Internationale; Morgen kommen sozialistische Frauen aus sechzehn ver- schtedenen Ländern in Marseille zu der auf Wunsch der englischen, österreichischen und belgischen Genossinnen ein- berufenen Internationalen Sozialtstischen Frauenkonferenz zusammen. Dreiviertel Millionen Proletarierfrauen stehen hinter den Delegierten, die auf dem Kongreß über ihre Arbeit berichten und über die Methoden sozialistischer Frauenarbeit diskutieren werden. Ein weites Ziel haben sie sich gesteckt für diesen einen Tag, und manche Probleme der internationalen Frauenpolitit werden unerörtert bleiben müssen. Trotzdem kommt dem Tag eine große Bedeutung zu, an dem zum erstenmal die Beschlüsse der Internationalen Kon- ferenz von 5)amburg(1923) in die Tat umgesetzt werden. Vieles hat sich in diesen zweieinhalb Jahre» geändert. Manche Probleme sind indessen an die damals neu erstandene Jnter- nationale herangetreten, die heute auf Lösung drängen. Die Entscheidung über theoretische, taktische und politische Fragen des Sozialismus wird ohne Zweifel auch für die Frauen aller Länder von Bedeutung seini an dieser Arbeit werden auch sie auf dem Kongreß, der dem Frauentag folgt, mitarbeiten. Aber sie taten gut daran, ihre Konferenz nur ihren Fragen zu widmen. Die Internationale selbst hat diese Konferenz einberufen. �eute erscheint es uns selbstverständlich, daß das inter - nationale Proletariat die Internationale der arbeitenden Frauen anerkennt und als wichtigen Faktor im proletarischen Befreiungskampf wertet. Denken wir aber zurück an die historische Entwicklung, so wissen wir, daß das nicht immer so gewesen ist. Als im Jahre 1866— also zu einer Zeit, als die erwerbstätige Frau in allen Industriestaaten schon eine große wirtschaftliche Rolle spielte— die erste Internationale ihren Kongreß in Genf abhielt, wurde folgende Resolution an- genommen: »In physischer,»wralischer und sozialer Beziehung ist die Frauenarbeit als ein« Ursache der Entartung und eine der Trieb- federn der Demoralisation der Kapitalistenklasse zu verwerfen. Die Frau hat von der Natur bestimmte Ausgaben erhalten: ihr Platz ist in der Familie: ihre Aufgabe besteht darin, die Kinder zu erziehen, den Mann an Ordnung, Häuslichkeit und mildere Sitten zu gewöhnen. Da» find die Dienste, die die Frau zu leisten, die Arbeiten, die sie zu verrichten hat: ihr andere aufzudrängen, ist«ine schlechte Sache." Erst in zähem Ringen ist es den Frauen gelungen, inner- halb der Internationale den Platz zu erobern, der ihr auf Grund ihrer wirtschaftlichen Stellung zukommt: erst all- mählich hat die fortschreitende ökonomische Entwicklung die Borurteile besiegt. Als 1916 in Kopenhagen der in Hamburg erneuerte Beschluß, regelmäßige Frauenkonferenzen abzuhalten, gefaßt wurde, war die Hauptforderung, die der gesamten sozialistischen Frauenarbeit und Frauenagitation zugrunde lag, die Forde- ru»g des Frauenwah< rechts. In fast allen Ländern ist sie heute erfüllt. Um so notwendiger ist es, heute den Kampf in denjenigen Ländern aufzunehmen, in denen, wie in Frank- reich, dieses Ziel noch nicht erreicht ist. Das Proletariat der Staaten, in denen das Frauenwahlrecht eingeführt ist, müssen in internationaler Zusammenarbeit der Frauen der anderen Länder beistehen. Aber auch in diesen Ländern gibt uns der Erfolg, den wir errungen haben, nicht das Recht, zu feiern, sondern neue große und schwierige politische Aufgaben erwachsen aus de»» Erfolg, der bisher nur ein erster Schritt ist. Die Frauen müssen lernen, das neue Recht richtig zu gebrauchen, sie inüssen es lernen, wie es auch die Männer erst lernen mußten: sie bedürfen der politischen Schulung. Hier genügt es nicht, im politischen Tageskampf sie hinzuweisen auf ihre Pflichten als Proletarierinnen, sondern sie müssen lernen, sich als Glieder einer größeren umfassenden Gemeinschaft zu fühlen, als Glieder der proletarischen Arbeiterinternationale. Den Blick für diese Zusammenhänge öffnet ihnen aber nicht der politische Tagcskampf in den eigenen engen Landes- grenzen: aus dem Zeitalter der nationalen Klassengegensätze sind wir herausgewachsen in das Stadium der inter - nationalen Fronten. Darum»nuß auch den Frauen der Blick gelveitet werden für die Rot und für den Kampf des internationalen Proletariats, darum muß die Verbindung hergestellt werden mit der Internationale. Der Gedanke einer eigenen sozialistischen Frauenorganisation außerhalb der Parteien ist in allen Ländern preisgegeben. Die Frauen sind, im Besitze des Wahlrechtes, zu politisch tätigen Gliedern des Proletariats geworden. Es gibt für sie keine Spezialfrage, die nicht eine politische Frage wäre: keine Entscheidung der großen Politik bleibt ohne Auswirkung für sie. Wohl aber gibt es besondere Frauenaufgaben und Frauenpflichten innerhalb der großen internationalen Organisation aller sozialistischen Parteien. Die rein politischen Fragen und die Aufgaben des wirt- schaftlichen Kampfes nehmen die männlichen Arbeitstollegen ganz in Anspruch. Diese Kämpfe sind wegbereitend: wir wissen, daß die wirtschaftliche und politische Macht im Staate unsere priinären Forderungen sein müssen. Aber der Sozia» lismus ist eine Kulturbewegung, und i h r eigent- lichcr Träger ist die Frau. Erziehung im Geiste des Sozialismus, in» Geiste des Antimilitarismus, Schulpolitik und Kulturpolitik im weitesten Sinne sind Ausgaben, die in das Arbeitsgebiet der Frau gehören. Daneben stehen die nicht minder wichtigen Fragen der Sozialpolitik, des Mieter- fchutzes, des Schutzes der arbeitenden Jugendlichen, alle Fragen der Volksgesundheit und Sovalhngiene, Gleichstellung des ehelichen und unehelichen Kindes, Abschaffung der Ab- treibungsstrafe usw. Diesen Teil des Befreiungskampfes, den die Internationale führt, führt die Frau selbst, unterstützt von ihren männlichen Genossen, aber nur in engster internationaler Zusammenarbeit mit den proletarischen Frauen aller Länder. Fralienbewegung im Sinne einer Bewegung der Frau gegen den Mann— das gerade unterscheidet die sozialistische von der bürgerlichen Frauenbewegung— haben die sozialistischen Frauen stets abgelehnt. In fast allen Ländern find es die sozialistischen Parteien gewesen, die den Kampf für das Frauenwahlrecht geführt und mit Erfolg ge- führt haben. Die Frauen des Proletariats sind nicht zu stolz, ihre Rechte„aus den Händen der Männer" zu empfangen: sie, die Unterdrückten, fühlen sich zu ihnen, den Ausgebeuteten, gehörig, einig mit ihnen in einer großen Klassenfront. In allen Ländern stehen»vir Schulter an Schulter mit den »nännlichen Klassengenossen, wir kämpfen um unser Recht und damit für das Recht unserer Klasse. Wenn wir so den internationalen Frauentag begrüßen, dann wird seine Arbeit uns einen Schritt vorwärts bringen auf dem Weg" zur Befreiung des Proletariats. Dora Fabian .
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