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Eine Strafmilderung in Aussicht.

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Am 1. Februar d. 3. hatte die Sozialdemokratische Frattion des Preußischen Landtages auf Anregung ihrer weiblichen Mitglieder eine große Anfrage eingebracht, in der von der Staatsregierung eine Erklärung darüber verlangt wurde, ob sie bereit sei, bei der Reichsregierung auf eine zeitgemäße Milderung der Abtreibungs­paragraphen hinzuwirken. In der Dienstagfißung des Landtages ließ die Regierung ihren Vertreter erklären, daß die jetzige Strafandrohung zu hart sei und den tatsächlichen Verhält­niffen nicht gerecht würde. Sie sei bereit, bei der Reichsregierung dafür einzutreten, daß fünftig nur noch in Ausnahmefällen auf Zuchthausstrafe, in der Regel auf Gefängnisstrafen von einem Tag bis zu fünf Jahren zu erkennen sei. Bisher betrug die Mindeststrafe sechs Monate Gefängnis. Bei der sogenannten Lohnabtreibung, die bisher mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren be­droht war, erscheine es angezeigt, fünftig die bisher nicht vorgesehene Annahme mildernder Umstände zuzulassen und bei mildernden Um­ständen eine Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten anzudrohen. Bei dem überragenden Einfluß, den Breußen im Reiche befigt, ift zu hoffen, daß diefe Milderungen schnell Gesetz werden. Die preußische Regierung will sich dafür einsehen, daß diese Milderungen nicht erst bei der allgemeinen Reform des Strafgesetzbuches, sondern alsbald durch besonderes Gefeß eingeführt werden.

Dies wäre dann der erste Erfolg, den die Sozialdemokratische Partei in threm Kampfe gegen die Abtreibungsparagraphen erzielt hätte. Freilich zunächst nur ein bescheidener Erfolg. Ein Rückgang der Abtreibungen, worauf es hauptsächlich ankommt, wird auf dem eingeschlagenen Wege nicht erreicht. Dem Arzt bleiben noch immer die Hände gebunden. Darum muß unter bestimmten Rautelen die Straffreiheit der Abtreibung innerhalb der ersten Monate- so wie fie in dem bekannten Antrag unserer Reichstagsfraktion vorgesehen ist erkämpft werden.

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Die Mutter als Erzieherin.

Dein Kind fagt eines Tages eine Unwahrheit. Du bist tieftraurig darüber. Gewiß! Die Lüge ist das Schlimmste, was sich zwischen Eltern und Kind drängen kann. Sie macht jedes innige Vertrauens. verhältnis von Mensch zu Mensch unmöglich.

Uber: war die falsche Antwort, war die unrichtige Erzählung deines Kindes mirtlich eine Lüge im eigentlichen Sinne?

Bei ruhiger und eingehender Betrachtung wirst du finden, daß die falschen Aussagen deines Kindes durchaus nicht immer das sind, was man Lügen nennen tann. Denn nicht jede unwahrheit ist eine Lüge. Sie wird es erst, wenn dazu kommt:

1. Das Bewußtsein, etwas Falsches zu sagen und 2. die Absicht, den anderen damit zu täuschen. Beide Merkmale aber wirst du bei deinem Kinde in den ersten bis 8 Jahren nur selten finden. Wenn dein Kind in dieser Zeit etwas Falsche's fagt, dann hat es wohl fast nie die Absicht, dich zu täuschen. So abgefeimt sind die Kleinen in diesem Alter noch nicht. In den meisten Fällen weiß es gar nicht, daß es etwas Falsches fagt. Du darfst dir nämlich die Seele deines Kindes ja nicht so vorstellen wie deine eigene. Die Ordnung und Uebersichtlichkeit, die Klarheit und Sicherheit, die du als reifer Mensch in dir hast, die fehlt deinem Kinde noch völlig. In dem kleinen Kinderkopf geht alles noch fraus und bunt durcheinander. Ob dein Kind z. B. etwas gestern erlebt hat oder vorgeffern, vor einer Woche oder vor zwei Wochen, das fann es in den ersten Jahren noch nicht auseinander­halten. Es fehlt ihm noch jeglicher 3eitsinn. Ferner, ob es etwas wirklich gesehen und getan oder nur im Traume geschaut hat, das fann es oft bis zu seinem 10. Jahr nicht mit Sicherheit aus= einander halten. Wirklichkeit und Traumleben sind bei ihm noch nicht scharf voneinander geschieden.

Zahllose Bilder erfüllen die Seele deines Kindes, es freut sich an deren Schönheit und spricht von ihnen. Ob diese Bilder alle dem wirklichen Leben entstammen oder ob es nur Gebilde feiner eigenen Phantasie sind, das fümmert dein Kind wenig. Das tann und will dein Kind in diefen Jahren meist noch gar nicht unterscheiden. Es liebt den holden Schein, oft auch dann noch, wenn es bereits weiß, daß er nicht der Wirklichkeit entspricht. Du brauchst nur an den Kinderglauben vom Osterhasen und vom Weihnachts­mann zu denken. Also alles, was in der natürlichen Entwicklung, alles, was in der Unfertigkeit der kindlichen Seele seine Ursache hat, das alles ist teine Lüge.

Und hüte dich vor dem Ausfragen! Gerichtsverhandlungen gehören nicht in die Kinderstube. Sie werden nur zu häufig zu einer Quelle neuer Lügen.

Auch Schläge nüßen nichts im Kampfe gegen die Lüge. Im Gegenteil, sie machen das lebel meist nur größer.

Gegen die Lüge mußt du feinere Erziehungsmittel anwenden. Das erste und notwendigste ist dein eigenes gutes Beispiel. Laß dich von deinem Kinde nie bei einer Lüge ertappen, auch nicht bei einer Notlüge! Laß dich z. B. nie verleugnen, wenn Besuch gemeldet wird! Gib nie ein falsches Alter deines Kindes an, etwa um auf der Bahn einige Groschen zu sparen! Beranlasse dein Kind nie, vor einem anderen Familienmitgliede etwas zu verheimlichen! Laß es nur von Offenheit und Wahrheit umgeben sein! Und dann: Schärfe das Gewissen deines Kindes! Das Gewissen ist der zuverlässigste Helfer im Rampfe gegen die Lüge. Sieh dir doch den kleinen Sünder an, wenn er eine Lüge fagen will: wie da fein Kopf glüht, feine Stimme stockt, fein Auge scheu beiseite blidt. Das macht das Gewissen, das von Anfang an in jedem unver­dorbenen Menschen lebt und ihm jede Lüge schwer macht. Unter­ftüße diese Arbeit des Gewiffens! Mache dein Rind aufmerksam darauf, damit das Gewissen in deinem Rinde immer stärker und empfindlicher wird, damit es ja nicht abftumpft, übertäubt oder gar ertötet iword. Im Gewissen offenbart sich ganz unmittelbar das ewige Sittengeſetz. Das Gewissen ist daher das Höchste und Kostbarste in deinem Kinde. Ein Mensch ist nicht verloren, folange das Gewissen noch in ihm lebt. Gewöhne dein Kind nur daran, stets auf die Stimme feines Gewissens zu laufchen! Dann bewahrst du es nicht nur vor der Lügenhaftigkeit, sondern dann gibst du ihm zugleich fürs ganze Leben einen inneren halt. Dann wird und muß bein Kind einst ein guter Mensch werden.

Aus dem Sentralinftitut für Erziehung und Unterricht" Berlin .

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Briefe an die Frauenstimme"

Werte Genoffin!

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Ich habe mich sehr gefreut, daß Sie meinen Brief, der einem fo fpontanen Gefühl entsprang, in der Zeitung abdrucken ließen. Mein Mann hat geftaunt, als ich ihm freudeftrahlend meinen ge­druckten Brief zeigte. Ich bilde mir ein, daß ich ordentlich auslebe, seit ich mit wirklichem Intereffe in der Partei mitarbeite. Ich freue mich, wenn ich mich mit meinem Mann über Tagesfragen unterhalte, daß er mich wirklich ernst nimmt, wenn ich dabei eine gegenteilige Ansicht verfechte, die Gelegenheit geben dazu ja die Verhältnisse oft

genug.

Darf ich Ihnen öfter schreiben? Ich fammle durch meine Tätigkeit im Arb.- Wohlf.- Ausschuß und durch den Verkehr mit Genoffinnen und anderen Arbeiterfrauen viele Erlebnisse und möchte mir manches von der Seele schreiben. Man steht als Frau oft genug mit seinen Gedanken allein, ich könnte mich einem Mann gegenüber nie so aus­sprechen und habe bei meiner Arbeit oft den Gedanken, daß die Männer unfere Mitarbeit erst ernst nehmen, wenn sie dieselbe brauchen. Kann sein, es sind so meine dummen Gedanken.

Ich werde nun mal dann und wann versuchen, je mie sich gerade die Gelegenheit ergibt, so etwas, was mich gerade intereffiert und vielleicht andere Genoffinnen auch interessieren würde, aufzuschreiben; fallen sie nicht nach Wunsch aus, nun, ich glaube, der große Redat­tionspapierforb nimmt meins dann auch noch auf. Wir haben hier auch einen fleinen Ausschuß für Arbeiterwohlfahrt. Davon zu schreiben, würde Eie wohl langweilen? In Ihrer Großstadt ist das Elend sicher noch viel frasser wie hier, trotzdem auch ich hier schon viel davon sah. Wie drängt es einen, da zu helfen, und doch, wie schwach find unsere finanziellen Kräfte; da möchte man gern mal so ein recht Reicher sein. um recht viel qlüdliche Gesichter zu sehen.

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begrüßt und findet viel Anklang. Doch habe ich immer gefunden, Die neue Frauenzeitschrift Frauenwelt" wird überall freudig daß sich Frauen schwerer zu einer guten Zeitung entschlie­Ben. Ich bin angenehm enttäuscht. Es ist doch immer die Meinung, bei derartigen Zeitschriften zöge am meisten eine fo Geschichte, so recht gefühlvoll, und eine recht feine Mode, wenn wir sie auch nicht nachmachen können. Nun aber ist dies Blatt so schön, daß es auch größeren Ansprüchen voll­fommen genügt und findet doch sehr gute Ausnahme. Ich freue mich fehr darüber, alle unfere Gcnoffinnen haben das Blatt bestellt. Aber hier und da hört man auch, daß fie doch noch etwas anderes wünschen, noch zu erfahren, wie hier unsere Frauengruppe arbeitet. Oft haben ein ganz ernſtes Blatt für die Arbeit. Vielleicht interessiert Sie das

wir eine befannte Genoffin aus Dresden als Referentin hier. Wie weil ja schon alles gefagi ist. das nun so ist, nach dem Referat meldet sich niemand zum Wort, Wir machen das jetzt anders. Wie oft stehen in der Zeitung Artikel, die uns interessieren. Die lesen wir vocher und dann wird darüber debattiert. Sie glauben gar

gestern u. a. einen Artife: aus dem Vorwärts" vorgelesen, alle Genoffinnen haben sich dafür intereffiert. Dieser Art bauen wir jetzt unsere Abende auf, eigene Arbeit, das wäre ein Weg für viele

Ganz anders liegt die Sache, wenn dein Kind auf deine aus­brüdliche Frage etwas ableugnet, was es eben begangen hat, also noch nicht vergessen haben tann. Das ist selbstverständlich eine Lüge. Aber sie ist bis zu einem gewissen Grade entschuldbar. Es ist nur eine Not-, es ist eine Angst lüge. Dein Kind weiß pieleicht, wie sich da die Genoffinnen lebhaft beteiligen. Ich habe z. B. leicht, daß es für das Bergehen hart bestraft wird. Davor will es fich schützen. Das mag man verächtlich finden, es ist nun aber einmal menschlich. Die Angst vor der Strafe ist in einem folchen Augenblid fo übermächtig in der Seele deines Kindes, daß alles andere dagegen zurücktritt, vor allem jede ruhige Ueberlegung. Dadurch wird der Notlüge das Gemeine und filtlich Verwerfliche genommen. Ge­wiß soll auch sie nicht sein aber du sollst fie deinem Kinde ver zeihen, vor allem deswegen, weil du meist selbst nicht ganz schuld­los daran bist. Deine Härte gegen das Kind ist nur zu häufig die Ursache solcher Notlügen. Berbanne die Furcht aus der Erziehung, dann wird dein Kind weniger lügen!

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Frauengruppen.

Nochmals herzlichen Porteiaus mit der Bitte, nicht ungehalten zu sein über diefen langen Brief. Ihre E. W.

Das Weib Seht tief, der Mann sieht weit, Dem Mann ft die Welt das Herz, Dem Weibe it das Herz die Welt.

Grabbe.