Bon Anna Geyer.
Fünfzig Jahre sind vergangen seit dem Tod von Georg er wegh. Manche Stunde treuen Gedenkens wird in nächster Zeit dem deutschen Freiheitsdichter gelten, der es wie kaum ein anderer verstand, Gedanken und Gefühle des deutschen Vormärz in Rhyth mus und Klang feiner Verse zu bannen. Es wäre ungerecht, würde in diesen Tagen nicht ebenso oft seiner Frau gedacht, die ihm Kampfgefährtin im vollkommensten Sinn des Wortes war.
Emma Siegmund , die Tochter eines reichen Berliner Seidenwarenhändlers, war schon, bevor sie Herwech kennen lernte, eine Bersönlichkeit von eigenem Gepräge. Sie hatte eine für die damalige Zeit ungewöhnlich gute Ausbildung genoffen, beherrschte mehrere Sprachen, hatte gründliche Kenntnisse in Literatur und Geschichte, war eine gute Klavierspielerin und talentierte Malerin. Ihr Hauptinteresse galt der Politik. Sie war eine begeisterte Republifanerin. Als 1841 Herweghs erster Gedichtband Gedichte eines Lebendigen" erschien, jubelte sie auf mit der geJamten freiheitlichen Jugend Deutschlands . Das ist die Antwort auf meine Seele", schrieb fie in ihr Tagebuch.
Selten hat ein Buch bei seinem ersten Erscheinen einen so starten Eindruck gemacht. Sechs Auflagen mußten im ersten Jahr gedruckt werden. 1842 unternahm der damals 25jährige Dichter eine Reise von der Schweiz nach Königsberg , die fich zu einem Triumphzug für ihn gestaltete. Nach Berlin tam er mit einer Empfehlung von Emmas geistvoller Freundin, der späteren Frau des Verlegers Max Dunder. Die erfte Begegnung von Emma und Georg Herwegh wurde von beiden empfunden wie ein Wiedersehen von guten alten Freunden. Nach acht Tagen wurde die Verlobung beider gefeiert.
Während der einen Woche, die Herwegh damals in Berlin zubrachte, ließ der preußische König Friedrich Wilhelm IV. den jungen Dichter zu einem Besuch auffordern, zu dem sich Herwegh nach einigem Sträuben auch entschloß. Wenige Tage später überraschte Herwegh in Königsberg die Nachricht, daß eine Schweizer Beitschrift, deren Redaktion er übernommen hatte, für Preußen verboten war. Er protestierte schriftlich gegen dieses Verbot beim König. Durch die Indiskretion eines feiner Freunde wurde sein Brief an den König in der Leipziger Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht. Die Folge war die Ausweisung des Dichters aus Preu Ben. Er fuhr nach Zürich .
Der nur vier Monate währenden Brautzeit von Emma und Georg Herwegh verdanken wir einige der schönsten Liebesbriefe deutscher Sprache. Besonders die Briefe von Emma spiegeln in reizvoller Welse ihre ungewöhnliche Persönlichkeit: Nein, ich möchte Dich um aller Freuden der Welt nicht ruhiger als Du bist; nur wo Bewegung ist Fortschritt, nur im fortwährenden Kämpfen Glüd. Ich weiß, daß uns feine idyllische Zukunft winft, ich weiß, daß unsere Charaktere sich noch arg aneinander reiben müssen, um ungehindert dieselbe Bahn zu verfolgen, aber diese Erkenntnis gibt mir Mut und Freudigkeit statt Besorgnis... Ich will nicht nur der Gefährte Deines Glüdes fein, ich will und muß alles mit Dir tellen."„ Schatz, wenn Krieg wird, zieh' ich mit!"
Das Schicksal hat Emma beim Wort genommen. Es wurde Krieg und sie 30g mit. Das lunge Baar hatte sich nach längeren Reifen Paris zum Wohnort gewählt. Nach den Pariser Februar fämpfen des Jahres 1848 unternahmen die in Baris lebenden Deutfchen einen Zug zur Unterstützung der Freiheitskämpfe in Süd deutschland . Zu ihrem Führer wählten sie Herwegh . Seine Frau begleitete ihn Oberst Corvin, der sich diesem Unternehmen ebenfalls anschloß, schreibt darüber¹):
„ Herwegh und seine Frau zogen an unserer Spitze, lettere in Männerkleidung. Sie trug schwarze Tuchpantalons und eine Schwarze Sammetblufe mit einem Ledergürtel, in welchem zwei fleine Terzerole und ein Dolch ftecten, wahrscheinlich um ihren Dichter zu beschützen, der mur eine Doppelpistole mit sich führte, deren einer damaszierter Lauf gefprungen war... Bei längerer Bekanntschaft lernte ich Frau Herwegh wegen ihrer vielen trefflichen Eigenschaften hoch achten. Sie war nicht so poetisch und träumerisch wie ihr Mann, sondern bei weitem praktischer als diefer. Dabei war fie energisch, entschlossen und unerschrocken; in den schwierigsten Lagen verlor sie den Mut nicht und die größte Gefahr vermochte sie nicht zu erschrecken. Für sich fürchtete, für sich sorate sie nie, nur für ihren Mann, den sie mit außerordentlicher Zärtlichkeit liebte und auf deffen Talent und Ruf sie mit Recht stolz war. Trotz der Entschiedenheit im Handeln, trok des männlichen Mutes fehlte es ihr nicht an den saniteren Tugenden des Weibes; fie war eine treffliche Gattin und zärtliche Mutter, menn sie auch alle Philifteret, wenig stens in der Theorie, abgeftreift hatte. Herwegh und seine Frau
1) Otto von Corvin : Ein Leben voller Abenteuer. Her ausgegeben und eingeleitet von Hermann Wendel 1924. Frankfurter Sozietäts- Druckerei,
crgänzten fich vollkommen; fie gehörten zufammen wie Schwertgriff und Klinge."
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Während des unglücklichen Gefechtes von Niederdossenbach gaben beide die Munition für die Freischürler aus. Nur mit Mühe und Not gelang es ihnen, nach der Niederlage zu entkommen. Sie flüchteten in ein Bauernhaus. Auf Herwegh war ein Preis von meitausend Gulden gefeßt. Corvin berichtet, daß die Reiter vor Begierde brannten, das Geld zu verdienen. Sie durchsuchten das Haus, fonnten aber weder den gutverstedten Herwegh, noch fein verfluchtes Weib" finden. Als Bauern verkleidet gingen darauf beide auf das Feld und arbeiteten, bis es ihnen gelang, unerkannt über die Rheinfelder Brücke auf Schweizer Gebiet zu entkommen. Bald darauf kehrten beide wieder nach Paris zurück.
Bis 1875, bis zum Tode Herweyhs, kämpfte und wirkte Emma Herwegh an seiner Seite. Ein im bürgerlich- behäbigen Sinn volltommenes Eheglück war ihr nicht beschieden. Sie mußte in späteren Jahren manchen Schmerz verwinden, den ihr Herwegh bereitete. Absolute Ehrlichkeit gegeneinander, gemeinsame Ideale und Emmas nie verlofdende Liebe ermöglichten beiden die Fortsetzung ihrer Ehe, nachdem Herwegh sich vorübergehend von Emma getrennt hatte, um mit der Frau von Alexander Herzen zusammenzuleben, und nachdem durch Herweghs Schuld die vordem glänzenden Bermögensverhältnisse von Emma Herwegh sich so verschlechtert hatten, daß fie selbst durch Uebersetzungen mit zum Unterhalt der Familie beitragen mußte. Tiefe Schmerzen und gewaltige Erschütterungen blieben ihrer Ehe nicht erspart, doch war das Zufamment ben für beide ein gewaltiges und aufrüttelndes Erlebnis, das in ihnen die besten Strafte erschloß und sie in gegenseitiger Unterstützung zur Ent faltung brachte.
Nach Herweghs Tod lebte Emma Herwegh noch bis zum Jahre 1904 in ihrem einfachen Pariser Heim ganz der Erinnerung an den fruh verstorbenen Dichter.
Zur Berufswahl der Mädchen.
Bon Hilde Freyer.
Die kommenden Schulentlaffungen und Jugendweihen stellen wieder viele Mütter vor die Frage: Was foll das Mädchen lernen?" ,, Was soll es werden?" Denn Haustöchterchen spielen und Muttern im Haushalt helfen diese Zeiten sind vorbei. Dem Proletariat waren fie überhaupt noch nicht aufgegangen!
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In der Unterhaltungsbeilage des Bazar" stand vor kurzem ein Artikel von Frau Elisabeth Boehm„ Der hauswirtschaftfiche Lehrling. Es wird hier von dem Bestreben des Landwirt. schaftlichen Hausfrauenvereins( LHB.) gesprochen, gute Hilfskräfte für den Landhaushalt wie auch für den Stadthaushalt heranzubilden und die Hausarbeit zu einem Beruf, zu„ gelernter Arbeit" zu machen. Der LHB. bedient fich dabei des Lehrlingswefens, und zwar tritt der 14- bis 15jährige Lehrling- der länd tiche hauswirtschaftliche Lehrling muß älter fein auf zwei Jahre in eine Hauswirtschaft, Lehrwirtschaft genannt, ein, die er dann nach bestandener Brüfung als Jungwirtin" verläßt, um, gut vorgefchult, in den Beruf zu gehen. Das Lehrlingswesen ist den Landwirtschaftskammern unterstellt.
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Nun wird manche Mutter fragen: Wer wird als Lehrling an genommen? Wird unterschiedslos jedes Mädchen angenommen, fo weit Blaze vorhanden sind, oder werden Borbehalte gemacht?" Andererseits muß man fich fragen: Ist es für ein Proletarierfind empfehlenswert, eine Lehrftelle in elner politisch zweifellos rechtsgerichteten Lehrwirtschaft einzunehmen?
Ein Kind flaffenbewußter Arbeiter wird sich in einer oft preußischen Lehrwirtschaft des LHB. ganz deplaziert vorkommen und es sicherlich auch sein. Das aber ist für den Entwicklungsgang des Lehrlings von großer Bedeutung, denn nur dann wird es für seinen Beruf die nötige Luft und Liebe spüren, wenn es sich von Anfang an in der Umgebung wohl fühlt.
Und wie wird es mit der politischen Einstellung werden? Ausgerechnet die Jahre des Gefühlserwachens für Politik und Klaffenbewußtsein wird das Mädchen in einer Welt zubringen, die ihm bewußt oder unbewußt das Gefühl der Selbstbestimmung und Gelftesfreiheit zu nehmen sucht.
In aleicher Weise steht es mit dem religiösen Empfin den. Wird es fich hier um freireligiös gefinnte Kreise handeln, und ist es überhaupt denkbar, daß ein Kind freigeistiger Eltern eine Lehrftelle in einer sogenannten gläubigen" Lehrwirtschaft annimmt? der Plan, über das Lehrlingswesen die Hausarbeit zu gelernter Das find die beiden Kardinalfragen. Andererseits scheint doch Arbeit" zu machen, ein sehr guter zu sein, der sich auch in der Praris lehr gut bewährt hat.
Man mühte ihn auf freie Arbeiterinnenschulen über. tragen, die eine Art Siedlung darstellen und die Broletarier nder unter bewährter Leitung eine sicherlich ebenso gute hauswirtschaftLHB. Im Gegenteil. auf solch einer freien Arbeiterinnenschule würde liche Schulung geben werden, als eine Lehrwirtschaft im Sinne des doch wohl den Lebrlingen manches über Hygiene, moderne Säng lings- und Kinderpflege, Chemie im Haushalt erzählt werden, Dinge, die den meisten Hausfrauen von heute ganz fern liegen und wohl auch noch nicht Eingang in ihre Hauswirtschaft gefunden haben.
Bor allem aber, der Forderung der Sozialdemokratte nach Freiheit und Selbstbestimmung würde man hier nicht entgegentreten.