Ginzelpreis 20 Pfg. 3. Jahrgang

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Donnerstag, den 29. Juli 1920

Nummer 303

Abend- Ausgabe

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greiheit

Berliner Organ

ber Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Fortschritte der roten Armee Das Proletariat und die

Bor neuen Entscheidungen

Warschau , 29. Juli. Der polnische Rüdzug auf der ganzen Front dauert weiter an. Die Russen stehen gegenwärtig 15 Wert von Bialystot. Seit drei Tagen findet ein neuer großer enssischer An­turm auf die gesamte polnische Front nach vorbereitendem Trommelfeuer statt. Die Njemenlinie ist auf der ganzen Breite geworfen. Der polnische Gegenstoß bei Grodno ist westlich in feiner Flante gefaßt und bis etwa 20 Kilometer vor Bialystot zurüdgetrieben. Auch die Scharalinie ist von den Polen verlassen. Die Bolschewisten stehen bei Swislotsch und gehen auch in anderer Richtung vor. Nach einer weiteren Meldung befindet sich Augustowo jetzt in den Händen der Russen. Suwalti ist noch von den Litauern besetzt.

Der polnische Frontbericht

Warschau , 28. Jufi. Generalstabsbericht vom 28. Jufi: Am nördlichen Frontab schnitt besetzten unsere Abteilungen planmäßig die Linie Gra jewo Ossowiec Kamieniec- Litewsti- ko­brin. Das Zentrum der polnischen Truppen geht ohne stärkeren Drud des Feindes nach Abwehr örtlicher Angriffe des Gegners an der Kobriner Chaussee mit dem linken Flügel nach Westen zurüd, um die Verbindung mit den nördlichen Armeen nicht zu verlieren. Südlich der Stochod- Linie Ruhe. Am Styr und Sereth gruppieren sich unsere Truppen zur Angriffsattion um. Beim 3 bruca wurden alle feindlichen Angriffe abgewiesen. Weftlich von Dubno zersprengten wir die 45. Bolschewistische Infanteries division und die 14. Kavalleriedivision. Nördlich von Luz in der Gegend bei Sust(?) haben wir die 131. bolichemistische Bris gade geschlagen, wobei wir Kanonen, Wagen, viele Maschinens gewehre usw. erbeutet und viele Gefangene machten. Der Feind flüchtet in Unordnung, in der Gegend nördlich von Pinst beim Oginski- Kanal wurden vom Feind heftige Angriffe unternommen.

Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen Die oberste Leitung der Roten Armee hat durch ein Radiotele­

gramm das polnische Oberkommando verständigt, daß die Waffen stillstandsverhandlungen am 30. Juli beginnen sollen. Die pol­ Der Empfang der Radiodepesche des Sowjet- Oberkommandos vom 25. Juli wird bestätigt. Das polnische Oberkommando wird seine bevollmächtigten Unterhändler auf die Chaussee Brest- Litowst- Baranowitschi entsenden an die Stelle, an der die Front sich alsdann befindet. Gleichzeitig bemerken wir, daß der Termin des 30. in unserem Radiotelegramm vom 22. nicht an­gegeben wurde. Da das Oberkommando der polnischen Armee die Instruktionen der Sowjetarmee nicht tennt, bitten wir um Radio­telegramm über die Behandlung und das Verhalten unserer De­legierten. Trifft ein Radiotelegramm nicht ein, so werden unsere Unterhändler nach dem internationalen Völkerrecht und der Haager

nische Heeresleitung hat darauf erwidert:

Konvention handeln."

Englische Truppentransporte durch Bayern ?

TU. München, 29. Juli. Die München- Augsburger Abendzeitung" gibt gerüchtweise eine Meldung wieder, wonach gestern Nacht 4 Eisenbahnzüge mit 1000 Engländern durch Bayern in der Richtung nach Eger be­fördert worden seien, die als tschecho- slowakische Kriegsgefangene ausgegeben wurden. Die Züge führten Gepädwagen mit, in denen sich Waffen befanden. Das Blatt gibt die Nachricht mit allem Vorbehalt wieder.

Deutsche Weißgardisten gegen Rußland

Geheime Werbungen bei der Reichswehr Der Reichswehrminister hat an die Reichswehr einen Be­fehl ergehen lassen, der die geheimen Werbungen, die gegen­wärtig wieder sehr stark betrieben werden, untersagt. In dem Befehl heißt es:

,, Unter einem mehr oder weniger patriotischen Ded namen werden 3. 3t. in Deutschland von verschiedenen Organi­fationen militärische Werbungen betrieben, vor denen in der Deffentlichkeit nicht nachdrücklich genug gewarnt werden kann. Auf der einen Seite suchen gewissenlose Werber aktive und ent laffene Heeresangehörige zur Bekämpfung des Bolschewismus" geheimnisvollen Formationen zuzuführen, die von Ostpreußen , vom Baltenland, von Finnland aus gegen das bolichewistische Rußland zu Felbe ziehen sollen. Aehnliche Bestrebungen find scheinbar im Gange, um den jüdrussischen Gegenrevolutionären auf der Krim Freiwillige zuzuführen. Sier scheint Major a. D. Bischoff von Ungarn aus seine Hand im Spiel zu haben.

Auf der anderen Seite wird auch von bolschewistischen Kreisen Kanonenfutter für die Rote Armee gesucht.

Diese Art von Werbern operiert so, daß sie ihre Leute zunächst unter der Vortäuschung, es gelte den Kampf gegen den Bolsche­wismus, zu einem Sammelpunkt lockt, der möglichst weit von ihrem Heimatsorte entfernt ist. Wenn den Getäuschten dann die Mittel für die Heimfahrt fehlen, wird ihnen eröffnet, sie müßten in die

Diesem Borbehalt müssen wir uns zwar anschließen, aber wir möchten doch die Eisenbahner zu größter Aufmertsamteit aufrufen. Das erscheint uns umso notwendiger, als eine andere Meldung von polnischer Seite behauptet, es hätten Beratungen zwischen den Weststaaten über die Hilfe für Polen stattge= funden. Man treffe Vorbereitungen, um gerüstet zu sein für den Fall, daß kein Waffenstillstand zustande tomme. Klingt alles das auch höchst zweifelhaft, so ist es doch nötig, auf alles gefaßt zu sein.

Notenwechsel mit Sowjet- Rußland

SN. London, 28. Juli,

Bonar Law erklärte im Unterhaus, man habe sich in Bou­ logne dazu entschlossen, eine Antwort auf die jüngste Sowjetnote zu schiden. Die Antwortnote sei bereits fertig, es wurde aber vers einbart, fie nicht abzuschiden oder zu veröffentlichen, ehe die italienische Regierung den Inhalt genehmigt habe. Diese Genehmigung wird heute erwartet.

Rußland und England

Die russische Handelskommission unterwegs

London , 28. Juli.

Reuter erfährt, daß die Handelsfommission Sowjet= rußlands am 26. Juli Moskau verlassen hat, um sich nach Renal zu begeben. Sie soll in Stodholm mit Rzassin zu sammentreffen.

Churchill gegen Englands Polenpolitik

HN. London , 29. Juli.

Jn Evening News" veröffentlicht Churchill einen Ar­titel gegen die Polenpolitit Großbritanniens . Ein wirklicher Frieden mit den Bolschewisten sei unmöglich, da der Bolsche­mismus die Weltrevolution als einziges Ziel habe. Er würde Polen entweder militärisch überschwemmen oder es durch seine

kommunistische Propaganda untergraben. In beiden Fällen würde Deutschland vor die Wahl gestellt, entweder seine Kultur in diesem allgemeinen Bolschewismus untergehen zu sehen oder mit seinen besten Kräften einen Damm gegen die rote Hochflut aufzus werfen. Wenn Deutschland das letztere erfolgreich tue, würde es der ganzen Welt einen großen Dienst erweisen und seine eigene Bußfertigkeit zeigen. Dadurch würde Deutschland der Weg ge= öffnet sein, seinen alten großen Plaz in der Welt wieder einzunehmen und der Weg der Zusammenwirfung zwischen England, Frankreich und Deutschland erleichtert werden.

Die deutschen Arbeiter werden eine solche Politik des Wahnsinns zu verhüten wissen. Und Herr Churchill kann überzeugt sein, daß die englische Arbeiterklasse in diesem Punkte vollends eines Sinnes mit dem deutschen Prole­tariat ist.

Litauen und Sowjetrußland

Kopenhagen, 28. Juft.

Wie Berlingske Tibende" aus Kowno meldet, sind die litauischen Besagungstruppen nun aus Wilna hinter die festgesette Frontlinie zurüdgezogen worden. In Wilna verblieb nur die litauische Kommanoantur, um die litaui­sche Forderung nach litauischer Zivilverwaltung geltend zu machen. Der Durchzug von vier russischen Heeren durch Wilna hat vom 21. bis 25. Juli gedauert.

Rote Armee eintreten und mit ihr den Kapitalismus aller Völker betämpfen.

Alle diese Werbungen, für weiße, wie für rote Garden müssen auf das Schärffte bekämpft werden.

In diesem Befehl paart sich harmonisch Wahrheit und Dich­tung. Daß sich in Deutschland eine rote Armee" bildet, ist rein materiell unmöglich, was auch dem Reichswehrministe­rium, das doch immerhin einige Kenntnisse in militärischen Dingen besitzen dürfte, sehr gut bekannt ist. Die Bildung von weißen Garden hingegen ist eine Tatsache. Was der Reichswehrminister darüber berichtet, ist die logische Fort fegung der Baltitumpolitit, die im vorigen Herbst durchkreuzt wurde, aber noch viele rührige Anhänger in der deutschen Wehrmacht hat. Das Ziel ist: die russische Revolution im engsten Zusammenarbeiten mit den zaristischen Verschwörern niederzuwerfen, nach vollbrachtem Werf Kehrt zu machen, um mit russischer Hilfe in Deutschland die Monarchie aufzurichten. Der Sammelpunkt für alle diese Bestrebungen ist Ost­ preußen . Durch die Verhängung des Belagerungszu­Standes und die Ernennung des weißgardistischen Generals von Dassel zum obersten Befehlshaber, ist die Regierung den Plänen der Verschwörer sehr weit entgegengekommen. Das Verbot der Werbungen durch den Wehrminister wird also fruchtlos bleiben, wenn die Regierung nicht zu gleicher Zeit die weißgardistischen Generäle beseitigt und ihnen durch die Aufhebung des Belagerungszustandes die Möglichkeit zur Sammlung aller fonterrevolutionären Kräfte nimmt.

internationale Politik

In der Inauguraladresse von Karl Marg, die im Jahre 1864 als erste programmatische Kundgebung der damals ge­gründeten sozialistischen Internationale erschien, wird es als die Pflicht der arbeitenden Klassen bezeichnet, selber die Mysterien der internationalen Staatsfunft zu meistern, bie diplomatischen Streiche ihrer Regierungen zu überwachen, ihnen nötigenfalls mit aller ihnen zu Gebote stehenden Macht entgegenzuarbeiten und, wenn außerstande, den Streich zu verhindern, sich zu gleichzeitiger öffentlicher Anflage zu vers binden und die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts zu proflamieren, welche ebensowohl die Beziehungen ein­zelner regeln, als auch die obersten Gesetze des Verkehrs der Nationen sein sollten".

Der Kampf für eine solche auswärtige Politit, heißt es in der Adresse weiter, bildet einen Teil des allgemeinen Kampfes für die Emanzipation der arbeitenden Klassen. Dieser Parole ist das Proletariat Europas und Amerikas all die Jahrzehnte, die nach der Gründung der ersten Inter­nationale verstrichen sind, treu geblieben. Neben dem Kampf um die Hebung der Lebenslage der Arbeiter und um die Er­oberung der politischen Macht ist der Kampf gegen die aus­wärtige Politik der kapitalistischen Regierungen das leitende Prinzip der Arbeiter aller Länder gewesen. Aus Anklägern, die die Verbrechen des Imperialismus und Militarismus brandmarkten und die Schliche der Geheimdiplomatie auf­deckten, sind sie in dem halben Jahrhundert nach der Grüns bung der ersten Internationale zum stärksten und wichtigsten Faktor der auswärtigen Politif geworden.

Diese Entwicklung verfolgen die bürgerlichen Klassen und ihre Regierungen mit zunehmender Besorgnis und ihre Hauptanstrengungen sind schon seit Jahrzehnten darauf ge­richtet, den Prozeß der Eroberung der auswärtigen Politit durch das Proletariat aufzuhalten, um sich diese wichtigste Domäne ihrer Macht zu erhalten. Nur selten dringt in den bürgerlichen Kreisen die Erkenntnis durch, daß der inters nationale Kampf des Proletariats gegen die auswärtige Politik der bürgerlichen Regierungen nicht irgendwelchen engen Partei oder Klasseninteressen dient, sondern im In­teresse der gesamten gesellschaftlichen Ent. widlung liegt.

Die Ansätze zu einer solchen Erkenntnis finden wir in einem Artikel von Dr. Paul Nathan im Berliner Tageblatt", in dem an Hand einer Reihe marfanter Beispiele vom Proletariat als von einer neuen Großmacht" auf dem Ge biete der internationalen Politik gesprochen wird. Der Ver fasser sagt mit Recht, daß die Arbeiterklasse nun über Worte, über papierne Proteste und Demonstrationen, zu Taten ge­langt ist, die jedenfalls der erste reale Vorstoß sind ,,, neben der internationalen Politik der Kabinette bie inter­nationale Politit der Massen zur Geltung zu bringen; ein Traum der friedlichen Arbeitermassen, und fein böser Traum".

Als Beispiel einer solchen attiven Einmischung des Pros letariats in die auswärtige Politik führt Dr. Nathan den Boykott des Internationalen Gewerkschaftsbundes gegen Horthy- Ungarn an, der bereits zum Sturz des ungarischen Ministeriums geführt hat, und der hoffentlich mit einem vollen Siege der Arbeiterklasse enden wird. Dr. Nathan schreibt:

,, Eines ist nicht mehr zweifelhaft; dieser Krieg der internatio nalen Arbeitermassen ohne Flinten und ohne Kanonen und ohne Giftgase vermochte einen Staat an den Rand der politischen Katastrophe zu bringen. Die Welt nimmt diese Erscheinung hin, und die Zahl derer ist noch nicht sehr groß, die sich der vollen Tragweite dieses Vorganges bewußt sind."

Ganz recht. Nur wenige sind sich der vollen Tragweite dieses Vorganges bewußt, am wenigsten in den Reihen jener gesellschaftlichen Kreise, die Herrn Dr. Nathan nahe stehen. und ebensowenig haben diese Kreise bisher Verständnis dafür gezeigt, daß auch Deutschland seine internationale Stellung wesentlich verbessert hätte, wenn das Proletariat der äußeren und inneren Politik der deutschen Republik den Stempel seiner revolutionären Gesinnung hätte aufdrücken können.

Jetzt weist Dr. Nathan auf den starken Eindrud der Rede Hues auf der Konferenz in Spaa hin, und er lobt den Reichs­minister Simons, daß er diesem Vertreter der deutschen Berg­arbeiter mit gutem Vorbedacht die Tür in Spaa geöffnet" habe. Er verweist auch auf das Echo, das die Rede Hues bei den englischen Bergarbeitern gefunden hat, die jetzt er­flärt haben, daß sie es sich überlegen würden, ob ihr inter­nationales Solidaritätsgefühl ihnen gestatte, die Diftate von Spaa zu ratifizieren. Glaubt Herr Dr. Nathan nicht, daß dieses Echo weit stärker gewesen wäre, wenn man den Vertretern der Arbeiter nicht bloß ,, mit Vorbedacht die Tür in Spaa geöffnet hätte", sondern wenn die Delegierten der deutschen Arbeiterflasse als souveräne Vertreter Deutschlands zu den Regierungen der westlichen Siegerstaaten, und über ihre Köpfe hinweg zu den Arbeitern dieser Staaten hätten sprechen können?