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3. Jahrgang

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Mittwoch, den 11. August 1920

Nummer 325

Abend- Ausgabe

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greiheis

Berliner Organ

Der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Auf dem Wege zum Frieden

Die russischen Friedens­

bedingungen

Am Schluß der Debatte im Unterhause teilte Lloyd George mit, daß ihm nach Beendigung seiner Rede ein Dokument Kamenews zugestellt worden sei, welches die Friedens bedingungen Sowjetrnglands an Bolen enthalte. Lloyd George verlas mit Zustimmung Kamenews die Bedingun gen, welche folgendermaßen lauten:

1. Herabjegung des polnischen Heeres auf 50 000 Mann, 2. Aufhebung der polnischen Kriegsindustrie,

3. die Grenzen Polens werden so laufen, wie der Oberste Rat fie festgestellt hat, doch werden einige Verbesserungen bei Bialystok und Cholm gefordert,

4. ein freier Handelsweg für die Bolschewisten nach der Ostsee über Bialystok und Grajewo bis nach Ostpreußen .

Die russischen Friedensbedingungen, wie sie Lloyd George mitgeteilt hat, weisen den Weg, der endlich zum Frieden im Often führen kann. Die Bedingungen zeigen das aufrichtige Bestreben Sowjetrußlands, zu einer Verständigung mit Polen und der Entente zu gelangen. Die beiden ersten Punkte entsprechen der Notwendigkeit, sich vor weiteren Ueberfällen und Rüstungen Polens und der hinter ihm stehenden Mächte zu sichern. Der dritte Punkt bedeutet die Annahme der vom Obersten Rat festgelegten ethnographi­fchen Grenzen Polens , anscheinend mit Korrekturen zugunsten Litauens und der Ukraine . Von Bedeutung ist der vierte Punkt der einen freien Handelsweg Rußlands nach der Ostsee for dert. Dieser Weg würde zwischen Polen und Litauen nach Ostpreußen führen und die Ostsee bei Königsberg erreichen. Damit wäre auch der direkte Handelsverkehr zwischen Ruß land und Deutschland einigermaßen gesichert.

Die Bereitschaft der englischen Arbeiter

Amsterdam , 11. Auguft. Bevor Lloyd George ich zum Parlament begab, empfing er zusammen mit Bonar Law und dem Arbeits­minister MacNamara eine Anzahl Deputationen von Arbeiterführern darunter den Präsidenten des Bergarbeiterverbandes Smillie, den Leiter der parlamen­tarischen Arbeiterpartei Adamson, ferner O'Grady, Oberst Wedgewood und andere. Die Abordnungen machten Lloyd George von den vorgestern angenommenen, gegen einen Krieg mit Rußland gerichteten Protest­entschließungen Mitteilung, in denen mit einem Gene ralstreit als äußerstem Mittel gedroht wird. Nach Mit­teilung eines Mitgliedes der Abordnung wurde die Be­sprechung auf beiden Seiten in freundlicher und offenherziger Weise geführt. Lloyd George ersuchte die Deputation, seine Erklärung im Parlament abzuwarten. Er sagte, der Vertrag von Versailles , durch den die Unabhängigkeit Polens ge­schaffen worden sei, müsse um jeden Preis aufrechterhalten werden. Inzwischen dauern die Kundgebungen der englischen Gewerkschaften gegen neuen Krieg an, u. a. haben 170 000 3immerleute und Tischler in Manchester erklärt, sie würden sich weigern, Kriegsmaterial, wie z. B. Flugzeuge, herzustellen. Der Dons arbeiterbund fandte an Lloyd George einen Protest gegen einen Krieg mit Sowjetrußland mit der Begründung, daß Polen den Angriff begonnen habe.

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Die Erklärung Lloyd Georges

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London, 10. August. Lloyd George sagte heute im Unterhaus in Anwesenheit von Kamenew und Krassin , die in einer Loge der Sitzung beiwohnten, er wolle eine Erklärung über die ernste Lage in Mitteleuropa abgeben. Er habe versprochen, bevor er sich zu irgendeiner Handlung verpflichte, dem Unterhaus davon Kennt nis zu geben. Er habe noch Hoffnung, daß der Friede aufrecht­erhalten werden könne. Die Session werde Ende der Woche geschlossen, deshalb müßten gewisse Maßregeln gefordert werden, die man unter bestimmten Umständen ergreifen werde. bedauere, daß die polnische Offensive trotz der Warnung Frank­ reichs und Englands aufgenommen worden sei. Eine schwierige Lage würde entstehen, wenn die Bolschewisten auf Bedingungen be­stehen würden, die die Unabhängigteit Bolens als freie Nation nicht gewährleisteten. Der Völkerbund fönne nicht gleichgültig bleiben, wenn eines seiner Mitglieder durch eine militaristische und agressive Regierung, wie die der Sowjets, in seiner Existenz bedroht sei. Die Lage sei ernst, deshalb müsse man jedes Wort abwägen, das man gebrauche. Es sei unvereinbar mit dem moralischen Recht, daß irgendeine Macht die Bernichtung einer anderen Macht als Strafe für einen Angriff ihrer Regierung verlange. Man müsse Rücksicht nehmen auf Europa . Die Un abhängigkeit Polens und seine Existenz als unabhängige Nation

bilbeten einen wesentlichen Teil des Friedensgebäudes Europas , und feine der Nationen, die an der Aufrechterhaltung des euro­ päischen Friedens interessiert sei, tönne sein Verschwinden gleich­giltig lassen. Eine neue Aufteilung Bolens sei nicht nur ein Verbrechen, sie bedeute auch eine Gefahr. Das müsse man als Deshalb habe man Grundlage der englischen Politit festhalten. auch in Spaa eingegriffen. Lloyd George spricht alsdann von dem den polnischen Vertretern in Spaa gegebenen Versprechen und von den Ereignissen, die zur Ablehnung der vorgeschlagenen Waffenruhe geführt hätten. Das Ziel der in Hythe festgelegten Politit der Alliierten sei, den Frieden, gegründet auf der Unab­hängigkeit des ethnographischen Bolens, sicherzustellen. Ein anderes Ziel habe sie nicht. Das sei der einzige 3weck der polnischen Verhandlungen gewesen. Am Montag hätte die Waffenruhe ein­treten sollen. Am Mittwoch hätten die Polen über den Frieden verhandeln wollen. Man wolle doch England wegen dieser Differenz von Montag bis zum Mittwoch nicht in einen Konflikt verwideln. Werde in Minst ein Ergebnis erzielt, dann wolle man nicht eingreifen, um irgendein für Polen annehmbares Ab­kommen umzustoßen.

Nach den Erklärungen Lloyd Georges über die polnische Frage bedauerte Asquith , daß der Völkerbund nichts getan habe, um den polnischen Angriff zu verhindern, und daß der Oberste Rat nicht interveniert habe. Clynes erflärte namens der Arbeiter­partei, diese werde ihre Haltung revidieren, wenn es sich zeigen sollte, daß Bolens Unabhängigkeit bedroht werde. Auch die Ar­beiterpartei ertenne die Notwendigkeit der polnischen Unabhängig­teit für den Weltfrieden an. Lord Robert Cecil sprach seine Befriedigung darüber aus, daß England unter feinen Umständen zu Kriegsmaßnahmen übergehen werde, falls es sich nicht um die Verteidigung der Unabhängigkeit Bolens handele.

Der Beginn der Berhandlungen

TU. Warschau, 11. August. Entgegen den umlaufenden Gerüchten gibt das Presseamt des Ministeriums des Aeußern unterm 10. August bekannt, daß bis zur Stunde noch keine Antwort aus Moskau auf das polnische

Radiotelegramm vom 5. d. M. eingegangen ist. Dagegen näher ten sich Montag den polnischen Vorposten bolshewistische Parlamentäre mit weißer Flagge und fragten an, warum bisher feine Delegation erschienen wäre, die zum Abschluß eines Waffenstilstandes und des Friedens be­vollmächtigt sei. Die bolichewitischen Parlamentäre betonten, daß angesichts der vielen Mißverständnisse, die durch die Funk­sprüche entstanden seien, die Mostaner Regierung diesen Weg der direkten Verständigung eingeschlagen habe. Daher hat die polnische Regierung troh des Fehlens einer offiziellen Antwort der Sowjetregierung beschlossen, eine Delegation zu ents senden, welche die Radiomißverständnisse flären und das Datum sowie den Ort der neuen Konferenz vereinbaren soll. Diese Delegation besteht aus dem Direktor im politischen Departe ment des Ministeriums des Aeußeren Ofencki und Major Stami­rowski. Die Delegation ist gestern abend zur Front an die Chauffee Siedlce - Brest - Litowst abgefahren.

Amerika und Bolen

Amsterdam, 11. Auguft.

In der gestrigen Unterhausfihung fragte Ben Tillet, wie sich Amerita zu der Frage der Ausübung eines wirtschaftlichen Drudes auf Rußland stelle. Lloyd George entgegnete, es werde ein Appell an Amerita gerichtet werden, das an der Schaffung des polnischen Staates mitbeteiligt gewesen sei. Bisher sei des polnischen Staates mitbeteiligt gewesen sei. Bisher sei feine materielle Hilfe an das Se er des Generals Wrangel auf der Krim geleistet worden.

Amsterdam , 11. August.

Nach Blättermeldungen aus Washington wird sich Amerita aller Maßnahmen widersetzen, die auf einen offenen Krieg der Alliierten gegen Rußland hinauslaufen. Man hält es für mög­lich, daß der Präsident für die Wiederaufnahme der interalliierten Blockade und die Gewährung wirtschaftlicher Hilfe an Polen ein­treten werde, glaubt aber nicht an den Erfolg einer solchen Blockade, da die Blockade tatsächlich bereits seit geraumer Zeit in Kraft ist, ohne daß die Haltung der Sowjetregierung dadurch im mindesten beeinflußt wurde

Gegen die Kriegstransporte!

Prag , 10. Auguft.

Pravo Libu" meldet: Der Zentralrat der tschechoslowakischen Gewerkschaftsvereinigung fordert die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Beamten in einem Aufrufe auf, eine Durchführ von Kriegsmaterial nach Polen , Ungarn oder Rumänien nicht zuzulassen, da es gegen Sowjetruhland

verwendet werden könnte.

Hungerstreit der Sinnfeiner. Ungefähr hundert Sinnfeiner, die in den letzten Wochen in das Gefängnis zu Belfast gebracht worden waren, find in den Hungerstreit getreten. In Elonalilty ( Cork ) wurden von Sinnfeinern zwei Soldaten erschossen.

Reine Illusionen!

Bon Rud. Breitscheid

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Der Außenpolitiker der Deutschnationalen Voltspartei, Professor Soetsch, beschäftigt sich in der Post" mit der Haltung, die die deutsche Arbeiterschaft zu der Frage des Truppen- und Waffentransportes durch Deutschland eins nimmt. Sie ist ihm sympathisch, denn er findet in ihr einen Beweis für die nationale Gesinnung des Proles tariats. Seine Auslassungen verdienen, wörtlich wieder. gegeben zu werden:

In Spaa traten in der Rede des Abgeordneten Hue die deuts schen Bergarbeiter auf den Plan der Politit, mit der Ueberwachung und Kontrolle fremder Militärtransporte in Deutschland tun jest die deutschen Eisenbahn- und Transportarbeiter das Gleiche in ihrem Interesse, aber sie handeln damit auch für Deutschland und für die Erhaltung der deutschen Reichseinheit. Die große außen politische Krise, in der wir stehen, die uns jeden Augenblick vor schwere Gefahren stellen kann, hätte ein Ende, wenn sie die miteinander Ringenden, wie Feinde sich ge= bärdenden Klassen unseres Voltes einander näher führte in der gemeinsamen Abwehr gegen die Gefahren von außen."

Wenn Herr Professor Hoeksch hier nicht aus taktischen Gründen seine wahre Meinung verbirgt, so gibt er sich, wie es uns scheinen will, einer starken Illusion hin, und wir müssen uns beeilen, ihn auf den Weg der Tatsachen zurück­zuführen. Es sieht so aus, als ob die Erinnerung an die Zeit vor sechs Jahren ihn zu dem Glauben verleitete, daß die deutschen Sozialisten sich einmal wieder schühend hinter eine tapitalistische Regierung stellten, daß der Burgfriedensgedanke eine fröhliche Urständ feiere. Einen solchen Bahn dürfen wir nicht in die Halme schießen lassen, und deshalb sei mit allem Nachdruck festgestellt, daß wir innerlich feinerlei Ge­meinschaft mit der Regierungspolitifhaben, und daß unser Verhalten zu allerletzt von der Erwägung dif­tiert ist, das Proletariat müsse in einer kritischen Lage wie der gegenwärtigen mit den Regierenden gemeinsame Sache machen und um der Einigkeit nach außen hin den Klassen­tampf aufgeben oder vertagen.

Gewiß hat das amtliche Deutschland seine Neutralität in dem polnisch- russischen Konflikt erklärt, und die Arbeiter wollen alles tun, was in ihren Kräften steht, um die praktische Durchführung dieser Neutralitätspolitik zu sichern und die drohende Unterstützung Polens durch das kapitalistische Frank­ reich abzuwehren. Aber nur ein oberflächlicher Beobachter fann aus dieser Uebereinstimmung auf eine Unterstützung der Regierung durch den Sozialismus schließen. Denn wenn wir hinter die amtlichen Stellen treten, so geschicht es nicht, um ihnen den Rücken zu beden, sondern höchstens um ihnen den Rücken zu steifen und sie bei der Stange zu halten. Wir machen nicht die Politik der Regierung, sondern die Regierung macht wenigstens nach dem äußeren Anschein unsere Politit. Den Standpunkt, den der Minister Simons jetzt ver­fündet, haben wir von jeher vertreten, indem wir die mili­tärische und moralische Unterstüßung antibolschewistischer Bes strebungen aufs Lebhafteste betämpft haben. Wir betonten die Völkerrechtswidrigkeit der Werbungen reaktionärer russi scher Generale auf deutschem Boden, wir opponierten gegen das baltische Abenteuer, wir hielten daran fest, daß Deutsch­ land mit Sowjetrußland in Frieden lebe, und forderten die Wiederanbahnung diplomatischer und wirtschaftlicher Be ziehungen.

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Wenn das gegenwärtige Kabinett sich unsere Anschauung zueigen macht, so gefällt uns diese Umkehr zur Vernunft, aber wir sind um so weiter davon entfernt, uns nun mit ihm solis darisch zu erklären, und mit ihm gemeinsam die nationale Flagge zu schwenfen, als wir von Beweggründen geleitet werden, die die Regierung und die bürgerlichen Parteien sicherlich nicht teilen. Wir sehen uns für die stritteste Innes haltung der Neutralität ein, weil das die Form ist, in der wir Sowjetrußland helfen fönnen. Uns leitet in erster Linie weder die Abneigung gegen Bolen, noch der Wunsch, die Ententestaaten zu schwächen, sondern die Absicht, die russische sozialistische Republik nicht zertrümmern zu lassen. Diese Linie würden wir verfolgen, auch wenn die Regierung eine ganz andere Richtung einschlüge. Sie ist uns nicht durch deutsch­nationale Rüdichten, sondern einzig und allein durch Rüd­sichten auf den internationalen Sozialismus und die Revo lution vorgeschrieben.

Wir sind nicht in die Geheimnisse der Regierung ein­geweiht und können daher nichts absolut sicheres über ihre Motive sagen. Auf alle Fälle aber find es nicht die unseren, sie tönnen es nicht sein, da sie naturnotwendig bürgerlich­tapitalistisch find. Die Verschiedenheit der Beweggründe hin dert unter Umständen nicht ein vorübergehendes praktisches Busammengehen. Aber sie zwingt uns, auf der Hut zu sein, damit wir nicht eines Tages wirklich an dem Punkte an­langen, auf den uns Herr Hoeksch und seine Freunde gern haben möchten. Die bürgerlichen Parteien stehen im Gegen­satz zu uns dem russischen Sozialismus nach wie vor in er­bittertster Feindschaft gegenüber. Sie haffen und fürchten ihn, und wenn sie im Augenblic nicht oftentativ gegen Ruß­ land Stellung nehmen und eine Neutralität verkünden, die ihm gewisse Vorteile bringt, so ändert das nichts an ihrer grundsätzlichen Auffassung. Ihnen scheint die Situation