2tr. 45. UnterOalittng^beilage. 1932.
Die Dievin. Von Sude 9aul □nargueritte.
Eines Morgens beobachtete Herr Megre mit ängstlichem Gemüt ein« Wolke auf der Stirn seiner Gattin, was immer ein« böse Vorbedeutung für den kommenden Tag war. Wahrscheinlich irgendein Arrgernis i im Haushalt, dachte er, und da er sicher' war, di« Erklärung sehr bald zu erhalten, beeilte er sich durchaus nicht, danach zu fragen. Er setzte sich Frau Mvgre gegenüber an den Frühstuckstisch, entfaltete die Serviette und wagte einige harmlose Betrachtungen über die Witterung, tvahrend er seine Blick« durch das Fenster schweifen ließ. Aber Frau Mögre folgte seinem Gedankengang, und plötzlich brach«S aus ihr heraus:»Diese Situation ist unerträglich! Du magst sagen, was du willst, ueber Freund, aber ich hab« den Entschluß gefaßt, Rosa zu entlassen." „Warum denn nur?" fragte schüchtern Herr Mdgre. Er war dieser Rosa so dankbar, weil sie immer kleine Aufmerksamkeiten für ihn hatte, und vor allem empfand er wohltuend ihr schweigende- Mitgefühl, wenn der Charakter seiner Frau sich öfters auf egoistisch« und argwöhnische Weise unangenehm bemerkbar für ihn macht«. „Du fragst: Warum?" grollt« sie. In diesem Augenblick betrat Rosa daS Zimmer und servierte das Vorgericht. Nachdem sie das Tablett aus den Tisch gestellt hatte, schob sie eine Wärmflasche unter die immer kalten Füße Herrn Magres. Dann schloß sie leise hinter sich die Tür. Frau Mögre konnte nun nicht mehr an sich halten:„Meine Geduld ist zu Ende. Ich habe es dir gesagt und wiederhole es: wir können eine Diebin nicht im-Hause behalten." „Oh! Oh!" protestierte Herr M6gre, „bist du dessen so sicher, was du da vorbringst?" „Eine Diebin ", bestätigte die Gattin, „und nicht«rst heut« bin ich dahinter gekommen: Mein grüneS Kleid ist verschwunden, daS ärgert mich. Ich hatte die Absicht, es färben zu lassen, wenn deine arme Mama, — oh, natürlich, so spät wie möglich,— einmal das Zeitliche segnen wird.— Auch dein blauer Anzug ist unauffindbar. Ich will nicht behaupten, daß Rosa vielleicht
mitunter Männerkleidung anlegt; aber sie kann ja einen Bruder oder einen Freund haben: die kleinen Geschenke erhalten die Freundschaft und auch die Liebe." Eben kam Rosa wieder herein und brachte in einer Schüssel ein duftendes Ragout. Frau MSgre schwieg- und Herr Mdgre klagte über Zugluft, die er unange- nehm an seinen Beinen spürte. Rosa holt« den Ofenschirm herbei und stellt« ihn zwischen Tisch und Fenster auf. Frau MSgre hatte nicht übel Lust, mit den Zähnen zu knirschen, unterdrückt« diese Regung aber, um ihrem Gebiß nicht zu schewen. „Sie ist eine wahre Perl«", seufzte Herr Megrc, als sie wieder allein waren. „Eine teure Perle", hohnlächelte die Gattin voll Empörung,„aber du siehst natürlich nichts, du siehst nie etwas! Und dabei ist«s so einfach, daS Spiel dieser Person zu durchschauen. Sie umhegt dich nur deshalb, um im Notfall gleich auf ihrer Dienststelle einen Bundesgenossen, einen Verteidiger zur Verfügung zu haben. Ei, wahrlich, «ine gute Stelle hat fi«! Man kann sich da bequem einen Nebengroschen schaffen, und ich bitte dich, zu glauben, daß Rosa sich dazu wahrlich keine Gelegenheit entgehen las-, sen wird." „Woraus folgerst du das...?" Rosa brachte den Nachtisch: eine Schale mit Obst, die sie zwischen die Ehegatten stellt«. War es Zufall oder Absicht: die schönste Frucht, em herrlicher Apfel, lag aus der Seite von Herrn Magre, während die gnädige Frau in ihrer Reichweite nur eine verschrumpfte Mandarine hatte. Jedesmal, wenn Rosa eine Platte anbot oder einen Teller auswechselte, beobachtete Herr Magre mit Wohlgefallen das Spiel ihrer Hände, die zwar groß, aber von seltener Schönheit und Gepflegtheit waren. Frau M0gre empfand darüber einen ungeheuren Verdruß. ,Zch folgere nicht, ich bin leider nur zu sehr unterrichtet!" nahm sie das unler- brochene Gespräch mit Bitterkeit wieder aus. „Rosa ist eine Diebin. Du wirst nicht mehr daran zweifeln, wenn du erfährst, daß auch dein goldene- Petschaft, da- Petschaft deine- Großvaters, das du so in Ehren hieltst..."
,-Großvaters Petschaft ist verschwur den?" erregte sich nun auch Herr Mdgre.— „Und du kannst suchen, wo und wie lang* du willst, du wirst es nicht finden." Herr Magre erhob sich«ilig und li«ß den Apfel mit der einen roten und der andern blaffen Wange achtlos auf dem Tisch liegen. Frau Mögre triumphierte. Boll Eifersucht und Hatz wollte sie diese junge und z» hübsche Rosa vor die Tür « setzen, und der Herr selbst sollte es tun, den sie mit so rührender Sorgfalt umgab. Frau Magre betrachtete e- als eine persönliche Beleidigung, wenn ihrem Gatten von diesem Mädchen soviel Güt« angetan wurde. Ach. es war eine unglücklich« Idee gewesen, Rosa ins .Haus zu nehmen. Bon nun an würde sie immer nur ältere, mürrische und häßlich« Mädchen anstellen. Währenddessen ließ Herr MKgre seine kurzsichtigen Blicke über den Schreibtisch schweifen. Das Petschaft tvar wirflich nicht auf seinem gewohnten Platz neben. dem kleinen Leuchter mit der blauen Wachskerze zu finden. Es lag nicht auf dem Zinnteller, nicht in dem Briefmarkenkästchen, nicht unter dem Löschblatt. Es war nicht in den Papierkorb gefallen, nicht unter den Teppich gerollt, hatte sich auch nicht heimlicherweise in der Kaminasche versteckt. Frau Mögre frohlockte. „Ich verstehe das nicht. Es ist doch niemand in diesem Zimmer gewesen?" „Nur Rosa", entgegnete seine Frau. „Aber vielleicht hast du versehentlich das Petschaft in deine Tasche gesteckt; du bist so zerstreut!" Herr Magre kehrte seine Taschen aus. Nicht nur das Petschaft war weg; inan bemerkte jetzt auch, daß der goldene Bleistift nicht da tvar. Dieser doppelte Verlust erschütterte Herrn Magre. „Es ist zu schade, sie tvar eine so auf- merkstlinc Dienerin", meinte er mit Bedauern. „Ich ziehe es vor, lieber weniger gut bedient, aber nicht bestohlen zu werden", entgegnete Frau Mägre. Da sie mit einer Freundin verabredet war und überdies wünscht«, daß da- junge