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Sonntag, den 4. Juli 1920
Nummer 260
Morgen- Ausgabe
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greiheit
Die Brüffeler Konferenz
Brüssel, 3. Juli.
Der Sonderberichterstatter der„ Agence Havas" meldet: Nach Schluß der gestrigen Vormittagskonferenz segten die Sachverständigen für die Schiffahrts- und Luftschiffahrtsfragen den Tegt einer Note fest, die der deutschen Delegation in Spa überreicht werden soll. Der endgültige Wortlaut wird wahrscheinlich durch den Obersten Rat festgesetzt werden.
Der Berichterstatter glaubt zu wissen, daß die Note insbeson= bere auf die Notwendigkeit der Ablieferung des Kriegsmaterials bestehen wird, das den Alliierten bisher noch nicht ausgeliefert worden sei, und daß sie ferner von der deutschen Regierung die Veröffentlichung des Gesetzes verlangen wird, das die Wehrpflicht in Deutschland gemäß dem Versailler Vertrage abschafft. Weiter befaßt in die Note mit der Herabjegung der deutschen Armee auf 100 000 Mann, die zu dem urs sprünglich vorgesehenen Termine vom 10. Juli nicht gurchge= führt werden könne. Die 100 000 Mann regulärer Truppen, die Deutschland zu halten berechtigt ist, müssen auf neuer GrundInge verteilt werden, so daß von einem Tage zum andern große Heeresverbände nicht gebildet werden können. In dieser Hins ficht sei vollkommene Einigung erzielt worden.
Brüssel , 3. Juli. ( Havas- Reuter.)
In amtlichen belgischen Kreisen wurde heute vormittag eine ziemlich fühlbare Entspannung festgestellt. Man scheint auf das System der Anteile zu verzichten und statt dessen eine prozentuale Verteilung beschlossen zu haben. Belgien würde 8 Prozent erhalten.
Brüssel , 3. Juli( Havas- Reuter). Die Konferenz der französischen, belgischen, italienischen und englischen Minister dauerte von 11 Uhr vormittags bis 1,30 Uhr nachmittags. Es wurde fast ansschließlich die Frage der Verteilung der deutschen Entschädigung erörtert. Ein Einvernehmen ist so gut wie hergestellt und zwar auf folgender GrundLage: Frankreich erhält 52 pGt., England 22, Italien 10, Belgien 8 und Serbien 5 pet. Der Rest wird unter Rumä nien, Portugal und Japan verteilt. Italien soll außerdem noch eine Kompensation wirtschaftlicher und finanzieller Art er halten.
H. N. London , 3. Juli. , Daily News" und" Daily Herald" veröffentlichen ein aufsehen erregendes Dokument, das in Archangelst in die Hände der Bolschewisten gefallen ist. Es enthält
Bom Verein Bergbaulicher Interessen wird mitgeteilt: Die Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern der niederschlesischen Steinkohlengruben nehmen jegt eine sehr be. brohliche Gestaltung an. Die Arbeiter hatten die Ents fernung von 25 Beamten aller Klassen verlangt. Die Gruben gaben dem nicht ohne Weiteres nach, sondern verlangten eingehende Prüfung der Beschwerden. Ohne das Brüs fungsergebnis abzuwarten, find die Arbeiter der Fuchs= grube, etwa fedhstausend, in den passiven Widerstand getreten. Die Kohlenförderung beträgt nur ein Fünftel gegen früher. Der Widerstand griff gestern auf die Nachbargruben über und droht, das Gesamtrevier, 35 000 Bergarbeiter, zu er fassen. Schon jetzt ist die Gassersorgung des ganzen Industries gebiets mit mehr als dreißig Ortschaften unterbunden. Welche Folgen ein Streit für die deutsche Kohlenversorgung haben wird, ist nicht abzusehen. Den Gruben, die in Niederschlesien bis an die äußere Grenze des Entgegenkommens gegangen sind, ist es unmöglich, verdiente Beamte auf die Straße zu sehen. Diese Darstellung von bergbaulicher Seite bedarf dringend der Ergänzung. Die niederschlesischen Bergarbeiter waren bisher die geduldigste Arbeiterschicht in ganz Deutsch land . Aber ihre Geduld ist auf eine harte Probe gestellt morden. Die Beamten, deren Beseitigung sie fordern, haben sich während der Kapp- Tage des Hochverrats schuldig gemacht, die Bergleute während des Abwehrstreiks tyrannisiert und sie wollen diese Gewaltpolitif auch jetzt noch fortführen. Den Arbeitern ist deshalb der Geduldsfaden geplakt. Daß sie im Rechte sind, geht schon daraus hervor, daß der Bericht der Bera erren die Ursachen der Erregung unter den Bergleuten verschweigt.
Ungeschwächte Weiterführung des Boykotts
Wie das Sekretariat des Internationalen Ge werkschaftsbundes mitteilt, wird in der Sigung des Internationalen Bureaus, das anlu, ich des Kongresser des Belgischen Gewerkschaftsbundes vom 3. bis 7. Juli in Brüssel zusammentritt, die weitere Haltung des Internationalen Gewertschaftsbundes in der Frage des Bontotts gegen un
bas wesentliche aus einer Unterredung Churchills, des früheren Kriegsministers mit einem Agenten Sasenows, des früheren Außenministers und späteren Botschafters in Paris . Diese Unterredung fand im Mai vorigen Jahres statt. Chur chill tennzeichnete darin die russische Bolitit als unstatthaft. Es erregt den Eindrud, daß im Zusammenhang mit der Opposition der englischen Arbeiter gegen ein bewaffnetes Dazwischentreten Englands in Rußland , die Räumung Archangelst als Vorwand benugt wurde, um englische Truppen dorthin zu entsenden, die laut einem Geheimabkommen gegen die Bolschewisten verwendet werden sollten. Am 30. Juli 1919 hat Churchill in einer Rede im Unterhause bekanntlich aufgefordert, auch nur einen Beweis dafür zu erbringen, daß er einen Auftrag gegeben oder eine Verpflichtung eingegangen sei, die auf ein englisches Eingreifen in Rußland hinzielte.
Lemberg in den Händen der roten Armee
London , 3. Juli. „ Daily Mail" erfährt aus Brüssel , nach den letzten Nach. richten aus Bolen sei die Stadt Lemberg in die Hände der Roten Armee gefallen.
Die rote Armee 5 km vor Kowno London , 3. Juli. Nach einer„ Times"-Meldung aus Brüssel verkünden die Bolschewisten neue große Erfolge in Bolen. Die rote Armee stehe 5 Kilometer vor Kowno .
Bolens Hilferufe
Amfterdam, 8. Juli.
Einer Reutermeldung aus Brüffel zufolge wird sich der Oberste Rat auch mit einem von Bolen vorgelegten Ersuchen betr. militärische Unterstützung durch die Alltierten, zu befaffen haben. Marschall Foch wurde beauftragt, über diesen Gegenstand einen Bericht vorzulegen.
Internationale Solidarität
( Eigene Drahtmeldung der Freiheit".) Hindenburg O- Schl., 3. Juli. Die Belegschaft der größten staatlichen Grube„ Rönigin Buise" hat durch den Betriebsrat von der staatlichen Betriebsinspektion gefordert, daß der Versand nach Ungarn sowie für Kriegszwede eingestellt wird. Diese Forderung entspricht dem Boykotibeschluß gegen Ungarn und richtet sich gegen den polnischen Krieg gegen Sowjet- Nußland.
garn näher festgestellt werden. Inzwischen wird der Boykott ungeschwächt fortgesetzt, und die beteiligten 1rganisationen werden aufgefordert, Maßregeln für eine tuelle Berschärfung des Bontotts zu treffen.
Gefährliche Treibereien
event=
Immer häufiger tommen Nachrichten, daß die bayerische Boltspartei unter Führung Dr. Heims eine Aufstandss politik befolgt, deren letztes Ziel die Bildung eines süd deutschen katholischen katholischen Königreichs mit dem Brinzen Rupprecht an der Spize wäre. Natürlich wäre ein solcher Plan nur mit Billigung der Entente ausführbar. Nun hat das frühere Vorstandsmitglied der Volkspartei, Professor Otto, türzlich öffentlich behauptet, daß solche Verhand= Iungen in San Remo mit den Franzosen und in 3ürich mit den Engländern gepflogen wurden. Herr Dr. Heim hat diese Mitteilung bestritten. Jetzt veröffentlicht ein anderes Mitglied der Boltspartei, ein früherer Generalstabsoffizier Karl May , an Hand eines Protokolls mit drei Unterschriften einen Bericht, den Dr. Heim dem Leiter der Fränkischen Bauernvereine, Kommerzienrat Kastner, über diese Verhandlungen era stattete. Danach hätte Dr. Heim in San Remo über die Bildung eines Donaubundes mit Ausschluß Wiens verhandelt, den Engländern gegenüber hätte Dr. Heim die Abtrennung Süddeutschlands und die Schaffung eines Groß- Bayerns vertreten. Herrn Kastner bezeichnete Dr. Heim als seine Politit das Festhalten am Reichsgedanken, doch sei eine vorübergehende Trennung Bayerns vom Reiche nötig, bis der„ neudeutsche Bolschewismus" erledigt sei und infolge Bayerns Ausscheiden aus dem Friedensvertrag dieser annulliert werde.
Nun ist bekannt, daß in Bayern ganz gefährliche reaktionäre Treibereien, die freilich immer abgeleugnet werden, bestehen. Man fühlt sich dort gleichzeitig als Vormacht des Katholizismus und der Reattion. Man sucht einerseits eine enge Verbindung mit Horthy - Ungarn , andererseits die Unterstüßung der flerifalen nationalistischen Kreise Frankreichs . Die Mitteilungen haben also trotz aller Dementis sehr große innere Wahrschein= lichteit.
Die Aussichten von Spaa
Die deutsche Delegation ist gestern abend nach Spaa abgereist, und nun richten sich aller Augen auf den kleinen belgischen Kurort, in dem in den nächsten Tagen Beschlüsse gefaßt werden sollen, die für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands von größter Bedeutung sind. Zum erstenmal nach Versailles werden deutsche Vertreter mit den Vertretern der Ententemächte an einem Tisch sizen, und zwar sollen sie diesmal fommen, nicht nur, um das Diktat der Gegner zu vernehmen, sondern um mit ihnen über die Höhe der Entschädigungssummen und über die Art, wie sie zu leisten sind, zu diskutieren.
Dieser Fortschritt ist nicht sowohl einer besonderen Ge= schicklichkeit der deutschen Politik zu verdanken, als vielmehr der Verlegenheit der Verbündeten, die an fangen, sich darüber klar zu werden, daß es nicht genügt, hohe Forderungen anzumelden. Sie müssen wissen, ob und wie sie einzutreiben sind und sie wollen darüber auf jeden Fall die Meinung der deutschen Regierung hören. Wie weit sie sich von den Darlegungen, die diese ihnen geben wird, in einem für Deutschland günstigen Sinne beein flussen lassen, steht freilich dahin, und wir tun auf alle Fälle gut daran, unsere Erwartungen in dieser Beziehung nicht zu überspannen.
Man sagt, die Entente habe sich selbst über ein be= stimmtes Programm noch nicht geeinigt. Ob das zutrifft oder ob diese Behauptung auch nur wieder aus dem Wunsche geboren ist, aus den Meinungsverschiedenheiten der Vertragsgegner Vorteile zu ziehen, wissen wir nicht. Sicher aber scheint zu sein, daß die deutsche Dele gation nicht mit bestimmten positiven Bor schlägen nach Spaa geht und sich vielmehr auf eine Erörterung und eine Kritik der von der anderen Seite aufzustellenden Forderungen zu beschränken gedenkt. Sie legt sich diese Zurückhaltung auf, obwohl besonders aus Frank reich mehrfach der Wunsch laut geworden ist, Deutschland möge sagen, was es leisten zu fönnen glaube und wie es sich die Erfüllung der aus dem Friedensvertrag erwachsenden Schuldverpflichtungen dente.
Die Schwierigkeiten, die der Formulierung eines deut schen Vorschlags entgegenstehen, sind unverkennbar. Es hat seine großen Bedenken, sich beispielsweise auf einen bestimmten Wert, der etwa an der Stelle des baren Geldes zu liefernden Waren festzulegen, da der Preis dieser Waren angesichts der Unsicherheit der Valuta den größten Schwanfungen unterworfen ist. Wir fönnen auch weiter schon deshalb keine bestimmten Angaben über die Höhe unserer Zahlungsfähigkeit machen, weil wir ja nicht einmal wissen, welchen Umfang die deutsche Republik nach den bevorstehenden Abstimmungen erhalten wird, und ob vor allem das für die deutsche Wirtschaft so wichtige Oberschlesien bei ihr verbleibt. Trogdem würde es nach unserer Meinung möglich gewesen sein, ein Programm vorzulegen, das unter Berücksichtigung aller denkbaren Möglichkeiten wenigstens einen Rahmen geboten hätte, innerhalb dessen einzelne 3iffern als bewegliche Faktoren hätten aufs geführt werden fönnen. Es würde das jedenfalls dazu beigetragen haben, bei den verbündeten Mächten den Glauben an den guten und ernsten Willen Deutschlands zu erhöhen.
Und darauf kommt es doch nach vie vor sehr wesentlich an. Zwar hat der Reichskanzler Fehrenbach in den legten Tagen im Reichstag mehrfach diesen guten Willen betont. Aber Worte genügen nun einmal nicht, um drüben das Mißtrauen zu zerstreuen und nicht nur das, was Herr Dr. Helfferich geredet hat, sondern schon die Tatsache, daß er überhaupt in einem so fritischen Augenblic von feiner Fraktion vorgeschickt wurde, wird viel dazu beitragen, den Wert der Fehrenbachschen Ausführungen im Ausland herabzumindern. Helfferichs Freunde, die soviel von Verantwortlichkeitsgefühl zu sprechen pflegen, hätten schon soviel Verständnis für das Schickliche und Zweckmäßige aufbringen müssen, um zwei Tage vor Spaa nicht einem Mann zum Wort zu verhelfen, der im Ausland als einer der hervorragendsten Träger der Kriegspolitik be= fannt ist, und dessen Auftreten den Beweis erbrachte, daß man in den auf ihren Wahlerfolg stolzen Kreisen der Nationalisten nicht gesonnen ist, seine Gesinnung zu ändern. Aber das ist nun geschehen und die amtlichen Vertreter Deutschlands müssen sich bemühen, den schlechten Eindruc wieder zu verwischen. Dabei würde es ihnen außerordentlich zustatten kommen, wenn sie sich entschließen fönnten, wenigstens in der Frage der Entwaffnung und Aba rüstung die Ansprüche der Gegner glatt zu bejahen. Leider dürfen wir auf ein solches Maß von Einsicht nicht rechnen. Mag sein, daß es unter den Abgeordneten diesen oder jenen gibt, der sich bewußt ist, wie ungeheuer vorteilhaft die Bereitwilligkeit ur Erfüllung der militärischen Forderungen auf die wirtschaftlichen Verhand lungen einwirten würde und der deshalb gern alle vers langten Zugeständnisse machen würde. Aber diese Befonneren müssen ihre Besonnenheit für sich behalten, da die Regierung in ihrer Gesamtheit sich offenbar auf den Standa punkt stellt, daß die Rücksicht auf die„ Erhaltung von Ruhe