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Frauenwelt

Nr. 4+ 41.Jahrgang

Beilage zum Vorwärts

21. Februar 1924

In Fabrik und Werkstatt.

Millionen Frauen und Mädchen sind dazu verurteilt, die Blüte ihrer Jahre in cintöniger Arbeit zu verbringen, um sich und ihren Angehörigen das Notwendigste zum Leben zu erwerben. Beim Gestampf der Maschinen in riesigen Sälen, wie bei der Mühsal der Heimarbeit reibt sich die Arbeitskraft frühzeitig auf. Wo nicht starte Gewerkschaften wenigstens für ein Mindestmaß sozialen Ar­beiterinnenschutzes forgten, da pflegt das gefühllose Rapital alle 9.ürtsichten fallen zu lassen und den Profit höher zu sehen als die Notwendigkeit, wertvolles Leben zu erhalten.

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Um diesem gefühllosen Treiben wenigstens in etwas zu steuern, hat der Staat unter dem Eindruck der Arbeiterbewegung die Gewerbeaufsicht geschaffen, die bestimmt ist, die Durch führung der gefeßlichen Schutzbestimmungen zu überwachen. In reuerer Zeit find den männlichen Gewerbeaufsichtsbeamten auch weibliche zugefellt. Ueber ihre besondere Tätigkeit verlautet leider sehr wenig in der Deffentlichkeit. Die Arbeiterinnen selbst find über die Aufgaben der Beamtinnen so gut wie nicht unterrichtet. Die Zahl dieser Beamtinnen ist noch viel zu flein, um alle Fatrilen und Werkstätten, in denen Frauen und Mädchen, Jugend liche oder Kinder beschäftigt werden, regelmäßig zu besuchen. Es haben aber leider auch nicht alle Beomtinnen die Erwartungen erfüllt, die an ihre Einstellung in den Gewerbeaufsichtsdienst ge­tnüpft worden sind.

Wie denken wir sozialdemokratischen Frauen uns die Tätigkeit einer Gewerbeaufsichtsbeamtin:

Die Gewerbeaufsichtsbeamten sollte die Zahl der Besichtigungen nicht fünstlich hoch gestalten. Wenn sie alles sehen will, wos für ihre Arbeit nötig ist, darf sie die Betriebe nicht durcheilen. Die dazu erforderliche Zeit muß der Beamtin zur Verfügung stehen. Die Beamtin soll in jedem Betriebe, ihren dienstlichen Bor. fchriften entsprechend, den Betriebsrat oder Betriebs­obmann, felbstverständlich auch die weiblichen Betriebsratsmitglieder, hören, Klagen über Mängel im Betrieb nachprüfen und für deren Beseitioung forgen, sowie berechtigte Wünsche und Anregungen zur Berbesserung von Betriebs- und Wohlfahrtseinrichtungen nachdrücklich unterstützen. Beim Fehlen der Betriebsvertretung soll die Beamtin den Arbeitgeber darauf hinweisen, daß er gemäߧ 23 BRG. den Wahlvorstand zu bestellen hat; die Arbeiterschaft, die etwa wahlmüde oder indolent ist, ist bei der Besichtigung über den Schaden aufzus klären, der aus der Unterlassung der Wahl jedem Arbeiter des Be. triebes   erwachsen kann.

Besondere Sorgfalt hat felbstverständlich die Beamtin der Durch­führung der gefeßlichen Bestimmungen zum Schuß der Arbeiterinnen, Jugendlichen, Kinder, Hauserbeiter( Heimarbeter) und weiblichen An­gestellten zuzuwenden. Sie hat die Dauer und Lage der Arbeits­zeit und der Baufen genau festzustellen und dorauf zu achten, daß Abweichungen von den Vorschriften nur mit behördlicher Ausnahme bewilligung eintreten. Dem Bestreben einzelner, eine durchrehende achtstündige Arbeitszeit ohne Unterbrechung durch die für Arbeite­rinnen und jugendliche Arbeiter vorgeschriebenen Mindestpausen ein­zuführen, muß entgegengetreten werden, weil durch den Wegfall der jezt schon sehr geringen Bausen die Gesundheit schweren Schaden erleiden kann. Durch das Essen bei der Arbeit( vielfach mit schmuhigen Händen) tönnen nicht nur Krankheitsstoffe dem Körper zugeführt werden, sondern auch die durch die ununterbrochene Arbeit eintretende Ermüdung, die sich von Tag zu Tag verstärkt, tann zu schweren Erkrankungen und vollständigem Kräfteverfall Veranlassung geben, besonders bei der jetzigen starten Unterernährung der Arbeiter schaft. Es gehört zu den Pflichten der Beamtin, daß sie mit Energie für die Durchführeng der Bestimmungen über Arbeitszeit und

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Pausen Sorge trägt und die Bestrafung widerstrebender Arbeitgeber veranlaßt. Sie hat auch darauf zu achten, daß Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen durch Aushang in den Arbeitsräumen bekanntgegeben werden und daß in Betrieben mit 20 Arbeitern eine Arbeitsordnung vorhanden ist.

Die Gewerbeaufsichtsbeamtin soll die Arbeitsräume gründlich daraufhin besichtigen, ob sie den Anforderungen über Größe, Luft­raum, Belichtung und Entlüftung( natürliche und fünftliche), Staub, Dunst und Gasebeseitigung und Fußboden entsprechen und nicht reparaturbedürftig sind, ob in den Räumen im Winter genügend Wärme und im Sommer nicht unerträgliche Hize vorhanden ist, ob die Borschriften zur Unfallverhütung und die der Feuerpolizei beachtet werden, ob z. B. die erforderlichen Nottüren vorhanden sind und während der Arbeitszeit unverschlossen bleiben, ob Gänge, Treppen und Zugänge vorschriftsmäßig hergestellt, gehalten und nicht durch Riften, Körbe und dergleichen verstellt werden.

Die Beamtin hot ferner dem Arbeitsprozeß größte Aufmert­famkeit zu schenken, Maßnahmen gegen gesundheitsschädliche Verfahren zu treffen, und die Arbeiterinnen und Jugendlichen( nötigenfalls auch die erwachsenen Arbeiter) darüber aufzuklären, daß Schutzvor. richtungen an Maschinen nicht entfernt oder feftgebunden werden dürfen und sonst etwa vorgeschriebene Schuhmittel( Brillen, Hand­schuhe, Rappen, Mäntel, Schürzen, Respiratoren usw.) getragen werden müssen, daß Maschinenarbeiterinnen unbedingt eng an­liegende Kleider und glatte Haarfrisuren( Rappen) tragen müssen, weil weite Aermel, Zipfel, Schleifen, lose Bänder, herabhängende 3öpfe, Loden, Zelluloidlämme, Ringe, Halstetten, Armbänder usw. schon schwere, ja tödliche Unfälle herbeigeführt haben. Es ist selbst. redend Pflicht der Beamtin, zu veranlassen, daß vorgeschriebene Schußmittel entsprechend der Körpergröße des einzelnen Arbeit nehmers vom Arbeitgeber beschafft und sämtliche Mängel in den Arbeitsräumen sowie an den Maschinen beseitigt werden. Eine auf­merksame Beamtin wird auch prüfen, ob Arbeit, die nur im Stehen ausgeführt wird, nicht durch Anbringung geeigneter Siggelegenheiten, fizend wenn auch nur zeitweise verrichtet werden tann. ferner ob an Arbeitstischen, an denen fizzend gearbeitet wird, Fußleisten zum Aufstellen der Füße vorhanden sind, ob falte Stein- und Zementfußböden an den Arbeitsplähen mit Matten, Läufern oder Holzbrettern belegt sind. Es wird ihr auffallen, wenn in warmen Arbeitsräumen Arbeiterinnen wollene Tücher oder dergleichen tragen, dann ist meist Zugluft vorhanden, wogegen Schuß angebracht werden muß. Die Beamtin wird auch die Ursache jedes Wundver bandes bei Arbeiterinnen oder Arbeitern feststellen, ste wird dabet auf Unfälle stoßen, an deren Berhütung man vielleicht bisher noch nicht gedacht hat, aber auch auf Wunden, die als belanglos nicht fachremäß behandelt wurden und wiederholt zu Blutvergiftungen mit schweren Folgeerscheinungen geführt haben. Eine Besichtigung der Verbandsstube, in fleinen Betrieben des Verbandskastens halten wir für selbstverständlich. Auf besonders fräntlich aussehende Ar­beiterinnen und Jugendliche kann die Beamtin aufmerksam machen und zu deren Berschidung in eine Hellanstalt mit beitragen.

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So fann eine einzige Frau in dem wichtigen Amt einer Gewerbe­aufsichtsbeamtin in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Be­triebsrat und der Frauenvertretung desselben unendlich viel Gutes eiften. Wir sehen, wie wichtig es wäre, wenn diese Bosten von marmherzigen, geschulten, aus der Arbeiterschicht stommenden Frauen befeßt wären. Auch in bevölkerungspolitischer Hinsicht und für den Kinderschuh fönnte die Beamtin sehr Gutes leisten. Es wird sich lchnen, über diese Seite der Tätigkeit noch gelegentlich zu sprechen