abwesend sitzend und nt eine Ferne schauen, die nur für ihn da zu sein scheint, und wenn er sein Träumen unterbricht, geschieht e», um eine wunderlich« Frage zu stellen, auf die kein Mensch antworten kann. Dodo ist aller Liebling. Wer ihn einmal Jesehen hat, merkt sich ihn und kommt von einen Augen nicht lo».„Wo habt ihr dakleine Brüderchen, da» liebe Kerlchen mit den großen Augen?* fragen sie, und als Dodo krank wird, erkundigen sie sich: So, so, krank ist er, der goldene Keine Junge, der immer so traurig ist? Ja, wa» fehlt ihm denn?* Dodo fft ein sehr zartes und feines Kind, mit blasser Haut, die von dünnen blauen Aederchen durchlaufen ist. Aber die Mutter ist um sein Bleichsrin nicht besorgt, sie hat gar kein« Zeit dazu. Den ganzen Tag schuftet sie in der Küche, am Waschfaß, am Plättbrett, und für die Abendstunden hat sie sich ?Flickarbeiten besorgt. Trotzdem ist eS ungemein chwer, vier Kinder zu ernähren, zu lleiden und ausbildrn zu lassen. Die Arbeit erstickt alle- Frohe, Weiche, Frauliche in Dodos Mutter, macht sie hart und läßt sie rasch altern. Sie übersieht, daß der kleine Knabe nur für seine Mama lebt, mit ihr verwachsen und verwoben ist und nicht lassen kann, um sie zu sein. Seine wenigen Spielsachen sind um ihren Arbeitsplatz aufaebaut, so daß sie in Haft und Eile darüber stolpert und Dodo „böse» Kind* schilt.„Ueberall bist du im Wege," sagt sie,„und den ganzen Tag Nebst
du an mir herum. Du siehst doch, daß ich keine Zeit habe." Das ist wahr, er könnte sich ein wenig allein oder mit andern Kindern beschäftigen. Seine Geschwister haben ihr nie am Schürzenzipfel gehangen, e» ist eine Qual mit seiner Anhänglichkeit. Dodo sieht das verfinsterte Gesicht seiner Mutter, die er so über alle» liebt, daß er sich gar keine Borstellung mehr davon machen kann. Seine Augen werden noch dunkler, ein starrer Zug verkrampft seinen Mund, in seinem Gesicht zuckt und arbeitet eS, und nun bricht es doch loS mit Weinen, seine unruhigen Händen streichen über Mama» Kleid, über ihre Hände, mit stockender Stimme fleht er angstvoll:„Richt Mama böse Dodo sagen, nein, nein, gute» Kind Dodo ... gut ist Mama Dodo... Solche Liebesausbrüche des Zweijährigen erschüttern die harte Frau, sie muß Dodo auf den Schoß nehmen, streichelt ibn, küßt ihn zärtlich, sagt:„Ja, ja, gutes Kind, liebe» Kind." Aber die Arbeit ruft, die häßliche, gemeine Pflicht, sie setzt das Kind ab, das nun zuversichtlich um ein Lied bettelt: „Mama Dodo Schlaf einsingcn." Roch einmal nimmt sie ihn kurz auf den Arm, noch einmal hat Dodo seine Aermchen fest um ihren Hal» geschlungen, seine Wange an ihre gepreßt, küßt sie, wohin der keine Mund trifft, aber e» geht nicht, sie ist schon sehr im Rückstand mit aller Arbeit, der Knabe muß sich allein verwellen. Sie schleppt alles nur irgendwie Entbehrliche an, schichtet einen Sandhaufen auf dem Balkonwinkel, ruft Spielaenossrn herein oder schickt ihn zu ihnen auf den Hof, der groß, sauber, sonnig und mit Gra» bewachsen ist. Run glaubt sie ihn auf gule Weise los zu sein, atmet auf, ... da peitscht sein hilflose» sehnsüchtiges Weinen sie von neuem, sie muß ihn herem- nehmen.„Bleib doch im Hofe", sagte sie mit gut verhaltenem Aerger.„Sonne scheint, Kinder spielen mit dir."„Will Mama gehn, will nicht spielen," sagt Dodo ,„laß Mama bleiben... ja, ja, Mama gut, weißt du?" Er lacht unter Tränen, so wohl ist ihm, wieder bei der Mama zu sein» kuschelt sich an sie und schnurrt vor Behagen wie ein Kätzchen. Das wiederholt sich etliche Male am Tage, nicht» läßt sich tun, er ist von Mama nicht fortzubringen. Abends, wenn Mama mit Nickarbeit unter der Hangelampe fitzt.
die andern Kinder sich still im Nebenzimmer mit Schulaufgaben, Spiel oder Handarbeit beschäftigen, ist Dodo wieder der Störeu- fried, vor dem Mama nirgends flüchte« kann. Umsonst, daß sie ihn mit Obst, Nasch- werk, Bilderbüchern und Bleisoldaten abzulenken sucht. Er ißt mechanisch, ohne seme Versuche, auf Mamas Schoß zu gelangen, zu unterbrechen. Mit dem Kinde auf den Knie« kann die Frau nicht arbeiten, und schlaft« will Dodo nicht gehen. Er wartet, bi» Mama zu Bett geht, um zu ihr unter die Decke zu kriechen. Das ist daS Schönste, da» sich denken läßt. Wie ein kleines, frierende» Bögelchen schmiegt er sich dicht an sein« Mutter, seine Augen und sein Mund lache« vor Entzücken. Mit den Aermchen um ihre« Hals, seinen Kopf an ihrer Wange oder Brust, schläft Dodo ein. So vergeht ein Tag wie der andere. Dodo ist ein wunderbares Kind, die Mutter weiß es ganz genau, nur in dem eine« Punkt ist er nicht zu behandeln. Schließlich laßt sie das Schellen sein, obwohl sie aus ihrem Gesichte eine vorwurfsvolle Sorge nicht verbannen kann. Sie schlagt auch diche Sorge zu dem Martyrium ihres Lebens, sie ist so müde und abgerackert, seit sie auch in den Nächten zu keinem rechten Schlaf kommt, denn das Kind in ihrem Arm, das sie auf ihre Weise liebt und das sie auS solchem Nestchen nicht verjagen will, stört sie, daß sie ein Kreuz mehr oder weniger nicht mehr zählt. So merkt sie auch das Hinschwinden de» Kindes nicht. Wohl wundert sie sich manchmal flüchtig, daß er so leicht wie eine Leder ist, wenn pe ihn aufhebt, daß er so müde und klein m ihrem Arm hängt, und daß er immer häufiger schlafen gehen will: Mama auch schlafen gehen! Und er hält ihren Rock, ihre Hand fest, kost und küßt die schwielig^ verarbeitete. Mama sagt jetzt selten böses Kind, oder Dodo ahnt dunkel, daß er im Wege steht und daß er eigentlich zuviel auf der Welt ist. Seme Zärtlichkeiten sind manchmal wie eine Bitte, sein Dasein zu entschuldigen. Er hat es sich wohlgemcrtt, daß Mama einmal fast weinend tagte:„Quäl mich doch nicht so, wir müssen essen, und wer soll denn Geld verdienen, wenn Mama den ganzen Tag mit dir vertut!" Das will ihm nicht au» dem Herzen, er fühst darin ein Weh und so trau-