Wr. a.
Unttröaltansfibtilagc.
1930.
Ltm Kähnen und Gtanöarten.
^Liebster Schatz, könntest du mir nicht vielleicht sagen, welche Farben die Fahne von Sansibar hat?" wandte sich Herr Bi- chelot an seine bessere Ehehälfte. „Laß mich in Frieden mit deinem Sansibar!" antwortete kurz Frau Bichelot. „Augenblicklich interessiert eS mich mehr, waS wir heute deinem Freund Leon zum Nachtmahl vorsetzen sollen." Leon Baroussier war der Hausfreund des Ehepaares Bichelot. Er hörte mit einer geradezu himmlischen Geduld den Borträgen seine- Freundes zu und tröstet« im geheimen dessen Frau, deren Gatt« sich überhaupt für nichts mehr zu interessieren>Hen als mir für Fahnen, Flaggen. Wimpel und Standarten. Die Sammelwut der Menschen erstreckt sich auf die verschiedensten Gebiete. Die einen sammeln Briefmarken, die andern Zünd- hölzchenschachteln: ganz Raffin'-r«« sammeln sogar Uniformknöpfe und Etiketten von Bierflaschen. Was Herrn Bichelot betrifft, war er ein leidenschaftlicher Fahnensamm- kr. Er bewahrte sie sorgfältig aufgerollt und wie Billardstöcke parallel aneinander- gereiht auf einem eigens konstruierten Gestell. All« Nationen waren hier vertrete», und die Sammlung erfüllte da- Herz deS Herrn Bichelot mit unbeschreiblichem Stolz. Bon seinem Wahne besessen, verbrachte er den größten Teil des Tages ans dein Dachboden, wo er seine Schätze aufbcwabrt hatte. Die Jagd auf Motten war ihm dabr, bin- längltcher Ersah für jeglichen Svort und sonstige- Körpertraining. Diese Fahnen batten Hern» Bichelot bei seinen Mitbürgern außerordentlich populär gemacht, spiegelten sie ja in symbolischer Weise die ganze Chronik de» Weltgeschehens. Das unbedeutendste politische Ereignis— und mochte es auch bei den Antipoden vorgefallen sein— warf seine Reflexe auf dieses Haus, von dessen Giebel sofort das Wechseln dieser Baumwolltücher stets ii» Kontakt mit der weite» Welt. Die südamcrikanischen Republiken, die jeden JcchreS^rtwechsel wie nach einem Na- turgesetz mit Revolution einleitrn, gaben Herrn Bichelot hinreichend Gelegenheit zum Ausstecken seiner Fahnen, und die vulkanischen Eruvtionen, di« großen Epidemien und
Mn üUMrtScnn sonstigen Katastrophen auf Gottes weiter Welt zogen die friedliche Existenz dieses Bürgers nicht minder in ihren Wirbel. Frau Bichelot, die bis zum Ueberdruß die internationalen Gespräche ihres Mannes über sich ergehen lassen mußte, war das nnschnl- dige Opfer diese- grotesken Wahnes. Das Herannahen des Nationalfeiertages bracht« den Fahnensammler vollends aus dem Häuschen. „Du wirst Girlanden binden!" hefabl er seiner Frau in Gegenwart des erschrok- kenen Hausfreundes. ,Zch werde venezianische Laternen in die Fenster und Lampions in den Farben der Trikolore auf dem Geländer des Balkon- befestigen... Bom Dachboden kann man auch ein Feuerwerk abbrennen: außerdem will ich mir aus Pa ris noch einige weitere Fahnen kommen lassen." „Was?" brüllte Frau Bichelot.„noch mehr Fahnen? Aber daS Haus ist ja schon voll davon!... Friedrich, nimm dich in acht, das sag ich dir! Wenn du noch weiter alles ans den Kopf stellen wirst, so geschieht ein Unglück!" Herr Bichelot hört« nicht, was seine Gattin sprach. Er hielt sein Likörglas in der Hand: dann hob er es gegen das Licht, um es durch den blauen und weißen Kristall in den Farben von Chatemala zu betrachten. Zwei Tage vor dem Nationalfeiertag kamen die Fahne» an, und der Sannnler erlebte bei dieser Gelegenheit unvergeßliche Augenblicke inmitten seiner Freunde am Stainintisch. „Ich bin diesmal aus unvorhergesehene Schwierigkeiten gestoßen", erklärte er. als das Gespräch aus das bevorstehende Fest kant.„Meine Frau hat mir ihre Hilfe bei der Dekorierung des Hauses verweigert... So muß ich also die Idee, die Ham-sroul mit Girlanden z« schmücken, fallen lasse», denn man kann doch von mir nicht mehr verkvngen, als in meinen Kräften steht. Ich werde aber das Haus eigenhändig mit allen Fahne» behängen. Es soll eine großen Fah- neuparade werden, wie sie unser L?r! bisher noch nicht gesehen bat." Elastischen Schrittes kehrre er nach Hause zurück. Bevor er das Haustor öffnete, betrachtet« er«inigr Sekunden die Fasste
des alten Gebäudes, die er mit leuchtende« Farben schmücke» wollte. Dann trat er ei« und ging— ein« Melodie Pfeifend— in den ersten Stock. Die Tür des Schlafzimmers war gr». öffnet. Die herausgezogene» Schubfächer, der Kasten, der zusammengerollte Teppich und di« umherliegenden Hutschachteln machten ihn stutzig, denn noch nie hatte er eine solche Unordnung in diesem Raume gesehen. „Anna!" rief Herr Bichelot beunruhigt. Dann entdeckte er den Ehering seiner Frau, de» sie auf ein weißes Blatt Papier auf den Tisch gelttst hatte. „Wie?... Was?..." stotterte Herr Bichelot. Der Zettel, den er hastig mit seinen entsetzten Augen überflog, war von einer beängstigenden Klarheit. „Ich habe es satt!" schrieb Frau Bichelot.„Ich reise uiit Leon ab und überlass« dich deinen Fahnen!" Da weinte Herr Bichelot wie jeder brave Mann, der von seiner Frau verlassen wird. Schluchzen erschütterte seinen Körper, und er konnte das Geschehene nicht begreifen. Tas Dienstmädchen wagte es nicht, ihn zur Mahlzeit zu rufen, sondern saß still in der Küche und strickte. Allmählich sank die Nacht und breitete ihre Fittiche über dieses Leid, aber draußen, in den Gaffen gab es lärnienden Frohsinn, denn es tvar der Borabend des Nationalfestes. Angelockt von dem Gewoge der Menschen, wischte sich Herr Bichelot die Tränen ab nnd ging ans den Balkon. Er begriff sofort, daß alle diese Leute kamen, die Fahnenparadc auf seinem Hause zu bewundern. Schon aber hörte er im Winde Rufe der Enttäuschung über die nackten-Wänd.'. Tic Lampions, die auf dem Geländer hingen, warteten ans die belebende Flamme. Die Dochte in den bunten Glas- k.lchen, die der verlassene Mann in den Fenster» angebracht kalte, waren schon mit Oel getränkt. Er vergaß Plötzlich sein Leid und wurde sich dessen bewußt, was er seinen Mitbürgern schuldig war. Di?-Klänge der Mn- sik, die vo>i weitem zu ihnr drangen, verkündeten den Beginn des Fackelzuges, der bereits vom.Hauptplatz abmarschierte. Mit einem kräftigen Ruck des Daumens entzündete Herr Bichelot sein vernickeltes Benzin-