Gegen die Preissteigerungen

Protest der Berliner Gewerkschafts- geben würde. Nach den übereinstimmenden Berichten der

An das

kommiffion

Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Berlin, Taubenstraße.

Nach den in den letzten Tagen in die Oeffentlichkeit gedrunge­nen Mitteilungen plant das Ministerium eine Erhöhung der Tandwirtschaftlichen Erzeugerpreise um durchschnittlich 55 Prozent. Wir erheben gegen diese Absicht, der Landwirtschaft einen über ihre Erzeugungstoften wesentlich hinausgehenden Preis­aufschlag zu gewähren, den allerschärfsten Einspruch. Die fort­gejezte Steigerung der Lebensmittelpreise im legten Jahre hat Die Steigerung der Löhne wesentlich übertroffen, so daß die Lage der Arbeiterschaft sich weiter beträchtlich verschlechtert hat. Jede neue Erhöhung der Lebensmittelpreise würde Tausende von Ar­beiterfamilien in die größte Notlage bringen. Der Wider­stand der Unternehmer gegen Lohnerhöhungen ist ständig ge­wachsen. Eine Steigerung der Löhne, entsprechend dem Steigen der Lebensmittelpreise ist deshalb faum zu erwarten. Die wachsende Verelendung der Arbeitermassen wäre die Folge dieser Preispolitik der Regierung.

Wir verlangen von der Regierung, daß sie dem Wunsche der Groß- Agrarier entschiedenen Widerstand entgegensetzt und daß sie in Uebereinstimmung mit einem großen Teil der Landwirtschaft jede Erhöhung der Preise ablehnt. Die Lage der Arbeiterklasse Berträgt teine Erhöhung der Preise, sondern sie erfordert, daß so­fort mit dem schleunigen Abbau derselben begonnen wird, ins­besondere mit dem Abau des hohen Brotpreises.

Auch der Versicherung der Regierung daß die Steigerung der Erzeugerpreise teine Erhöhung der Verbrauchernreise zur Folge haben würde, vermag die Gewerkschaftskommission teinen Glauben beizumessen. Sie erblidt darin vielmehr nur den Versuch, die Arbeiter, Angestellten und Beamten darüber hin­wegzutauschen, welche unerhörte Belastung ihre Lage durch diese Liebesgabenpolitik an die Agrarier erfahren würde.

Sollte die Regierung trozdem ihre Absicht durchsehen wollen, so werden weitere und größere Erschütterungen des Wirtschafts­lebens die Folge sein. Hiervor zu warnen halten wir für unsere Pflicht.

Gewerkschaftskommission Berlins und Umgegend. Carl Wollmerhaus.

Dieser Protest der Gewerkschaftskommission zeigt den Dollen Ernst der Lage, die durch die Absichten der Regie­rung geschaffen ist. Wenn die geplante Erhöhung der Er­zeugerpreise um mehr als die Hälfte Wirklichkeit werden sollte, so ist eine schwere Erschütterung des Wirt­schaftslebens unausbleiblich. So wenig wie die Arbeiter und die Angestellten in der Lage sind, die ihnen zu­gemuteten Lasten mit ihren jetzigen Löhnen zu zahlen, so wenig können das die Beamten. Alle diese Schichten müßten aufs neue den Kampf um die Erhöhung ihrer Löhne auf der ganzen Linie aufnehmen.

Die Regierung würde also ein sehr gewagtes Spiel treiben, wenn sie dem Drängen der oftelbischen Junker nach­

Der Boykott gegen Ungarn

( Eigene Drahtmeldung der Freiheit".)

Wien , 7. Juli.

Auf die Weifung der Pariser Reparationsfommiffion fuhren zwei Mitglieder der Wiener Reparationstommiffion, Nicton und der Wiener englische Bevollmächtigte Lindley, nach Budapest , um die Angaben über den weißen Terror zu prüfen. Die Barijer Kommiffion beschloß dieje Nachprüfung, weil in der legten Zeit unzählige Angaben und Protokolle über Greueltaten des Offiziers Detachements in Paris eingingen. Die Parijer Reparationstommiffion will sich Informationen einholen, ob eine Lage geschaffen werden kann, die die Sicherheit des Lebens und Vermögens der dortigen Bürger garantiert.

Der englische Wiener Bevollmächtigte vertritt in Budapest den beurlaubten britischen Highkommissar Hohler, der den weißen Ter

zor tüzte.

Auf Grund des Beschlusses der Scarborougher Konfes renzber Labour Party erschien am 30. Juni im englischen Auswärtigen Amt eine Kommission, die von diesem Ami Ab­hilfe gegen den weißen Terror in Ungarn forderte. Lloyd George gab der parlamentarischen Kommission der Gewerk schaften das Bersprechen, unverzüglich die notwendigen Schritte zu unternehmen, um ben gegenwärtigen ungarischen Berhältnissen baldigk ein Ende zu bereiten.

Wedgwood erklärte im Unterhaus, die Labour Party verlange Die jofortige Einstellung aller Greueltaten, die Bestrafung aller fchuldigen Berfonen, die gefegmähige Freiheit der ungarischen Ar­beiterbewegung und verlange, daß die Westmächte diese Forderun gen garantieren.

Der Bontott in Ungarn dauert ungeschmälert fort. Die Liebess gaben der amerikanischen Hilfsaktion fönnen nur mit Erlaubnis des Boykottkomitees nach Ungarn gelangen,

500 Waggon, für Ungarn bestimmte tschechische Rohle wurde von den tschechischen Eisenbahnern bem Elektrizitätswert Wien zur Verfügung gestellt.

In den Obst- Exportgegenden Ungarns , befonders in der Heimat Heijos Kecstemet ist unter der Bauernschaft eine starke, auch po litisch gefärbte Bewegung zur Abstellung des Bontotts, welcher die ungarischen Obst- und Gemüseegporteure ruiniere, vorhanden.

Das offizielle ungarische Telegraphenbureau meldet, daß der Bontott bisher nicht die geringste Störung oder Mende­rung im inneren Leben Ungarns verursacht habe. Im Gegenteil fet die Lebensmittel-, Obst- und Gemüseversorgung der Hauptstadt weit beffer, und die Preise auf ein Drittel des früheren Standes gefunten. Die Bevölkerung sei damit so zufrieden, daß sie wünsche, diesen Zustand auch unabhängig vom Bontott andauern zu lassen.

Die ungarischen Machthaber scheinen die ganze übrige Welt für ebenso borniert zu halten, wie sie selbst sind. Warenandrang in­folge Absperrung vom Markte bedingt Preissturz, bedingt natürlich Erschütterung der ländlichen Produktion. Daß die Bauern das in Ruhe und Vergnügen hinnehmen, glaubt doch kein Mensch. Wie es in Wirklichkeit aussieht, geht aus unserer Drahtmeldung aus Wien hervor. 3u den bekannten Merkmalen der ungarischen Terroristenregierung gefellt sich nun noch eine grenzenlose Dummheit.

Gute Zeit für Hochverräter Bisher ist noch nicht ein einziges Verfahren gegen einen der Kapp Putsch Verbrecher eröffnet worden. Die Gerichte, die sonst innerhalb 24 Stunden die Aburteilung unschuldiger Arbeiter vollziehen, haben in fast 5 Monaten noch nicht die Zeit gefunden, endlich die Aburteilung der Landesverräter und Selfershelfer des Herrn Kapp vorzunehmen. Diese Herren tauchen bereits zum großen Teil wieder ungestört und ungeniert in Berlin auf, bewegen sich in voller Freiheit, ja, sie greifen bereits wieder in bas politische Leben ein und der Staatsanwalt unter­nimmt nicht das Geringste gegen sie. So fann beispielsweise einer der Pressechefs des Herrn Kapp, der Herr von Heimburg , der Jogar die Verhaftung des ehemaligen Pressechefs der Reichsregie rung, des Hern Breuer, in den Kapp- Tagen versucht hat, heute in

Sachverständigen ist eine durchaus günstige Ernte sowohl in Hadfrüchten als auch in Getreide zu erwarten. Es liegt also, da die Erzeugungskosten der Landwirtschaft durch­aus nicht in dem behaupteten Umfang gestiegen find, feine Veranlassung zu der geplanten Erhöhung der Preise vor. Die bayerische Landwirtschaft hat sich in Erkenntnis der schweren Gefahren, die durch eine Erhöhung der Preise für die Lebnsmittel eintreten würden, auch bereits gegen die Vorschläge des Reichsernährungsministeriums ausge­sprochen und eine erhebliche Herabsegung beantragt. Sowohl für Getreide als auch für Kartoffeln, Fleisch, Milch und Feit sollen wesentlich niedrigere Preise als beabsichtigt festgesetzt

werden.

Die Regierung fucht aber die Erhöhung der Erzeugerpreise schmachaft zu machen mit dem Hinweis, daß der jetzige Brot­preis ausreicht, um die höheren Erzeugerpreise zu zahlen, und daß keine Erhöhung des Brotpreises eintreten solle. Das aber ist nur ein Täuschungsversuch. Irgend jemand muß doch die durch die Preiserhöhung entstehenden Milliar­denausgaben tragen. Werden sie nicht direkt von den Konsumenten erhoben, so würde nur, wie das schon früher geschehen ist, die Bestreitung dieser Liebesgaben aus dem allgemeinen Steuerfädel erfolgen. Das aber ist genau so gefährlich wie die Erhöhr der reise, weil diese Art der Deckung ebenfalls eine Belastung der Massen dar­stell

Nicht Erhöhung der Preise, sondern ihren Abbau for­dert die Arbeiterschaft.

Verbrechen der Bauern am Volk

Der Freie Saarbauer" brachte fürzlich folgenden Aufruf der freien Bauernschaft an der Saar , der an alle Saarbauern ge­richtet war: Milcherzeugung einschränken, Grünfutter zu Heu machen, das Heu verkaufen, fein Grasfutter kaufen, vorhandenes Grasfutter nicht für die Milchkühe verfüttern, bereitet euch vor, die Milchkühe allmählich abzuschaffen und an deren Stelle Rinder usw. zu halten und Sutter zu verkaufen. Gebt dem Vieh Stroh zu fressen und die Milch lieber zu faufen, dann tönnt Ihr Ener Grünfütter sparen. Milchverbrauch im eigenen Haushalt ver­größern. Bauern, trinkt Milch zu Euern Kartoffeln." Am Ende Ses Aufrufes steht: Frisch auf zum Kampf".

Dazu schreibt die Saarbrüder Landeszeitung": Fast sollte man meinen, man habe es mit einem franken Gehirn zu tun; es ist unglaublich, daß es Menschen mit gesundem Verstand geben kann, die angesichts der auch ihnen bekannten Tatsache, daß im Saargebiet die Milchnot so groß ist, daß nicht ein mai flir Kinder und Krante nur halbwegs gesorgt werden kann, den Bauern den Rat erteilen tönnen, die Milcherzeugung einzu­schränken.

Wenn auch die Agrarier nicht überall so ehrlich sind nie thre Genossen im Saargebiet, so handeln doch viele von ihnen nach den angegebenen Ratschlägen. Den Anreiz dazu lieferte ihnen die Regierung mit ihrer letzten Eibung der Bichpreise.

der Deutschen Zeitung" täglich seine Leitartikel loslassen. Ebenso taucht in neuefter Zeit der so plöglich verschwundene, leitende Pressechef der Regierung" des Herrn Kapp, Herr Harnisch, wieder auf. Er ist anscheinend sicher genug, daß der Staatsanwalt fich seiner Berson nicht bemächtigt und greift deshalb wieder nach Belieben in das politische Leben ein.

Der Maffenmörder Schumann

vor dem Schwurgericht

In der gestrigen Verhandlung wurde mit der Beweisaufnahme der Einzelfälle begonnen. Die Anklage behauptet bekanntlich, daß der Angeklagte in mehreren Fällen, ohne daß die geringste Ber anlaffung dazu vorgelegen habe, auf harmlose Wander­vögel und Spaziergänger geschossen habe. Ein der= artiger Fall ist folgender: Der Kaufmann Girbel, her ma bruder Bod und zwei junge Mädchen hatten am 6. Mai 1917 einen Ausflug nach dem Faigenhagener See unternommen. Wie die Zeugen Bod und Girbel befunden, bemerkten sie einen jungen Menschen in feldgrauer Uniform, der in auffälliger Weise in ihrer Nähe umherstrich. Den jungen Mädchen sei ganz ängstlich zumute gewesen, da der Mann so unheimliche Augen" machte. Nach einiger Zeit fiel ein Schuß, der unmittelbar neben ihnen einschlug, gleich darauf ein zweiter, der Girbel in den Oberarm traf. Schumann hatte dem Kriminaloberwachtmeicher Lahmann gegen­über zugegeben, der Täter zu sein, jedoch die Tötungsabficht bes ftritten, er habe die Leute nur verjagen wollen. Die zu diesem Fall vernommenen Zeugen tennen heute den Angeklagten Schu­mann nicht als den Täter wieder.

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Auf Vorhalt des Landgerichtsdirektors Pirletti erflärte Schumann heute, daß er damals gezwungen worden sei, die Un­wahrheit zu sagen und das sogenannte Geständnis abzulegen. Auf Befragen des Rechtsanwalts Dr. Frey befundet Zeuge Lahmann, daß Schumann 1. 3. erklärt habe, er habe nur deshalb auf die Wandervögel geschossen, weil diese ihn ärgerten und ihn in seiner Jagdleidenschaft störten.

tennen.

Der Vorfigende geht dann zur Erörterung des Falles über, in welchem es sich und die Tötung des Nachtwächters Engel in der Nacht zum 10. Mai 1917 handelt. Der Angeklagte hatte in der Boruntersuchung zugegeben, die Schüsse abgefeuert zu haben. Jezt bestreitet er, von dem Vorfall etwas zu wissen; er will auch das Haus Hauptstraße 23, dessen Abbildung vorgelegt wurde, nicht Die Zeugin Frl. Wesseler fann in dem Angeklagten nicht mit Bestimmtheit die von ihr beobachtete Person wiederer­tennen. Der Gendarmeriewachtmeister Geiseler, der von Engel zu Hilfe gerufen worden war, hat, nachdem Engel sich nach seiner Wohnung geschleppt hatte, sofort mit Hilfe einiger Dorf­bewohner dem Täter nachgespürt, aber trotz aller Bemühungen nichts mehr von ihm entdecken können.

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Bei der Fortsetzung der Erörterung über den Fall Engel fragte der Vorsitzende den Angeklagten, ob er denn nicht in der Borunter­Bors: Sie haben nichts davon erwähnt, daß zwei Frauensper­suchung die Täterschaft zugegeben habe.- Angeflagter: Nein sonen Sie angelächelt und Sie sich über diese geärgert hätten, daß Sie der einen einen Stoß gegeben hätten, daß auf deren Geschrei der Wächter hinzugekommen sei, Sie Dedung hinter einem Baum genommen und die Schüsse abgegeben hätten, wobei Sie aber nicht die Absicht gehabt, den Wächter zu töten, sondern nur den Hund? Der Angeklagte beantwortet alle diese Fragen mit einem fate­gorischen Rein!" und zwar so schnell, daß dieses Rein schon er­schallt, ehe er weiß, welche Frage ihm vorgelegt werden sollte.

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Zeuge Kriminaloberwachtmeister Lahmann: Der Angeklagte hat ursprünglich bestritten, mit den Mordtaten etwas zu tun gehabt zu haben, später hat er erklärt, er habe von diesen Mordtaten allerdings gehört. In Gegenwart der beiden Frauen, die er vergewaltigen wollte, hat er sann zugegeben, der Täter im Fall Engel zu sein. Das geschah, wie schon erwähnt, bei der Gelegen­beit, als der Zeuge ihm die Lippe hochzog und nachroics, daß die von den Frauen bekundete Zahnlüce des Täters wirklich vorhanden war. Da hat dann der Zeuge plöglich gesagt: und damit haben wir auch den Täter im Falle Engel, worauf der Angeklagte sich auch als Täter bekannte. Vors: Wie tamen Sie denn auf diese Bemerkung? Sie hatten dafür doch noch einen Anhalt? 3euge: Das war gewissermaßen ein geistiger Ueber. fall, dem der Angeklagte, wie so mancher in anderen Fällen, erlegen ist. Ein Geschworener: Wie stellt sich der Zeuge

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por, aus welchem Grunde der Angeklagte eine Tat zugegeben hat, die ihm gar nicht zu beweisen war? Zeuge Lahmann: Wenn der Kriminalist zur rechten Minute das rechte Wort findet, dann fällt der Täter manchmal hinein.

Die alsdann vernommenen Zeugen, die nach Lahmanns Be­fundung dabei gewesen sein sollen, als der Angeklagte in der Ueberraschung seine Täterschaft zugegeben habe, wissen näheres darüber nicht anzugeben.

Es wird sodann in die Beweisaufnahme über den Mord an Kiewitt eingetreten. Am 3. Juni 1919, dem 1. Pfingstfeiertage, hatte der 22jährige Schlosser Robert Kiewitt mit seiner Braut Martha Reich einen Ausflug nach dem altenhagener See ge= macht. Am 10. Juni wurden die Leichen der beiden jungen Leute am Nordrande des Sees im Schilf aufgefunden. Die Leiche des Mannes zeigte eine Schußwunde im Gesicht, die Leiche des Mäd­chens eine Schußwunde auf der Brust. Die Kleidungsstüde des Mädchens waren gewaltfam aufgerissen, Geld, Wertsachen und Ausrüstungsgegenstände fanden sich weder bei der Leiche, noch in der Nähe. seinem Sohne eine Uhr mit Eingravierung geschenkt gehabt und Nach der Aussage des Vaters Kiewitt hat er diese Uhr mit beseitigter Eingravierung. der Rudsad des Sohnes und ein Echlips desselben sind im Belize des Angellagic vorgefunden worden. Der Zeuge erkennt die Sachen mit aller Be­stimmtheit als die seines Sohnes wieder und bestreitet ebenso bestimmt, daß von einem Selbstmorde der jungen Leute die Rede Tein könnte, denn dazu habe auch nicht die geringste Veranlassung vorgelegen.

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Bei der Vernehmung der Mutter des ermordeten Kiewitt kont es zu einer dramatischen Szene. Als der Vorsitzende ihr einen von dem Kriminaloberwachtmeister Lahmann in der Woh­nung des Angeklagten beschlagnahmten Selbstbindeschlips vor­zeigt, bricht Frau Kiewitt in lautes Schluchzen und Wehllagen aus. Jawohl, das ist der Schlips von meinem armen Sohn, dem der Hund verfluchte da, ermordet hat. Frau K. will sich auf den Angeklagten stürzen, der mit verschränkten Armen und ohne cine beruhigt die bedauernswerte Frau, welche sich weinend auf der Miene zu verziehen, in der Anklagebank steht. Der Vorkende Zeugenbank niederläßt, nachdem sie sämtliche ihr vorgelegten Sachen, auch den Rucksack, der bei Schumann gefunden war, mit aller Bestimmtheit als das Eigentum ihres Sohnes wieder­erkannt hat. Die Verhandlung wurde hierauf auf Donnerstag 9% Uhr vertagt.

Preußische Landesversammlung

149. Sigung, 7. Juli 1920.

Wiederum werden eine ganze Reihe von Gesetzentwürfen debattelos erledigt. Dann wird die abgebrochene Debatte fort­gesetzt.

Herr v. Richter: Wenn sich die Unabhängigen Sozialdemokraten gegen den Vorwurf wehren, mit der Entente im Bunde zu stehen, dann verweise ich nur auf den Fall Braß. Aber auch der Abg. Leid hat gestern der Entente Wasser auf die Mühlen geliefert. Ich bedauere auch, daß er die von einem Gericht durch Urteil frei­gesprochenen Marburger Studenten als Mörderbanden bezeichnet. Wir wenden uns dagegen, daß Beamte lediglich ihrer politischen. Ueberzeugung wegen entlassen werden, ganz im Widerspruch mit der Reichsverfaffung

Ministerpräsident Braun: Im Hinblick auf Spaa will ich mich allgemeinpolitischer Ausführungen enthalten. Ein Wort über Ostpreußen . Ich hoffe und wünsche, daß trotz aller Schilanen streit handelt es sich in Wahrheit darum, daß der pommeriche der Polen der 11. Juli ein Siegestag des Deutschtums werben möge.( Lebh. Beifall rechts.) Bei dem pommerschen Landarbeiter­Landbund auf Kosten der Ernährungswirtschaft des deutschen Voltes eine Machtfrage zur Entscheidung bringen wollte.

Minister Severing: Solange die Regierung das Vertrauen ber Mehrheit der Landesversammlung befigt, wird sie fortfahren, die Politif zu treiben, die sie zur Feftigung der jungen Republif füro erforderlich hält. Herr v. d. Often hat sich ganz allgemein da­gegen gewendet, daß Arbeiter in Berwaltungsposten berufen wer­ben. Er hält eben den Arbeiter an sich für nicht befähigt, zum Verwaltungsdienst. Die Tatsachen beweisen das Gegenteil. Wir glauben, daß die Staatsinteressen bei Ihnen sehr schlecht auf­gehoben gewesen sind und sein würden, sonst wären wir sehr gern bereit, Ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Staatsfunft zu beweisen. Die vom Abg. Leib angegriffene Sicherheitspolizei hat teinerlei militärischen 3wed. Sie soll nur Ruhe und Ordnung aufrecht ers halten. Solange die andern noch über Maschinengewehre, Hand­granaten und Kanonen verfügen, fönnen wir nicht daran denten, eine weniger schwere Bewaffnung durchzuführen.( 3uruf: Ar­beiterwehren.) Ungeschulte Arbeiter sind nicht gerade die zu­verlässigsten Sicherheitsorgane.

Von der Sicherheitspolizei find 75 Prozent gewerkschaftlich organisiert.

Da es noch andere Stände gibt und wir kein neues Mißtrauen auftommen laffen wollen, mußten wir auch diese berücksichtigen. Behauptet wurde ferner, daß noch immer an zahlreichen Drten die Einwohnerwehr besteht. Das ist richtig. Wo ich davon erfahre, schreite ich sofort gegen diese illegalen Organis fationen rüdichtslos ein und löse sie auf.

Abg. Goll( Dem).: Wir haben viel Worte der Kritik gehört, aber feinen Weg gewiesen erhalten, wie wir aus der Not heraus tommen. Auf dem Wege der Sozialisierung ist es nicht zu machen. Wir müssen die Arbeitszeit verlängern.

Finanzminifter Lüdemann: Ich habe teinen Beamten wegen seiner politischen Ueberzeugung entlassen. Erst als einige Beamte auf meine Frage, ob sie glauben, mit mir zusammenarbeiten zu fönnen oder ob eine andere Regelung erwünscht sei und in sehr unaufrichtiger Weise gegen mich gearbeitet wurde, habe ich zu dem letzten Mittel gegriffen. Die Wissen schaft wird von uns in der möglichen Weise gefördert werden. In der Beamtenbesoldung halten wir eine einheitliche Politik in Reich, Staat und Gemeinde für durchaus erwünscht.

Abg. Klingemann( Dnat.): Wir sind teine Klaffenpartei. Go­zialdemokraten fonnten früher nicht in maßgebende Stellen ge­langen, weil sie den Staat negierten.( 3uruj: Erkennen Sie die Republit an?) Keineswegs.( Na also!) Aber wir stellen uns auf den Boden der gegebenen Tatsachen.( Stürmische Heiter­teit.) In der Schule muß auf gesunde Schulaucht gehaiten werden. Die uns aus dem Osten zuströmenden Ost juden schaden uns nicht nur an unserem Gut, sondern auch an unserem Blut. Abg. Heilmann( Soz.): Die Berichtebung der Kräfte durch die Wahlen vom 6. Juni betragen faum 2 Prozent, deshalb braucht die Landesversammlung ihre Arbeiten nicht als beendet anzu­sehen. Aus dem Etat sei erwähnt, daß für Tumultschäden 600 Millionen, für Wohnungsneubau nur 60 Millionen eingesetzt sind. Das heißt, die Partei des Kapp- Putsches zerstört zehnmal mehr, als wir aufbauen lönnen. Die Deutsch nationalen predigen Klaffenversöhnung nach innen, rüdsichtslosen Kampf nach außen. Die Unabhängigen Klassenlampf nach innen, nach außen Völker­versöhnung. Beide Theorien sind falsch. Wir stehen auch auf dem Boden des Klassenkampfes und wollen ihn

Durch Demokratie vermenschlichen.

Die Unabhängigen begehen den Fehler, den Massen einen tiefen Haß gegen die eigenen Ausbeuter einzuflößen, nicht aber einen ebensolchen gegen die Foch und Clemenceau . Die aber bedrücken das Bolt mehr als je ein Unternehmer im eigenen Lande es getan hat.( Lebh. Zwischenrufe b. d. Unabh.) Was sich jetzt bei der Justiz in Mittel- und Westdeutschland ab­spielt, ist ein ungeheuerlicher Justizskandal, wie ihn die Welt noch nie erlebt hat. Die maßlose Preissteigerung für Getreide durch den Reichsernährungsminister wird in eine Katastrophe aus münden.

Genosse Leid stellte in persönlicher Bemerkung fest, daß er von Bölferversöhnung nicht gesprochen hat. Hätte er die internatio­nalen Beziehungen berührt, dann nur in dem Sinne des 3 u= sammenschlusses des Proletaria's gegen den inter­nationalen Kapitalismus .

Nächste Sigung heute mittag 12 Uhr.