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Donnerstag, den 29. Juli 1920

Nummer 302

Morgen- Ausgabe

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greiheit

Berliner Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Zweierlei Recht

Aus dem Ruhrgebiet wird uns geschrieben:

Als neulich unser Genosse Dr. Siemsen in Essen zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, wendete sich die

Die Drohung des englischen Generals

Paris , 28. Juli.

Lloyd George und Millerand haben, wie Havas berichtet, dem alliierten Obertommissarin Danzig Sir Reginald Tower Instruktionen gegeben, er möchte sich bemühen, zu verhindern, daß der Versuch der Alliierten, Polen ihren Beistand zu leisten, durch politische Afte, wie den Streit der Safenarbeiter, die sich geweigert hätten, die Munitionsschiffe zu entladen, durchkreuzt

werde.

antwortlichkeit zuzuschieben, wo diese tatsächlich bei einzelnen Regierungen liegt. Die russisch - polnische Krisis ist deshalb ents standen, weil der Völkerbund unbeachtet geblieben ist. Der Bund hätte schon vor Monaten dazu gebraucht werden können und bazu gebraucht werden müssen, um die polnische Difenfive zu verhindern und den Frieden herzustellen. Der einzige 3wed meines Briefes ist, gegen die Behauptungen zu protestieren, daß der Böllerbund uns in vorliegendem Falle die Verpflichtung auferlegt, in ben Krieg zu gehen.

Frankfurter Zeitung " unter der Ueberschrift 3weierlei England und der Danziger Hafenstreik en gegen den Bund und seine Mitglieder, thr die Ver Recht?" Scharf gegen dieses Urteil, das auch dann völlig un­haltbar fei, wenn Dr. Siemsens Handlungsweise nicht, wie es eindeutig der Fall war, unter die Amnest ie fiele. Aus biefen Worten geht hervor, daß man im übrigen Deutschland in völliger Unkenntnis über die ungeheuerlichen Vorgänge im Industriegebiet lebt. Man weiß dort augenscheinlich nicht einmal, daß die Amnestie zwar zugesichert ist, daß im Vertrauen darauf viele vor dem weißen Schrecken geflüchtete Arbeiter zu ihrer Arbeitsstätte zurüdgekehrt sind, daß aber bie Amnestie nicht durchgeführt ist. Deshalb seien im folgen­ben einige Tatsachen aus einer Ueberfülle von Material der Deffentlichkeit unterbreitet. Sie werden wohl eine aus­reichende Antwort geben auf die Frage: 3weierlei Recht?" Daß die zahlreichen Morde, die auch in Essen und Um­gegend an unschuldigen Arbeitern begangen sind, feine Sühne gefunden haben, braucht wohl nicht erst erwähnt zu werden. Das wird nach allem, was wir erlebt haben, auch der Naivste nicht erwarten. Wir stellen es hier nur deshalb noch einmal fest, weil sich von diesem Hintergrunde das nun Folgende besser abhebt.

Danzig , 28. Juli.

Gestern nachmittag hat ein Kommando englischer Soldaten mit der Ausladung des für Polen bestimmten Munitionsdampfers " Triton" begonnen. Bei einer Besprechung des Generals Heyting mit den Vertetern der Transportarbeiterverbände wies der Gene­ral darauf hin, daß es in Zukunft nicht möglich sein werde, die Be­fagungstruppen zu Arbeiten im Hafen heranzuziehen. Es würde dann nicht ausgeschlossen sein, daß man schließlich englische Arbeiter nach Danzig holen werde.

Die Drohung des englischen Generals wird auf die Dan­Während man jedem Morbbuben in der Reichswehr die ziger Hafenarbeiter faum den gewünschten Eindrud machen, Möglichkeit zur Flucht gibt, wenn sich seine Tat nicht mehr denn es ist auch in Danzig nicht unbekannt, daß die englische gut verbergen läßt, besteht natürlich bei jedem Proletarier Arbeiterschaft die Interventionspolitik der englischen Regie­unter allen Umständen Flucht verdacht, so daß er in rung auf das schärffte verurteilt und jede Unterstützung des Untersuchungshaft gehalten werden muß. Diese Unterverbrecherischen Krieges im Diten mit allen Mitteln betämpft.

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uchungshaft wird vielfach dadurch zu besonders schlimmer Qual, daß dem Angeklagten, der auf Grund irgend einer Denunziation perhaftet manchmal gar nicht weiß, was man ihm vorwirft, oft lange Zeit nicht die Mög lichkeit gegeben wird, mit seinem Berteidiger zu sprechen. Einige Beispiele:

1. Alfred Wilgers, angetlagt wegen Teilnahme an Kämpfen, schreibt am 25. Juni, er fei der Berzweiflung ale, da et nach 4 Wochen Untersuchungshaft noch nicht die Er laubnis habe, feinen Berteidiger zu sprechen.

2. Mertens und 6 Genossen aus Annen , im Mai verhaftet wegen Beteiligung an der Bildung der örtlichen Sicherheits­wehr. Erst nach dreimaliger Bitte des Verteidigers trifft am 1. Juli die Verkehrsgenehmigung ein.

3. Franz Saad und 3 Genossen aus Kray , seit 10. April in Untersuchungshaft wegen Beteiligung an der Sicherheitswehr. Mehrfache Haftbeschwerde nicht beantwortet oder abgelehnt.

4. Milchhändler Rudolf Uraset aus Glabbed, seit April in Untersuchungshaft, da er für die Rote Armee" angeworben haben Joll. Er hat für seine 68jährige Mutter und zwei Kinder zu forgen, hat im Krieg das rechte Auge verloren und ich ein schweres Rervenleiden zugezogen. Da seine Existenz tet wird und er der völligen Verzweiflung nahe ist, will er in den Hunger­Streit treten.

5. Die Frau des Straßenbahnschaffners Bleschte aus Essen, feit 27. Mai fünf Wochen in Untersuchungshaft, da sie auf Anzeige eines ihr feindlichen Hausbewohners wegen Bedrohung verklagt ist und Mitgliedern der Roten Armee" Eisen ge­geben hat. Eine Haftbeschwerde vom 31. Mai wurde feiner Antwort gewürdigt, da bei der Frau, die sehr fräntlich ist und brei fleine Kinder hat, natürlich dringender Fluchtver dacht vorlag. Sie wurde erst fürzlich aus der Haft entlassen, nachdem ihr Befinden sich so verschlechtert hatte, daß man sie nach Sagen tragen mußte.

Es sei noch erwähnt, daß die Angeklagten und Verurteilten burchweg unbestraft sind und die besten Zeugnisse bei­bringen fönnen. Wesentlich anders werden Verbrecher be­handelt. Das Verbrechergesindel, das während der durch den Bruch des Abkommens seitens der Reichswehr her vorgerufenen Auflösung sein Unwesen im Ruhrrevier trieb, list nicht in den Gefängnissen. Ein gefährlicher Einbrecher z. B., den der Essener Vollzugsrat einlieferte, wurde am nächsten Tage aus dem Zuchthaus entlassen und fonnte feine Tätigkeit fortsegen. Auf Beschwerde wurde er­flärt, man habe ihn nicht länger festhalten dürfen. Oder es tauchten Leute, die zu Gewalttaten aufgereizt atten, ein paar Tage später nach der Besetzung wieder in ber Reichswehr auf. Sonderbar, höchst sonderbar!

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Run etwas über die Urteile! Besonders schlimme Urteile, wie das gegen Kaiser Reviges, der zehn Jahre 3uchthaus und 10 Jahre Ehrverlust erhielt, weil er auf dem Wege zum Keller eines Wirtes gesehen wurde, in dem fich ein Waffenlager befand, oder gegen den Straßen­bahnschaffner Müller Essen, der fünf Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust erhielt wegen Waffenbesizes, sollen hier nicht aufgezählt werden, obwohl man damit Spal­ten füllen fönnte, sondern es soll nur die durchschnittliche Brazis der Gerichte nicht nur der Kriegsgerichte, auch die ber jetzt amtierenden- gezeigt werden. Dajebe irgend wie geartete Teilnahme an der Bewegung ohne Unterschied auch des 3eitpunttes als Landfriedensbruch betrachtet wird, so gibt es feine niebigere Strafe als drei Monate Gefängnis. Einige Bei­Ipiele:

1. Franz Gruszinski, halbseitig gelähmt, tat einige Tage Schreiberdienste beim Essener Vollzugsrat. Urteil: 4 Monate Gefängnis. Auf das Begnadigungsgesuch vom 15. Juni ist teine Antwort eingetroffen.

Lord Grey gegen die englische Polenpolitik

London , 28. Juli.

Der Times" zufolge ift in den Vereinigten Staaten ein Brief von Lord Grey an Lord Robert Cecil vom 25. Juli veröffent­licht worden, in dem es u. a. heißt:

Jeber, der ein Interesse an dem Wölferbund nimmt, sollte gegen die fürzlich im Parlament abgegebene Erklärung protekties ren, daß wir verpflichtet sind, Polen zu unterstügen, weil wir Mitglieder des Bölterbundes find. Der Bölferbund hat nichts mit dem russisch - polnischen Krieg zu tun, und es ist ein Berbres

2. Otto Sabt aus Borbed, einziger Ernährer feiner| Mutter, war einen Tag( 29. März) bei der Roten Armee, ohne mitzutämpfen. Urteil: 6 Monate Gefängnis( Mindeststrafe für Aufruhr). Auf das Gnadengesuch vom 16. Juni ist keine Antwort eingetroffen.

3. Anstreichermeister Bincon aus. Essen hat als Mitglied der Sicherheitswehr zwei Leute vorgeführt. Ferner hat er einem Tiefbauunternehmer, der die Kappichen Streitschichten nicht bes zahlen wollte, erklärt, dann müsse er ihn dem Vollzugsrat vor­führen. Urteil: 3 Jahre Gefängnis. Gnadengesuch ist vom Reichspräsidenten abgelehnt.

4. Antonie Stein aus Dinslaten, einzige Ernährerin ihrer tranten Mutter, trat als Krantenpflegerin bei der Roten Armee" ein, um Geld zu verdienen, nachdem ihr ein Arzt erklärt hatte, fie tönne das ganz unbedenklich tun, weil sie damit nicht Partei ergriffe. Urteil: 1 Jahr Gefängnis.

5. Konopka aus Kray hat am 15. März(!!) ein Gewehr getragen, ist weiter nicht beteiligt gewesen. Urteil: 6 Monate Gefängnis. Begnadigungsgesuch ist vom Reichs­präsidenten abgelehnt t.

6. Josef Pischczan hatte dem Michael Muschollet- Bottage ge­stattet, sein Gewehr im Stall zu verbergen. Urteil: Pishczan, der fechs Kinder zu ernähren hat, 1 Jahr, M. 1% Jahre Gefängnis. Auf das Gnadengejuch vom 15. Juni ist keine Antwort einge­troffen.

7. Friedrich Greens aus Essen hat als Posten der Sicherheits­wehr die Haupttasie auf der Post beschützt. Urteil: 3 Mo­nate Gefängnis.

8. Josef Podled aus Borbed hat einer Abteilung beim affenfuchen den Weg gezeigt, selbst teine Waffe getragen. Urteil: 6 Monate Gefängnis. Auf Gnadengesuch vom 15. Juni ist teine Antwort eingetroffen.

Aus diesen Beispielen, die sich beliebig vermehren ließen, lernt man nicht nur die Urteilssprechung der Gerichte kennen, man sicht auch, von welch zweifelhaftem Wert die Gnaden gesuche sind. Interessant find auch die Urteils begrün­ungen. Dafür nur ein Beispiel aus vielen:

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Dr. Siemsen Esen fonnte vor Gericht einwandfrei nachweisen, daß er die Zeitungszensur nur übernommen. hatte, um Uebergriffe gegen die Zeitungen zu hindern und für Ordnung zu sorgen. Urteilsbegründung: Dadurch, daß Siemfen für Ruhe und Ordnung gesorgt habe, habe er in­birekt die Rote Armee unterstüßt und sei somit des Land­direkt die Rote Armee unterstügt und sei somit des Land­friedensbruchs schuldig.

Sehr eigenartig ist auch die verschiedene Pragis bei der Erhebung der Antlage. Unmittelbar nach dem Kapp- Putsch bildete sich in Essen der sogenannte Boll: zugsausschuß der Mehrheitsparteien im Einverständnis mit der Regierung( Severing) und übte unter anderem auch eine Zensur aus. Dieser Vollzugsausschuß forderte dann alle auf, den Ano: v.ungen des neugebildeten Bollzugsrates Folge zu leisten. Wenn ein Angeklagter erklärt, er habe sich daraufhin

Aufstand in Posen?

Nach verschiedenen Nachrichten sollen, wie die P. P. N. hören, in Posen Aufstände ausgebrochen sein, man spricht von einer Revolution. Bereits vor brei Tagen sind die polnischen Grenz poften zurüdgezogen worden, wie durch Beobachtungen in den Grenzorten Etsche und Tirschtiegel festgestellt werden fonnte. Deutsche Flüchtlinge, die der Arbeitsgemeinschaft in Mejerig überwiesen sind, berichten gleichfalls von Aufständen, ferner, daß das polnische Militär zur Niederschlagung dieser Auf stände nach Bojen zusammengezogen ist.

Keine Zurückziehung der alliierten Truppen aus dem Abstimmungsgebiet

Boulogne, 28. Juni( Savas ). Millerand und Lloyd George haben auf Grund eines Gutachtens des Marschalls Foch, die gestern von der Botschaftertonferenz ge troffene Entscheidung, die Zurüdziehung der britischen und italienis hen Truppen aus den Gebieten von Allenstein und Marien werder einzustellen, genehmigt.

Wie aus Aeußerungen Churchills im englischen Parlament hervorgeht, steht die von der Botschafterkonferenz getroffene Entscheidung im Zusammenhang mit den Ereignissen auf dem polnischen Kriegsschauplaze.

Das Ende eines Unfugs. Dr. Dorten ist am Mittwoch vor mittag unter sicherem Geleit wieder in Wiesbaden eingetroffen.

für berechtigt gehalten, Aufträge des Vollzugsrats auszu führen, so erklärt das Gericht, der Vollzugsausschuß sei ebenso ungefeßlich und strafbar wie der Vollzugsrat. Nun hat aber die Staatsanwaltschaft weder die Mitglieder des ersteren noch des letzteren unter Anflage gestellt. Im ersteren Falle würde die Regierung eingreifen müssen, da es sich um ihre Freunde und Beauftragte handelt, im zweiten fürchtet man die Wirkung auf die Arbeiterschaft. Damit enthüllt sich aber auch die ganze Unhaltbarkeit der Situation: 1. Man verur teilt Beauftragte des Bollzugsrats, ohne sich an diesen selbst oder gar an den sogenannten Vollzugsausschuß heranzu­wagen. 2. Nach der Praris der Gerichte müßten im rheinisch= westfälischen Industriegebiet mehrere hunderttausend, im Reich ein paar Millionen Menschen zu Gefängnis und Zucht haus verurteilt werden; Anhänger aller Parteien, von den Kommunisten bis zum Zentrum und den Demokraten.

Im Anschluß an die angeführten Tatsachen noch einige Gegenüberstellungen:

1. Die reaftionären Gutsbesitzer im Osten fönnen beliebig große Waffenlager auf ihren Gütern haben der Prole­tarier, bei dem man Waffen findet, wandert ins Zuchthaus. 2. Die Teilnahme am Kapp- Butsch bleibt straflos die Teilnahme an der zur Bekämpfung der Reaktion gebildeten Roten Armee foftet Zuchthaus oder lange Gefängnisstrafen. 3. Der Dank des freien deutschen Bolfsstaates für mon­der für archistische Offiziere besteht in Beförderungen sozialistische Proletarier, bie im Krieg schwer verletzt sind, in der Unterbringung im Gefängnis.

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4. Für Mörder von revolutionären Führern oder von Proletariern besteht kein Fluchtverdacht, d. h. Sie dürfen fliehen für Proletarier, die Kassen oder Bergwerfe be­wacht und beschützt haben, besteht Fluchtverdacht, d. h. sie igen monatelang in Untersuchungshaft.

5. Minister brauchen in der deutschen Republik ihr Wort nicht zu halten Broletarier, die sich auf Ministerver Sprechungen verlassen, erhalten im Gefängnis Zeit, über ihre Gutgläubigkeit und über den Wert eines deutschen Minister

wortes nachzudenken.

Das Resultat ist: Die Rechtspflege" in Deutschland hat eine unheimliche Aehnlichkeit mit der in Horthy­Ungarn. Soll es auch bei uns dazu kommen, daß das ins ternationale Gewerkschaftsbureau den Boykott über Deutsch­ land verhängen muß? Eines ist sicher: Der Wortbruch der Regierung und das freie Walten des weißen Schreckens und fühlt. Wenn die Saat einst shredlich aufgehen wird, dann der Klaffenjuftig säen eine furchtbare Saat der Erbit. terung im Proletariat, das sich verraten und verkauft mögen die Schuldigen sich nicht beflagen. Wir warnen die Regierung und das Parlament zum legten Male,