Nr. 306
Die Aera Daszynski
Die fommunistische Arbeiterpartei Polens wendet sich mit einem Aufruf an die Arbeiter aller Länder, in dem fie, nach einer Schilderung der durch das verbreche tische Kriegsabenteuer heraufbeschworenen Lage, folgende erhütternde Darstellung der Schredensherrschaft in Polen gibt: Bolen steht vor einer bourgeoisien Militärdit tatur, vor dem weißen Terror.
Die sozialistische Partei Polens ( P. P. S.), die Partei Das 19nstis und Liebermann, hat sich als unfähig erwiesen, in der gegenwärtigen Arise irgendeine Rolle zu spielen. Die Serren Dasnstis und Konsorten haben für die Kriegstrebite ge timmt, die Aushebungen der Rekruten bewilligt und nach der Cinnahme von Kiew Pilsudski , den siegreichen Selden", be jubelt.
Die„ fozialistische" Presse heult im Chor mit der Realtion gegen die Sowjets und ruft das Proletariat zu den Waffen für die Berteidigung des Baterlandes", das durch niemand bedroht ist. Die B. B. S. richtet gleichzeitig einen Aufruf„ an alle sozialistihen und Arbeiterorganisationen der Welt", in welchem sie ihre unqualifizierbare Saltung durch eine Reihe der frechten Lügen zu rechtfertigen sucht und Sowjetrußland mit aus den Kloaten der bourgeoisien Bresse geschöpften Verleumdungen überhäuft.
Der Belagerungszustand ist über das ganze Land verhängt. Die legale Arbeiterpresse, selbst die rein gewerkschaftliche, ist, soweit sie nicht die Schuhmarte P. B. S. trägt, eingestellt. Die Truppen sowie Gendarmerieabteilungen dringen in die Arbeiterheime ein, zerstören die Einrichtung und verhaften Gewerkschaftsfunktionäre. An manchen Orten, wie zum Beispiel in den Fabriken zu Starachowici, haben die Arbeiter die Provotationen der Soldatesta mit dem Generalstreif beantwortet und die verhafteten Genossen mit Brachialgewalt wieder befreit.
Alle diejenigen, die in den Gewerkschaftsversammlungen ihre Stimme gegen die radaupatriotischen Borschläge der P. P. S.Anhänger zu erheben wagen, werden entweder beim Verlassen ber Bersammlung oder einige Stunden später durch die Agenten der Inneren Berteidigung"( Militärgendarmerie) unfehlbar_ver= haftet und verschwinden in den verpesteten Gefängnissen der Bourgeoifierepublif. Die Gefangenen werden unablässig beschimpft, geschlagen und oft der Tortur unterworfen.
und
Seit der Bildung der Freiwilligenarmee" ist die Straße der Serrschaft der jungen aus Bourgeois, Schülern Studenten bestehenden bewaffneten Banden unterworfen, die fich, mit zusammen bem aller Abschaum Ge= sellschaftsschichten Bürgerkrieg zum riften. Die pa= triotische Begeisterung wird den Passanten mittelst der Bajonette beigebracht. Es genügt, vor einem der Schmugplafate gegen die Sowjets, die auf Schritt und Tritt die Mauern bebeden, teine Gauvinistische Gefühle zu bezeigen und man wird als„ Bolschiwit" behandelt.
Gerüchtweise verlautet, baß balb französische Kolonialtruppen eintreffen sollen, um die polnische Armee zu verstärten. Diese schwarzen Truppen würden zweifelsohne bazu verwendet werden, die Arbeiterbevölkerung Bolens im Zaume zu halten. Es ist an den franzöfifchen Genossen, wirksame ma regeln zu ergreifen, damit diese verachtungswürdige Schmach nicht zur Wirtlichkeit werde.
Man hat in der legten Zeit begonnen, Sunderte von fommuniftischen Gefangenen aus den überfüllten Gefängnissen und Festungen an unbekannte Orte zu schaffen. Den Berwandten der Snhaftierten wird febe Austunft über ihren neuen Aufenthalt verweigert. Es scheint, daß ein Teil der Gefangenen in jene Kon entrationslager gebracht wird, wo die Gefangenen der Roten Armee schmachten. Das Typhusfieber richtet bort folche Ber heerungen an, daß der Aufenthalt an diesen verseuchten Orten einem Tobesurteil gleichkommt. Ueberdies erklären die Genbarmen und die Militärs offen, daß beim ersten Anzeichen einer Revolution alle in ihre Gewalt befindlichen Kommunisten unverzüglich erschossen würden.
Das außer das Gesek gestellte polnische Proletariat, bas aller legalen Mittel der Attion beraubt ist, hat von der koalierten Reaktion einen furchtbaren Schlag zu gewärtigen.
Der Aufruf der polnischen Kommunisten appelliert an die Solidarität der Arbeiter der ganzen Welt. Er betont mit Recht, daß die Arbeiter nicht warten dürfen, bis sich in Polen bie namenlose Barbarei der ungarischen Reaktion wiederholt. Die sozialistischen Parteien aller Länder sind eine Macht, die dieses Unheil vom polnischen Proletariat abzuwenden vermag. Der Wille dazu muß überall gewedt werden. Ueberall müssen die Arbeiter ihre Stimme dagegen erheben, daß Polen sich in ein zweites Sorthy Ungarn verwandelt, und daß unter der Regierung des Sozialdemofraten Daszynski der weiße Terror seinen Schatten über Polen wirft.
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Die schwere Stunde
Roman
UDR
Victor Panin
Den 11. Oktober.
Seute ging ich ziemlich spät aus dem Hause. Ich ging ganz ohne Ziel, ich wollte nur Bewegung machen, um mich zu erwärmen. So unfreundlich, so ungemütlich ist es in unserer ungeheizten Wohnung.
Auf der Straße, vor dem Tore, sehe ich vor mir langsam eine junge Frau gehen, die kaum die Füße bewegt. So geht nant, wenn man jemanden erwartet, und langsam, schrittIch sehe nur den Rüden der Frau; ihre magere, schmale, hlante Erscheinung fommt mir etwas befannt vor. Es erbacht in mir eine unverständliche Erregung, ja sogar Furcht. Einen Augenblic schwirrt mir der faum faßbare Gedanke Durch den Kopf: Wäre es nicht besser, umzukehren, einen nderen Weg einzuschlagen? Willenios schreite ich vorwärts. Die Erregung, die mich erfaßt hat, erwedt Neugierde, ich vill sehen, wer es ist?
Wahrscheinlich infolge des Geräusches meiner Schritte zuammenzudend, wendet die Frau sich um und erbleicht, wie mir scheint, bei meinem Anblid, öffnet taum merklich ihre Hände, als suchte sie Halt in der Luft; sodann zur Wand des Hauses zurüdtretend, lehnt sie sich mit dem Rücken daran. Ihr Kopf ist tief gejenft, mit beiden Händen flammert sie fich fest an die Wand, ihr Oberkörper ist leicht gebeugt. Das ist alles, fagt mir nicht einmal ,, Guten Tag". Ich trete näher, versuche aber, sie nicht anzusehen; es geht in mir ein Kampf vor sich, ob ich den Hut ziehen und grüßen
soll oder nicht.
Bevor ich noch Zeit hatte, diese Frage zu lösen, gehe ich vorüber und merke, daß ich die Schritte beschleunige, als verfolge mich jemand, als fürchte ich, sie werde sich von der Wand losreißen, mir nachlaufen, mich bei der Hand fassen unb... und. ich weiß nicht, was sie mir dann tun fann. Bor starter Eregung zittern meine Sände, ich fühle, wie meine Lippen von Zeit zu Zeit zuden, als wollte ich weinen.
Beilage zur„ Freiheit"
Gewerkschaftliches
Reichstarif im Bankgewerbe
Der Schlichtungsausschuß, der im Reichsarbeitsministerium unter dem Borsiz von Ministerialrat Sigler zusammengetreten war, hat Bantgewerbe fertiggestellt: nach längeren Berhandlungen Grundzüge für einen Reichstarif im
Für die Gehaltstlassen werden zunächst drei Gruppen gebildet, nämlich Bantgehilfen( 1), Bantangestellte mit banttechnischer oder faufmännisch gleichwertiger Vorbildung für einfachere Arbeiten( 2), Bantangestellte mit der gleichen Vorbildung für höhere Arbeiten als in Gruppe 2( 3). Selbständige Bantangestellte in leitender Stellung, denen der Anschluß an den Tarifvertrag freigestellt ist, erhalten, wenn sie davon Gebrauch machen, zu den Gehaltssätzen Der Gruppe 3 einen Zuschlag von mindestens 10 v. 5.
Die Staffelung der Einkommen geschieht für einen Zeitraum von zwanzig Berufsjahren; hierbei sollen die in anderen laufmännischen Berufen verbrachten Jahre, soweit sie nach dem volendeten zwanzigsten Lebensjahr liegen und nicht zur Lehrzeit ge hören, mindestens mit der Säffte angerechnet werden. Das MinSestjahreseinkommen soll im ersten Berufsjahr in Gruppe 1 9120 Mart, in Gruppe 2 und 3 10 020 M. betragen. Es steigt im zehnten Berufsjahr auf 11 820 M. in Gruppe 1, auf 13 740 02. in Gruppe 2, auf 14 240 M. in Gruppe 3, und erzeicht im zwanzigsten Berufsjahr die Beträge von 13 800 M. in Gruppe 1, von 16 500 0. in Gruppe 2, und von 18 000. in Gruppe 3. Hierzu sollen für verheiratete, verwitwete oder geschiedene männliche Angestellte und Arbeiter mit eigenem Hausstand jahrlich 1800. als Haushaltungszulage treten; ferner ist für jedes Kind bis zum vollendeten 18. Lebensjahr eine Beihilfe vorgesehen, die bis zum Alter von sechs Jahren 720 M., vom fiebenten bis zwölften Jahre 900 M., und bei älteren Kindern 1080 m. jährlich beträgt.
In besetzten Gebieten soll eine besondere Besatzungszulage unter denselben Borausjekungen und in gleicher Höhe in Kraft treten, wie fi: jeweils das Reich Jeinen ledigen Beamten gewährt."
Nach vorliegenden Mitteilungen sind die Bantbeamten mit dem Edhiedssprudh feineswegs zufrieden. Besondere Mißstimmung er regt die Staffelung der Einkommen und die„ Regelung der Ueberstundenfrage.
Die Organisationen der Bankbeamten werden unter diesen Umständen wohl schwerlich den Reichstarif in der vorliegenden Fassung akzeptieren.
Schiedsspruch in der Binnenschiffahrt Am 28. Juli wurde nach fünfftündigen Berhandlungen folgender Schiedsspruch gefällt: Für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1920 find folgende Zuschläge zu den Lohnjähen des Tarifvertrages vom 1. April 1920 zu zahlen:
a) für sämtliche Berufsgruppen( ausschließlich der Schiffsjungen)
b) für Schiffsjungen im ersten Jahre
99
"
99
zweiten» britten
22,50 M.
15, M.
17,50 M. 22,50 M.
Das Schiedsgericht empfiehlt bei fünftigen Tarifverhandlun gen die Frage der Gewährung einer Sommerlohnzulage für das Maschinenpersonal zu regeln.
Ueber die Annahme oder Ablehnung sollten die Parteien sich bis zum 5. Auguft erklären.
Generalversammlung der Schuhmacher
Der in der gestrigen Generalversammlung von Gen. Rodmann erstattete Geschäftsbericht, zeigte, daß die Krise mit ganzer Last auch auf die Schuhmacher Berlins drüdt. In den industriellen Betrieben ist die Arbeitszeit, trok vieler Entassung auf 24 Stunden wöchentlich verkürzt. In den Handwerksbetrieben sind Entlassun gen, Lohnreduktionen und Lohnbrüdereien eine ständige Erschei nung geworden. Der Tarif wird durchbrochen, indem Arbeiter vor Antritt der Ferien entlassen werden. Betriebsräte werden gemaßregelt. Die Beschwerden beim Schlichtungsausschuß, Demo bilmachungskommissar und bei der Bezirkstariftommission bleiben erfolglos. Die Schiedsgerichte legalisieren die Unterbietung des gemäß zu leiden. Der Mitgliederstand ist um 600 auf 4182 zuTarifs. Die Organisation hat unter diesen Erscheinungen naturgemäß zu leiden. Der Mitgliederstand ist um 600 auf 4182 zu rüdgegangen. Davon find 750 Arbeitslos und 1300 arbeiten vertürzt. Die Ortsverwaltung hat sich darum an den Zentralvorstand mit dem Ersuchen gewendet, in eine Attion für eine probuttive Arbeitslosenfürsorge und Erhöhung der Bezüge einzutreten. Die beabsichtigte Erhöhung der Mitgliedsbeiträge mußte der schlechten Verhältnisse wegen, zurüdgestellt werden. In der Be triebsrätefrage find die Bertreter der Schuhmacher für die Einitagenden Betriebsräte der Afa, fich durch einzelne Personen, von der endlich zustandegekommenen Einheit der Arbeiterschaft abSprengen ließen. Am 8. und 9. August wird in Nürnberg die Be
Es dunfelt mir vor den Augen, ich gehe mit offenen Augen, aber ohne etwas zu sehen.
Lange irre ich in der Stadt umher, betrete bald die eine Straße, bald die andere, und versuche jeden Gedanken an biese Begegnung zu unterbrüden, aber es will mir nicht gelingen. Im Gegenteil, je mehr ich danach trachte, die Gebanken zu vertreiben, um so aufdringlicher fommen sie herangekrochen, umgeben mich von allen Seiten und folgen mir unablässig auf den Fersen nach...
Ich zähle an den Fingern ab, es sind sieben Jahre her, ja genau sieben Jahre, oder vielleicht ein wenig mehr. Frühling war es draußen, wo die Menschen wahnsinnig werden, wo sie vor Sehnsucht und Leidenschaft vergehen. weiß nicht, ob sie ihn deshalb für die schönste Jahreszeit Am meisten Unsinn begehen die Menschen im Frühling, ich halten. Vielleicht auch deshalb, weil die Sünde dann den Menschen besonders verführerisch schön vorkommt.
Ich size in meinem Kabinett, in verworren schweifende, irrende Träumereien vertieft. Es ist meine Lieblingsbeschäftigung, regungslos dazusitzen und die Augen halb geIchlossen, in einem halbschlummernden Zustand in Gedanken zu schweben.
Man flopft. Ich höre, reagiere aber nicht. Man flopff nochmals fester, energischer. „ Serein!"
„ Mein Serr, ein junges Mädchen wünscht Sie zu sprechen", berichtet unser Stubenmädchen, fich fofett zierend, sprechen“, berichtet unser Stubenmädchen, sich fofett zierend, und betont, wie mir scheint, besonders das Wort„ Mädchen". ,, Bitten Sie fic, einzutreten!"
Ich bin an solche Besuche gewöhnt. Es besuchen mich sehr oft Männer und Frauen, aber öfters Frauen. Die meisten fommen nur, um den berühmten Schriftsteller anzuglogen, machen mit cfelhaft füßliche Komplimente, die in mir einen bitteren Nachgefchmad, wie nach einer Mirtur, hinterlassen. Einige versuchen, fluge" Gespräche anzuknüpfen, und nicht wenige machen mir die allerunzweideutigsten Anträge, es muß ihnen besonders verlockend erscheinen, fich einem berühmten Schriftsteller hinzugeben. Und dies erscheint mir feines: wegs merkwürdig, mein Gewissen macht miz nicht die gerings sten Borwürfe, wenn ich einmal mit einer Frau mich vereinige, um sie dann auf immer zu verlassen.
Sonnabend, 31. Juli 1920
triebsrätefonferenz der Schuhmacher stattfinden. In der sehr auss gedehnten Diskussion zum Geschäftsbericht, spricht auch Genosse Vollmershaus zur Betriebsrätefrage. Nur dem Zwang der Ver hältnisse gehorchend, stimmen wir der sogenannten Einigung zu. Die selbständige Betriebsräteorganisation ist der Keim zur Zer sprengung der Gewerkschaften. Wir haben damit zu rechnen, daß bie Betriebsräte die Gewerkschaften vor Dinge stellen, die ganz unabsehbar sind. Die Gewerkschaften sind berufen, die Träger der Produktion zu sein. Nicht nur in Interesse der Gewerkschaften, sondern im Interesse der ganzen Arbeiterschaft, haben wir so lange an unserem Standpunkt festgehalten.
Ein Antrag, eine einmalige Unterstügung aus der Lofaltasse von 10 Mart nach 6 Wochen Arbeitslosigkeit, und von 20 Mart nach 8 Wochen, zu gewähren, wurde der Ortsverwaltung überwiesen. Angenommen wurde ein Antrag, der den Zentralvorstand aufs fordert, den Austritt aus der Arbeitsgemeinschaft zu vollziehen. Ebenso die Anträge, eine Hilfskraft auf ein viertel Jahr einzu ftellen; der Druckerei Freiheit" 5000 Mart Drudtoften- Borschuß auszuzahlen, sowie 500 Mart zum Aufbau des Gewerkschaftshauses in Leipzig zu bewilligen.
Der Kassenbericht des Genossen Böhler murde zur Kenntnis ges nommen und dem Kassierer Entlastung erteilt.
Groß- Berlin
Bezirksorganisation 4 Potsdam
Die für Montag angesetzte Konferenz der Obmänner der einzelnen Distrittstommiffionen und der Mitglieder des Vers bandsaktionsrates vom Bezirk 4, Potsdam , findet erst am Dienstag, den 3. August, abends 7 Uhr, im Lotal von Mar Blume, Alt- Borhagen, Ede Neue Bahnhofstraße( Steinhausen- Stralau- Rummelsburg) statt.
Die Geschäftsleitung.
Wohltätigkeitsschwindel
Der Schwindel grassiert auch heute noch unter den vers schiedensten Firmen. Neuerdings war mit der Propaganda bauzentrale haben wir schon berichtet, wie sie für einige für das Deutschtum ein Geschäft zu machen. Von der AufPersonen in die Tasche gearbeitet hat. Im November hat fich eine Zentralstelle für soziale Boltsaufklärung aufgetan, die sich auch„ Abteilung für deutsche Propaganda in Ober schlesien , Ostpreußen und Schleswig- Holstein " nannte. An der Spize stand ein Oberleutnant a. D. Gert Hirschel, der in der Kaiserallee 30 in einem abgemieteten Zimmer ein Bureau unterhielt. Die Bossische Zeitung" veröffentlicht über dieses Unternehmen folgende Einzelheiten:
Die Zentralftelle" schickte Werber von Haus zu Haus, und ihre pathetischen Aufrufe begannen:„ Niemals, niemals darf Ober schlesien .." Dieses Unertnehmen war vollkommen überflüssig. benn alle für das Grenz- und Auslandsdeutschtum in Betracht tommenden Vereine waren schon damals in dem„ Deutschen Schutzbund für das Grenz- und Auslandsdeutschtum"( Schloß Bellevue ) vereinigt.
Jm Ehrenausschuß der Zentralstelle" des Herrn Hirschel saß General von Behm, der eine monatliche Aufwandsentschädigung von 1000 Mart erhielt. Jm März d. J. verzog plöglich das Bureau der Zentralstelle aus der Kaiserallee, und die Wohnung des Oberleutnants Sirschel, der an leitender Stelle auch dent ,, Bund für den Wiederaufbau Deutschlands " angehörte, blieb zunächst unauffindbar. Jm April entstand dann plöglich die Bereinigung zur Erhaltung des Deutschtums in den national gefährdeten Gebieten", die in der Mommsenstraße 48 ihr Bureau aufschlug. Bei der jetzigen Wohnungsnot nimmt es wunder, daß diese Unternehmen immer wieder Räume finden. In der Mommsenstraße 48 hatte eine persönliche Empfehlung des Genetals von Behm für Oberleutnant Hirschel ein Zimmer freigemacht. Die Werber der Vereinigung", die ebenso überflüffig war wie die 3entralstelle", erhielten 12 v. H. Provision, die Borstandsmitglieder je 7. v. 5. der Einnahmen.
Fast zur gleichen Zeit trat ein neues Unternehmen in Erscheinung das„ Silfswert für unsere unterernährten Kinder", bem General von Behm als Leiter vorstand; in persön lichen Briefen wandte er sich um Spenden an wohlhabende Bersönlichkeiten, später wurden diesen Briefen auch gedrucic Werbeaufrufe beigelegt, die in bewegten Worten die Gefährdung unferes Nachwuchses schilderten und von einer Reihe der bekann testen Persönlichkeiten unterzeichnet waren. Obgleich dem Gene cal von Behm die Sammeltätigteit verboten wurde, setzte ec ft: fort; es wurden Werber in der Mehrzahl stellungslose Offiziere angestellt, die sich schriftlich verpflichten mußten. über ihre Tätigkeit strengstes Stillschweigen zu bewahren unh Aufrufe, Drucksachen usw. feinesfalls in die Hände dritter gelangen
Schon damals fragte ich mich oft, weshalb ich denn eigen! lich alle diese leeren, niederträchtigen Weiber empfing? Auf die Vorwürfe meiner Frau antwortete ich einst, daß id) Menschen brauchte, um sie als Typen zu studieren. Im Innern wußte ich aber ganz genau, daß ich lüge, daß mir einfach diese leeren, inhaltlosen Komplimente, diese Anbetung, die sie mir darbrachten, angenehm waren, besonders aber diese verderbte Neugier.
Jetzt denke ich: es wird wohl eine von diesen sein! Das Stubenmädchen öffnet die Türe und läßt ein noch ganz junges Mädchen von sechzehn bis siebzehn Jahren eintreten. Sie nidt mir mit dem Kopfe zu und sagt mit einer mertwürdig fräntlichen Stimme:
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, Guten Tag!"
Sodann macht sie einige Schritte und sucht nach einem Bla für ihren Schirm, the Taschchen, ihre Handschuhe. Sie blidt auf das Fensterbrett, auf den Stuhl, legt ihre Sachen auf den letzteren, tut es aber so langsam und legt die Sachen: immer wieder um, als wäre dies das Hauptziel ihres Lebens, als wäre sie allein hier im Zimmer, als existiere id) für sie überhaupt nicht.
Gewöhnlich erscheinen meine Verehrerinnen in dichte Schleier gehüllt und erblassen gefünftelt, zuten bei jeden: Paut geziert zusammen und brüden oft die Hand aufs Herz.
,, Ach, wenn Sie gewußt hätten, was es mich gekostet hat, diesen Schritt zu unternehmen," wiederholen fie möglich häufig, die Augen rollend und affettiert nach Atem ringend.
Hier gab es feinen Schleier, gar nichts. Langsam nimmt sie ihren einfachen Strohhut ab und legt ihn auf den Stuhl neben die Handschuhe; dann nimmt sie die Handschuhe, die unter den Hut zu liegen tamen und legt sie darauf.
Ich blide auf ihr fleines, volles, jungfräuliches Geficht mit dem nicht großen Munde und der furzen, aber hübsch geform= ten Stuznaje. An beiden Mundwinkeln ziehen sich von den vollen Wangen zum Rinn faum bemerkbare Schatten, die dem Gesicht einen besonders traurigen Zug verleihen.
ich,
-Das ist eine gewöhnliche rusische Schönheit,- denke eine Schönheit fann die russische Frau eigentlich nicht genannt werden, aber immer trägt sie auf ihrem Gesicht den Stempel einer inneren Betrübnis.
( Fortsetzung folgt.)