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3. Jahrgang
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Mittwoch, den 18. August 1920
Nummer 336
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Morgen- Ausgabe
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Proteststreik in Oberschlesien
Straßenumzüge und blutige Kämpfe
WIB. meldet: Wie wir aus Breslau erfahren, herrscht in ganz Oberschlesien ein Protest streit gegen die Versuche einer Neutralitätsverlegung Oberschlesiens . Auch der telegraphische und telephonische Verkehr mit Oberschlesien ist unterbrochen und soll erst um 7 Uhr abends wieder aufgenommen werden.
3.2.8. melbet: Der angekündigte Demonstrations. treit ist heute in allen oberschlesischen Städten von 12 bis 7 Uhr nachmittags burchgeführt worden. Elektrizität, Wasser, Gas und Poft fegten aus. Der Personenverkehr blieb aufrechterhalten. Alle Geschäfte und Gasthäuser waren geschlossen. In den Nach mittagsstunden fanden überall die von den Gewerkschaften einberufenen Protestveriammlungen statt, in denen einheitlich eine Entschlichung gegen den Krieg und für bie Neutralität Oberschlesiens angenommen wurde, sowie folgende Forberung an die interalliferte Roms mission:
Rontrollfommiffion von Eisenbahnbeamten und arbeitern, welche im Benchmen mit der interalliierten Kommission jämt liche Transporte fontrolliert; vorherige Verständigung mit der interalliierten Rommission über alle noch zu erwartenden Truppentransporte und Truppenverschiebungen.
Im Anschluß an die Versammlungen fanden Massen. amzüge tatt. Sierbei ist es in Ratto wig und in Rybnit zu Zusammenstößen gekommen, über die uns folgende private Meldungen vorliegen:
In Rattowig fegte sich ans Ende des Demonstrationszuges französische Kavallerie. Die Menge griff sie an. Ein franzöfifcher Solbat blieb tot auf bem Blage. Die Franzosen eröffneten Maschinengewehr- und Sandgranaten feuer. Reun Tote, darunter zwei Sicherheitspolizisten, und 25 Berwundete blieben auf dem Play. Der Polenführer, Rechtss anwalt Dr. Milewski, der eine Handgranate aus dem Fenster warf, wurde aus der Wohnung geholt, erschlagen und in die Rawa geworfen. Die Sicherheitspolizei stellte den Dienst ein und gab die Waffen ab. Gegen 8 Uhr zeg die Menge zur Polizei, um sich der Waffen zu bemächtigen. Das französische Militär ist auf Grund von Verhandlungen mit Gewerkschaftsführern zurüdgezogen
ben
worden. In Rybnit brang ein polnischer Stoßtrupp in die Protestversammlung ein und sprengte sie. Auf einen Pfiff fielen Schüsse. Ein Toter und vier Verwundete blieben auf dem Play.
Verlegung der Neutralität?
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Ueber die Zustände in Oberschlesien erfahren wir ferner von zuverlässiger Seite, daß am 17. August, nachmittags, in Kattowig eine große Anzahl man spricht von etwa 2000- pol= nische Staatsangehörige militärpflichtigen AIters auf den Straßen, in ihren Wohnungen, in Gastwirtschaften und an sonstigen öffentlichen Orten von der Behörde aufge= griffen, festgenommen, zum Bahnhof transportiert und gezwungen wurden, sogleich einen Zug zu besteigen, der nach Polen bestimmt war. Man hat den Unglücklichen nicht einmal erlaubt, sich von ihren Angehörigen zu verabschieben oder in irgendeiner Weise ihre Angelegenheiten zu regeln. Da sich die standa Löse Aftion am hellen Tage und zum größten Teile auf offener Straße abspielte, ist es bei der Massenhaftigkeit der Ergreifung und Transporte gar nicht denkbar, daß die deutsche Behörde ohne Kenntnis und Duldung der französischen Bejazungsbehörde gehandelt hätte. Wenn aber diese oder eine interalliierte Behörde die Urheberin dieser Maßregel wäre, so tann sie sich aus dem gleichen Grunde nicht ohne Kenntnis und Duldung der deutschen Behörde vollzogen haben. In fedem Falle liegt also die Richtigkeit der Mitteilung, vorausgesetzt schwere und gefährliche Berlegung der deutschen schwere und gefährliche Verlegung der deutschen Neutralität por. Sei es, daß die deutsche Behörde selbst die Zutreiberin der polnischen Kriegsmacht war, fei es, daß sie den Franzosen oder den Alliierten, als den Helfern der polnischen
Militärmacht, Bütteldienste geleistet hat.
eine
Wir erwarten schleunige Aufklärung des Vorfalls
vom Ministerium des Innern, sowie vor allem vom Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, daß alle Schritte getan werden, die Neutralität der deutschen Republit zu sichern und die Beamten, die sie verlegt haben, mit aller Strenge zur Rechenschaft zu ziehen.
Eine Frage ist schließlich an die Arbeiterorganisatio= nen, insbesondere an die Transportarbeiter in Kattowiz zu rich= ten: Gegen Abend soll der Zug von Kattowiz nach Myslowih abgelassen worden sein. Haben die Transportarbeiter, haben die Arbeiter und Beamten der Eisenbahn wirklich nicht gemerkt, daß es sich um Leute militärpflichtigen Alters handelt, die mit 3wang und, wie doch anzunehmen ist, unter Waffengewalt, in den Zug geschleppt und darin festgehalten worden sind? Haben schlüssen der gewerkschaftlichen und politischen Organisationen und die Eisenbahner nicht die Pflicht gefühlt, entsprechend den Be nach dem Gebote der Menschlichkeit, zu verhindern, daß die Polen neues Kanonenfutter erhalten?
dingungen einlassen, welche die staatliche Unabhän
Deutschlands
Pflichten der Stunde
Der Ernst der Situation fommt immer brciteren Kreisent der Bevölkerung zum Bewußtsein. Wenn auch das Bürgers tum zum überwiegenden Teil in lethargiher Gleichgültig feit verbleibt, so macht sich in den arbeitenden Klassen eint immer lebhafteres politisches Interesse, ein immer stärker werdender Drang zur politischen Aktivität geltend. In den Versammlungen, in den Betrieben usw. werben die durch die zugespitzte äußere Lage aufgerollten Fragen disfutiert; in fieberhafter Spannung werden die Ereignisse auf dem polnisch- russischen Kriegsschauplage und die diplomatischen Verhandlungen zwischen den Mächten verfolgt, und mit tiefem Ernst werden die Aufgaben erwogen, die der Gang der Ereignisse vor das deutsche Proletariat gestellt hat.
Aus diesem Drang nach größerer politischer Aktivität ist es auch zu erklären, daß in einigen Berliner Betrieben die Frage aufgerollt worden ist, politische Arbeiterräte zu wählen, die sich an die Spitze der proletarischen Bewegung stellen sollen. Die erwähnte Parole geht von der Kommunis gestrigen Leitartikel mit aller Energie die Wahl politischer stischen Partei aus, deren Organ, die ,, Rote Fahne", in ihrem Arbeiterräte fördert. Wir müssen erklären, daß wir diese Parole im gegenwärtigen Augenblick als unz wed mäßig erachten und deshalb mit aller Entschiedenheit ablehnen. Diese Stellungnahme wird uns nicht nur durch unser Leip ziger Aktionsprogramm vorgeschrieben, das die Errichtung des politischen Rätesystems erst nach Eroberung der politischen Macht vorsieht. Sie ergibt sich auch aus den Erfahrun gen, die das deutsche Proletariat in den letzten anderthalb Jahren auf diesem Gebiete gemacht hat und vor allem aus den praktischen Notwendigkeiten, die von der gegenwärtigen Situation diftiert werden.
Worin besteht die Pflicht des deutschen Proletariats im gegenwärtigen Augenlosen Verwirklichung der Aufgaben, die sich aus der außens blid? In der Zusammenfassung aller Kräfte zur füdenpolitischen Situation ergeben. Nur wenn das Proletariat in seiner Gesamtheit sich dessen bewußt ist, daß seine Tats bereitschaft die wirksamte Garantie der deut schen Neutralität und der sicherste Schuh vor einer neuen friegerischen Katastrophe ist; nur wenn es von der Einsicht durchdrungen ist, daß nicht nur die Transportarbeiter, sondern die Arbeiter in allen sonst in Frage fommenden Betrieben den Schmuggel und die Schiebungen von Kriegsmaterial nach Polen verhindern müssen, -nur dann wird das deutsche Proletariat nicht nur seine revolutionäre Pflicht gegenüber Sowjetrußland, sondern auch seine Aufgaben zur Abwehr drohender gegenrevolutionärer Gefahren im Innern zu erfüllen imftande sein.
Nachleje aus der Rede Lloyd Georges gigfeit Bolens verlegen fönnten. In der Verteidigung stellung und Versendung von Kriegsmaterial nach Polen dul
SR. London, 17. August.
Ueber die Verhandlungen von Minst liegen bisher keinerlei Berichte in London vor. Die letzten Nachrichten meldeten lediglich die Abfahrt der Delegation von Warschau , die sich aus unbekannten Gründen bis zum Sonntag drei Uhr verzögerte.
Die Zeitungen ertlären sich mit dem Regierungsplan einverstanden, das Parlament jest nigt in Urlaub zu Iiden.„ Daily News" behaupten, es gebe feinerlei Fragen, über die die Regierung nicht innerhalb von 24 oder 48 Stunden bas Parlament und das Land befragen fönnte. Die Blätter berichten, daß nicht mizzudeutende Anzeichen vorlägen, aus denen hervorgehe, daß die Franzosen den Mißverständnissen bezüglich des englischen Berhaltens gegenüber Rußland gern ein Ende gemacht fehen wollten Wie Lloyd George im Unterhause feststellte, ist Großbritannien nicht von seiner Politit abgewichen und es scheint jekt fast fo, als ob die britische und die französische Politik als Ergebnis eines öffentlichen und freundschaftlichen Meinungsaus tausches durch ihre diplomatischen Vertreter in London und Paris wieder eine einheitliche sein wird. Es zeigt sich in beiden Ländern der starte Wunsch nach einer Berbek serung der Lage.
Die Verhandlungen in Minsk Die Entente als Sekundant Bolens TU. Aratau, 17. Auguft. Nach hiesigen Berichten hat gestern die erste Begegnung ber Waffenstilstandsdelegationen in Minst statigefunden. Nach gegenseitiger Prüfung der Vollmachten wurde von polnischer Seite sofort um die Bekanntgabe der russischen Vorschläge ersucht, welche mit einem eingehenden Bericht der Delegation durch einen Kurier schriftlich nach Warschau übermittelt wurden. Mit dem Eintreffen des Kuriers in Marschau wird erst für morgen( Mittwoch) gerechnet, sodaß vor Ende dieser Woche kaum eine Entscheidung in Minst möglich sein wird.
Inzwischen erfährt man, daß der englische Gesandte Rum= baldt den Minister des Aeußeren Sapieha im Namen der eng lischen Regierung eine Note überreicht hat, welche folgende Hauptpunkte enthäit:
Die painische Regierung darf während der Friedensverhandlungen mit Rußland fich in teine Diskussionen über Bes
der staatlichen Unabhängigkeit soll Bolen zum weiteren Ausharren bereit sein und mindestens 22 Divisionen fampfbereit halten. Die Ententeregierungen versprechen Polen Hilfe zur Lieferung von Munition und Waffen und Entsendung von Offizieren. Die Entente garantiert, daß Palen vom Westen nicht abgeschnürt werden wird. Der polnische Oberkommandeur darf teine anderen als militärischen Funktionen ausführen und muß den Ratschlägen der Entente Folge leisten. Die Weichsellinie darf nicht aufgegeben werden.
Ein neuer Brief Kamenews
HN. London , 17. August. Kamenew schrieb Lloyd George einen Brief, in dem er Auftlärung über die englische Saltung gegenüber General Wran gel verlangt und erklärt, durch die französische Anerkennung werde die Wrangelfrage jetzt eng mit der Frage des allgemeinen Friebens verknüpft. Er frage daher, ob England, das früher zugunsten Wrangels tätig gewesen sei, jetzt bereit wäre, weitere Schritte zu tun, die die Wiederaufnahme freundschaftlicher Beziehungen zu Rußland erleichtern tönnten. Lloyd George hat be= fanntlich im Unterhause mitgeteilt, daß die britische Mission, die sich bei General Wrangel befand, seit längerer Zeit zurüdberufen wurde und daß England für feine offensive Operation des General Wrangels auch nur die geringste Verantwortung übernehme.
Die rumänische Regierung antwortet auf die Note der russischen Regierung, die ein Friedensangebot enthielt. Sie erklärt, daß England den Vorschlag gemacht habe, daß alle Randstaaten gemeinsam mit Rußland über den Frieden in London verhandeln sollten. Sie beruft sich also auf den längst erledigten englischen Borschlag, der durch die russische Regierung abgelehnt ist. Sie tut so, als lei über das Schidfal dieses Borshlages nichts befannt und erklärt, daß auch sie zu diesen Verhandlungen eingeladen worden sei, sie habe zu den Verhandlungen ihre Zusage gegeben und fühle sich nunmehr England gegenüber gebunden.
Wie die Dinge augenblicklich liegen, fann feineswegs bes hauptet werden, daß das deutsche Proletariat diese wichtige Aufgabe durchgeführt hat. Es muß mit Bedauern festgestellt werden, daß noch immer breite Kreise der Arbeiterschaft, manchmal aus egoistischen Erwägungen, die Her den oder gar fördern. Es muß ausgesprochen werden, daß durch diese Gleichgültigkeit mancher Arbeitertreise die Hauptlast des Durchfuhrbontotts den Transportarbeitern, vor allem den Eisenbahnern, aufgebürdet wird und daß die Gefahr nicht gering ist, in eine ähnliche Lage wie bei dem Boykott Un garns zu geraten. Wenn die Arbeiterschaft jetzt nicht auf dem Posten ist, so fönnen, in ungleich schwierigerer Situation und mit weit schlimmeren Folgen, ähnliche Ergebnisse bei der Durchführung des jetzigen Bontotts gezeitigt werden.
Wir haben hier eine der Aufgaben genannt, die sich aus der jezigen Situation für die deutsche Arbeiterklasse ergibt. Es versteht sich von selbst, daß sie feineswegs den Kreis der Ausgaben erschöpft, die sich aus der gespannten außenpolitifchen Lage und ihren Nachwirkungen im Innern ergeben und die zudem jeden Tag durch neue Aufgaben ergänzt werden fönnen. Es ist unter diesen Umständen psychologisch begreiflich, wenn in den revolutionär gerichteten Kreisen der Arbeiterschaft das Streben sich bemerkbar macht, eine nam außen hin erkennbare organisatorische Spize zu schaffen, in beren Hände die Führung der gesamten Aktion des Proletariats gelegt werden soll.
Ueber die Notwendigkeit einer solchen organisatorischen Zusammenfassung besteht in unseren Kreisen feine Meinungsverschiedenheit. Wohl aber ist es angebracht, sich dagegen zu wenden, daß nicht die bestehenden Organi fationen: die politischen Parteien, die Gewerkschaften und die Betriebsräte zusammengefaßt, sondern daß in Gestalt neugewählter politischer Arbeiterräte eine neue Organi= ation geschaffen werden soll. Abgesehen von allen grund läglichen Einwendungen, die sich aus unserem Leipziger Aftionsprogramm ergeben, müssen wir die Wahl politischer Arbeiterräte im jezigen Augenblic als eine schädliche Organisationsspielerei bezeichnen, die nicht die Einheitlichkeit der Aftion, sondern nur die Zersplitterung und den inneren Streit der Arbeiterklasse fördern würde. Schon bei der Ansehung der Wahl politischer Arbeiterräte ist vorauszusetzen, daß beträchtliche Teile der Arbeiter und Ange stellten sich den Wahlen fernhalten und in den neugeschaffenen politischen Arbeiterräten nicht autoritative Vertreter des Proletariats erbliden werden. Was sich in der Praxis dare