t Heim König der Ladakh im Lande der Lamas. Varn«alter«ahhard. Tägliche Ballade. An einer großen Maschine. die mich gefangen hält, stehen Menschen und verdienen Geld. Bon ihr gehen und eilen, in tausendfacher Zahl Männer und Frauen, Kinder und Jugend — Qual— Qual— Tag um Tag von der Maschine, die euch und mich gefangen hält— an der wir verdienen unser bißchen Geld. Nun wird'S schon wieder dunkel. Graue Nacht. Die Kollegen grüßen nur noch flüchtig, e? wird Schluß gemacht. Grauer Abend. Schwarze Nacht. Winde, kalte Winde wehen.. Alle tappen wie Blinde und stammeln leis: Ich bin nicht einmal so müd', Warum nur hännnert der Kopf soviel das dumme banale Lied? Kaum daß ich geboren und weiß nicht, wo ich meine Sehnsucht, meine Sehnsucht verloren? Friben. sprächet: hatte, kam nur noch«in Stöhnen und häusliches Gepolter. Eintönig wiederholte er immer wieder:„Schlafen... Immer nur schlafen. Wenn man alt wird, ist cs am besten, zu schlafen und zu vergessen!" Er sprach nicht aus, was er zu vergessen wünschte... Wollte er das Unglück vergessen, durch das die Seinen umgekommen waren, oder vielleicht seine Brutalitäten, unter denen meine armen Landsleute einst so sehr zu leiden hatten? Einen Moment schien es, als wollt« er sich aufrichten, aber schon warf ihn ein asthmatischer Anfall in feinen Lehnstuhl zurück, in dem er verzerrten Gesichts und schäumenden Mundes verharrte. Sollte er in meiner Gegenwart infolge Erstickung sterben? Ich neigte mich zu ihm und hielt ihn, damit er in das auf dem Tische stehende Becken ausspucken könne. Dann benützte ich einen Augenblick, in dem er sich wieder erholt hatte, uni ins Vorzimmer zu gehen unb um Hilfe zu rufe». Die Haushälterin kam herbei, zuckte die Achseln und sagte, als sie meine Verwirrung bemerkte:„Das war nichts. Das war fein gewöhnlicher Anfall. Machen Sie sich nichts daraus! Heute Wirer noch nicht sterben." „Sollte es wahr sein," dachte ich, als ich Abschied nahm,„daß alle Verbrechen ihre Sühne finden, auch dann, wenn menschliche Gerechtigkeit nicht eingreift?.. Am Abend erzählte ich diese Geschichte bei Tisch. Jacques hörte schweigend zu. Dann sagt« er:„DaS ist genau so wie mit den unerzogenen Kindern, die man zu sehr verwöhnt..." „Wieso das?" „Man sagt ihnen immer: du wirft bestraft werden, und niemals bestraft man sie. Aber ihre Mutter irrt sich, wenn sie glaubt, daß sie nicht trotzdem bestraft werden.. Ich erkannt«, daß Jacques begriffen hatte. Unter der wisienschaftlichen Leitung Dr. E. Trinklers unternahm ein« deutsche Expedition«in« Reise in dar tibetische Hochland, in die gewaltigen zentralasiatischen Gebirgszüge, sowie in die Takla- Makan-Wüste. In den Gebieten, welche die Forschungs-Expedition bereiste, türmen sich der Himalaja und das Karakorum - Gebirge, Giganten der Bergwelt. Walter Boßhard nahm an dieser Expedition teil und er beschreibt nun Erlebnisse, Entdek- kungen und Erfahrungen, die er hiebei machte, in einem lebendig und heiter geschriebenen Buche:„Durch Tibet und Türkistan", Reisen im unberührten A f i e n,’SBerfag Strecker und Schober, Stuttgart. (Preis geb. Mk. 12.—.) Bon Indien ausgehend ging die Reise über Kaschmir und über gefährliche Saumwege des Himalaja in das Land der Lamas. Im Hochland des Karakorum verlor die Expedition die Saumpferde. Fünstausenv Meter hoch, in furchtbarer Einöde, wo es keinerlei Vegetation gab, mußte sich die Expedition unter größten Mühen und Entbehrungen den Weg bahnen. Zwei Monat« vergingen, ehe fitz wieder bewohntere Gegenden erreichte. Aeußerst interessant sind in dem Buche die Schilderungen der Entdeckungen alter Städteüberreste in der Wüste Takla-Makan . Boßhard berichtet auch viel Wertvolles über die politischen Verhältnisse Jnnerasiens, was dem Umstande zu verdanken ist, daß er auf der Rückreise mehrere Monate unfreiwillig in Kaschgar festgehalten wurde. Das nachfolgende Kapitel ist mit Erlaubnis des Verlages dem mit vielen Bildern ausgestatteten Buche entnommen: In die Tag« unseres Aufenthalter in Leh fiel auch ein Besuch beim König von Ladakh , der auf"seinem Schlosse in Stok, wenige Stunden südlich der Hauptstadt, residierte. Als wir in den Hof des königlichen Palastes ritten, kam Seine Majestät der König Tscho-Skyong-Rnam- Rghal die Treppen herunter, um uns zu empfangen. Die Pferde wurden von den Dienern angebunden, abgesattelt, und nach der üblichen Begrüßung stiegen wir die steilen Steintreppen mit den hohen Stufen zu den Wohngemächern dere königlichen Familie hinauf. Di« Türe zum Empfangsraum war recht niedrig, ihre Schwelle sehr hoch, und der Türrahmen prangte in der glückbringenden roten Farbe des Landes. Zwei Königinnen empfingen uns hier, indem sie uns die Hand reichten, nach Landessitte die Zunge herausstreckten und das eine Lhr nach vorne zupften,>vas in ihrer Sprache heißt, daß sie Zunge und Ohr dem Neuangekommenen aus Unterwürfigkeit zum Abschneiden anbieten. Für uns drei Europäer, Bischof E. F. Peter, Leiter der Herrnhuter Mission in Westtibet, Dr. H. de Terra und mich waren zusammenlegbar« Feld- und Liegestühle bereitgestellt. Die königlichen Hoheiten setzten sich mit gekreuzten Beinen auf Kissen, über welche farbenprächtig« Teppiche aus Tibet ' und Jarkent ausgebreitet waren. Der König saß, seinem Rang« gemäß, etwas höher als sein« Mutter und seine Frau: Ryi-Ldawangmo, aus deutsch „Sonnen- und Mondkönigin". So saßen sie vor uns: die Mitglieder der königlichen Familie, soweit sie anwesend waren. Der König Tscho-Skyong-Rnam-Rgyal— der „allein siegreich« Beschützer der Religion" ist die freie Uebertragung seines tibetischen Namens—, einunddreißig Jahre alt, mit schönen aristokratischen Händen, sah mit seinem langen, offenen Haare und den Ohrringen recht frauenhaft aus. Ein tibetisches Käppchen mit einer aus Korallen geflochtenen Krone bedeckte sein Haupt. Ein Weißes, chinesisches Seidenhalstuch schaute unter dem mantelartigen, weinfarbenen Gewand«, hervor, das einem japanischen Kimono ähnlich sah und dessen Linien in den Hüsten durch eine buntfarbene Schärpe unterbrochen wurden. Handgestrickte Socken bedeckten die Füße, die in goldbestickten Pantoffeln steckten. Er ist die Inkarnation seines Vaters, des alten Königs Sodnam Namgyal,„des Siegreichen", der jedoch seit mehr als zehn Jähren zugunsten seines Sohnes auf den Thron verzichtet hat. Während die Thronfolge immer vom Vater aus den Sohn übergeht, gilt der König zugleich als die Wiedergeburt des ersten Priesterkönigs von Ladakh . Sein Vater, der nun in einem einsamen Bergkloster haust, war eigentlich offiziell tot, seine Seele sollte bereits auf den Sohn übertragen sein. Zweifler waren jedoch über diesen Punkt noch nicht ganz' im klaren, denn Sodnam Namgyal schielte, und der neue König schielte nicht! Konnte«r wirklich die Wiedergeburt seines Balers sein? Zur Rechten Seiner Majestät saß die Königinmutter, eine dreiundachtzigjährige Dame, munter und lebhaften Geistes, das Gesicht voller Runzeln, mit klaren, offenen Augen, einem zugekniffenen Mund, der gewohnt war zu befehlen. Ihr Kleid, aus dem sie von Zeit zu Zeit ein starkes Vergrößerungsglas hervorzog, sah wenig königlich auS. Der TürkiS- schmuck auf ihrem Haupt« war etwas verblaßt und nahm sich neben demjenigen ihrer Schwiegertochter, der gegenwärtigen Königin, recht bescheiden aus. Dieser bestand aus sieben Reihen herrlich blauer Steine von der Größe eines Fünffrankenstückes, die auf dem über dem Rük- ken bis zu den Hüften hängenden Bande immer kleiner wurden. Das weinrote Kleid der Königin reichte bis auf den Boden, und dar- übcr trug sie einen goldbestickten Schal, ein Familienerbstück. Die Füße steckten in niedlichen golden und rot verzierten Pantöffelchen. Die Königin schien die Seele des Hauses zu sein; sie dirigierte die wenigen Bedienten «ich sah, daß ihr Gemahl nicht allzu leichtsinnig mit dem Geld« umging. Im Verkehr war sie munter und fröhlich, und meine Sprache mit den Händen schien ihr besonderen Spaß zu machen. Auf ihrem Schoße saß das fünfjährige Töchterchen, ein außerordentlich intelligent dreinschauendes Mädchen. Die kurzgeschnittenen Haare und die kleine Nonnenmütze deuteten an, daß es fürs Kloster bestinnnt war; die königliche Kaffe würde zu einer standesgemäßen Aussteuer nicht ausreichen; dir kleine Prinzessin ist deshalb mit ihrer um einige Jahre älteren Schwester schon von Geburt an für eine religiöse Laufbahn bestimmt worden. Sodnam Namgyal, der alte König, den ich im HemiS- Kloster getroffen und auch photographiert hatte, überwachte in seinem abgelegenen Bergkloster die geistliche Erziehung seiner beiden Enkelkinder, von denen das jüngere nun für kurze Zeit aus Besuch bei seinen Eltern weilte. Die wichtigste Persönlichkeit des königlichen Haushaltes war jedoch entschieden der einjährige Prinz, der einst das Erbe der Dynastie anzutreten haben wird. Zu sehen bekamen wir
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11 (25.7.1931) 30
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