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Dienstag, 14. September 1920

Nummer 382 Morgen- Ausgabe

Die achtgespaltene Nonpareillezelle oder deren Raum koftet 5,- m. einschließlich Teuerungszuschlag. Kleine Anzeigen; Das fettgedruckte Wort 2, M., jedes weitere Wort 1,50 M., einschließlich Teuerungszuschlag. Laufende Anzeigen laut Tarif. Familien Anzeigen und Stellen Gesuche 3,20 m. netto pro Beile. Stellen Gefuche in Wort- Anzeigen: das fettgedruckte Wort 1,50 m., jebes weitere Wort 1,- M. Sernsprecher: Bentrum 2030, 2645, 4516 4603, 4635, 4649, 4921.

greiheit

Berliner Organ

der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands

Streikkrise in England

Ausdehnung der Bewegung

London , 13. September.

Wie Reuter meldet, wird die Krise, die der englischen Indus strie droht, immer ernster. Neben dem Bergarbeiter streit und der Aussicht auf einen Solidaritätsstreit der Eisen­bahner und Transportarbeiter droht eine Krije in der Baumwollindustrie infolge von Lohndifferenzen. Es wird auch von einem Generalstreit gesprochen, der bereits Ende dieser Woche ausbrechen soll. Außerdem steht ein Streit der Elektrizitätsarbeiter von London bevor, die sich mit ihren Kameraden in Nordengland , die gegenwärtig ausgesperrt find, solidarisch erklären wollen. Weiter wird eine ähnliche Be wegung unter den Bostangestellten gemeldet.

Kamenew und Lloyd George

London, 13. September.

Die Blätter bringen Einzelheiten über die dreistündige Unterredung Kamenews mit Lloyd George vor Kamenews Abreise nach Rußland . Daily News schreibt: Die Unterredung zeichnete sich durch das Fehlen jener Cordia= lität aus, die die früheren Unterredungen zwischen dem ersten Minister und dem, Sowjetdelegierten tennzeichnete. Lloyd Ge­ orge beschuldigte Kamenew einer Reihe von Vertrauens brüchen und erklärte ihm, wenn er nicht selbst um seinen Paz gebeten hätte, so würde ihm dieser trotzdem ausgehändigt wor­den sein. Die politischen Verhandlungen würden nicht eher wie­der aufgenommen werden, bis die britische Regierung davon überzeugt sei, daß die Moskauer Regierung ihren Versuch, sich in die inneren Angelegenheiten Großbritanniens ein­zumischen, aufgegeben habe. Lloyd George brachte gegen Kame­ new 4 Anklagen vor, 1. daß er am Verkaufe der taiserlich­russischen Juwelen in England beteiligt sei, 2. daß er Verhand­lungen geführt habe, betreffend die Unterstützung des extremen sozialistischen Blattes Daily Herald" mit 75 000 Pfund Ster­ling, 3. daß er Beziehungen mit der britischen Arbeiterorganisation gehabt habe, die sich Council of Action" nennt, und 4. daß Rußland absichtlich die britische Regierung mit Bezug auf die Klaufel über die Bürgermiliz im Entwurf für den Waffen­stillstand mit Polen irregeführt habe. Kamenem stellte alle diese Antlagen fategorisch in Abrede. Krassin wurde aus­drücklich von den Anklagen, die gegen seinen Kollegen gerichtet

Eine Delegation der russischen Gewerkschaften

Die russische gewerkschaftliche Bewegung hat erst nach der Revo lution einen Aufschwung genommen; im Februar 1917 zählte

Rußland nur einige Gewerkschaften mit einer Gesamtmitgliederzahl

pon einigen Tausend Mann. In vier Monaten nach dem Ausbruch der Revolution erreichte die Zahl der organisierter Arbeiter 1500000,

im Januar 1918 2500000, am 1. Januar 1919 3200 000, im Juli

1920 5200000.

Durch die Blockade von den westeuropäischen Arbeitern abge­schnitten, konnten die russischen Gewerkschaften nicht in einen un­mittelbaren Kontakt mit den westeuropäischen Arbeitern treten. Erst jetzt, nachdem die Blockade durchbrochen worden ist, ist es möglich geworden, eine Vertretung der russischen Arbeitergewerkschaften in das Ausland zu delegieren.

Die Delegation ist von der Zentrale der russischen Arbeiter= gewerkschaften gefchickt worden, die in Rußland den Namen All­russischer Zentralrat der Gewerkschaften" trägt und über 5 Millionen Mitglieder umfaßt. Die Abordnung, deren Mitglieder sämtlich zu den bedeutendsten Gewerkschaften Rußlands gehören, ist von fol genden Personen vertreten:

A. Sergejeff, Mitglied des Komitees des allrnssischen Trans­portarbeiterverbandes, der 1 200 000 Arbeiter und An­gestellte der Wasserstraßen und der Eisenbahnen vertritt.

P. Lawrentieff, Mitglied des Zentralfomitees der allrussischen Metallarbeiter gewerkschaft, 500 000 Mitglieder. Lebedew, Mitglied des Zentralfomitecs der allrussischen Zertilgewerkschaft, 500 000 Mitglieder.

A. Kiseleff, Borsitzender der allrussischen Bergarbeiter

gewerkschaft.

D. Antoschkin, Mitglied der Komitees des Angestellten= berbandes, 300 000 Mitglieder.

Außer den Vertretern der einzelnen großen Gewerkschaften find in der Delegation auch Mitglieder der Sentrale der Ge= werkschaften, die die Arbeiterbewegung in ganz Rußland oder in einzelnen Gouvernements zu leiten haben, vertreten, nämlich Losowski, Mitglied des Präfidiums des Allrussischen Zentral rates der Gewerkschaften, 5200 000 Mitglieder, und Anzelewitsch. Vorsitzender des Petrograder Rates der Gewert schaften.

Der Besuch der Delegation sollte zu allererst England gelten. Die englische Regierung jedoch, die eine besondere Sympathie für

wurden, ausgenommen und es wurde darauf hingewiesen, daß die Verhandlungen über die Handelsbeziehungen nicht als ab gebrochen betrachtet werden.

Die Bewegung in Italien

Die Eisenbahner solidarisch

TU. Mailand, 13. September.

In Bologna trat am Freitag der Generalrat der Eisenbahngewerkschaften zusammen. Der Generalrat beschloß, die Metallarbeiter zu unte'r st ühen. Um den Transs port von Truppen nach Oberitalien zu verhindern, sind bes reits Vorkehrungen getroffen worden. In der Tat wurde am Freitag der direkte Zug Rom - Mailand mit Polizisten, die von Rom nach Mailand transportiert wurden, vom Personal angehal­ten und die Weiterfahrt solange verhindert, bis der betreffende Wagen mit Polizisten vom Züge abgehängt wurde. Ein ähnliches Schiajal erlitt ein weiterer von Rom abgegangener Zug mit Polis zeiagenten. Auch aus Parma werden derartige Gewaltsamkeiten gemeldet.

Mailand , 13. September.

Infolge Verhaftung eines der Teilnehmer an einem sozialisti­ schen Demonstrationszuge hat die Arbeitskammer von Como am Comosee den Generalstreit erklärt. Seute morgen wurde die Ar­beit in allen Seidenwebereien und anderen Fabriken der Stadt eingestellt.

Polen und Litauen

Paris , 13. September.

Wie Havas aus Warschau meldet, soll Lettland geneigt sein, Polen und Litauen seine Vermittelung anzubieten, um die Regelung der zwischen den beiden Ländern entstandenen Schwierig fetten zu erleichtern.

Warschau , 13. September.

Die litauische Regterung hat gebeten, daß die französische und die englische Regierung bei den Verhandlungen, die zwischen Polen und Litauen in Kalvarja stattfinden werden, vertreten sind. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Kabinette in London und Paris diesen Vor­jchlag annehmen werden.

die ehemaligen zaristischen Generale, die Barone und die Börsen­spekulanten hegte, beschloß, die Vertreter der russischen Arbeiterschaft nicht nach England hereinzulassen, obgleich bie Abge­ordneten der englischen Trade- Unions noch vor kurzem Rußland besucht hatten.

gelungen, nach West- Europa zu gelangen, wenn sie die Reise vom Den Vertretern der russischen Gewerkschaften wäre es wohl nicht Murmangebiet nach Norwegen nicht auf ihrem eigenen Dampfer bie norwegischen Gewässer berührte, gestattete bte norwegische Re­Subotnik" zurückgelegt hätten. Als das Schiff der Sowjetrepublit gierung unter dem Drucke der Arbeiterpartei und der Gewerkschafts, verbände der Delegation die Einfahrt nach Norwegen . Von Nor­ wegen begab sich die Delegation nach Deutschland . Zwei der Delegierten, Anzelewitsch und Dosowski, reisten über Treleborg­Saßnitz nach Berlin , die übrigen Delegierten fuhren mit dem Dampfer Subotnik" von Bergen nach Hamburg , wo sie Montag früh eintrafen, weil sie die Einreiseerlaubnis nach Teutsche land noch nicht erhalten haben. Sie haben ebenfalls die Absicht, nach Berlin zu kommen.

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The Delegation stellt sich zur Aufgabe, die Gewerkschaften Deutsch­ lands mit der wahren Lace des russischen Proletariats in der sozialistischen Sowjetrepublik bekannt zu machen, ebenso mit dem Stand der gewerkschaftlichen Organisation im Land der proletarischen Diktatur. Die russischen Genossen wünschten sich gleichfalls mit der Lage, der Erfahrung und den Eirungenschaften des gewerkschaftlich organisierten Proletariats Deutschlands bekannt zu machen.

Die Delegation hat die größten Städte Norwegens besucht und hat die Absicht, sich nach dem Aufenthalt in Deutschland nach England, Italien und anderen Ländern zu begeben. Sie ist die erste bevollmächtigte Vertretung der russischen Gewerkschaften

in Europa .

Umsomehr ist es notwendig, daß der ganzen Delegation die Möglichkeit gegeben wird, nach Berlin zu kommen, um ihre obenerwähnten Aufgaben zu erfüllen. Das liegt im Jnteresse, des organisierten Proletariats sowohl Deutschlands , als auch Rußlands .

Die deutschen Gewerkschaften hatten vor kurzer Zeit die Mög­lichkeit, eine Abordnung, die Gen. Rusch u. a. nach Sowjet Nußland zu schicken.

Es ist nicht nur eine Juteressen-, sondern auch eine Ehrenfache für das deutsche Proletariat, die sie zur Gaffreund fchaft gegen die Delegation der Gewerkschaften Sowjet- Rußlands verpflichtet.

Rebellion der Zwerge

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B. M. Seit dem 20. Juni 1920 liegen die Berliner Des mokraten auf dem Krankenbette. An diesem Tage ist es für ganz Deutschland und weit darüber hinaus sichtbar ges worden, daß der sogenannte liberale Gedanke" in Berlin vollständig abgegessen hat. Von 225 zu vergebenden Sitzen im Rathause fonnte er ganze 16-, erobern". Tatsäch lich sind die Herren Demokraten zu völliger Ohnmacht ver­donnert und das von Rechts wegen. Von 1871 bis Novem ber 1918 hatten die Freisinnigen das Heft in Händen und sie haben ihre Macht in brutalster Weise mißbraucht. Wir brauchten bei den Kommunalwahlen nur die Sünden des Freisinns aufzuzählen, um stets mehr Mandate zu er ringen. Bis auf 45 von 135 fonnten wir es bringen. Das jämmerliche Dreitlassenwahlrecht ermöglichte der Arbeiter­klasse nur die dritte Abteilung zu besetzen, in den beiden anderen Abteilungen.saßen Börse und Hausbesit. Alle kommunalen Ehrenämter lagen in den Händen des feßhaften Bürgertums" und nur versehentlich geriet mal ein Roter in die dösige Gesellschaft. Mit dem allmäh lichen Erstarken der sozialdemokratischen Stadtverordneten­fraktion bevölkerten wir ganz langsam die kommunalen Ehrenämter, wie Steuer-, Waisen- und Schulfommissionen. Die große Mehrheit in diesen Kommissionen blieb nach wie vor in den Händen der Arbeiterfeinde. Jm Magistrat saß seit 1912 ein einziger Sozialdemokrat, obgleich der Partei fast ein Drittel der Magistratssige zukam. Von solchen Selbstverständlichkeiten wurde, gac nicht gesprochen, nach Ansicht des Freisinns mußte das so sein. Das Magistratskollegium selbst war das getreue Spiegelbild der Mehrheit. Dementsprechend ge bärdeten sich diese Herrschaften wie toll monarchisch und oft genug mußten unsere Genossen gegen die Ber schleuderung der Steuergroschen für Fürsten Empfänge und ähnlichen gröbsten Unfug Protest einlegen. Die richtige Bezeichnung Hauptstadt der arbei tenden Kla fle" fälschte man in Königliche Haupts und Residenzstadt um! War einer als Sozialdemokrat her­vorgetreten, dann gab es für diesen auch nicht das bes scheidenste bezahlte Unterkommen in der inneren Verwal tung. Die Mehrheit befezte alle Posten und Pöst chen. Immer wieder muß hierbei betont werden, daß diese Mehrheit" nur durch ein geradezu hundsföttisches Wahlunrecht ermöglicht wurde. Wäre auch nur nach dem alten Reichstagswahlrecht gewählt worden, dann wäre diese Mehrheit" zerschmolzen wie Schnee vor der Sonne. Gestützt wurde das liberale System durch ein vermudertes und dünkelhaftes Oberbeams tentum, das seine schlechten Einflüsse bis in die unteren Stellen preßte und übereifrig für liberale Reaktion sorgte.

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Dem ganzen widerwärtigen Plunder hat nun der 20. Juni 1920 ein jähes Ende bereitet. Am 1. Oktober soll der neue Magistrat und die neue Stadtverordneten- Ver­sammlung die Arbeit im Dienste der Allgemein. Heit antreten. Von 225 Sigen besigen die beiden sozialdemo fratischen Fraktionen 125 während die verbleis benden 100 sich auf Demokraten, Zentrum, Nationalliberale und Antisemiten verteilen. Wären diese 100 logischen Dentens fähig, so würden sie tein Wort dagegen einwenden, daß die absolute Mehrheit des Magistrats aus Sozial demokraten zu bestehen habe. Wobei wir das Entgegen fommen so weit treiben, daß etwa 7 bis 8 bürgerliche Magistratsmitglieder geschludt werden. Doch das genügt den Nimmersatten nicht und es zeigt sich wieder das alte Bild von dem Finger, den man durch die ganze Hand ersehen möchte! Daraus wird aber nichts werden. Der Freisinnsführer Otto hat schon vor wenigen Tagen einen Drohbrief an die Rechtssozialisten geschrieben, die eine, wie zugegeben werden muß, einwandfreie Antwort erteil­ten. Die Demokraten die Fraktion der 3werge­will nicht zur Ruhe kommen, und so sendet sie ihren Go­liath ins Feuer. Im unverkennbaren Auftrage seiner Re­bellenclique ergreift im Abendblatt des Berliner Tages der als Oberbürgermeister im benachbarten Schöneberg bes blatts" vom 10. September der Hauptmann Dominicus, schäftigt ist, das Wort. Er schreibt, wie er spricht. Ach, ah­janz altes System, Moderduft. Der einzige Unterschied gegen früher ist nur darin zu erblicken, daß die beiden sozialdemokratischen Parteien notorisch nicht annähernd die Auswahl von Intelligenzen und Fachmännern haben wie von Kandidaten schreiten müssen, die vielfach den berechtigten die früheren Parteien, und infolgedessen zur Nominierung Anforderungen an diese Stellung in feiner Weise genügen." -An Intelligenz werden es unsere Genossen mit den Do­minikanern ganz gewiß aufnehmen. Fachmänner fonnten wir nicht erziehen, da die Kapitalisten dies systema­tisch verhindert haben. Hingegen ließ uns dieselbe Ge sellschaft in der Schule das schöne Wort einprägen: Wem Gott gegeben hat ein Amt, dem gab er auch dazu Verstand." Oder sind die Proletarier von dieser Gottesgabe ausgeschlossen? Dann wendet sich der Herr Hauptmann von Schöneberg mit einigen Bosheiten gegen den erforenen zweiten Bürger­meister Ritter und den Syndikus Lange aus Neukölln. Auch mit diesen beiden Rechtssozialisten ist er nicht zufrieden. Sie dürften selbst die Abwehr besorgen.- Jezt aber zieht er

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