nt,n>4i.?ahrg�i Beilage zum Vorwärts I 29. Mai ,92» Recht oöer Wicht Zur Mutterjchast. Vier Jahre sind ins Land gegangen, als 51 Mitglieder der sogiaidemokratischen Fraktion im Reichstag die Msä)affung des 8 218 beantragten. Das Martyrium der Frau dauerte aber weiter. Der Prozeß gegen Heiser, der in seinem Kamps« gegen diesen Paragraphen 400 Namen seiner Patientinnen dem Untersuchungs- richter genannt hat, um durch einen Monstreprozeß die Oeffentlich- kelt aufzurütteln, hat den Stein wieder ins Rollen gebracht. Schon Anfang dieses Jahres hat die sozialdemokratisch« Fraktion im Land. tag« eine Anfrage an die preußische Regierung eingebracht, wie diese sich zur Abschaffung des§ 218 stelle. Vor einigen Tagen stand die Regierung nun Antwort. Sie hält die hohen Strafen, die der Paragraph vorsieht, nicht mehr den Verhältnissen gemäß, sie wird eine Herabsetzung derselben bei der Reichsregienung befür- warten, eine Herabsetzung, die unter Umständen bis auf einen Tag Gefängnis gehen würde. Zuchthausstrafe soll nur für außergewöhn- liche Fälle beibehalten bleiben. Gleichzeitig hat die sozialdemokra- tische Fraktion des Reichstages beschlossen, dem neuen Reichstag « einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine völlige Aenderung des 8 218 vorsieht: Di« Abtreibung soll nicht mehr strafbar sein, wenn die Frau selbst oder ein Arzt im Lauf« der ersten drei Monate der Schwangerschaft sie vornimmt. Der Reichstag wird zu entscheiden haben, ob er diese neue Fassung annehmen oder sich nur mit der Herabsetzung der Straf« bescheiden will. Die Sozialdemokratisch« Partei wird gegen die einheitliche Front von katholischen und pro- testantischen Muckern und spießbürgerlichen Heuchlern anzukämpfen haben. Die Frau wird aber mm sehen, wer ihr Feind und wer ihr Freund ist. Der Fall des Apothekers Heiser, der 11 000 Frauen mit Erfolg beraten haben will, nur zu 2 Jahren 8 Monaten Gefängnis ver- urteilt und aus der Hast entlassen worden ist, ruft die Frauen an die Front. Sie nehmen öffenttich Stellung gegen den Schand» Paragraphen, fordern ihr Recht, frei über ihren Körper verfügen zu dürfen, verlangen aber auch gleichzeitig vom Staat ihr Recht auf Mutterschaft. Erst am Dienstag forderten die Genossinnen Dr. Wegscheide r, Kunert, Dr. Frankenthal, Böhm- Schuch, Wurm und der Genosse Kurt Rosenfeld in einer öffentlichen Versammlung die Frauen dazu auf, die Sozialdemo- kratische Partei in ihrem Kampf« gegen den 8 218 tatkräftig zu unterstützen Lang und hart war der Kampf der Frau um ihre Gleich- berechtigung. Der Mann präsentierte im Militärstaate den einzig werwollen Menschen. Der Männerstaat schuf Gesetze, die dem Eigenleben der Frau ins Gesicht schlugen. Die Revolutton brachte ihr endlich das Mtbestimmungsrecht. Mitarbeit an Staat, Kam- mune, öffentliche Tätigkeit eröffnete ihr ein fruchtbares Feld, das von ihr mitunter besser als vom Mann beackert werden konnte. Run waren Kirche, Küche und Kind nicht mehr die ein» zige Domäne, auf die sie immer wieder verwiesen wurde. Kirch«: die seelische Versklavung schwindet immer mehr, um so schneller, je bewußter die Frau wird. Vertröstung auf das Jen- seits zieht nicht mehr. Hienieden will sie an irdischen Gütern an Leib und Seele teilhaftig werden. Küche: der Krieg peitschte Millionen von Frauen in den Betrieb hinein. Der eigene Herd wurde vernachläfstgt. Do« Heim hörte auf zu sein. Die Nachkriegszeit mit seinem Elend machte die Küche zur Fiktion. Der Küchenherd ward kalt. Kind: der Ueberschuß von fast 2 Millionen Frauen, eine der unzähligen bitteren Folgen de» Krieges, betrügt die Frau um das Eheglück, bringt sie um ihr Recht auf Mutterschaft, will sie sich nicht der„Schande" der„unehelichen" Mutterschaft preisgeben, ihr „uneheliches" Kind nicht der Engelmacherin, dem Siechtum im Waisenhause, der Fürsorgeerziehung angliedern. Als könnte die Mutterschaft je ein«„Schande" sein, als hätten die„unehelichen" Kinder nicht das gleiche Anrecht auf Erdenglück, wie die„ehelichen". Und gar die„ehelichen" Kinder?! Darf man die zur Welt bringen? Langt denn die nötige Anzahl Kubikmeter Luft in den Stuben, die Wäsche im Spind für den Säugling, die Milch in der Brust der Mutter? Schuldet man nicht sich selbst und den bereits vor- l.andenen Kindern, auf Mutterglück ganz oder auf ferneres Mutter� glück zu verzichten? Ist denn die Mutter, insbesondere die erwerbs- tätige, überhaupt imstande, dem Kinde die nötige Fürsorge an» gedeihen zu lassen, sie vor seelischer und phlsiischer Verkümmerung zu bewahren? Und der Staat? Der steht untättg dabei, er läßt sein« neuen Weltbürger zugrunde gehen, rührt keinen Finger, um der Mutter und dem Kinde beizustehen. Mehr noch: er spielt sich noch immer zum Herrn über den Bürger auf. Er hält Gesetz« aufrecht, die sich längst überlebt haben, droht Strafen an, die wie Hohn aus Sittlichkeit, Recht und Billigkeit klingen. Ist Verzicht auf Mutterschaft, dem höchsten Gut der Frau, nicht selten Pflicht gegen sich selbst und den zu erwartenden Nachwuchs, dem weder physische Aufzucht, noch seelisches Wachstum gewährleistet werden kann. So statuiert der Staat trotzdem deu Gebärzwang, koste es, was es wolle. Der Milttärstaat lebte nur vom kommenden Menschentod. Dazu wurden die Kinder in die Welt gesetzt. In einem Geburtenwettlaus mn ander«, Ländern sah er die Hoffnung auf national« Größe. Das Gesetz bedroht- mit schwerer Strafe, selbst mit Zuchthaus, denjenigen, der mit frevlerischer Hand die Abtreibung der Leibesfrucht vor. nahm. Auch das Anpreisen und Schoustellen von Mitteln gegen die Empfängnis war verboten. Heute glaubt niemand mehr ernstlich an einen Krieg. Die Mordwaffen sind so vervollkommnet, daß ein neuer Krieg einer Ber» nichtung der Menschheit gleich käme. Das Elend ist ins Ungeheuer- liche gestiegen. Di« bereits lebenden Menschen vergehen in Unter. «rnahrung, Tuberkulose usw. Neu« Menschen in die Welt setzen, er» scheint fast als Verbrechen. Der natürlichste Trieb, der Fort- pflanzungstrieb, hat fast seinen Sinn verloren. Der Staat gebietet aber nach wie vor, unter Androhung von Zuchthausstrafe, zu ge» bären. Er vergewaltigt Leib und Seele der Frau. Er treibt sie zu Hunderttausenden in die Hönde von Kur» pfuschern, gibt sie zu Zehntausenden Krankheit und Siechtum preis, jagt viele Tausend« jährlich in den Tod— allein in Verlin sind e« 5000—7000 Frauen, die jährlich ums Leben kommen. Selbst wenn Krankheit der Mutter, z. B. Tuberkulose , die Gefahr einer kranken Nachkommenschaft herausbeschwört, selbst dann fürchtet der Arzt, zum operativen Eingriff zu schreiten: es bangt ihm vor dem 8 218. der fiir Abtreibung Strafe unter allen Umständen androht. Sturm laufen gegen dieses Gesetz schon seit Jahren berühmt« Aerzte und Juristen. Ins Wanken geraten ist es in Oesterreich und in der Tschechoslowakei , gefallen ist es bereils in Rußland . Teuflisch grinst es aber noch der Frau entgegen in Deutschland und verschlingt Menschenleben um Menschenleben, wirft Unschuldig« in den Kerker. Langsam beginnt aber das Bewußtsein feiner Widersinnigkeit in den Hirnen von Männern und Frauen zu dämmern. Tun die Frauen ihre Pflicht, Nören sie ihre Leidensgeführten überall und zu jeder Zeit über den wahren Sinn des 8 218 auf, dann ist der Reichs» tag nicht imstande, dem Anstunn der gerechten Forderungen der Fron zu widerstehen. Der Kampfruf lautet: Fort mit dem Gebörzivang, aber her mit dem Recht der Frau auf Mutterschaft!
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