— S— darf ich nicht überanstrengen; sonst spür« ich weiter nichts mehr. Heuer geh ichS erstemal wieder ins frei« Wasser." „Wenn du nicht mehr sicher im Schwimmen bist, lass' wenigstens dein« silbernen Rippen da!" spricht Stepan ganz ernsthaft. „Hört mir auf," grollt Nando und erhebt sich,„ich steige jetzt ins Wasser." Er stelzt über den flachen Kiesgrund in den Fluß, immer tiefer, bis Ihm das Wasser an den Hals reicht. Dann beginnt sein Schädel leicht schaukelnd über der welligen Oberfläche hinzugleiten, bis er mit«inemmal verschwindet. „Der wagt aber viel," bemerkt Giska,„jetzt taucht er sogar." „Und wie lange noch dazu," Pflichtet ihm Stepan nachdenklich bei. Bon Hans In der nördlichen Friedrichstraße in Berlin betreibt«in älteres Fräulein«inen Handel mit Eisenwaren. Eines Tages erscheint bei ihr ein großer stattlicher Herr und kauft Eisenrohre, Kupserdraht, Spulen und elektrische Batterien. Er tätest diese Einkäufe nicht auf einmal. Dreimal in kurzen Abständen von wenigen Tagen kommt er in den Laden, wobei er jedesmal lange und sachverständige Gespräch« über di« Güte des Materials führt. Seinen „ausländischen" Akzent, dafür hält nämlich die Verkäuferin sein österreichisch gefärbtes Deutsch, motiviert der Besucher mit seiner angeblichen Eigenschaft als„englischer Offizier". Er erwähnt auch beiläufig, daß er in einem Ber liner Vorort lebt und Sprachstudien treibt. Nach dem Bekanntwerden des Jüterboger Attentats recherchiert di« Mordkommission in sämtlichen Berliner Eisenwarenhandlungen und kommt so auf die erste Spur. Denn das alt« Fräulein erinnert sich an den„englischen Offizier", der auch tatsächlich in Gestalt eines früheren irischen Offiziers im Wildpark gefunden wird. Dieser Irländer ist als Sprachlehrer beschäftigt. Nach langem Verhör stellt sich zwar seine Unschuld heraus. Aber der Unglückliche verliert trotzdem sein Brot: seine Schüler kündigen ihm den Unterricht. Er hat sich verdächtig gemacht, das genügt ihnen für den Boykott. Also noch ein verspätetes, wenn auch indirektes Opfer Matuschkas. Stratze am Anhalter Bahnhof 8. Der Besitzer des kleinen Hotels, in dem reisende Kaufleute ihr bescheidenes Domizil haben, kann sich an seinen unheimlichen Gast nicht mehr erinnern. Nur durch di« Handschriftenvergleich« im Gästebuch, in das er übrigens einen falschen Namen eintrug, wurde die Schriftgleichheit festgestellt. Matuschka hat hier in der Nacht vor dem Attentat von Jüter bog geschlafen. Man hat nichts Auffälliges an chm bemerkt. Nur das Stubenmädchen erzählt rin« keine charakteristische Einzelheit. Als sie am Morgen den Kaffee brachte, war der Gast in guter Laune und Psiff vor sich hin. „Heute habe ich ein großes Geschäft vor, von dem ich mir viel verspreche..Drücken Sie den Daumen, mein Kind", sagte er und tätschelt« das Mädchen. Wenige Stund«» später entgleiste der D-Zug bei Jüterbog . Das„große Geschäft" war geglückt. Das Mädchen hat nachträglich erst erfahren, wer der fröhlich« Gast war. Sie bewahrt ihm h«ute noch«in«„gute Erinnerung!" Er hat mir«in schönes Trinkgeld gegeben. Er war auch sonst bestimmt ei« bessrr«r Herr--.", sagte sie den Kriminalbeamten. Giska und Stepan springen nach einer Weil« gleichzeitig auf, sehen d«n Kopf noch viermal hochstoßen, dann bleibt Nando unter Wasser. Die beiden sehen sich ratlos an. Sie können nicht schwimmen. Weit und breit kein Mensch, kein Kahn. Sie setzen sich wieder. Da liegen noch RandoS Habseligkeiten: das durch, löcherte Hemd, die zcrstopste Hose, dir Schuhe ohne Absätze. „Schade," sagt der tuberkulöse Giska,„um das viele gute Esten und Trinken, was sie dem in Wien hineingetrichtert haben!" „Und um die silbernen Rippen," bedauert der bucklige Stepan.„Ob sie ihm die'raus- nchmen können, wenn sie ihn werden wo'rausgefischt haben...?" West. Ekrasit und Kotelett. Noch ein anderer Gastwirt hat Matuschka unter seinem Dache beherbergt, ohne zu ahnen, mit wem er es zu tun hatte. Etwa 14 Tage vor dem Attentat wohnte Matuschka«ine Nacht im Bahnhofshotel von Jüterbog . Wieder unter falschem Namen. An diesen Besuch erinnert sich der Wrt nicht mehr. Aber am Tage des Attentats gegen Abend kam Matuschka wieder in das Bahnhofshotel und setzte sich in die Gaststube. Er bestellte rin Kotelett und«in Glas Bier dazu. Während er auf das Essen wartete, kamen di« ersten. Schreckensmeldungen. Alle Gäst« sprachen aufgeregt durcheinander. „Was sagen Sie nur zu diesem furchtbaren Verbrechen?" fragte der Wirt Matuschka. Der zuckte nur die Achseln:„Sehr bedauerlich— aber bitte, lassen Sie doch das Kotelett recht gut durchbraten." Ter Wirt war einen Augenblick verdutzt, dachte dann aber nicht weiter an die Angelegenheit, weil er sich um seine Gäst« kümmern mußt«. Matuschka verzehrte mit gutem Appetit sein Kotel«tt. Nur als der Kellner seinen Wettermantel vom Haken nehmen wollt«, um für einen anderen Gast Platz zu machen, wurde Matuschka heftig: fassen Sie meinen Mantel gefälligst hängen!" Er hatte seine guten Gründ«: in den Taschen des Mantels befanden sich noch reichlich« Spuren des Ekrasit, mit dem er vor knapp zwei Stunden die Geleis« gesprengt hatte... 16.000 Anzeigen. Tic Berliner Mordkommission, unter Leitung von Kriminalkommissar Gennat , schlug ihr Hauptquartier in einer Gastwirtschaft des Dorfes Zinna bei Jüterbog auf. Sie arbeitete mit einem Stabe von 50 Beamten. Die gesamt« Gendarmerie des Kreises Jüterbog wurde aufgeboten. Die Reichswehr vom nahe gelegenen Schießplatz suchte systematisch das ganze Gelände ab. Der gesamt« Verkehr aus sämtlichen Zufahrtsstraßen nach Berlin wurde tagelang kontrolliert. Di« Bevölkerung der Dörfer an der Bahnstrecke Jüterbog->-Zinna wurde vernommen. Verschiedene Personen verhaftet. Zu beweisen war nichts. Die ausgesetzte Belohnung von 100.000 Mark zeitigt« ein« wahre Sintflut von Anzeigen aus dem Publikum, meistens anonymer Art. Insgesamt erhielt di« Berliner Mordkommission 16.000 Anzeigen, di« sämtlich genau geprüft wurden. Unter den Anzeigen befanden sich neben zahlreichen Denunziationen auch dir „Gutachten" von zahlreichen Hellsehern, Kartenlegerinnen und Spiritisten. Währenddessen be- 1--«„ fand sich Matuschka schon lang« wieder bei seiner nichtsahnenden Frau in Wien . Di« rote Helene. Unter den zahlreichen Personen, die später, angaben, mit Matuschka in Berlin zusammen? getroffen zu sein, befand sich auch ein Straßen^ mädchen. Diese Dam«, in ihren Kreisen unter dem Namen„rote Helene" bekannt, behauptete,! mit Matuschka rin zärtliches t«te-a-t«te in einem Absteigequartier in der Hedemannstraße ver-^ bracht zu haben. Sie schilderte den Attentäter auf das genaueste und erkannt« sein Bild so»! fort unter verschiedenen vorgelegten Photographien.', l „Et war ein jroßer starker Mann mit'nem stechenden Blick, der direkt wat Unheimliches an sich hatte. Er wär' een jroßer Babrecher^ hat er jesagt. Ick dachte, er mär' besoffen.^ Er hat mir och«n Bild von seina lleenen Tochta jezeicht. Et war een richtja Film mit diesem Freia." Df« Aussagen der„roten Helene" sind, später zu den Akten gekommen. Von der Belohnung hat sie nichts abbekommen. Sie war, schon verteilt. Det wurmt Helen heute noch! Bewayter der Berge. . Von Dr. Raoul Francs Wer hat nicht schon im Hochgebirge im Anblick der wunderbaren Blumenmatten geschwelgt, die zwischen Aipenrosengebüsch und Knieholz hoch hinauf züngeln im Steingeröll unter Felswänden? Es ist vielleicht das schönste Naturbild, das die Berge überhaupt bieten. Tenn trotz aller Kletterfreude und Gipseisernblicke täusche man sich nicht darüber: ganz oben sind die Berge ebensowenig am schönsten, wie von ganz unten aus gesehen. DaS eigentlich« Zauberbild entfaltet sich etwa im zweiten Drittel ihrer Höh«. Dort, wo des. Waldes grüne Halle sich von selbst in einen Park verwandelt mit nur einzelnen' Baumgruppen und natürlichen weilen Bergwiesen, wo duftend die Bergkräuter den bunten Teppich auSspannen und Sonntagsstille sich auftut, daß man meint, das Rieseln der Lichtbäche zu hören, die in unbeschreiblicher Klarheit selbst di« ser-. neu Bergeshäupter umspielen.<* Dort oben, wo die Alpenrosen wie feierlich« Lichter brennen, findet ein stiller, abe^ unbeschreiblich erbitterter Kampf auf Leben und Tod statt, in dem das Leben ununterbrochen aufs neu« siegt. Die großen Felsgipfel werfen jeden More gen neue Lasten von verwittertem Schutt ab. Keine Wand ist im Gebirge, di« nicht umsäumt, wär« von einem Band« der Gerolle, di« in spitzem Winkel hoch an ihr hinauf greisen.' Kein« aber auch, an der nicht weich und lebensfroh das Grün der Alpenbüsch«, der Gräser und der Schuttpflanzen mit lausend und aber tausend Wurzelarmen und Zweigen sich um Steinchen und GruS schlingen würde und' so den talab wandernden Berg zurückhält quf seinem Wege der Selbstzerftörung. Eine Steinmur« geht heut« mit Erdbeben-, zittern ab. Es ist, als ob der Berg selbst, wanke. Dann aber breitet sich doch wiäer di«' groß« Stille aus, und auf die Schreckensminut« folgen Jahrzehnte der Wiedergutmachung. Im Walde wurde die Lawine aufgefangen. Tausend, Aeste mag sie geknickt und hundert lebensfroh^, Bäume zerstört haben, der hundertunterste aber hat sie aufgehallen und der Wald hat ihr sein Schweigen geboten: Bleibe! Dann hat er sie begraben. Und von ihm bis zur Felswand? überall, wo der steinern« Leib des Berges offen Rund«IN Rlatufihta.
Ausgabe
12 (18.6.1932) 25
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