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Mittwoch, den 21. Juli 1920
Nummer 288 Morgen- Ausgabe
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ber Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands
Millerand über Spaa
Frankreichs Ziele
Paris, 20. Juli. In der heutigen Nachmittagsfihung der französischen Kammer ergriff Ministerpräsident Miller and bas Wort, um Mittei lungen zu machen über die Art, wie die französische Regierung die Interessen Frankreichs in Spaa verteidigt habe. Aber nicht nur biese Jntereffen habe die Regierung vertreten, sondern auch die Interessen der Staaten, deren Wiedergeburt se begünstigt habe, und die neu entstanden sind, nämlich Polen und die Tschechos Nowakei. Die Altierten seien der Ansicht, daß die türkische Re gierung die Regierungen, die die Türken seit einem halben Jahr hundert unterstügt hatten, verraten habe. In Anbetracht der verabscheuungswürdigen massatres fei es nicht mehr möglich gewesen, unter der ottomanischen Herrschaft Millionen von Menschen zu belassen. Der Friebensvertrag mit der Türkei werbe deshalb aufrechterhalten. Was Syrien anbetreffe, lo habe die englische Regierung mit vollkommener Loyalität ers flärt, daß es Frankreich allein zufalle, das Mandat über Syrien auszuarbeiten. Millerand besprach alsdann die polnische Frage und erklärte, die Konferenz von Spaa habe sich bemüht, die Teschener und Danziger Frage zu regeln.
Die Konferenz habe sich aber auch eingehend mit den Nach wirtungen der Lage beschäftigt, bie in Polen durch den Krieg mit. Sowjetrußland geschaffen worden sei. Die franzöfifche Regierung habe erklärt, daß sie mit der Sowjetregie rung erst dann in Verbindung treten wolle, wenn lettere gewisse Borbedingungen erfüllt haben würde. Die französische Regierung verfolge mit Sympathie bie von Lloyd George zweds Ab fchlusses eines Waffenstillstandes angeknüpften Berhandlungen und wünsche ihnen Erfolg. Aber heute vormittag habe der französische Botschafter in London mitgeteilt, daß ihren Ge wohnheiten entsprechend die Somietregierung mit 3mpertinenz auf bie Mitteilung geantwortet habe, bie Lloyd George an fie richtete. Lloyd George habe den Sowjets mitgeteilt, daß, wenn sie teinen Waffenstilstand annehmen würden, Großbritannien und Jeine Antierten Polen mit allen Kräften unterstützen würden. ( Starter Beifall. Widerspruch auf der äußersten Linken.).
Nachdem sich der Beifall gelegt hatte, fuhr Millerand fort, Frank reich werde sein Wort halten, wie auch sicher sei, daß England dem feinigen treu bleiben werde. General Wrangel habe gegen die Bollewisten in der Krim Erfolge erzielt, wo tatsächlich eine Regierung vorhanden sei, die die Sympathie der Bevölkerung habe und eine Agrarreform bekommen habe. Der Ministerpräsident geht bann zur Besprechung der Verhandlungen mit den deutschen Delegierten in Spaa über, die den 3wed gehabt haben, die Ausführung des Friedensvertrages von Versailles sicher zu tellen. Frankreich sei weit entfernt von dem Gedanken, sich in bie innere beutsche Politit einzumischen. Den Vertrag von Ber
Deutsche Neutralitätserklärung
Berlin, 20. Juli( Amtlich).
In der morgigen Nummer des Reichsanzeigers" wird nach Hehende Bekanntmachung des Reichspräsidenten veröffentlicht: " In den zwischen der polnischen Republit und der russischen Sowjetrepublit entstanbenen triegerischen Verwidlungen hat Deutschland , das ich mit beiden Staaten in Friedenszustand be findet, bisher volle Neutralität beobachtet und wird diese Neutralität auch weiterhin beobachten. Ich weise bemzufolge darauf hin, daß für jedermann im Reich und für die Deutschen im Ausland die Verpflichtung besteht, sich aller Handlungen zu enthalten, die der Neutralitat Deutschlands zuwiderlaufen."
Diese Bekanntmachung wird den Regierungen in Warschau and Mostau amtlich zur Kenntnis gebracht.
sailles habe das Deutsche Reich anerkannt. Man werde nicht versuchen, es heimtüdisch zu demolieren. Frankreich werde sich nicht in separatistische Intrigen einlassen( Widerspruch), aber die Alliierten wünschten, daß die verschiedenen Elemente in Deutsch land fich frei entwideln fönnten, ohne von der preußischen Sege monie bedroht zu werden, beren Triumph beinahe das Totengeläute der Zivilisation gewesen wäre und der Ruin Deutschlands . Des= halb habe die französische Regierung in München bei dem Minifter für Auswärtige Angelegenheiten einen Gesandten ernannt. Die Tätigkeit dieses Gesandten werde die Tätigkeit des franzö Fischen Botschafters verstärken. Laurent sei von der französischen Regierung deshalb als Botschafter für Berlin ansersehen worden, weil die französische Regierung habe zum Ansdrnd bringen wollen, bas Hauptziel ihrer Politik sei, normale wirtschaftliche Beziehungen mit Deutschland wieder herzustellen.
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Kapitalistische Pläne in Spaa
Die offene und fachliche Art, mit der Minister Simons gestern vor den Vertretern der Presse über den Verlauf der Verhandlungen in Spaa sprach, hat eine wesentliche Klärung der noch ungelösten Fragen gebracht, die durch die völlig mangelhafte und tendenziöse amtliche und die meist systema tisch verheyzende journalistische Berichterstattung entstanden war. Der Minister hat zunächst sich nicht nur nicht gescheut, ganz offen zu erklären, daß die deutsche Delegation in Spaa sich zum Schlusse nicht habe davon überzeugen fönnen, daß die Kohlenforderungen der Entente wirtschaftlich unerfüllbar feien. Diese Feststellung ist völlig neu und läßt den Verlauf und die Resultate der Verhandlungen in wesentlich anderem Lichte erscheinen. Der Minister hat diese Feststellung etwas näher erläutert. Er erklärte, daß er zuerst die Ueberzeugung gehabt habe, daß die Erfüllung der Forderungen der Entente unmöglich sei, doch seien ihm nachträglich Zweifel darüber gekommen, ob das Zahlenmaterial der Sachverständigen nach allen Richtungen hin ausschlaggebend und ihre Ansichten unbedingt richtig seien. Er sei be sonders auf zwei Fattoren hingewiesen worden, die in den Berechnungen der Kohlensachverständigen gefehlt hätten; einmal die Möglichkeit, durch verstärkte Heranziehung der Braunkohlenproduktion den durch die Entente un bedingt geforderten Ausfall an Steinkohlen zu ersehen, zum andern aber die Tatsache, daß über den Kopf der amtlichen Kohlenverteilungsstellen hinweg in großem Umfange deut
Ministerpräsident Millerand fährt fort: Um zu einer wirt haftlichen Zusammenarbeit mit Deutschland zu gelangen, ist die erste Bebingung, daß Deutschland auf alle tries gerischen Anwandlungen verzichtet. Deshalb ist auch die Frage der Entwaffnung Deutschlands in Spaa an erster Stelle be handelt worden. Der Ministerpräsident erinnert sodann an die Strafbestimmungen, die in das Abkommen eingeschrieben wurden, also an die Besetzung des Ruhrgebiets. Er ers flärt im einzelnen, wie die von Deutschland zu erwartende Ents schädigungssumme unter die Alliierten verteilt werden solle. Die Alliierten hätten erklärt, daß es im allgemeinen Interesse liege, ben Gesamtbetrag der zu Lasten Deutschlands gehenden Entschädische Steintohle verschoben worden sei. gungssumme festzulegen und von ihm Jahreszahlungen zu vers langen. Deutschland folle die Möglichkeit gegeben werden, fich von seiner Schuld zu befreien, indem man Anleihen ankündige, die bes rechnet feien, sowohl für die Tilgung seiner Schuld, wie für seine wirtschaftliche Wiedererhebung. Nachdem Bitllerand jobann das Protokoll, das in bezug auf die Kohlenlieferung unterzeichnet wurde, verlesen hatte, sagte er: Deutschland hat im Januar 497 000 Tonnen Kohle geliefert, im Februar 604 000 Tonnen, im März 583 000 Tonnen, im April 660 000 Tonnen, im Mai 942 000 Tonnen und im Juni 855 000 Tonnen. Nach der neuen Berpflichtung haben wir ein Anrecht auf eineinhalb Millionen Tonnen im Monat. Bon Polen fönnen wir erwarten 150 000 Tonnen Kohle und Teer. Das Frankreich der alten Grenze tönne allein mit dem, was wir von Amerika , England und Belgien erhalten, auf 4 200 000 Tonnen monatlich rechnen, also auf 80 Prozent seines normalen Bedarfs. Millerand sagte dann, er könne die Kritit, die geübt wurde, verstehen.
Vertrauensvotum für Millerand
Die Rammer hat dem Ministerium Millerand mit 420 gegen 152 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen.
ift, wie gemeldet wird, zur Zeit schon durchgeführt. Die sieben Infanteriedivifionen sollen in ihrer vertragsmäßigen Form bereits zum 1. Oktober dieses Jahres gebildet werden. Die fünfzigtausend Mann, die vom 1. Oftober bis 31. Dezember 1920 noch beibehalten werden können, werden in weitere drei Reichswehrbrigaden( zwei im Wehrtreis 3 und eine im Wehrkreis 4) oder in fleinen Formationen, die den Divisionen angegliedert werden, untergebracht. 3um 31. Dezember 1920 werden auch diese mit den bestehenbleibenden verschmolzen. Bei der Herabminderung soll angeftrebt werden, daß eine gleichmäßige Berringerung in aйen Wehrkreisen stattfindet, so daß eine Benachteiligung eines Truppenteils nicht möglich ist. Ueber die Art der Versorgung der ausscheidenden Reichswehrangehörigen schweben noch Verhandlungen.
Diese Feststellung, die, wie der Minister mitteilen fonnte, auch in Berlin nachträglich durch einen Kabinettsbeschluß, der eine Neuorganisation und bessere Kontrolle der Kohlenerzeugung ins Auge faßt, völlig gerechtfertigt worden ist, ist eine schwere Anflage gegen die deutschen Kohlensachverstän digen, und zwar weniger gegen die Arbeitervertreter als gegen die Vertreter der großen Bechen . Herr Stinnes hat ebensogut und besser als der Minister Simons gewußt, daß ein Ersaz an deutscher Braunkohle möglich war, er hat vor allem aber viel besser und genauer als der Minister wissen müssen, wieviel deutsche Steinkohle allmonatlich sich der amts lichen Kohlenverteilung entzieht und verschoben wird. Herr Stinnes hätte den Minister Simons sehr genau darüber aufklären fönnen, nicht nur, wie groß diese Mengen sind, sondern auch, wohin sie geraten, wer sie verschiebt, und wer den Profit aus dieser Schleichhandelskohie zieht. Herr Stinnes wird ja Gelegenheit haben, im Reichstage sich zu rechtfertigen gegenüber dem schweren Vorwurf, den die Fests stellung des Ministers des Auswärtigen in dieser Frage ents hält. Zwei Möglichkeiten gibt es, entweder Herr Stinnes hat als Hauptteilhaber an den Profiten der illegal verteilten Kohle seine privaten Interessen bei seinem Sachver ständigen- Gutachten soweit in den Vordergrund geschoben, daß er absichtlich diesen Faktor der Schleichhandelskohle her ausließ und dadurch seiner Privatinteressen willen die Ablehnung der Kohlenforderung der Entente und damit die Gefahr einer Besetzung des Ruhrgebiets heraufbeschwor, oder aber, Herr Stinnes hat überhaupt die Besetzung des Ruhrgebietes herbeiführen wollen.
In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, was bereits während der Verhandlungen in Spaa in großindustriellen Kreisen als Ansicht verbreitet war, daß nämlich Herr Stinnes und die übrigen Kohlenmagnaten ganz systematisch eine Besegung des Ruhr. gebietes anstrebten. Es ist notwendig, sich heute daran zu erinnern, daß Herr Stinnes sich kurz vor dem Beginn der Verhandlungen in Spaa in Brüssel mit Miller and eingehend über die Frage des Wiederaufbaues unterhalten DA. Wien, 20. Juli. hat und daß Millerand angeblich von dieser Unterredung Die offizielle deutsche Neutralitätserklärung im polnischhöchst befriedigt gewesen sei. In der Ententepresse und auch russischen Konflikt ist zu begrüßen. Sie entspricht durchaus der allernächster Zeit wird in Wien eine Mission der rusbei den amtlichen Stellen der Entente ist infolgedessen mehrStellung Deutschlands den beiden Mächten gegenüber. Anilchen Gomietregierung, bestehend aus dem bevollmächdieser Neutralität muß aber auch unter allen Umständen fest tigten Bertreter und 3-5 weiteren Delegierten eintreffen. Diese fach die Ansicht laut geworden, daß der große Plan, den gehalten werden, besonders im Hinblick auf die Möglichkeit, Miffion hat in Desterreich die gleichen Aufgaben zu erledigen, wie Stinnes in der Schaffung eines großen einheit. lichen deutsch - französischen Kohlengebietes daß die Alliierten etwa Munitions- oder Truppentransporte die Mission Wigdor Kopps in Berlin . Nach hiesiger amtlicher von der Normandie über das Rheinland bis nach Elsaß zur Unterstützung Polens durch Deutschland zu leiten beAuffassung ist aber an eine Wiederaufnahme der Handelsbeziehun- Lothringen Herrn Millerand vorgetragen hat, die Besetzung absichtigen. gen zwischen Desterreich und Rußland vor Unterzeichnung des Verdes Ruhrgebietes durch französische Truppen als Eventual trages zwischen England und Rußland taum zu denken.
Kabinett und Entwaffnung
Berlin , 20. Juli. ( Amtlich.) Das Reichstabinett fette heute in Anwesenheit des Reichs präsidenten die Besprechungen über die Beschlüsse von Spaa fort. Der Hauptpunkt der Erörterungen war die Frage der Ent waffnung, beren technische Durchführung sehr eingehend, auf Grund eines vom Reichsminister des Innern vorgelegten Gesez entwurfes, besprochen wurde.
Die Reichswehr muß nach dem Vertrage von Spaa zum 1. Oftober auf einhundertfünfzigtausend Mann, geglie bert in zehn Reichswehrbrigaden und drei Kavalleriedivisionen zurüdgeführt sein. Am 1. Januar 1921 muß die im Versaille Frieden vorgeschriebene Stärke von einhunderttausen Mann, gegliedert in sieben Infanterie- und drei Kavallerie bioifionen, erreicht sein. Die Bildung der drei Kavalleriedivisioner
Internationaler Gewerkschaftsboykott gegen Polen DA. Stockholm, 19. Juli.
In einem Funfpruch fordern die russischen Gewert. fchaften die Gewerschaften aller Staaten auf, gegen Bolen, wegen deffen 3erstörungen von Städten und Fabrikanlagen beim Rüdzug und wegen der Erschießung russi scher Arbeiter den gleichen Boytott zu verhängen wie gegen Ungarn .
Neue Unruhen in Dalmatien . Aus Spalato wird gemeldet, daß dort eingetroffene Reisende aus 3 ara und Sebenice von roßen Unruhen in diesen Orten berichteten, die sich gegen die roatische und flowenische Bevölkerung richten. Italienische Ban den durchzögen die beiden Städte und richteten unter jugoslawithem Eigentum große Berheerungen an, denen gegenüber die alienischen Behörden völlig gleichgültig sich verhielten.
fall miteinschloß.
Wir wollen es uns ersparen, nach den Mustern der ,, nationalen" Presse zu diesen Plänen ein Geschrei über Lan desverrat zu erheben; dagegen hat die deutsche wie die fran zösische Arbeiterschaft das größte Interesse daran, diesen Plänen die höchste Aufmerksamkeit zu widmen. Die Be sprechungen zwischen Millerand und Stinnes find feineswegs rein platonischer Natur gewesen. Unsere französischen Ge nossen haben mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß sie der Anwesenheit des französischen Stinnes, des Herrn Laurent als Botschafter in Berlin , mit größtem Miz trauen gegenüberstehen. All diese Vorbereitungen zeigen, und die Verhandlungen in Spaa bestätigen jedem, der zu sehen weiß, daß hier der Beginn gewaltiger fapitalistischer Aftionen liegt, die nicht nur eine ungeheure tapitalistische und industrielle Konzentration der kapitalistischen Produt tion anstrebt, sondern die auch als internationale Organis
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