Frauenstimme
Nr. 16+ 41.Jahrgang
Beilage zum Vorwärts
7. August 1924
Politische Frauenrechte.
Zum 11. August 1919-1924.
Die Umwälzung im November 1918 hat die alte Bismarcksche| liche Gebundenheit politischen Wirkens flar war, fonnte von dem Verfassung des deutschen Kaiserreiches von der Tagesordnung ab- Eintritt eniger Frauen in das Parlament die Umbiegung der seitgesetzt. Nach einem provisorischen Gesetz über die vorläufige Reichs- herigen Linien der gesamten Politit erwarten. Aber der Gedanke gewalt beschloß die Nationalversammlung vor fünf Jahren die Ber - des Friedens schien uns in weiblicher Hand sicherer zu ruhen. Die fassung des Deutschen Reiches. Jahrtausende alte Geschichte der Vorherrschaft der Männer ist eine Geschichte blutiger Machtkämpfe. Die letzten Jahre haben die Frauen glücklicherweise noch nicht vor die Entscheidung über Krieg und Frieden gestellt. Die Ehrlichkeit gegen uns selbst gebietet uns aber klar zu erkennen, daß der Friedenswille der Frauen, soweit sich das aus ihrer politischen Tätigkeit bisher beurteilen läßt, nicht so bedingungsios ist, wie das vorausgesetzt wurde.
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Für die Frauen unserer Generation ist die wichtigste Bestim mung dieser Verfassung in dem Artikel 109 enthalten. Sie lautet: Männer und Frauen haben grundsäglich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten". Mit der politischen Gleichberechtigung der Frauen, die heute bei den meisten Kulturvölkern ganz oder teilweise besteht, und deren vollkommene Durchführung nur eine Frage der allernächsten Zeit sein wird, hat eine neue Epoche in der Ge schichte der Menschheit begonnen.
Eine solche Behauptung mag dem Tagespolitiker übertrieben erscheinen. Vem geschichtlichen Standpunft gesehen ist sie es beStimmt nicht. Wenn seit uralten Zeiten die eine Hälfte der Mensch heit, die Frauen, in fast allen Fragen minderen Rechtes war, so ist bestimmt der Beginn ihrer Gleichberechtigung ein überaus bedeutungsvoller Einschnitt in der Geschichte der Menschheit. Im politischen Tagestampf verwischt fich oft die tatsächliche Bedeutung der einzelnen Fragen. Um minderwichtige Nebendinge wird nicht felten heiß gestritten, während wichtige Fragen ganz nebenbei erledigt werden. Bei den Debatten, die in der Nationalver. sammlung über die Reichsverfassung geführt wurden, entbrannten lebhafte Rämpfe über
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In Weimar war's, da sie geboren, Da wurde Deutschlands neues Haus. „ Die Staatsmacht geht vom Dolke aus", Steht über seinen hohen Toren.
War Kriegsruhm auch und Sieg verloren Jn jahrelangem Mordesgraus: Stolz weht sie in die Welt hinaus, Die Fahne, die das Dolk erkoren. Denn Schwarz- Rot- Gold, das ist das Zeichen Der freien Rechte und der gleichen, Die fest in unsern Händen liegen. Flieg', Banner, bis die Farben bleichen Und einst zu unsern lehten Siegen Die roten Bruderbanner fliegen! Walter Dictor.
das Verhältnis der einzelnen Länder zum Reich. Die Gleich berechtigung der Frauen war fein Kampfobjekt. Sie war selbstverständlich geworden.
Ein Jahrzehnt zuvor war es in allen Ländern nur eine fleine Gruppe von Frauen, die lebhaft die gleichen Rechte forderte. Die Sozialisten der verschiedenen Länder unterstützten den Kampf der Frauen um Gleichberechtigung. Sie mußten ihrer ganzen Weit anschauung nach an der Seite der Unterdrückten stehen. Die Macht der Arbeiterschaft nach dem Kriege hatte die Befreiung der Frau zur selbstverständlichen Folge. Wenige Jahre erst hat die Frau politische Rechte, hat sie in Deutschland die Möglichkeit über Krieg und Frieden und über die Politik der deutschen Regierung mit zu entscheiden, und schon wird dieses Recht als so natürlich und unantastbar empfunden, daß mir glauben, es steigen vorsintflutliche Bilder vor uns auf, wenn wir der Zeiten gedenken, in denen uns der Sieg im Kampf um die Gleichberechtigung der Frau noch in weiter Ferne zu liegen schien. Kaum zehn Jahre sind seitdem vergangen.
• Gedenken wir voll stolzer Freude des großen Schrittes, den wie inzwischen vorangekommen sind, so soll uns das zugleich auch ein Tag fein, an dem wir uns Rechenschaft ablegen ob sich die Er wartungen erfüllten, die wir en die Gleichberechtigung der Frauen geknüpft haben, Kein Mensch, der sich über die wirtschaft
Nicht, daß daran zu zweifeln wäre, daß die überwältigende Mehrheit der Frauen sich für den Frieden entscheiden würde, wenn sie heute oder später vor der einfachen Frage stände: Krieg oder Friede? Was die meisten Frauen aber bisher noch nicht begriffen haben, ist die Tatsache, daß die Geschichte solche Fragen niemals so einfach stellt. Wer moilte 1914 ben Krieg? Sicher nur eine ganz Meine Minderheit in jedem der beteiligten Bölfer. Ueber die große Mehrheit ist den einzelnen Ländern ist er hereingebrochen wie ein Naturereignis, Wüten dessen fie schaudernd erlebte. Sie fonnte sich nicht mehr im Sommer 1914 zur Wehr setzen. Der Fehler lag Wer die militä viel früher. rischen und besonders die geiſtigen Borbereitungen des Krieges duldet oder gar unterstützt, entscheidet sich damit von vorn herein für den Krieg. Er wird ihn im entscheidenden Moment nicht mehr aufhalten können. Diese Entscheidung hat heute bereits wieder ein Teil der deutschen Bevölkerung getroffen. Es sind die gleichen rechtsstehenden Kreise, die auch 1914 in Deutschland die Stimmung zum Krieg vorbereitet haben. Heute finden sie die Unterstüßung der Frauen, der geborenen Friedenshüterinnen. Ganz wenig Frauen sind das. Gewiß. Aber die Stimme der anderen, die zum Frieden mahnen, erflingt daneben nicht so laut, daß sie die Stinine der Kriegshezzer übertönt.
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Hier liegt eine der wichtigsten Entscheidungen, die durch die Gleichberechtigung in die bind der Frau gekommen ist. Politische Rechte sind nur von halbem Wert, wenn sie sich auf das Stimmrecht beschränken. Die öffentliche Meinung, der laut und deutlich von den einzelnen Volksfreisen zum Ausdruck gebrachte Wille in den verschiedenen polit.schen Fragen ist eine so große Macht, daß die Frauen des Proletariats endlich lernen sollten, die Ausnußung dieser Macht nicht anderen zu überlassen. Die Reichs. verfassung gitt uns die Möglichkeit, jeden Krieg zu verhindern. Mit einer Abstimmung im Reichstag allein wird den Frauen das nicht gelingen. Ihre Zahl ist sehr klein. Es wird aber gar nicht zu einer Abstimmung im Reichstag fommen fönnen, wenn es den Frauen ge lingt, dem Volksbewußtsein einzuhämmern: deutschen Frauen wahren ihre Rechte. Sie dulden feinen Krieg!
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