Nr. 260

Deutscher Reichstag

7. Gigung, Sonnabend, den 3. Juli. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Interpella tion Ledebour( U. Soz.) über die Vorgänge in Thal   bei Ruhla  . ( Erschießung von 15 Arbeitern.) Reichswehrminister Dr. Geßler: Meine frühere Antwort in der Sache scheint nicht verstanden worden zu sein. Ich habe da­mals gesagt, daß wir eine Besprechung dieser Interpellation ablehnen, weil gegen das Urteil Berufung eingelegt ist und die Regierung nicht mit einer eigenen Aeußerung in ein schwe­bendes Gerichtsverfahren eingreifen will.( Sehr richtig!)

Abg. Ledebour  ( U. Soz.) fragt, ob die Regierung die Beant­wortung überhaupt ablehne oder für einen späteren Ter= min in Aussicht stelle.

Reichswehrminister Dr. Gehler: Ich glaube, daß, wenn das Urteil rechtsträftig geworden ist, nichts das hohe Haus hindern fann, das Urteil hier zu besprechen.

Abg. Ledebour( U. Sez.) beantragt die fofortige Be Sprechung der Interpellation. Da die Abstimmung zunächst zweifelhaft bleibt, wird Sammelsprung notwendig, der mit 182 gegen 142 die Ablehnung der sofortigen Besprechung ergibt.( Abg. Crispien( U. GS03.) ruft Piui!)

Die fommunistische Interpellation über Spigelorganis sationen wird, wie Reichsminister Koch erklärt, in der vor­geschriebenen Frist von ihm beantwortet werden.

Auf der Tagesordnung steht ein Antrag Samm( Dem.) auf Einjegung eines Ausschusses zur Prüfung des Geschäftsgebah­rens, der Ergebnisse und der Frage der Liquidierung der Kriegsgesellschaften.

Abg. Samm( Dem.) begründet eingehend seinen Antrag, dem die Abgeordneten Hoch( Soz.), Dr. Rießer( D. Vp.), Blum ( 3tr.), Jaudh( Bayer. Vp.) und Bruhn( D. Nat.) zustimmen.

Dr. Herg( U. Soz.) stimmt der Einschung der Kommission zu, weist aber darauf hin, daß die Kriegsgesellschaften Inter­ fenten organisationen   des Handels sind, die lediglich be­hördliche Funktionen haben. Nicht nur von den Kriegsgesell­schaften sei die Geschäftsmoral beeinflußt worden, sondern mehr noch von dem freien Handel. Die Schieber in den Kriegsgesell­schaften sind meistens gerissene Anhänger der Rechten.

Reichswirtschaftsminister Echolz begrüßt die Anregung und wird ihr Folge leisten. Es ist schon vieles geschehen, so hat sich Dom Januar 1919 bis zum Frühjahr 1920 die Zahl der vom Reichswirtschaftsministerium resortierenden Angestellten der Kriegsgesellschaften von 13 000 auf 7000 vermindert.( Beifalls)

Der Antrag wird darauf einstimmig angenommen. Es folgt der Antrag über die Einsegung eines Untersuchungs­ausschusses

Abg. Warmuth( D. Nat.): Wir sind gegen Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Aus rein parteipolitischen Gründen tönnten wir zustimmen, denn schon die bisherigen Ergebnisse haben eine Entlastung der Angeschuldigten ergeben. Aber wir find der Meinung, daß, solange die Archive der andern Mächte nicht offen stehen, wir nur halbe und darum falsche Urteile er­halten tönnen.( Beifall bei den Deutschnationalen.)

Abg. Rießer( D. Vp.): Da ein abschließendes Urteil über die Frage bei der einseitigen Untersuchung nicht möglich ist und außerdem nur die Parteigegensäge verschärft würden, lehnen wir die Einsetzung ab.

Abg. Dr. Breitscheid( U. Soz.): Auch in meiner Fraktion haben Zweifel darüber bestanden, ob sich eine Wiederbelebung des Untersuchungsausschusses empfehle. Sie gründeten sich auf die geringen Leistungen, die der Untersuchungsausschuß, sowohl was den Umfang der Arbeit wie was die Qualität der Ergeb­nisse anlangt, vor sich gebracht hat. Die Schwerfälligkeit des Tempos und der unbefriedigende Charakter der Resultate hän­gen mit der Konstruktion des Tribunals zusammen. Als Rich­ter saßen da die Vertreter der Parteien, die abgesehen von der Unabh. Sozialdemokratie, an den Dingen, die aufgededt werden sollten, direkt oder indirekt mitschuldig waren. Wie tönnen dies jenigen ein Urteil über die Schuld am Kriege fällen, die den unmittelbar Schuldigen Helfershelferdienste geleistet und die Unschuld Deutschlands   beteuert haben? Wie können diejenigen bas Verbrechen des verschärften Ubootfrieges verdammen, die selber dem Reichskanzler die Blantovollmacht gegeben haben, es zu begehen?

Es lag an der falschen Konstruktion daß Personen, die als Angetlagte hätten erscheinen müssen, als jachverständige Zeugen das große Wort führten und daß einer von ihnen, Herr Helfferich, der Mann, der sich in jeder Situation durch einen absoluten Mangel an Verlegenheit auszeichnet, den Ausschuß terrorisierte.( Beifall links.)

Schließlich aber haben wir uns doch entschlossen, für den Ausschuß zu stimmen, da er doch manche Tatsachen ans Licht gebracht und mancher Persönlichkeit den ihr in der Geschichte der Kriegsverbrechen gebührenden Platz zugewiesen hat. Vieles

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Die schwere Stunde

Roman

Don

Victor Panin

Nur bei dem Gedanken daran überrieselt es mich eiskalt. Aber weshalb? tröste ich mich selber, man sagt ja, die Wahnsinnigen seien glücklich, sie leben in der phantastischen Welt ihrer Träume und sehen keine Leiden. Sollte es so sein, dann tut es nichts... aber der Anfang ist für mich sehr schwer. Ich beginne an den Menschen das zu sehen und zu bemerken, woran ich früher ganz teilnaymlos vorbei­gegangen bin, deren Ginn mir bisher verschlossen war, vielleicht weil ich unbedacht, wie sie, handelte, ohne mir Rechenschaft zu geben, ohne dem Grund nachzuspüren, alles ebenso verrichtete, weil alle normalen" Menschen so handelten.

Auch früher hatte ich das Leben beobachtet, als be= rühmter" Schriftsteller fonnte ich ja nicht anders tun, und nicht selten hatte ich Gelegenheit, Urteile von Kritikern über mich selbst zu lesen, ich sei ein großer Kenner des Lebens", ein feiner Psychologe," deffen scharfer Blick in alle Geheimnisse des Levens   dringt".

Es ist merkwürdig, wie diese Herren, ohne dabei die ge rinoften Gewissensbisse zu verspüren, logen. Was habe ich benn früher im Leben gesehen?- Gar nichts, ich war ja blind. Aber jetzt scheint es mir, daß ich etwas he, ein Zipfel vom Schleier des Lebens lüftet sich vor mir. Ist es, weil die menschliche Seele im Kriege tiefe Erschütterungen erlebt, oder weil die sich jeden Augenblic vor uns abspie= lenden größten Szenen von Leben und Tod uns der Er lenntnis der größten Weltprobleme näherbringen, deren Lösung sonst vergebens im alltäglichen Leben gesucht wird? Ich weiß es nicht. Wird der Mensch flüger und tiefer, gütiger oder böser? ich weiß es auch nicht, aber eines ist mir unzweifelhaft klar: er fehrt von dort nicht als der= selbe zurüd, als er hingezogen ist. Und wenn....

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Jch fuhr zusammen, instinktiv die Anwesenheit eines andern Menschen im Zimmer fühlend. Als ich den Kopf hob, erblickte ich die Wärterin, die gebeugt wie immer auf Der Schwelle meines Kabinetts stand; die Klinke der halb­

1. Beilage zur Freiheit"

war schon bekannt, aber es war gut, daß es amtlich festgestellt wurde. So der Hohn, mit dem Ludendorff den Botschafter aufnahm, der den Frieden mit Amerika   erhalten wollte, so der Gesinnungswechsel des Herrn Helfferich, der ein Opfer des Intellekts brachte das einzige, das ihm leicht fällt. Von dem von Rießer befürworteten Ausschuß von Histori­tern und Juristen wollen wir nichts wissen. Erstens würde ein solches Gericht tagen wenn alle Beteiligten das Zeitliche geseg­net hätten und zweitens haben wir nicht das geringste Ver­trauen in die Bertreter der amtlichen Wissenschaft. Wir wollen, daß möglichst schnell ein möglichst objektives Urteil gefällt wird. ( Beifall bei den U. Soz.)

Abg. Frau Bohm- Schuch( S03.): Wir sind uns klar, daß wir nicht Richter, sondern nur objektive Untersucher in diesen Aus­schüssen sind.( Beifall.) Wir sind durchaus damit einverstan­den, daß alle parteipolitischen Betrachtungen ausgeschaltet wer den müssen, sondern jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen ohne Parteizwang urteilt, damit es auch wirklich ein Volfs­gericht und nicht ein Parteigericht wird. Gegen den Vorwurf, gerade Parlamentarier dazu zu erwählen, sage ich, daß die Par­lamentarier doch die Erwählten des Volfes sind und sicherlich viel unabhängiger auftreten fönnen als beamtete Richter oder Professoren. In dem Augenblid, wo Jtalien sich anschickt, solche Ausschüsse ins Leben zu rufen, fönnen wir unsere nicht auf­geben und ihre umfangreichen Vorarbeiten wieder anullieren. ( Sehr richtig!) Was würde das für einen Eindruck im Ausland machen. Wir sind heute mehr denn je der Meinung, daß nicht Deutschland   einseitig die Schuld trägt, sondern, daß die Ursache im fapitalistischen System aller Länder liegt.( Beifall links.) Das deutsche   Volt hat ein Recht darauf, die ganze Ursache der Katastrophe zu erfahren. Wir fordern die Wahrheit hören zu wollen, und sind deshalb für den Untersuchungsausschuß und bitten ebenfalls für Cinsetzung dieses Ausschusses zu stimmen, da­mit die ganze Welt sicht, daß wir unser Teil zur Klärung der Katastrophe beitragen wollen.( Lebhafter Beifall bei den Soz.) Nachdem Abg. Heile( Dem.) und Spahn( 3tr.) für Einsetzung des Ausschusses gesprochen haben, wird die Wiedereinsehung gegen die Stimmen der beiden Rechtsparteien angenommen. Es folgt die zweite und dritte Beratung des Not- Etats. Sämtliche Positionen werden ohne Aussprache in zweiter Le fung angenommen. Zu dem Haushalt des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist ein Posten von 13 025 000 Mart eingestellt als Zuschuß des Reiches zu den durch die Empfangnahme und Verteilung der ausländischen Liebesgaben entstehenden Kosten.

Dazu gibt Präsident Loebe folgende Erklärung ab: Diese Aus­gaben, die wir soeben bewilligt haben, hängen zusammen mit dem großen Liebeswerk, das durch ausländische wohltätige Kreise für Deutschland   in Angriff genommen worden ist. Im Namen der Volksvertretung und ohne Unterschied der Parteien sagen wir den großherzigen Selfern unsern allerherzlich= sten Dant.( Lebhafter Beifall.) Wir danken für ihre Hilfe und für ihre edle und menschliche Unterstützung der Gesellschaft der Freunde in Amerika  , den englischen Quäfern, den Helfern in Schweden   und in der Schweiz   und ganz besonders auch den Deutschamerikanern und vielen anderen. Ihnen gilt unser aller­herzlichster Dant.( Erneuter lebhafter Beifall.) Sie alle haben mitgeholfen an dem Wiederaufbau unseres kostbarsten Gutes, der Jugend. Sie alle haben dazu beigetragen, daß ein wahrer Frieden zwischen Volk und Volt erreicht wird, sie zerteilten die Nebel des Hasses und des Mißtrauens, die noch immer zwischen den Völkern liegen. Das deutsche Volt wird ihnen die an sei­nen Kindern geübte Liebe niemals vergessen.( Anhaltender lebhafter Beifall.)

Abg. Pachnide( Dem.): Der einzurichtende Ausschuß für die Berbilligung bei den einzelnen Verwaltungszweigen soll auch die Vorgänge in den Aemtern aufklären, die sich kurz vor der Berreichlichung der Eisenbahnen abgespielt haben.( Sehr richtig!)

Es wird sofort die dritte Lesung vorgenommen.

Abg. Crispicn( U. Soz.): Der Not- Etat ist wie ein ordent­licher Etat zu behandeln. Das Stimmen für den Etat wäre eine Vertrauenstundgebung für die Regierung. Da meine Fraktion der Regierung ihr Mißtrauen ausgesprochen hat, muß sie auch den Not- Etat ablehnen( 3uruf: Natürlich!) umsomehr, als auch gestern der Reichskanzler teine Zusicherun= gen über die Amnestie geben fonnte, wie auch über die Ein­haltung der den Arbeitervertretungen gegebenen Versprechen. Wir lehnen den Not- Etat ab, unbeschadet dessen, daß einzelne Forderungen unsere Billigung finden.( Beifall bei den U. Soz.) Der Not- Etat wird darauf in zweiter und dritter Lesung gegen die Stimmen der Unabhängigen angenommen.

Es folgt die erste Beratung des Antrags Müller- Franken ( Soz.) auf

Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit.

Abg. Dr. Rosenfeld( U. Soz.): Es ist eine Schande, daß wir nach zwei Jahren sogenannter Revolution noch über einen solchen Antrag sprechen müssen. Der alte Militarismus ist noch

machte eine unbestimmte Bewegung mit dem Kopfe, die vielleicht Mitlei dausdrücken sollte, oder auch bloß ein fort­währendes, greisenhaftes Zittern bedeutete.

Was willst du, Njanja?"

Durch meine Frage sichtlich ermutigt, tritt sie ins Zimmer ein, die Tür langsam hinter sich schließend, und kommt ebenso langsam auf mich zu..

Du wachst noch, mein Lieber?" sagte sie leise, zärtlich, auf mütterliche Art mir das Haar streichelnd und dabei beugt sie ihr Gesicht zu mir herab, um mir tief in die Augen zu sehen.

Jsch, die Seele fann es nicht ertragen, mein Aermster..

"

Jch fühle, daß die Greisin gerade das gesagt hat, was ich nicht lösen fonnte. Ja, das ist es, die Seele fann es nicht ertragen, alles ist einem verleidet

Und meine Seele fünt sich mit einer so warmen, dank­baren Liebe zu dieser alten, einfachen Frau, die mich einst auf den Armen getragen hat.

" J, und wie bist du groß geworden, du Herztraurigster" ich fühle dabei eine feuchte Träne auf mein Ohr tropfen.

Du weinst ja, Njanja?" fragte ich erstaunt, die Greisin. nahe zu mir heranziehend, weshalb? Sage mir, meine Liebe, was ist hier in meiner Abwesenheit vorgegangen? Ich werde gar nicht flug daraus."

Sie schweigt, ihr Kopf wadelt jetzt stärker, sie drückt meinen Kopf fester an ihre Brust, so daß ich nichts jehe, und sagt in greifenhaft brummendem Tone:

,,, ich höre nicht, mein Herzinnigster, ich bin schon gar zu alt geworden, was habe ich auch für eine Ewigkeit gelebt! Das vermöchte man nicht ein zweites Mal zu er= leben. Es ist kein Leichtes, der Herrgott nimmt einen nicht zu sich, die Sünden sind schon gar zu schwer!"

Mit einem verschärften Instinkt errate ich, daß sie nicht die Wahrheit spricht, daß sie einer Antwort ausweicht.

Den 16. Auguft.

Frühmorgens gehe ich aus dem Hause und versuche dabei feinen Lärm zu verursachen, nicht mit der Tür zu fnarren, um feinen Menschen zu weden, Gofort ertappe ich mich

Sonntag, 4. Juli 1920

immer nicht tot, wie erst jüngst das Marburger Schandurteil bes wiesen hat.( Sehr richtig!) Die Militärgerichtsbarkeit hat auch vor dem Kriege feinerlei Bertrauen und Sympathie ge= nossen und hätte spätestens beim Babernprozeß aufgelöst werden müssen. Besonders schlimm war es während des Krieges, mo die Militärgerichtsbarkeit schuld an den ungeheuren Bluturteis len gegen deutsche Soldaten ist. ( Sehr richtig!) Der Fall, Selmhate war nur eine der beliebig vermehrbaren Beispiele. Auch nach der Revolution hat die Militärgerichtsbarkeit weiter gewüstet und gezeigt, wie sie rücksichtslos zur Unterdrückung der Arbeiter angewendet werden kann. Man braucht nur den Pro­zeß gegen die Mörder Liebknechts und Luxemburgs, den gegen den Grafen Arco   gegenüberstellen, um die ganze Gemein= heit dieser sogenannten Justiz zu sehen.( Sehr richtig!) Und die Berbrechen an meinen Genoffen Schottländer und Fudran, sowie an Paasche, sind alle nicht geklärt, weil die Militärgerichtsbarkeit noch weiterbesteht.( Sehr richtig!) Wir sind durchaus gegen eine Ueberweisung an einen Ausschuß, weil dadurch nur eine Verschleppung herbeige­führt wird. Unerhört ist es, daß gestern ein Mitglied dieses Hauses, Herr Helfferich, fich zum Selfershelfer der Marburger  Mordbuben gemacht hat.( Lebhafte Bsuiruse bei den U. Goz.) Auch wenn die Ziviljustiz' an die Stelle der Militärjustiz tritt, ist nur wenig geholfen, denn die Justiz war und ist immer ein Mittel des Kapitalismus gegen die Arbeiterschaft.( Sehr rich­tig!) Lieber wäre uns die Abschaffung der Militärmacht über­haupt, die uns inner- und außerpolitisch nur im höchsten Grade Schädlich und gefährlich ist.( Buruf: Für Sie gefährlich!) Darum sagen wir noch einmal, daß die Militärgerichtsbarkeit sofort aufgehoben werden muß, daß es aber dabei nicht sein Bewenden haben kann.( Beifall bei den U. Soz.)

Abg. Warmuth( D. Nat.) beantragt die Ueberweisung an einen Ausschuß zweds gründlicher Durchberatung.( Widerspruch links.)

Abg. Schöpflin( Soz.): Es ist notwendig, daß der Gesetzenta murf ohne Ausschußberatung sofort vorgenommen wird. ( Sehr richtig!) Schon in der Nationalversammlung   hat der Regierungsvertreter, der Unterstaatssekretär Lewald ausdrüd­lich betont, daß eine Hinausschiebung nicht angebracht ist. Biel­leicht hat ihn dabei das Marburger Schandurteil vorgeschwebt. Das gewisse Paragraphen geändert werden können, ist natür­lich möglich und wir selbst werden in der zweiten Lesung solche Anträge einbringen. Jetzt aber handelt es sich datum, sofort etwas zu erreichen, damit solche fürchterlichen Dinge nicht mehr vorkommen können. Eine Ausschußberatung bedeutet ja nur eine Verschleppung der Angelegenheit. Zu dem Marburger   Urteil will ich nur bemerken, daß der Einwand hin= fällig ist, daß alle Angeschuldigten gleich ausgesagt haben. Das ist sehr natürlich, denn die Herrchen durften ja bis zur legten Stunde frei herumlaufen; wären das Sozialisten gewesen, dann hätte man jeden von Anfang an in Einzelhaft genommen. ( Sehr richtig! Widerspruch rechts!) Die Rechte möchte ich noch fragen, womit wollen Gie eigentlich die Aufrechterhaltung der Militärgerichtsbarkeit begründen? Mit militärischen Grün­den wohi taum. Bei einem Heer von 200 000, vielleicht nur 100 000 Mann, wird Unsinn, was nach Ihrer Meinung wenig­stens bei einem Millionenheer Sinn war.( Sehr richtig!) Man wird das Gefühl nicht los, daß man durch die Militärgerichts­barkeit nur die gesegliche Grundlage haben will, um die zu entschuldigen, die gegen Arbeiter vorgehen.( Sehr richtig! lints, Widerspruch rechts.) Dop­pelt notwendig ist es darum, daß der Entwurf so schnell wie möglich Gesez wird, um die ungeheure Erregung im Bolf beruhigen und der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.( Leb­hafter Beifall bei den Soz.)

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Abg. Schoch( D. Vp.) unterstützt den deutschnationalen Antrag auf Ueberweisung an eine Kommission.

Die Abgg. Bolz( 3tr.) und Waldstein( Dem.) erklären, daß fie der Ausschußberatung nicht widersprechen wollen, aber nur in der Hoffnung, daß dieselbe allerschnellstens arbeitet und spä= testens nach zwei Sigungen der Gesezentwurf wieder dem Reichs­tag vorgelegt wird. Auch Abg. Emminger( Bayer. Bp.) ist mit der Ausschußzberatung einverstanden.

Abg. Dr. Levi( Kommunist): Sier handelt es sich nicht dars um, ob der Zivilstrafprozeß besser ist als der Militärstrafprozeß, sondern um eine Personenfrage. Es wird immer gesagt, nur Soldaten fönnten in Militärangelegenheiten urteilen. Ich glaube, daß 80 oder 90 Prozent derzenigen, die vor Militär­gerichten abgeurteilt werden, aus den Kreisen des Proletariats stammen, und sie werden abgeurteilt von Richtern, die auch nicht in den Kreisen des Proletariats aufgewachsen sind.( Sehr rich­tig! lints.) Es kommt im gegenwärtigen Stadium nur darauf an, ob die Richter, die gegenwärtig die Militärgerichte besetzen, fähig und würdig dazu sind. Die Art, wie sie gerichtet haben, spricht dafür, daß sie der Würde der Rechtsprechung ver­lustig gegangen sind. In Marburg   ist falsch entschieden worden, im Prozeß Liebknecht- Luxemburg ist falsch entschieden worden ( Zustimmung bei den U. Soz.). Sind die Richter, die dort ge­urteilt haben, noch würdig, rechtzusprechen? Selbst das Reichs­

andern ist, die mich veranlaßt, vorsichtig zu sein, sondern daß ich ganz einfach leise fortschleichen will, damit niemand erwacht und mich aufhält.

Die Pforte unseres Hauses ist schon weit geöffnet, aber ich sehe teinen Hausknecht, wie es früher üblich war. Es ist talt und mich durchzittert ein Frösteln; ich knöpfe meinen alten Soldatenfittel bis nach oben zu. Gleichzeitig erfrischt mich aber diese Kälte, sie vertreibt meine Müdig= feit, meine Schläfrigkeit nach der erregten, quälenten Nacht.

Die Straßen find fast teer. Die Menschen schlafen noch, es ist sehr früh. Die wenigen Passanten, die einem be­gegnen, schleppen sich träge und schläfrig, als wären sie noch nicht ganz vom Schlaf erwacht. Ich fürchte mich immer vor der schweigsamen, schläfrigen Stadt, sie macht einen so unheimlichen Eindrud. Man weiß nicht, was hinter diesen riesengroßen, von unendlich vielen Fenstern durch= löcherten Häusern verborgen ist.

Ich schaue aufmerksam bald nach rechts, bald nach links, bleibe ab und zu stehen, um besser sehen zu können und dabei kommt es mir vor, als habe sich sogar die Stadt selbst verändert; es war wohl alles an derselben Stelle, aber schien eine neue Gestalt angenommen zu haben.

Die Straßen sind schmutzig, sie sind gewiß lange nicht gefegt worden; viele Häuser sind an der Fassade ganz zer­stört. Oft sieht man an den Wänden große, dunkle Löcher, die wohl Spuren der Artilleriegeschosse sein mögen. Die Stuffatur vieler Häuser ist abgebröckelt; dies sind Spuren der Kanonen. Oftmals sind auch die Fensterscheiben zer­brochen oder hängt der ganze Fensterrahmen zur Straße hinaus, als müßte er jeden Augenblick hinunterfallen. Man fönnte glauben, es hätte hier jemand ein riesiges, giganti­sches Spiel gespielt, wobei ein Haus zerstört, zwei, drei ver­schont wurden, dort wieder einige vernichtet waren. Die stehengebliebenen, unberührten Häuser verstärken noch mehr das drückende Gefühl der Zerstörung ringsum.

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,, Es wäre nicht nötig gewesen, in den Krieg zu ziehen, hier haben die Menschen ja ärger als im Kriege gefämpft. Was fällt ihnen bloß ein?" dies letzte sage ich so laut, daß ein älterer, stämmiger Arbeiter, im Vorübergehen er­staunt auf mich zurückschauend, fragt: Was? Ich habe nicht gehört, Bruder."