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3. Jahrgang

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Sonntag, den 18. Juli 1920

Nummer 284 Morgen- Ausgabe

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greiheit

Berliner Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Zwischen Spaa und Genf

Der Standpunkt der deutschen

Regierung

Spaa, 17. Juli. ( Untlich.)

Die Konferens hat von den vier Gegenständen der Tages­arbuung in der Reihe erledigt die militärische Frage, die Frage der Kriegsvergehen und die Kohlenfrage, die Frage der Wieder gutmachung lonnte nicht mehr behandelt werden. Am raschesten ist das Problem gelöst worden, das noch vor kurzer Seit die Gemüter am heftigsten bewegte, nämlich ber Be trafung der Deutschen , welche wegen Vergehen gegen die Kriegsregeln angeschuldigt wurden. Hier ist es einer gemisch­ten Kommission von Sachverständigen in türzester Zeit gelungen, eine Berkändigung über die einschlägigen Methoden zu erzielen. Sätte man in den Fragen der Entwaffnung Deutschlands und Jeiner Rohlenlieferungen an die Maiierten einen ähnlichen Weg eingeschlagen, so würde man fich Zeit und Kraft erspart haben. Leiber wurden in beiden Fragen die Verhandlungen mit einem Berhör der angeklagten beutschen Regierungen begonnen und mit einer einseitigen Entscheidung geschlossen. Die deutschen Gegen gelude fonnten nicht mit der nötigen Ausführlichkeit zu Gehör gebracht werden. Das Berhandeln im Plenum machte eine ge­häftsmäßige Erledigung unmöglich, wenn man auch die schwies zige Bage der Alltierten anerkennt, bie immer erst unter heinig werden mußten, um Deutschland eine Antwort zu geben und von dieser Antwort dann laum wieder abgehen founten. Benn man die Absichten der Aliierten zugibt, Deutschland ente gegenzukommen, so bleiben die von der deutschen Dele gation unterschriebenen Protokolle boch eine außerordentliche hwere Belastung unseres innerpolitischen wirtschaftlichen Lebens. Sie erhalten einen besonders gehässigen Charakter babued, bak die Alliierten es für nötig befunden haben, in beiben Fällen ihre Entscheidung uns aufzuzwingen. Immerhin enthalten die unter zeichneten Entscheidungen nicht bloß Nachteile für Deutsch

land.

Die militärische Entscheidung läßt uns die Möglich Teit, die Ruhe im Industriegebiet, der sogenannten neutralen 3one, nötigenfalls durch bie militärischen Machtmtitel aufrechts zuerhalten und fie verlängern die Fristen für die Entwaffnung und die Herabiehung der Seeresstärte um weitere drei bis jedhs Monate. Auch gibt sie dem Rest des deutschen Heeres in mehreren Punkten eine bessere Organisation.

Die Rohlenentscheidung wird nach bem Beschluß bes Wiedergutmachungsausschusses über die Höhe der monatlichen

Polen und Rußland

Widersprechende Meldungen.

Die Meldungen über die Aussichten des von England gemachten Waffenstilstandsverschlages auf Annahme durch bie im Ariege befindlichen Parteien lauten sehr verschieden. Sowohl über die voraussichtliche Saltung Bolens Jowie über die Stim mung in Sowjetrugland werben bie widersprechendsten Mits teilungen verbreitet. Während aus Paris gemeldet wird, daß jerter annehmen werde, und daß die polnische Antwort auf die Note der Alliierten bereits nach Spaa abgegangen fet, behauptet eine Londoner Meldung, daß es zweifelhaft sei, ob Bolen die Borschläge annehmen werde. Für die Wahrscheinlichkeit daß die Bolschewiti von Tag zu Tag größere militärische Fortschritte machen. Ebenso undurchsichtig flingen die Mels bungen über die Saftung der führenden Kreife in Sowjetru I and. Es wird behauptet, daß es eine Bartei gäbe die für den Waffenstilstand und ben Stimme, während andere Bersönlichkeiten die Fortsegung bes Eintritt in Friedensverhandlungen Krieges mit Bolen forderten.

Alle diese Nachrichten, die nicht nur das Kabel, sondern auch die Rebaktionen bürgerlicher Beitungstorrespondenzen und Depeschen agenturen passieren müssen, find mit äußerster Borligt auf zunehmen. Von den Meldungen über die Lage im Osten und über das Berhältnis Rußlands zu Westeuropa geben wir nur die am zuverlässigften flingenden nachfolgend wieder:

Frieden mit Litauen

Rowns, 17. Juli

Die Itanische Telegraphenagentur meldet: Die Friebens belegierten aus Mostan find hier eingetroffen. Die Haupts pantte bes Bertrages find: Bedingungslose Anerkennung ber litauischen Unabhängigkeit, Buerkennung der Hauptstadt Wilna und der Städte Grodno , Lida , Swenciany, der Station Molo­betschno, Anszahlung von 3 Millionen Rubeln Gold, Holzung von 100 000 Desjatinen Wald in Rusland , sofortige Heimschaffung ber Gefangenen und Flüchtlinge, Uebergabe von Wilna und anderen litanischen, von ruifis 3a Berhandlungen über die fchen Truppen belegten Gebiete begab sich bie Delegation nach Wilna . Die litauischen Truppen find in Wilna eingerüt, von der Bevölkerung mit größter Begeisterung in Empfang genommen. Dann folgte ruffiche Kavallerie. Der russische Brigadeführer er

Rohlenlieferungen vorläufig von 2 400 000 Tonnen auf 2000 000 Tonnen herabgesetzt und gibt die Aussicht, den Ausfall in Ruhr­tohle, der durch die vereinbarten Lieferungen entsteht, durch eine Mehrbelieferung mit oberschlesischer Kohle einigermaßen zu mil bern. Außerdem richtet sie für Oberschlesien eine besondere Rohlenfommission ein, in der Deutschland als Mitglied vers treten ist. Für die auf dem Landwege gelieferte Kohle wird eine Brämie von 5 M. Gold pro Zonne und der Vorschuß in Höhe des Reftes der Differenz zwischen dem deutschen Inlandspreis gewährt, ber monatlich nach Maßgabe der Höhe der Rohlenlieferung fällig wird. Die Prämie und der Vorschuh innen und sollen sofort zur Erhöhung der Lebenshaltung des deutschen Volles verwen det werden, insbesondere der Bergarbeiter, durch deren Mehrarbeit in erster Linie die Durchführung der Rohlenliefe rungen an die Aliierten ermöglicht wird. Die nötigen Maßregeln zur Belieferung des Gebietes mit Mehl und zur Beschaffung aus­wärtiger Lebensmittelzufuhren sind schon in Angriff genommen. Die von den Antierten mit großem Nachbeud verlangte Unter zeichnung der Klansel, daß im Falle nicht genügender Kohlenliefe rung fofort das Ruhrgebiet belegt werden könnte, hat die deutsche Delegation abgelehnt. Das Abkommen wurde nur unter Ausschluß dieser Klausel unterzeichnet. Als positives Resultat der Konferenz barf verzeichnet werden, daß im Laufe ber Berhandlungen die Stellung der deutschen Delegierten sich der normalen Stellung immer mehr näherte, wenn e fe anch noch feineswegs erreicht hat. Es ist zu hoffen, daß die Frage der Wie bergutmachung in Genf von vornherein in einem weniger mihtrauischen Geifte verhandelt werden wird, als ihre Borgänger

in Spaa.

Die Verteilung der deutschen Entschädigung

2. U. Spaa, 17. Juli. Die allierten Delegationen find sich über den Prozentjag einig geworden, den die einzelnen Länder von den deutschen Ent­

häbigungen erhalten werden. Die Ziffern wurden wie folgt felt

gefekt: Groß- Britannien erhält 22, Frankreich 52, Italien 10, Japan , Belgien 8, Portugal % Prozent. Die übrigen 6% Brozent follen für Griechenland , Rumänien , Tschechien - Slowakien und die übrigen Mächte reserviert werden, die ein Anrecht auf Entschädigungsleitungen haben.

Humanité über Marschall Foch

T. U. Baris, 17. Juft.

Die Sumanite" bezeichnet in ihrem Leitartikel die Konferenz Don Spaa als eine Tragikomödie und sagt: Unser braver Marschall spielt in Spaa die Rolle, die Kühlmann, Czernin und General Hoffmann in Brest Litowst gespielt haben, als fie fich ausgefchwagt hatten. Die Geschichte wiederholt sich in sehr ein­töniger Weise.

Klärte in einer Ansprache, daß die Russen nicht lange in Wilna bleiben, sondern im Verfolg des Friedensvertrages die Stadt Litauen übergeben würden.

Die englisch - ruffischen Berhandlungen

T.-U. London, 17. Juli. Wie die Times" meldet, wird England den russischen Vorschlag, bie Konferenz zwischen Räterußland, Polen und den übrigen Randstaaten in Brest - Litowst stattfinden zu lassen, nicht an nehmen. Im Zusammenhang mit dieser Frage zeigt es sich, daß verschoben worden ist. Krajin wird zur eventuellen Wiederauf­die Rückkehr Krassins von Mostau nach London um einige Tage nahme der wirtschaftlichen Verhandlungen mit zahlreichem Ge­folge und ausgedehnten Bollmachten nach London zurückkehren. Es liegen Anzeichen dafür vor, daß Krassin in Zukunft in London weniger von Litwinom und seinen hiesigen politischen Freunden tontrolliert werden wird.

Die Lage an der Front

Kopenhagen , 17. Juli. Einem Telegramm aus Warschau zufolge meldet der pol nische Seeresbericht: Jm nördlichen Abschnitt haben die Bollchemisten Smorgon und Dichmjany bejezt. Der Kampf dauert am Dichmjantafluß an. Bolschewistische Angriffe nordöstlich von Luzt in der Richtung nach dem Kniazfee und in der Gegend von Bolow find unter bedeutenden Verlusten für den Feind abge='

schlagen worden. Die heftigen Angriffe auf Lust werden fort gelegt. In der Gegend von Dubno greift der Feind unauf­hörlich an.

Hungerdemonstrationen in Böhmen

Reichenberg( Böhmen), 17. Juli.

Der allgemeine Ausstand ist gestern im ganzen Industriegebiet von Reichenberg füy Montag angefündigt worden. Am gestrigen Freitag wurden in allen Bezielen nach erfolgter Abstimmung grobe Mallentunbgebungen abgehalten. Die Arbeiters fchaft zog auf den Altkädter Martt und demonstrierte gegen das vollständige Bersagen des Ernährungsdienstes. Am Schlah ber Kundgebung wurde eine Massenastimmung vorgenommen, in der beschlossen wurde, bie Unfähigkeit der Regierung gegenüber ben Ernährungsverhältnissen mit ber allgemeinen Arbeitsnieder legung in allen Berufen und Betrieben am Montag früh zu bes antworten.

Die Folgerungen von Spaa

Der Handel von Spaa ist zu Ende. Es ist dort anges gangen wie bei jedem fapitalistischen Geschäft, wo ein Leif den andern immer zu übernorteilen sucht. Am Konferenz tisch von Spaa haben die Vertreter des Proletariats nicht Blah genommen. Die Wortführer bürgerlicher, fapitalistis fcher Regierungen haben miteinander gefeilscht, und für Re war nicht das Interesse des Proletariats, sondern das Interesse des Rapitals entscheidend. Besonders deutlich hat sich das bei der Kohlenfrage gezeigt.

Ohne Zweifel braucht Frankreich einen erheblichen Zuschus von Kohlen aus Deutschland , da seine Produktionsstätten durch die deutsche Kriegführung außerordentlich gelitten haben. Aber das französische Kapital will nicht allein das für das Land notwendige Quantum an Roblen beziehen, sondern so viel darüber hinaus, daß es feine Industrie ers weitern und das deutsche Kapital verhindern will, seine frühere Stellung auf dem Weltmarkt wieder einzunehmen. billig beziehen. Deswegen fträubt es sich gegen die n Das franzöfifche Kapital will aber auch die deutschen Kohlen redmung des Weltmarktpreises, der wesentlich höher als der deutsche Inlandspreis steht. Demgegenüber stehen die Inters essen des deutschen Kapitals, das so wenig wie möglich nach Frankreich liefern will und zuerst an die Befriedigung des eigenen Bedürfnisses denkt.

Die Vertreter der fapitalistischen Wirtschaftsordnung haben in Spaa miteinander verhandelt. Sie haben nach! Lösungen der Probleme gesucht, die dem tapitalistischen Interesse der beteiligten Länder entsprechen sollte. Sind darum aber diese Probleme und ihre Lösungen nur eine An gelegenheit, die die tapitalistischen Kreise angeht? Kann bas Broletariat der Entwidlung der Dinge untätig zusehen und ich auf die Beteuerung beschränken, daß es für den Krieg nicht verantwortlich set, daß es deshalb auch fein Intereſſe baran habe, wie jest das Kapital die Berteilung der Kriegslaften vornehmen will? Tua res agitur, m deine Sachen handelt es sich dieser alte römische Spruch hat gerade gegenüber den Verhandlungen von Spac für das Proletariat volle Geltung.

Am Konferenztisch von Spaa haben nur Vertreter der bürgerlichen Regierungen miteinander verhandelt. Aber in der entscheidenden Frage erhob sich vor den entsetzten Augen der Konferenzteilnehmer das Gespenst Ser proletarischen Revolution. Die nationalistischen Kreise Frankreichs glaubten anfangs, daß der Säbel bes for beerumtränzten Marschall Foch die Kohlen hervorzaubern fönne, die das alliierte Kapital braucht. Wie aber, wenn die Bergarbeiter, auf die es dabei doch in erster Reihe antommt, felbft vor diesem Säbel feinen Refpeft empfinden und mit gefreuzten Armen der Entwidlung seiner Zaubertraft zus schauen? Ja noch mehr: was dann, wenn die englischen und die franzöfifchen Bergarbeiter erklären sollten, daß fie nicht dulden würden, daß militärischer Zwang gegen die deutschen Bergarbeiter ausgeübt werde? Dieser Widerstand gegen die Zwangsmaßregeln des alliierten Kapitals würde sich aber nicht allein auf die Bergarbeiter beschränken. Er müßte hinübergreifen auf das gesamte Proletariat, er müßte die Entwicklung zur Weltrevolution mit außerordent licher Eile fördern, er müßte zu einer unabsehbaren Drohung für den Bestand der tapitalistischen Wirtschaft der ganzen Welt werden.

Diese Befürchtungen haben schließlich dahin geführt, daß es trog aller drohender Gesten zu einem Uebereinkommen in der Kohlenfrage gekommen ist. Die deutsche Delegation hat die Lieferung von 2 Millionen Tonnen Stohlen im Mo nat zugeftehen müssen. Die Alliierten gaben bemgegenüber in einem anderen Punfte nach, besonders bei der Bemefang des Preises, bei der Lieferung von Lebensmitteln und Roh­stoffen, bei der Verteilung der in Oberschlesien gewonnenen Kohle. Diesem Abfomen mußten die deutschen Delegier ten zustimmen. Auch von ihrem Standpunft aus tonnten fie nicht wünschen, daß durch die Besetzung des Ruhrgebiets das ganze deutsche Wirtschaftsleben zum Stillstand gebracht würde. Daß der vollkommene Bankrott der deutschen Wirte schaft die kapitalistische Ordnung auch in den alliierten Län­bern aufs schwerste schädigen würde, tonnte für sie nur eine magere Hoffnung bleiben.

Es ist wahr, baß das Kohlenabfommen zunächst auf Kosten der deutschen Bergarbeiter geht. Man wird versuchen, mit 3uderbrot und Beitsche das Minenprole tariat bahin zu bringen, bak bie Brobuftion zu einer Höhe geführt wird, die die Befriebigung der alliierten Ansprüche ermöglicht, ohne die fapitalistische Wirtschaft Deutschlands zu gefährden. Die Arbeiter des rheinisch- westfälischen Ge biets haben die Willkürherrschaft der demokratischen Regie rung noch in übelfter Erinnerung; und was etwa in diefer Beziehung die deutsche Republit verfäumt hat, das will der alliierte Militarismus, wenn es nottut, pollenden. Aber den Bergarbeitern werben doch auch allerhand Versprechungen gemacht. Sie sollen bessere und reichlichere Lebensmittel er halten, man will fie mit Schuhwert und Kleidung versehen, man will die Wohngelegenheiten vermehren; und burch solche Mittel glaubt man die Produktion heben zu fönnen.

Und hier beginnt der Punft, wo die Verhandlungen zwischen den Bölfern nicht mehr eine Sache der bürgerlichen