2 Die Entwicklung der Menschheit. Bon Erich Kästner . Einst haben dir Kerl» auf den Bäumen gehockt, behaart' und mit böser Bisage. Dann hat man fle aus dem Urwald gelockt und die Welt asphaltiert und aufgestockt, bis zur dreißigsten Etage. Da sahen sie nun, den Flöhen entfloh», in zentralgehciztcn Räumen. Da fitzen sie nun am Telephon. Und es herrscht noch genau derselbe Ton wie seinerzeit auf den Bäumen. Sie hören weit. Sie sehen fern. Sie sind mit dem Weltall in Fühlung. Sie putzen die Zähne. Sic atmen modern Die Erde ist ein gebildeter Stern mit sehr viel Wasserspülung. Sie schießen die Briefschaften durch, ein Rohr. Sie jagen und züchten Mikroben. Sie verseh» die Natur mit allen Komfort. Sie fliegen steil in den Himmel empor und bleiben zwei Wochen oben. WaS ihre Verdauung übrig läßt, das verarbeiten sie zu Watte. Sie spalten. Atome. Sie Hellen Inzest. Und sie stellen durch Stiluntersuchnngen fest, daß Cäsar Plattfüße hatte. So haben sie mit dem Kops und dem Mund den Fortschritt der Menschheit geschaffen. Doch davon mal abgesehen und hei Lichte betrachtet, flick» sie im Grund »och immer die alten Affen. Für einen Augenblick standen wir geblendet im scharlachroten Flammenspiel. Bon neuem pries mein Freund seinen Heiratsmarkt an. Mein Töchterchen wuchs heran. Es lernt« schon sehr früh Klavier spielen. Es sollte eine berühmte Pianistin werden. Wir sahen ihren Namen und ihr« Berühmtheit !n Lichtreklamen prangen. Das Mädchen war fünf, da kam ein Junge. Er sollte ein berühmter General werden." Er lvandl« sich wieder der Straße zu. Der Heiratsmarkt! Wer«ine Ge­liebte oder einen Geliebten sucht, das ganze Lebensglück für ein einziges Nickelstück!" Die blendenden Namen und Bilder der illuminierten Fassaden verloschen und zuck­ten wieder aus. Die kleineren Läden des täglichen Bedarfs verloschen der Reihe nach. Ihre Interessenten lagen nun müde und abgespannt zu Bert. Nur die Schaufenster der Juwelenläden blitzten und sprühten hin­ter feinmaschigen Eisengittern, denn die ?stoßen Kokotten der Lebewelt, die jetzt ver­enden Champagner aus geschliffenen Kel­che» schlürften, waren noch unterwegs. »Im Jahre darauf starb das Mädchen an Typhus . Mein« Frau konnte den Ver­lust nicht verschmerzen. Unglücklicherweise empfing»reine Frarr in dies«» Tagen wie­der. Sie war viel zu schlvach für eine Schwangerschaft. Die Aerzte weigert«» sich, ettvas zu tun. Wir v«rsuchten zuletzt selbst. Es kam zu einer Frühgeburt.. Das Kind war tot und di« Mutter starb im Wochenbettfieber." Seine. Stimme hatte einen anderen Klang, als er sich wieder der Straß« zu­wandt«. Der Heirätsnrarkt! Für fünf Cent Wer eine Geliebte oder«men Geliebten sucht, daS gan« Lebensglück für ein einziges Nickelstück!" Die Parabel vom Holz ­klotz im Wasser. Bon Max Hayek . Der Sturzbach war durch Regenguß mäch­tig geworden und führte seine tobenden Was­ser in raschen Sprüngen zu Tal. Was ihm im Wege lag, riß er mit, warf er auf ruhlosem Rücken ungeduldig vorwärts, hinab, hinab, in züngelnder, kreiselnder, undaufhaltsamer Eile. Vorwärts! Einen meterlangen, knorrigen Holzklotz, das Segnrent eines gewaltigen Baumstammes, hatte er auch gefaßt. Er spielte mit ihm wir mit einem Hölzchen und schleudert ihn in wei­ten Würfe,» des Weges weiter. Run aber kam der Holzklotz zu einem Gesenke, einem Wehr. Die Wasser stürzten da einen kleinen Katarakt hinunter, und nun lag der Holzklotz jählings inmitten eines weiß und schäumend auf- spritzenden Gischts und konnte nicht weiter. Denn die jach fallenden Wasser hatten eine Grube ins Bett, ins Erdreich gegraben und schlugen nun von der Wand der Grube wütend yurück, ehe fle weiterliefen.. Und in dieser Wassergrube lag der braune, triefende, schwere Holzklotz, plump und unbeholfen, ein macht­loses Spielzeug des mächtigen Elementes. Er ward nach links geworfen und ward nach rechts geworfen, er ward gehoben und hingelegt, lag horizontal und diagonal, stand aufrecht, schnellte empor, fiel zurück die Flut machte mit ihm, was fle wollte. Doch war es anzusehen, als ob er Rettung suchte und sie nicht finden konnte. Die unaufhör- lichen Wirbel der Wasser umgischtcn und nm- zischten ihn, das tolle Gewoge sprang hoch auf, übergoß ihn völlig, Wellenschläge überschlugen ihn, preßten ihn in die Tiefe, mißhandelten ihn, spielten Fangball mit ihm. Und er, der unglückliche Holzklotz, der von gutem Holze war, er lag hilflos ohnmächtig in der nassen Der bekannte sozialdemokratisch« Schrift- st«ll«r Hermann Wendel hat im Ver­lag« Ernst Rowohlt , Berlin , über«inen der größten Männer der französischen Revolu­tion, über Danton,«in prächtiges Buch erschein«» lassen. Mit derselben Li«be, mit der Hermann Wendel «inst sein hervorragen­des Buch über Heinrich Heine g«schrirben hat, schildert er hier das Leben und Schick­sal dieses kühn«» Revolutionärs, der in seiner eisernen Konsequenz und seiner mann­haften Entschloflcnheit für die kämpfende Ar­beiterschaft ein herrliches Borbild ist. Wir drucken nachstehend aus dem BucheDan­ton", das in jeder Zeile Wendels treffliche Feder verrät,«in« Leseprobe ab: Punkt vier Uhr verlassen die beiden Kar­ren, Danton mit den Politischen aus dem ersten, den Hof des Justizpalastes, auf dem er einst mit dec Basoche den Maibaum ge­pflanzt hat wieviel Jahrhunderte sind seit­dem verflossen! Langsam rollen sie über de» Pont-au- Change; er blickt in das Geglitzer der Seine, in diesem heftigen Frühling wird das Waffer bald warm genug sein zum Schwimmen, aber damit ist'S auch vorbei! Hölle und vernwchte nicht«us ihr herauszu- komMen. Manchmal schien eS, als ob der Zu­fall ihm helfen wollte, als ob er di« Strö­mung gewinnen uicd fortschwimmen sollte, fort, fort, den Weg weiter, ruhigeren Flächen zu. Aber cs schien nur so! Er blieb der Gefangene der unbaruiherzigen Wirbel, herumgeworfrn in Schtoäche und Unzulänglichkeit. Jetzt, sieh jetzt legte er sich wie in einem bewußten, vorgeplanten Rettungsversuch flach in die Strömung jetzt eine kleine Hilfswellc nur, der Griff einer Kinderhand, eine Richte, eine Berührung nur und er wäre draußen und frei gewesen! Rein der Rückschlag der übermächtigen Wafler trifft ihn wie ein Prügel erneut aufs Haupt er fällt zurück und dreht sic-, wieder im wilden Strudel der aufspritzenden Wasser und kann nicht fort. Menschen stehen auf der kleinen Brücke oberhalb der Szene und schauen den kämpfen- den, immer neu unterliegenden Holzklotz im überlegenen Element, das kein Erbarmen kennt. Die Menschen stehen lange aus der Brücke, sie wollen gar nicht fortgehen. DaS Bild ist zu packend. Jeder schaut sinnend und gebannt den in der Flut gefangenen Holzklotz. Am nächsten. Tag ist der jetzt noch Ge- sangene fort. Die Strömung lvar schwächer geworden der Rückschlag der Waffer hatte nachgelassen der Klotz konnte fort und inS Unendliche weiterschwimmen, seinen Weg hin. Er war befreit. Wie dieser Holzklotz in der Wassergrube, so liegen Menschen hilflos in der Gewalt Von Verhältnissen. Und sie wollen daS Freie ge­winne», die Strömung, die sie weitrrführt, den Weg, auf dem eS vorwärtSgeht. Und er-' greifend sind ihre Versuche, fortzukommen Und eine leise Hilfe, eine Kinderhand, eine Richte, ein Work vielleicht könnte sie reiten, sie aus Wirbel» reihen, die tödlich scheinen. Aber nie­mand kam zu, niemand ist da, der ihnen hilft, der ihnen die Richte gibt, der das Wort spricht. Bis sich plötzlich der Bann löst, die Kerker auffpringen und die Gefangenschaft vorüber ist. Schwerfällig biegen die Karren links rin. Wie dränge« sich am Kai d« la Mägissrri« dir Menschen. Und keiner rührt eine Hand, in dir Räder, zu greifen. Geschmeiß. Am End« deS Stadens spürt Danton einen Ruck am Herzen, wie damals, als im nahen Cass du Parnass«" Gabrielle an der Kaffe saß, und er als hochgemuter Freier kam. Die Brust wird ihm eng.. Viertelswendung nach rechts. Rue de la Monnai, dort dasCafg zur Münze", Stell­dichein der echtenRevolutionäre ", derpurS". In der Rue du Roule läuft Danwns Blick an den Häusern hoch. Die Fenster voller Köpfe. Bor einem, und das gehört ihn mehr, im Holzkäfig ein Stieglitz , der Bogel hat den Schnabel weit geöffnet, singt sein fröhliches Lied, aber vom Stimmgewirrwird es ver­schluckt. Ehe der Zug links in die Rue Saint- Honorö einlenkt, hastet der Blick DanwnS halb gedankenlos auf einer ragenden Kirche im Hintergrund; es ist Saint-Eustache . Was für hohe und schmale Häuser in die­ser Straße, gerade ein, zwei Fenster breit! Und wieviel Gaffer! Eine Stockung! Hier an der Ecke der Rue de l'Arbre steht rin alter Danton führt znnt StHafott. Von Hermann Wendel .