$ 218 im Preußischen Landtag.
Kurz bevor der Preußische Landtag in die Sommerpause eintrat, wurden im bevölkerungspolitischen Ausschuß die ihm vom Plenum überwiesenen sozialdemokratischen und kommunistischen Anträge zu den§§ 218 und 219 des Strafgesetzbuches besprochen. Von beiden Parteien war Amnestie für die unglücklichen Opfer der Abtreibungsparagraphen gefordert worden. Die Kommunisten wollten außerdem das Einwirken der preußischen auf die Reichsregierung au völlige Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung.
Idaß Aerzte heute jemals in Gewissensnot fommen fönnten, da sie ja unter bestimmten Grundsätzen aus medizinischen Gründen zur Unterbrechung berechtigt und die maßgebenden Stellen der Rechtsprechung hiervon unterrichtet seien. Tatsächlich sind die Grenzen jedoch unerträglich eng gezogen, besonders für den gewissenhaften, menschlich denkenden Arzt. Es wurde auch von dem Regierungsvertreter gesagt, man würde auf eine fdiefe Ebene geraten, wenn bei der Unterbrechung der Schwangerschaft dem Arzt die sogenannte foziale Judikation gestattet würde, d. h. die Berücksich tigung elender wirtschaftlicher Berhältnisse bei finderreichen FaUnsere Rednerin fennzeichnete den Widersinn, der in folgendem beruht: Der Arzt darf die soziale Judikation nicht berücksichtigen, aber die Gnadeninstanz des Justizministeriums tut es; und zwar stellt sie nachträglich die soziale Judikation, d. h. sie würdigt die Notstände, die zur Abtreibung geführt haben und läßt dann Milde walten, d. h. also nachdem die begnadigten Frauen ihre Gesundheit vielleicht so gründlich zerstört haben, daß sie bei einer Besserung ihrer wirtschaftlichen Lage niema's mehr Mütter werden fönnen. Da entspräche es doch mehr der Vernunft, wenn man den Arzt von den Fesseln eines veralteten Gesetzes befreie, damit er auch auf Grund der sozialen Judikation- den rettenden Eingriff vornehmen fönne und nicht vor dem Abtreibungspfuscher die Eegel zu streichen brauche. So lange der wirtIchaftliche Zwang zur Kleinhaltung der Familie bestehe, könne es sich nur darum handeln, der Geburtenbeschränkung die größten Gefahren für die Volksgesundheit zu nehmen, indem man sie in die Hand der Aerzte lege, die Pfuscher unter strengste Strafe stelle und die besten Methoden zur Verhütung der Empfängnis zur allgemeinen Kenntnis bringe. Unvereinbar mit der menschlichen Würde der Frau ist der herrschende gesehliche Zustand. Eine Zentrumsabgeordnete erklärte am Schluß der Sigung, das, was fie während dieser Beratung unter Aufwendung größter Geduld habe mit anhören müssen, beleidige ihre Frauenwürde aufs tiefste. Sie wurde aber mit dieser mimosenhaften Empfindlichkeit von den bür gerlichen Frauen alleingelaffen.
Es war eine nicht leichte Aufgabe, diese Forderungen zu be- milienmüttern. gründen, wenn man Zuhörer vor sich hat, die, wie es die Fruchtabtreibung als Massenerscheinung ist, noch völlig im Banne überfemmener Borurteile steden gegenüber einem soziologischen Problem. Die Führung der Debatte lag unbestritten bei der Sozialdemofratie, die trotz der Widerstände die Aussprache auf die Höhe eines Bekenntnisses zu einer neuen freieren Sittlichkeit hob. Das Unbehagen der bürgerlichen Mehrheit im Ausschuß wurde dadurch nur gesteigert. Nur unter großer Unruhe fonnte Genoffin Kunert ihr sachliches, reichhaltiges und durchschlagendes Tatsachenmaterial über die Unhaltbarkeit der Abtreibungsparagraphen vortragen. Deutschnationale und Zentrum versuchten bald durch Anträge auf Schluß der Debatte die ihnen peinliche Erörterung abzuwürgen. Es gelang ihnen zunächst nicht. Die AusSprache offenbarte schließlich die ganze Rat- und Hilflosigkeit der Kreise, die heute prahlerisch behaupten, die Frage der Geburten regulierung fei im wesentlichen ein Weltanschauungsproblem; eine Einigung sei also ausgeschlossen. Eine Enttäuschung war das Verhalten der Demokraten, die nicht einmal für eine Unterstützung der Amnestie Anträge zu haben waren. Wie anders jene aufrechten Demokratinnen vom Schlage einer Minna Cauer , Marie Stritt , Helene Stöder, die schon vor enderthalb Jahrzehnten mit großer Entschiedenheit für die Befreiung der Frau von dem gesetzlichen Mutterschaftszwang eintraten! Die preuBifchen Demokraten nahmen den gleichen Standpunkt ein wie die Deutsche Volkspartei , d. h. sie stellten sich auf den Boden der Antwort des preußischen Justizministers, dessen Vertreter auf die große Anfrage der Sozialdemokraten am 27. Mai d. I. die Bereitwilligkeit des Justizministers erflärte, bei der Reichsregierung für eine weitgehende Milderung der Abtreibungsparagraphen einzutreten. Die Deutschnationalen äußerten sich zur Sache selbst nicht, obwohl sie draußen im Lande gelegentlich eine höchst demagogische Propaganda gegen die unfittliche Sozialdemokratie" entfalten, die eine so unchriftliche Anschauung vertritt, wie die Auflehnung gegen den gesetzlichen Gebärzwang. Der 3entrums. redner wandte sich gegen eine wie immer geartete Reform mit der Begründung, daß Fruchtabtreibung in jedem Falle nichts anderes als Mord sei.
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Nach Schluß der Debatte reichte die Sozialdemokratie eine Entschließung ein:„ bei der Reichsregierung ist darauf hinzuwirken, daß die Unterbrechung der Schwangerschaft straffrei sein soll, wenn fie innerhalb der ersten drei Monate von einem approbierten Arzt oder von der Schwangeren felbst vorgenommen wird. Die reichs. gesetzliche Regelung soll zunächst auf zehn Jahre Geltung haben. allen bürgerlichen Stimmen ebenso abgelehnt wie der AmnestieWie nicht anders zu erwarten war, wurde dieser Antrag mit Antrag. Immerhin haben die Sozialdemokraten im Preußischen Landtag erreicht, was unseren Genoffen im Reichstag bisher nicht gelang: eine Aussprache über die Reformbedürftigkeit der Abtreibungs paragraphen zu erzwingen. Auf den ersten Anhieb wird das Gefeß gewiß nicht fallen. Aber unter dem Druck der tatsächlichen Berhältniffe muß es in absehbarer Zeit doch zu einer durchgreifenden Reform in der Abtreibungsfrage fommen müffen. Jedenfalls spricht der jetzige Zustand aller Vernunft und Moral Hohn.
Die fozialdemokratische Rednerin hielt dem Zentrumsmann entgegen, daß nach dieser Anschauung die Fruchtabtreibung noch zu milde bestraft würde. Und wie sonderbar, der preußische Justizminister, Mitglied der Zentrumspartei , halte es doch, wie seine soeben erwähnte Erklärung beweist, mit der katholischen Weltanschauung" für vereinbar, dafür einzutreten, daß die Mindeststrafe für Fruchtabtreibung, die bisher bei Annahme mildernder Umstände fechs Monate Gefängnis betrug, bis auf einen Tag herabgesetzt und damit die Fruchtabtreibung auf eine Stufe mit ganz geringfügigen ll Bergehen gestellt werde.
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Sehr fein führte Genoffe Dr. Cohn den Zentrumsmann ab, indem er u. a. auf die alte Auffassung der katholischen Kirche im fanonischen Recht verwies, wonach das Leben der ungeborenen Frucht nicht schon von dem Augenblid der Empfängnis, jondern erst von dem Zeitpunkt geschützt wird, in dem der Embryo die anima rationalis die seelische Bernunft habe. Nur die Vernichtung der befeelten Frucht galt als Menschenmord, die Beseiti gung der unbeseelten bis zur zehnten Woche wurde geduldet. Zwischen der kanonischen Auffassung, die bis zu zehn Wochen Frist laffe, und der russischen Gesetzgebung, die innerhalb der ersten drei Monate die Unterbrechung der Schwangerschaft freigebe, sei also fein grundsätzlicher Unterschied. Bis in das 18. und 19. Jahrhundert hinein habe die Gefchgebung stets an jenem Ausgangspunkt der katholischen Lehre feftgehalten. Es liege alfo auch vom fatholischen Standpunkt aus fein Hindernis grundsäglicher Art vor, die Abtreibung nicht nur bis zu zehn Wochen, sondern im Sinne eines fozialdemokratischen Antrages im Reichstage bis zu drei Monaten freizugeben.
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Bertreter der Regierung fehnten jede über die Erklärung des Juftizminifteriums hinausgehende Reform sowie jede Amnestie als schädlich ab. Dafür soll von dem Recht auf Begnadi. gung und bedingte Strafauslegung weitgehender Gebrauch gemacht werden. Das mag gut gemeint sein, aber Gnade und Milde genügen nicht, wenn es fich darum handelt, die ungeheuer hohe Zahl der von Pfuscherhand gemachten Abtreibungen und deren gefährliche Folgen für Frauenleben und gesundheit zu vermindern. Gnade und Milde der Justiz sind in diesem Falle nichts anderes als das Eingeständnis der Machtlosigkeit gegenüber der mit den bisherigen Mitteln nicht mehr einzudämmenden Zunahme der Abtreibungen.
Auf Grund der Tatsache, daß der Arzt heute für jede Schwangerschaftsunterbrechung zur Verantwortung gezogen werden fann, wird der lebenrettende Eingriff bei franten Frauen bekanntlich oft bedenklich verzögert und so felten wie möglich ausgeführt. Aus der ärztlichen Fachliteratur gibt es genug Beweise hierfür. Demgegenüber beftritt der Bertreter des Ministers für Bolkswohlfahrt,
Die Tragödie einer Mutter.
Jm Deutschland - Berlag, München , erschien eine eigenartige Gedichtsammlung: Die Toten von Spoon River, von Edgar Lee Masters , die in ihrer Ursprünglichkeit an die Dichtungen Walt Whitmans erinnert. Die Tragödie einer Mutter, fchicksalsgewaltig, ergreifend, ist in den folgenden tnappen Zeilen erfaßt:
Ich war ein Bauernmädchen aus Deutschland , Blauäugig, rotbadig, luftig und gesund. Mein erster Dienst war bei Thomas Greene. An einem Sommertag, während die Frau fort war, Etahl er sich in die Küche und nahm mich In seine Arme und füßte mich auf den Hals; Ich drehte mein Gesicht weg. Dann schien es, als wüßte.. wir beide nicht mehr, was geschehen. und ich meinte, was aus mir werden sollte. und meinte, und mein Geheimnis ließ sich bald nicht mehr verbergen, Eines Tages sprach Frau Greene, sie wisse schon, und würde feine Schwierigkeiten für mich machen; Und weil sie feins hatte, wollte sie das Kind annehmen. ( Er hatte ihr, ich weiß nicht was, gegeben, daß fie schwieg.) So verstedte sie sich im Haufe und ließ aussprengen, Als ob ihr das geschehen sollte.
Und alles ging gut ab, das Kind fam, sie waren sehr freundlich mit mir. Später hate ich Gus Wertmann geheiratet; und die Jahre vergingen. Doch bei politischen Versammlungen, wenn die anderen meinten, ich weine, Weil Hamilton Greene so rührend sprach- Das war es gar nicht; Nein, ich wollte schreien,
Er ist mein Sohn! Er ist mein Sohn!
Gib, Leser, nicht so scharf auf alle Fehler acht, Denn niemals ist ein Blatt und der, der es gemacht, Und der, der es gelesen,
Bon allen Fehlern frei gewesen.